Zum WerkDer imperiale Drang Chinas und Russlands nach Ausdehnung ihrer Einflussphären verändern das Mächtegleichgewicht in der Welt. Hinzu kommt die Verunsicherung der westlichen Staatengemeinschaft durch die neue US-Administration, die unter Betonung der amerikanischen Eigeninteressen Zweifel am Freihandel und an vertrauter Partnerschaft im nordatlantischen Bündnis sät, aber immer noch zu den Grundwerten der westlichen Nachkriegsordnung steht. Stehen wir dreißig Jahre nach dem Ende des kalten Krieges - wieder - vor dem Heraufziehen einer neuen Weltordnung? Diese Neuerscheinung betrachtet das Zusammenspiel der Machtverhältnisse mit dem internationalen Recht aus einer strategischen Perspektive. Mit dem Brückenschlag zwischen den Lehren von den internationalen Beziehungen und dem Völkerrecht betritt das Buch Neuland. Es fordert Politik und Wissenschaft zu einem neuen Realismus auf, vor allem im Lichte des Wettstreits der geopolitischen Interessen der USA, Westeuropas, Russlands undder Volksrepublik China. Das Werk mahnt auch dazu, dass sich die Bundesrepublik Deutschland mit dem ihr zugewachsenen politischen und wirtschaftlichen Gewicht endlich ihrer geopolitischen Verantwortung stellt.Vorteile auf einen Blick- Beleuchtet politische und ideologische Hintergründe aktueller Konflikte der Weltordnung- plädiert für Übernahme geopolitischer Antwort durch die Bundesrepublik Deutschland- verfasst von einem anerkannten Spezialisten des Völker- und EuroparechtsZielgruppeFür alle an der internationalen und völkerrechtlichen Entwicklung interessierten oder sonst politisch aufgeschlossenen Staatsbürger, die sich über die grundlegenden Fragen der aktuellen Konflikte in der Weltordnung informieren möchten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2019Ein Stratege des Geländespiels
Her mit den Schwergewichten: Matthias Herdegen wünscht sich von Deutschland harte Großmachtpolitik
Nach einem selbst unter Juristen nicht auszurottenden Klischee ist das Völkerrecht kein wirkliches Recht, sondern bloß eine Sammlung edler Absichten, weil es gegenüber den souveränen Staaten nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann. Diese Kritik ist zwar theoretisch haltlos und empirisch oft widerlegt. Trotzdem ist Völkerrecht natürlich in hohem Maße politisches Recht, dessen Abhängigkeit von den politischen Strukturen und Machtverhältnissen sehr sichtbar ist. Das gilt vor allem, wenn diese sich so rasch verändern wie zur Zeit. Die vielen Krisen der Gegenwart legen die inneren Widersprüche bloß, auf denen die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete völkerrechtliche Ordnung beruht: Sie kennt den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, zugleich aber Privilegien der Siegermächte. Sie restaurierte die Regeln des in der Neuzeit entstandenen europäischen Staatenvölkerrechts in einer nicht mehr europäischen Welt und erhob Selbstbestimmungsrecht der Völker und Menschenrechte zu neuen Legitimitätsprinzipien, aus denen neue Konflikte resultierten.
Das Buch, das der Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen über Macht und Recht in den internationalen Beziehungen geschrieben hat, ist ein Bewerbungsschreiben um die in der deutschen Öffentlichkeit noch vakante Position des Falken. Herdegen ist im vergangenen Jahr einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden, als er noch vor dem Rückzug der Bundeskanzlerin vom CDU-Vorsitz ankündigte, auf dem Hamburger Parteitag gegen Angela Merkel anzutreten. In dieser Zeitung begründete er seine Kandidatur damals unter anderem damit, "auch in Washington und gar in Moskau" herrsche "der Eindruck, dass Deutschland weit unter seiner Gewichtsklasse boxt, soweit es überhaupt im internationalen Kräftespiel mitmischt". (F.A.Z. vom 25. Oktober 2018).
