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"´Kanon´, klingt das nicht altmodisch? Und herrisch und verstaubt zugleich? Jedenfalls scheint es eine Vokabel aus einer vergangenen Epoche, eine, gegen die schon unsere Väter gelegentlich meist gelangweilt protestierten. Kurz: ein alter Zopf. Wirklich? Richtig ist: Ein Kanon für die Literatur ist kein Gesetzbuch und keine Vorschrift; jeder kann und soll lesen, was er will. Doch brauchen wir nicht, angesichts der wachsenden Bücherflut, auch und gerade in unserem dritten Jahrtausend eine Auswahl der literarischen Werke, die zum kulturellen Bestand gehören? ... Was aber unsere heutige…mehr

Produktbeschreibung
"´Kanon´, klingt das nicht altmodisch? Und herrisch und verstaubt zugleich? Jedenfalls scheint es eine Vokabel aus einer vergangenen Epoche, eine, gegen die schon unsere Väter gelegentlich meist gelangweilt protestierten. Kurz: ein alter Zopf. Wirklich?
Richtig ist: Ein Kanon für die Literatur ist kein Gesetzbuch und keine Vorschrift; jeder kann und soll lesen, was er will. Doch brauchen wir nicht, angesichts der wachsenden Bücherflut, auch und gerade in unserem dritten Jahrtausend eine Auswahl der literarischen Werke, die zum kulturellen Bestand gehören? ... Was aber unsere heutige Kanon-Bibliothek von allen vergleichbaren Entwürfen aus der Vergangenheit unterscheidet, ist ihr Adressat: Dies ist ein Kanon für Leser. Vorrangig gilt für diesen Kanon, daß - was oft übersehen wird - Literatur jenseits aller Belehrung und Erbauung auch unterhaltend sein kann und soll, daß sie Spaß, Vergnügen, Freude bereiten, ja glücklich machen kann ... Jeder Kanon ist auch subjektiv und zeigt die Vorlieben dessen, der auswählt. Nur bin ich überzeugt, daß der Verzicht auf einen Kanon in einer zivilisierten Gesellschaft verhängnisvoll, ja unvorstellbar ist. Er wäre ein Rückfall in Willkür und Beliebigkeit, in Chaos und Ratlosigkeit, ein Rückfall in die Barbarei." (Marcel Reich-Ranicki)
Autorenporträt
Marcel Reich-Ranicki, geb. 1920 in Wloclawek an der Weichsel, ist in Berlin aufgewachsen. Er war 1960-1973 ständiger Literaturkritiker der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" und leitete 1973 - 1988 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Redaktion für Literatur und literarisches Leben. In den Jahren 1968/69 lehrte er an amerikanischen Universitäten, 1971-1975 war er ständiger Gastprofessor für Neue Deutsche Literatur an den Universitäten von Stockholm und Uppsala, seit 1974 ist er Honorarprofessor an der Universität Tübingen, in den Jahren 1991/1992 bekleidete er die Heinrich-Heine-Gastprofessur an der Universität Düsseldorf. Seit 1988 leitet er das "Literarische Quartett" im Zweiten Deutschen Fernsehen.
Reich-Ranicki erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem: die Ehrendoktorwürde der Universitäten Uppsala, Augsburg, Bamberg und Düsseldorf, den Ricarda-Huch-Preis (1981), den Thomas-Mann-Preis (1987), den Bayerischen Fernsehpreis (1991), sowie den Ludwig-Börne-Preis (199
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2006

Ohne Lyrik geht es nicht
Eine junge Dichterin sichtet Marcel Reich-Ranickis Kanon

Dieser Kanon der Gedichte ist ein wunderbares Unternehmen. Er versammelt alle Gedichte, die man, schon immer geliebt hat - und manches, von dem man kaum wußte, wie sehr man es eigentlich liebt. Poesiealbumtaugliche Verse stehen darin ebenso wie solche, die man in verzweifelte pubertäre Briefe gelegt hätte; auf Demos und Sitzblockaden skandierte Texte, die einst für radikal und weltbewegend gehalten wurden, stehen nur wenige Seiten neben genau dem richtigen Gedicht für das Hohelied auf ein Liebespaar oder für die traurige Pflicht einer Todesanzeige. Hier fehlt fast gar nichts: Marcel Reich-Ranickis Kanon ist ein Werk, das ein ganzes Leben hindurch schön und nützlich bleibt.

