Der gefeierte Autor von "Gomorrha" zeichnet in seinem neuen Buch ein alarmierendes Bild seiner Heimat Italien. Er schildert Struktur und Geschichte der 'Ndrangheta, jener Organisation der Mafia, die sich auch in Deutschland ausgebreitet hat, er beschreibt das seit 16 Jahren andauernde Müllproblem in Neapel, und er berichtet, wie zeitgleich die politische Auseinandersetzung zur privaten Schlammschlacht verkommt. Solange der Rechtsstaat ausgehöhlt wird, wird sich die Kultur des Verbrechens immer weiter durchsetzen, beklagt Saviano. Er ruft zum Widerstand gegen Unrecht, Korruption und die Beschädigung der Demokratie auf. Mit diesem Buch ist Saviano zum Gewissen einer ganzen Nation geworden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2012Bipolares Leben
Roberto Saviano bläst in Köln zur Mafia-Jagd
"Von Deutschland aus auf Italien zu blicken, zu versuchen, Italien mit den Augen jenes europäischen Landes zu sehen, das uns vielleicht am meisten liebt, war in diesen Jahren sehr hilfreich für mich." So beginnt das neue Buch von Roberto Saviano. Der deutschen Ausgabe von "Der Kampf geht weiter - Widerstand gegen Mafia und Korruption" (Carl Hanser Verlag, München 2012, geb., 176 S., 17,90 [Euro]) gibt er ein ausführliches Vorwort mit, in dem er uns zu einer unverklärten Sicht auf den "bel paese" auffordert. Ja, Saviano wünscht sich nicht ohne Pathos, ein Deutscher möge gegenüber Italien, dem "unglücklichen Land", dieselbe Empathie und Bereitschaft zur Unterstützung demonstrieren wie John F. Kennedy 1963 gegenüber Berlin: "Ich bin ein Italiener." Im Klartext: "Ich werde euch nicht alleinlassen, euer Schicksal ist mein Schicksal."
Es ist unverständlich und bedauerlich, dass Dominik Wichmann, der am Montagabend auf der lit.Cologne das Gespräch mit Roberto Saviano führt, diese Anrede, dieses "Es betrifft euch", nicht aufgreift. Dabei liegt die Brisanz des Buches, einer Sammlung von neun Geschichten, genau darin, dass es einmal mehr mit dem Klischee, Camorra und 'ndrangheta seien archaische, rückständige Organisationen, aufräumt und darstellt, wie die Krake in Norditalien und längst auch in Deutschland angekommen ist, die legale Wirtschaft unterwandert und Milliarden umsetzt. Doch die für den hiesigen Diskurs kritischen Fragen werden in Köln nicht gestellt: Was sagt Saviano zu den schwachen deutschen Anti-Mafia-Gesetzen, was dazu, dass die Möglichkeiten der Telefonüberwachung und des Lauschangriffs, ohne die die Direzione nazionale antimafia (DNA) längst kapituliert hätte, so stark eingeschränkt sind?
Als "bipolares Leben" charakterisiert der Autor seine prekäre Lage: Er sei sichtbar, weil ihm die Aufmerksamkeit der Medien gilt, und unsichtbar, weil er sich verstecken müsse; sichtbar, weil er wie in Köln vor tausend Menschen sprechen könne, unsichtbar, weil er danach in einem "anonymen Hotelzimmer" übernachten müsse. Sein Leben als Journalist, so berichtet er, habe sich gewandelt: Auf der Straße recherchieren könne er nicht mehr, dafür habe er direkten Zugang zu den Ermittlern der Carabinieri, zu Steuerpolizei und DNA.
Zum Schluss kommt das Gespräch dann doch noch auf die Morde von Duisburg 2007, die, so Saviano, Deutschland zunächst aufgerüttelt hätten. Das Problem sei aber zu schnell abgetan worden als eines (nur) zwischen Italienern: "Ich hatte mehr erhofft." Die unglückliche Dramaturgie des Abends macht das Vorwort, gelesen von dem Schauspieler Michael Weber, zum Nachwort. Nicht einmal die nächstliegende Frage, für die das Buch zu früh herauskam, ist in Köln von Interesse: Was bedeutet der Regierungswechsel von Berlusconi zu Monti für den Kampf gegen die Mafia?
ANDREAS ROSSMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roberto Saviano bläst in Köln zur Mafia-Jagd
"Von Deutschland aus auf Italien zu blicken, zu versuchen, Italien mit den Augen jenes europäischen Landes zu sehen, das uns vielleicht am meisten liebt, war in diesen Jahren sehr hilfreich für mich." So beginnt das neue Buch von Roberto Saviano. Der deutschen Ausgabe von "Der Kampf geht weiter - Widerstand gegen Mafia und Korruption" (Carl Hanser Verlag, München 2012, geb., 176 S., 17,90 [Euro]) gibt er ein ausführliches Vorwort mit, in dem er uns zu einer unverklärten Sicht auf den "bel paese" auffordert. Ja, Saviano wünscht sich nicht ohne Pathos, ein Deutscher möge gegenüber Italien, dem "unglücklichen Land", dieselbe Empathie und Bereitschaft zur Unterstützung demonstrieren wie John F. Kennedy 1963 gegenüber Berlin: "Ich bin ein Italiener." Im Klartext: "Ich werde euch nicht alleinlassen, euer Schicksal ist mein Schicksal."