Wie also denkt sich Herdegen den internationalen Schwergewichtskampf und wie die Rolle Deutschlands? Kurz gesagt: mehr Realismus. Es geht um Eroberungen und Gebietsansprüche, um Souveränität und Gewaltanwendung, um das Gleichgewicht der Mächte, um nukleare Abschreckung und Terrorismus. Dass diese Themen in den letzten Jahren auf beunruhigende Weise die internationale Politik geprägt haben, ist natürlich nicht Herdegens Entdeckung. Für die "strategische Betrachtung", die sein Buch verspricht, kommt es aber darauf an, wie man sich zu ihnen verhält. Die Europäer und besonders die Deutschen findet Herdegen machtvergessen und plädiert auf allen Ebenen für mehr Robustheit: Militäreinsätze zur Sicherung von Handelswegen? Ja, sicher. Atomare Abschreckung? Jedenfalls nicht verboten. Schurkenstaaten? Als solche benennen! Trumps Militärschläge in Syrien? "Wertbestimmter Realismus". Vetorechte des Parlaments gegen Militäreinsätze im Rahmen der Nato? Verfassungsrechtliche Bedenkenhuberei.
Vor allem für den in der deutschen Völkerrechtswissenschaft gängigen normativen Universalismus hat Herdegen nur Spott übrig. Dass sich das Völkerrecht von den Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes her zu einer Art Weltverfassung unter starken internationalen Organisationen mit eigener Gerichtsbarkeit entwickeln könnte, hält er für einen liberalen Wunschtraum, der nur im Biotop der Naivität unter dem Schutz der Pax Americana entstehen konnte.
Nun ist jener Universalismus tatsächlich häufig unpolitisch und theoretisch etwas wohlfeil. Dass damit aber "strategisches Denken auf dem Altar einer idealistischen Weltsicht geopfert" wird, dürfte so gerade nicht zutreffen. In Wirklichkeit entspricht ja der Universalismus mit seiner Theorie fortschreitender Verrechtlichung der internationalen Beziehungen geradezu perfekt den strategischen Interessen einer Mittelmacht wie der wiedervereinigten Bundesrepublik: zu stark, um auf imperialen Schutz angewiesen zu sein, zu schwach, andere effektiv zu schützen. Herdegen sieht hier nur einen gesinnungsstolzen Willen zur Ohnmacht. Der bekannte Ausspruch des amerikanischen Neokonservativen Robert Kagan, "Americans are from Mars and Europeans are from Venus", ist im Vergleich geradezu subtil; auch die Liebesgöttin hat ihre Strategien.
Auch ansonsten hat Herdegen für die Dialektik von Interessen und Rechtsformen wenig Sinn, sein Buch verrät einen Strategiebegriff wie aus dem Geländespiel. Geschrieben ist das Buch in dem inzwischen sattsam bekannten Tonfall "Endlich sagt's mal einer!", bei dem zuverlässig nur alte Hüte herumgereicht werden. In den Begründungen seines "Realismus" häufen sich daher Zitate aus den Klassikern Henry Kissingers und Hans Morgenthaus sowie amerikanischen Sicherheitsdoktrinen. Zu den realen strategischen Optionen etwa der Bundesrepublik in den Konflikten der Gegenwart weiß er wenig zu sagen. Auch theoretisch ist das Ganze nicht sonderlich ergiebig. Typische Herdegen-Sätze wie: "Macht und Recht verlangen eine Gesamtbetrachtung" oder "Der Antagonismus bildet den Ausgangspunkt strategischer Betrachtungen" erklären nur, dass man mit logischen Schlüssen im Völkerrecht nicht weiterkommt. Das hat freilich auch niemand behauptet.
Herdegen propagiert durchgängig die These, das Völkerrecht könne aus seinen gegenwärtigen Aporien irgendwie durch eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Ordnung entkommen. Er ignoriert, dass es kein Zurück hinter die insbesondere postkoloniale Kritik am westlichen Völkerrecht geben kann. So hing das Prinzip der souveränen Gleichheit in seiner alten Form nicht nur entstehungsgeschichtlich, sondern auch funktional eng mit dem Ausschluss der Kolonien zusammen.