"Die Lyrik - brauchen wir sie wirklich?", so ist der Aufsatz überschrieben, den Reich-Ranicki 1980 im Hamburger Schauspielhaus gehalten hat und der als Einführung zum Kanon dient. Schon die im ersten Satz gegebene Antwort überrascht: "Millionen Menschen leben ohne die Dichtung und fühlen sich dabei ganz gut: Nichts fehlt ihnen, und vieles bleibt ihnen erspart." Die Auswahl der Gedichte im Kanon, nicht überraschend, beweist jedoch das Gegenteil. Gedichte sind gerade in unseren Gefilden für die meisten Menschen die ersten literarischen Gebilde, auf die sie treffen. Jedem kleinen Kind werden Lieder, von denen eine große Zahl im Kanon vertreten ist, vorgesungen. Anschließend lernt es mit Abzählreimen und Zungenbrechern etwa von Ernst Jandl sprechen. Jeder kann oder erkennt wenigstens einige Strophen der Gedichte im Kanon, seien es Morgensternsche Scherzverse oder Weihnachtslieder, denn auch diese sind im Kanon gut repräsentiert. Sicherlich, die Zeiten haben sich geändert, und gerade die Dichtung der sogenannten Klassiker hat früher einmal eine größere Rolle gespielt. Die Parteinahme für diese anerkannten Dichter und das Auswendigkönnen von Gedichten, noch in meiner Elterngeneration selbstverständlich, gibt es in meiner Generation schon nicht mehr. Aber derjenige, der Gedichte auswendig kennt, kann auch heute noch Furore machen, nicht nur als Rapper - die sind im Kanon freilich nicht vertreten.

Lyrik konnte schon immer "trösten und besänftigen", und sie kann noch viel mehr. Erich Kästners "Lyrische Hausapotheke" von Teofila Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto für ihren Mann illustriert, das am Vorabend des 20. Juli von Claus von Stauffenberg deklamierte Gedicht "der täter" (nicht im Kanon) von Stefan George sind Beweis genug, daß Dichtung gerade in schlimmen Zeiten gebraucht wird. Sie tröstet und besänftigt nicht nur, sondern hat die Macht, über den Tod und das Unglück zu triumphieren. Erstaunt hat mich deshalb das explizite Unbehagen Reich-Ranickis gegenüber dichtenden Autoren, "diesen unzuverlässigsten aller Kantonisten", die seiner Meinung nach raunen, um damit ihre "intellektuelle Dürftigkeit" zu tarnen.

Die Lebensläufe der meisten Autoren im Kanon ebenso wie ihre Gedichte zeigen, daß eine Entscheidung für ein Leben als Dichter und insbesondere als sehr viel seltener vertretene Dichterin viel zu oft bezahlt wurde mit Einsamkeit und Entbehrung, oft auch mit Verfolgung und Tod. Auch heute wird kaum ein lebender Dichter, außer vielleicht Robert Gernhardt (im Kanon vertreten), von seinen Gedichten leben können, geschweige denn irgendein Verlag vom Verkauf derselben.

Der siebte und letzte Band des Kanons bringt, auf den Zeitraum bezogen, die höchste Autorendichte. Dennoch erscheint mir die Auswahl nicht vollständig, der Masse zum Trotz. Es fehlen manche Autoren der jüngeren Generation, insbesondere hätte ich gerne einige Gedichte von Thomas Kling dort gefunden. Wenn Reich-Ranicki vor jenen Lyrikern warnt, die er als "Autoren mit und ohne Talent, doch auf jeden Fall mit wenig Geist" bezeichnet, hier hätte er ein schlagendes Gegenbeispiel.

"Der Kanon. Die deutsche Literatur. Gedichte". Herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki. Insel Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2005. Sieben Bände und ein Begleitband. Etwa 2500 S., br., 49,80 [Euro].

Sabine Schiffner, geboren 1965, veröffentlichte zuletzt den Roman "Kindbettfieber". In diesem Frühjahr erscheint ihr Lyrikband "Male".

