Produktdetails
- Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 136
- Verlag: Droste
- 1., Aufl.
- Seitenzahl: 419
- Deutsch
- Abmessung: 230mm x 165mm
- Gewicht: 738g
- ISBN-13: 9783770052509
- ISBN-10: 3770052501
- Artikelnr.: 11764997
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2004Dreiste Versuche
IM KAISERREICH war Wahlkampf weit wörtlicher zu verstehen als heute. Das Werben um die Stimmen der Reichstagswähler wurde in vielen Wahlkreisen mit hohem Einsatz und oft unter Verletzung des im internationalen Vergleich fortschrittlichen Wahlrechts geführt. Die gesetzlich zugesicherte geheime Wahl war nicht selten eine Farce. Autoritäten wie Pfarrer, Unternehmer, Landräte, aber auch Arbeiterführer übten Druck auf ihre Klientel aus. Es gab auch Wahlbetrügereien: Mitunter meldeten sich Wähler an zwei Orten an und wählten doppelt. Wer sich durch Pressionen oder Verfahrensfehler benachteiligt fühlte, konnte sich mit seiner Beschwerde an die Wahlprüfungskommission des Reichstages wenden, die dann die Legitimation der Mandate zu prüfen hatte. Die Arbeit dieser Kommission ist in umfangreichen Berichten dokumentiert. Diese von der Forschung bisher vernachlässigten Quellen hat Robert Arsenschek systematisch ausgewertet. Die Kommission prüfte in den 13 Wahlperioden des Reichstags immerhin 974 oder 19 Prozent der Mandate. 89 Abgeordnete verloren aufgrund der Wahlprüfung ihren Reichstagssitz, in diesen Fällen wurden Ersatzwahlen angesetzt. Arsenschek zeigt in seiner lesbar geschriebenen Arbeit, daß die Kommission bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Rechte der Wähler gestärkt hat. Solange es eine Mehrheit von reformorientierten Parteien - Sozialdemokratie, Liberale und Zentrum - gab, konnten diese die Wahlfreiheit recht erfolgreich schützen und sogar ausbauen. Um die Jahrhundertwende, mit der Wandlung des Zentrums zur regierungsnahen Partei, wurde auch die Politik der Kommission bedächtiger. Die bürgerlichen Parteien rückten angesichts des aufkommenden politischen Massenmarktes, den sie zumeist als Bedrohung empfanden, näher an die Reichsleitung heran. Sie trugen damit zur Erstarrung des politischen Systems bei. Sorgfältig ausgewählte und lebendig geschilderte Fallbeispiele geben einen Eindruck von subtilen und dreisten Manipulationsversuchen. (Robert Arsenschek: Der Kampf um die Wahlfreiheit im Kaiserreich. Zur parlamentarischen Wahlprüfung und politischen Realität der Reichstagswahlen 1871-1914. Droste Verlag, Düsseldorf 2003. 419 Seiten, 49,80 [Euro].)
ale.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
IM KAISERREICH war Wahlkampf weit wörtlicher zu verstehen als heute. Das Werben um die Stimmen der Reichstagswähler wurde in vielen Wahlkreisen mit hohem Einsatz und oft unter Verletzung des im internationalen Vergleich fortschrittlichen Wahlrechts geführt. Die gesetzlich zugesicherte geheime Wahl war nicht selten eine Farce. Autoritäten wie Pfarrer, Unternehmer, Landräte, aber auch Arbeiterführer übten Druck auf ihre Klientel aus. Es gab auch Wahlbetrügereien: Mitunter meldeten sich Wähler an zwei Orten an und wählten doppelt. Wer sich durch Pressionen oder Verfahrensfehler benachteiligt fühlte, konnte sich mit seiner Beschwerde an die Wahlprüfungskommission des Reichstages wenden, die dann die Legitimation der Mandate zu prüfen hatte. Die Arbeit dieser Kommission ist in umfangreichen Berichten dokumentiert. Diese von der Forschung bisher vernachlässigten Quellen hat Robert Arsenschek systematisch ausgewertet. Die Kommission prüfte in den 13 Wahlperioden des Reichstags immerhin 974 oder 19 Prozent der Mandate. 89 Abgeordnete verloren aufgrund der Wahlprüfung ihren Reichstagssitz, in diesen Fällen wurden Ersatzwahlen angesetzt. Arsenschek zeigt in seiner lesbar geschriebenen Arbeit, daß die Kommission bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Rechte der Wähler gestärkt hat. Solange es eine Mehrheit von reformorientierten Parteien - Sozialdemokratie, Liberale und Zentrum - gab, konnten diese die Wahlfreiheit recht erfolgreich schützen und sogar ausbauen. Um die Jahrhundertwende, mit der Wandlung des Zentrums zur regierungsnahen Partei, wurde auch die Politik der Kommission bedächtiger. Die bürgerlichen Parteien rückten angesichts des aufkommenden politischen Massenmarktes, den sie zumeist als Bedrohung empfanden, näher an die Reichsleitung heran. Sie trugen damit zur Erstarrung des politischen Systems bei. Sorgfältig ausgewählte und lebendig geschilderte Fallbeispiele geben einen Eindruck von subtilen und dreisten Manipulationsversuchen. (Robert Arsenschek: Der Kampf um die Wahlfreiheit im Kaiserreich. Zur parlamentarischen Wahlprüfung und politischen Realität der Reichstagswahlen 1871-1914. Droste Verlag, Düsseldorf 2003. 419 Seiten, 49,80 [Euro].)
ale.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Rezensent mit dem Kürzel "ale" lobt diese Studie besonders für die darin vorgenommene systematische Auswertung der umfangreichen Berichte der Wahlprüfungskommission des Reichstages, Quellen, die seinen Informationen zufolge bislang von der Forschung vernachlässigt worden sind. In seiner "lesbar geschrieben Arbeit" zeige Robert Arsenscheck, dass diese Kommission bis in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts die Rechte der Wähler gestärkt habe. "Sorgfältig ausgewählte und lebendig geschilderte Fallbeispiele" gaben dem Rezensenten außerdem einen Eindruck von "subtilen und dreisten Manipulationsversuchen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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