Deswegen war die Epoche internationaler Verrechtlichung nicht nur eine liberale Utopie unpolitischer Träumer, sondern zugleich ein Prozess der Ablösung der kolonialen durch eine postkoloniale Ordnung. Die strategischen Bedingungen staatlichen Handelns sind auch deswegen heute andere. Sollte die Bundesregierung, die täglich mit ihnen beschäftigt ist, dabei gelehrten Rat suchen, findet sie ihn in diesem Buch nicht.
FLORIAN MEINEL
Matthias Herdegen:
"Der Kampf um
die Weltordnung".
Eine strategische Betrachtung.
Verlag C. H. Beck, München 2018. 291 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Her mit den Schwergewichten: Matthias Herdegen wünscht sich von Deutschland harte Großmachtpolitik
Nach einem selbst unter Juristen nicht auszurottenden Klischee ist das Völkerrecht kein wirkliches Recht, sondern bloß eine Sammlung edler Absichten, weil es gegenüber den souveränen Staaten nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann. Diese Kritik ist zwar theoretisch haltlos und empirisch oft widerlegt. Trotzdem ist Völkerrecht natürlich in hohem Maße politisches Recht, dessen Abhängigkeit von den politischen Strukturen und Machtverhältnissen sehr sichtbar ist. Das gilt vor allem, wenn diese sich so rasch verändern wie zur Zeit. Die vielen Krisen der Gegenwart legen die inneren Widersprüche bloß, auf denen die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete völkerrechtliche Ordnung beruht: Sie kennt den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, zugleich aber Privilegien der Siegermächte. Sie restaurierte die Regeln des in der Neuzeit entstandenen europäischen Staatenvölkerrechts in einer nicht mehr europäischen Welt und erhob Selbstbestimmungsrecht der Völker und Menschenrechte zu neuen Legitimitätsprinzipien, aus denen neue Konflikte resultierten.
Das Buch, das der Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen über Macht und Recht in den internationalen Beziehungen geschrieben hat, ist ein Bewerbungsschreiben um die in der deutschen Öffentlichkeit noch vakante Position des Falken. Herdegen ist im vergangenen Jahr einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden, als er noch vor dem Rückzug der Bundeskanzlerin vom CDU-Vorsitz ankündigte, auf dem Hamburger Parteitag gegen Angela Merkel anzutreten. In dieser Zeitung begründete er seine Kandidatur damals unter anderem damit, "auch in Washington und gar in Moskau" herrsche "der Eindruck, dass Deutschland weit unter seiner Gewichtsklasse boxt, soweit es überhaupt im internationalen Kräftespiel mitmischt". (F.A.Z. vom 25. Oktober 2018).
Wie also denkt sich Herdegen den internationalen Schwergewichtskampf und wie die Rolle Deutschlands? Kurz gesagt: mehr Realismus. Es geht um Eroberungen und Gebietsansprüche, um Souveränität und Gewaltanwendung, um das Gleichgewicht der Mächte, um nukleare Abschreckung und Terrorismus. Dass diese Themen in den letzten Jahren auf beunruhigende Weise die internationale Politik geprägt haben, ist natürlich nicht Herdegens Entdeckung. Für die "strategische Betrachtung", die sein Buch verspricht, kommt es aber darauf an, wie man sich zu ihnen verhält. Die Europäer und besonders die Deutschen findet Herdegen machtvergessen und plädiert auf allen Ebenen für mehr Robustheit: Militäreinsätze zur Sicherung von Handelswegen? Ja, sicher. Atomare Abschreckung? Jedenfalls nicht verboten. Schurkenstaaten? Als solche benennen! Trumps Militärschläge in Syrien? "Wertbestimmter Realismus". Vetorechte des Parlaments gegen Militäreinsätze im Rahmen der Nato? Verfassungsrechtliche Bedenkenhuberei.
Vor allem für den in der deutschen Völkerrechtswissenschaft gängigen normativen Universalismus hat Herdegen nur Spott übrig. Dass sich das Völkerrecht von den Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes her zu einer Art Weltverfassung unter starken internationalen Organisationen mit eigener Gerichtsbarkeit entwickeln könnte, hält er für einen liberalen Wunschtraum, der nur im Biotop der Naivität unter dem Schutz der Pax Americana entstehen konnte.