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Brauchen wir einen neuen Kanon?
Eine der vermeintlichen Errungenschaften der Reformen unseres Bildungswesens ist die Auflösung des Kanons derjenigen Werke, die "man gelesen haben muß". Und jetzt soll es einen neuen literarischen Kanon geben? Der Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki bringt sich in die vor einiger Zeit entbrannte Diskussion ein, indem er kurzerhand einen eigenen Kanon veröffentlicht. Nun liegt der erste Teil - die Romane der deutschen Literatur - dieses Kanons vor. In schön aufgemachten Taschenbüchern stehen sie in einer Kassette zum Kaufen und vor allem zum Gelesenwerden bereit.
Die Bücher, die "man gelesen haben sollte"
Angesichts der labyrinthischen Bücherflut unserer Zeit brauchen wir eine Auswahl an Büchern, "die ein gebildeter Mensch kennen sollte", so Marcel Reich-Ranicki. Der im Alltag aufgehende Mensch brauche eine Hilfe, die zwischen diesem Alltag und der Kunst, zwischen Literatur und Leser, vermittelt und ihm einen Weg weist. Eben diesen Weg will Marcel Reich-Ranicki mit seinem Kanon zeigen. Mit der Anerkennung eines Kanons wird auch die Bedeutung der Vergangenheit für unsere Gegenwart anerkannt. Die Auswahl der Romane, die er für seinen Kanon vornimmt, berücksichtigt daher besonders diejenigen Werke, die uns auch heute noch etwas zu sagen haben. Schließlich richtet sich die Auswahl der Romane auch nach ihrer Einordnung in den jeweiligen literarischen und zeitgeschichtlichen Kontext. Die Bücher des Kanons sind einerseits repräsentativ für ihre Zeit, andererseits einzigartige individuelle Schöpfungen. Erst beide Eigenschaften zusammen verleihen Ihnen den Rang eines die Zeit überdauernden Werks, das die Aufnahme in einen Kanon verdient.
Der Verzicht auf einen Kanon ist ein Rückfall in die Barbarei
Wie umstritten die Aufstellung eines Kanons der Literatur ist, gesteht Reich-Ranicki in seiner Einführung ein, er gibt aber auch zu bedenken, "dass der Verzicht auf einen Kanon in einer zivilisierten Gesellschaft verhängnisvoll, ja unvorstellbar sei. Er wäre ein Rückfall in Willkür und Beliebigkeit, in Chaos und Ratlosigkeit, ein Rückfall in die Barbarei."
Die Romane des Kanons
Welches sind nun aber die Romane, die der große Kritiker für seinen Kanons ausgesucht hat? Natürlich sind die bekannten Werke dabei, Werke, an denen niemand vorübergehen kann, der sich auch nur ein bisschen für Literatur interessiert. Einige davon kennen viele auch noch aus ihrer Schulzeit, es lohnt sich aber, sie neu zu entdecken: Goethe ist natürlich vertreten, ebenso Gottfried Keller mit seinen Grünen Heinrich. Aber auch der heute weniger gelesene E.T.A. Hoffmann mit den spannenden Elixieren des Teufels.
Etwas weniger bekannt, dafür aber nicht weniger bedeutend, ist der epochale Großstadtroman Die Strudelhofstiege des österreichischen Schriftstellers Heimito von Doderer. 1951 erstmals veröffentlicht, ist dieser Roman das großartige Abbild einer untergegangenen Zeit: Österreich vor und nach dem Ersten Weltkrieg.
Anna Seghers, Joseph Roth und Günter Grass sind natürlich Bestandteil des Kanons. Aber Wolfgang Koeppen? Ihn hätte man vielleicht nicht erwartet. Aber sein Roman Tauben im Gras zeichnet wie kein anderes Buch ein Bild des Lebens im Nachkriegsdeutschland. Ein großartiges Mosaik von Menschen, die in Unsicherheit und Angst vor der Zukunft leben. Sie sind einsam und misstrauisch, sie bleiben sich fremd, obwohl sie aufeinander angewiesen sind. Ein Buch, von dem man nur hoffen kann, dass ihm die Aufnahme in den Kanon zu mehr Aufmerksamkeit verhilft.
Eine ausgewogenen und repräsentative Auswahl
Mit dem Roman Holzfällen von Thomas Bernard endet der Kanon. Vorläufig im Jahr 1984. Insgesamt ist die Auswahl der Romane ausgewogen und repräsentativ. Der Leser wird Entdeckungen machen, aber auch Grundlage schaffen für weitergehende Lektüre. Denn wer diese 20 Bücher wirklich gelesen hat, wird ohnehin große Lust verspüren, noch weitere zu lesen.
(Andreas Rötzer)
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