Es ist unverständlich und bedauerlich, dass Dominik Wichmann, der am Montagabend auf der lit.Cologne das Gespräch mit Roberto Saviano führt, diese Anrede, dieses "Es betrifft euch", nicht aufgreift. Dabei liegt die Brisanz des Buches, einer Sammlung von neun Geschichten, genau darin, dass es einmal mehr mit dem Klischee, Camorra und 'ndrangheta seien archaische, rückständige Organisationen, aufräumt und darstellt, wie die Krake in Norditalien und längst auch in Deutschland angekommen ist, die legale Wirtschaft unterwandert und Milliarden umsetzt. Doch die für den hiesigen Diskurs kritischen Fragen werden in Köln nicht gestellt: Was sagt Saviano zu den schwachen deutschen Anti-Mafia-Gesetzen, was dazu, dass die Möglichkeiten der Telefonüberwachung und des Lauschangriffs, ohne die die Direzione nazionale antimafia (DNA) längst kapituliert hätte, so stark eingeschränkt sind?
Als "bipolares Leben" charakterisiert der Autor seine prekäre Lage: Er sei sichtbar, weil ihm die Aufmerksamkeit der Medien gilt, und unsichtbar, weil er sich verstecken müsse; sichtbar, weil er wie in Köln vor tausend Menschen sprechen könne, unsichtbar, weil er danach in einem "anonymen Hotelzimmer" übernachten müsse. Sein Leben als Journalist, so berichtet er, habe sich gewandelt: Auf der Straße recherchieren könne er nicht mehr, dafür habe er direkten Zugang zu den Ermittlern der Carabinieri, zu Steuerpolizei und DNA.
Zum Schluss kommt das Gespräch dann doch noch auf die Morde von Duisburg 2007, die, so Saviano, Deutschland zunächst aufgerüttelt hätten. Das Problem sei aber zu schnell abgetan worden als eines (nur) zwischen Italienern: "Ich hatte mehr erhofft." Die unglückliche Dramaturgie des Abends macht das Vorwort, gelesen von dem Schauspieler Michael Weber, zum Nachwort. Nicht einmal die nächstliegende Frage, für die das Buch zu früh herauskam, ist in Köln von Interesse: Was bedeutet der Regierungswechsel von Berlusconi zu Monti für den Kampf gegen die Mafia?
ANDREAS ROSSMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christiane Liermann reibt sich die Augen: Wie es Roberto Saviano immer wieder schafft, ein ganzes Land aufzurütteln, einfach indem er an Selbstverständlichkeiten erinnert, das imponiert er gewaltig. Umso mehr, als er dies mit einer scharfen Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Zuständen des Landes verbindet, das sich mit der Mafia, dem Bürokratismus und einem gravierenden Mangel an Bürgersinn abgefunden zu haben scheint. Liermann sieht in Savianos Büchern ein probates Gegenmittel gegen so viel Zynismus, und dabei lernt sie auch, dass die norditalienische Wirtschaft mitunter auch von Bossen in den rückständigen Dörfern Süditaliens gelenkt wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Saviano rüttelt den Leser auf durch den drastischen Einblick in die Funktionsweisen der Mafia und der anderen süditalienischen Verbrecherorganisationen. (...) Selbstbehauptung ist möglich - das ist die Quintessenz von Savianos Credo. Dem Blick in die Abgründe der italienischen Gesellschaft hält er ermutigende Beispiele von kleinen, konkreten (Teil-)Siegen über mafiöse Kriminalität und Menschenverachtung entgegen." Christiane Liermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.2012
"Mit einfachen, mitunter pathetischen Gesten appelliert Saviano an das staatsbürgerliche Gewissen seiner Leser. (...) Sein Verdienst ist nicht hoch genug einzuschätzen. Der Schriftsteller, der immer noch unter Begleitschutz lebt, ist längst eine Ikone." Maike Albath, Die Welt, 10.03.2012
"Mit seiner Reportagensammlung über den italienischen Horror führt Saviano seinen mutigen Kampf gegen Mafia und Korruption weiter." Arnaldo Benini, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 29.04.2012
"Der Text ist journalistische Recherche, Anklageschrift und Manifest zur Ermutigung von Zivilcourage in einem." Christiane Liermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.12
"Mit einfachen, mitunter pathetischen Gesten appelliert Saviano an das staatsbürgerliche Gewissen seiner Leser. (...) Sein Verdienst ist nicht hoch genug einzuschätzen. Der Schriftsteller, der immer noch unter Begleitschutz lebt, ist längst eine Ikone." Maike Albath, Die Welt, 10.03.2012
"Mit seiner Reportagensammlung über den italienischen Horror führt Saviano seinen mutigen Kampf gegen Mafia und Korruption weiter." Arnaldo Benini, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 29.04.2012
"Der Text ist journalistische Recherche, Anklageschrift und Manifest zur Ermutigung von Zivilcourage in einem." Christiane Liermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.12