Nun ist jener Universalismus tatsächlich häufig unpolitisch und theoretisch etwas wohlfeil. Dass damit aber "strategisches Denken auf dem Altar einer idealistischen Weltsicht geopfert" wird, dürfte so gerade nicht zutreffen. In Wirklichkeit entspricht ja der Universalismus mit seiner Theorie fortschreitender Verrechtlichung der internationalen Beziehungen geradezu perfekt den strategischen Interessen einer Mittelmacht wie der wiedervereinigten Bundesrepublik: zu stark, um auf imperialen Schutz angewiesen zu sein, zu schwach, andere effektiv zu schützen. Herdegen sieht hier nur einen gesinnungsstolzen Willen zur Ohnmacht. Der bekannte Ausspruch des amerikanischen Neokonservativen Robert Kagan, "Americans are from Mars and Europeans are from Venus", ist im Vergleich geradezu subtil; auch die Liebesgöttin hat ihre Strategien.
Auch ansonsten hat Herdegen für die Dialektik von Interessen und Rechtsformen wenig Sinn, sein Buch verrät einen Strategiebegriff wie aus dem Geländespiel. Geschrieben ist das Buch in dem inzwischen sattsam bekannten Tonfall "Endlich sagt's mal einer!", bei dem zuverlässig nur alte Hüte herumgereicht werden. In den Begründungen seines "Realismus" häufen sich daher Zitate aus den Klassikern Henry Kissingers und Hans Morgenthaus sowie amerikanischen Sicherheitsdoktrinen. Zu den realen strategischen Optionen etwa der Bundesrepublik in den Konflikten der Gegenwart weiß er wenig zu sagen. Auch theoretisch ist das Ganze nicht sonderlich ergiebig. Typische Herdegen-Sätze wie: "Macht und Recht verlangen eine Gesamtbetrachtung" oder "Der Antagonismus bildet den Ausgangspunkt strategischer Betrachtungen" erklären nur, dass man mit logischen Schlüssen im Völkerrecht nicht weiterkommt. Das hat freilich auch niemand behauptet.
Herdegen propagiert durchgängig die These, das Völkerrecht könne aus seinen gegenwärtigen Aporien irgendwie durch eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Ordnung entkommen. Er ignoriert, dass es kein Zurück hinter die insbesondere postkoloniale Kritik am westlichen Völkerrecht geben kann. So hing das Prinzip der souveränen Gleichheit in seiner alten Form nicht nur entstehungsgeschichtlich, sondern auch funktional eng mit dem Ausschluss der Kolonien zusammen.
Deswegen war die Epoche internationaler Verrechtlichung nicht nur eine liberale Utopie unpolitischer Träumer, sondern zugleich ein Prozess der Ablösung der kolonialen durch eine postkoloniale Ordnung. Die strategischen Bedingungen staatlichen Handelns sind auch deswegen heute andere. Sollte die Bundesregierung, die täglich mit ihnen beschäftigt ist, dabei gelehrten Rat suchen, findet sie ihn in diesem Buch nicht.
FLORIAN MEINEL
Matthias Herdegen:
"Der Kampf um
die Weltordnung".
Eine strategische Betrachtung.
Verlag C. H. Beck, München 2018. 291 S., geb., 21,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Laut Florian Meinel hat der Völkerrechtler Matthias Herdegen keine realistischen Vorschläge für die Gestaltung der Rolle Deutschlands im internationalen Machtgefüge zu bieten. Die geforderte Robustheit im Tausch gegen den von Herdegen verspotteten normativen Universalismus scheint Meinel wenig praktikabel, der Universalismus tatsächlich die Strategie der Wahl einer Mittelmacht wie Deutschland. Etwas mehr Sinn für die Dialektik von Interessen und Recht und ein weniger lobheischender Ton hätten dem Buch insgesamt gut getan, ist Meinel überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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