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Hermann Kusterer, Dolmetscher und einziger noch lebender Zeuge sämtlicher Gespräche der deutschen Bundeskanzler mit den französischen Staatspräsidenten zwischen November 1958 und Januar 1971, hat ins Zentrum seines Buches das Verhältnis von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle gestellt. So entstand ein persönliches und zeitgeschichtliches Dokument über die Freundschaft zweier Staatsmänner, das zugleich authentischen Einblick gibt in die Kunst der diplomatischen Verhandlung und die Bedeutung des richtigen Wortes zur richtigen Zeit.

Produktbeschreibung
Hermann Kusterer, Dolmetscher und einziger noch lebender Zeuge sämtlicher Gespräche der deutschen Bundeskanzler mit den französischen Staatspräsidenten zwischen November 1958 und Januar 1971, hat ins Zentrum seines Buches das Verhältnis von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle gestellt. So entstand ein persönliches und zeitgeschichtliches Dokument über die Freundschaft zweier Staatsmänner, das zugleich authentischen Einblick gibt in die Kunst der diplomatischen Verhandlung und die Bedeutung des richtigen Wortes zur richtigen Zeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.1995

Zusammenschluß mit Tiefe und Ton
Wie Ludwig Erhard einmal Europa nicht fand / Erinnerungen eines Dolmetschers

Hermann Kusterer: Der Kanzler und der General. Verlag Günther Neske, Stuttgart 1995. 490 Seiten, Abbildungen, 48,- Mark.

Ende Juni 1969 - Postzustellung in Niederbachem bei Bonn: Dem Chefdolmetscher des Auswärtigen Amts stockte der Atem, als er die Handschrift auf dem Briefumschlag erkannte. Charles de Gaulle, bis zum 28. April 1969 Staatspräsident, dankte handschriftlich für folgende Zeilen Hermann Kusterers: "Ganz persönlich kennzeichnet Ihr Weggang für mich das Ende einer Epoche; fortan wird meine Arbeit, mag sie auch interessant sein, nicht mehr dieselbe menschliche Faszination atmen." In seiner Antwort hob der General nicht nur die "außergewöhnlichen fachlichen Leistungen", sondern auch das "große menschliche Verständnis" des Chefdolmetschers hervor, der de Gaulles Ausführungen über viele Jahre hinweg mit Verve und hoher Kompetenz aus dem Französischen übersetzt hatte.

Mit dem "Ende einer Epoche" war es Kusterer durchaus Ernst. Anderthalb Jahre später zog er sich vom Dolmetschen ganz zurück, um bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1992 den Sprachendienst des Auswärtigen Amts zu leiten. Jedoch ist er ein Bewunderer Konrad Adenauers und - in weitaus größerem Maße - Charles de Gaulles geblieben. Zwischen ihnen beiden erlebte er das "ungeheuer geladene Fluidum" und fühlte sich 1958 in Bad Kreuznach nach einem kurzen Blick des Generals "wie verwandelt".

Kusterer ist nicht der erste deutsche Dolmetscher, der zur Feder greift. Immerhin erfaßte Paul Schmidt mit seinen "Erlebnissen" aus der Zeit vor 1945 etwas ganz Wesentliches des Berufsstandes schon im Buchtitel: "Statist auf diplomatischer Bühne". Diese dienende Funktion fiel Kusterer - vom Dienst für Adenauer und de Gaulle einmal abgesehen - sicherlich nicht leicht, weil zur großen sprachlichen Begabung politisches Engagement und eine Leidenschaft zu Frankreich hinzukamen. Daher leidet der Leser nach dreißig und mehr Jahren physisch und psychisch mit dem Mann auf dem berüchtigten "Stühlchen" hinter den zu dolmetschenden Politikern.

"Dolmetschergeschichten" dürfen natürlich nicht fehlen. Schließlich war der Chefdolmetscher Augen- und Ohrenzeuge der Großen der Welt, die eben nicht nur Sternstunden hatten, sondern auch schwache Sekunden (oder Minuten?). Heinrich Lübke bietet sich an, zumal mitgeteilt wird, daß das Staatsoberhaupt immer wieder von seiner Umgebung gedrängt worden sei, Englisch zu sprechen - vielleicht, um sich auf dessen Kosten amüsieren zu können. Ende 1962, Staatsbesuch in Indien, Lübke zu Nehru: "You know our relations with the French were very gifted." Darauf der indische Ministerpräsident: "But we welcome that." Nun der sein weißes Haupt schüttelnde Bundespräsident: "Now, not more . . ." Jetzt mußte der Dolmetscher erläutern, daß sein Chef mit "gifted" keineswegs "begabt", sondern "vergiftet" meinte.

Im Vergleich zu Lübke verstand es Adenauer, dem Dolmetscher sogar einmal mit einem treffenden Ausdruck für "ein guter Gesellschafter" auszuhelfen: "Un homme pour les dames." Überboten wurde der Kanzler durch den General, der während des triumphalen Staatsbesuchs in der Bundesrepublik Anfang September 1962 immer wieder kürzere Reden auf deutsch hielt, auswendig gelernt und einstudiert mit Hilfe seines diplomatischen Beraters Pierre Maillard.

So forderte de Gaulle beispielsweise am 6. September die Stahlkocher der August-Thyssen-Hütte in Duisburg-Hamborn und "das ganze schaffende deutsche Volk" auf, zusammen mit ihm "ein neues Ereignis zu feiern, das größte unseres modernen Zeitalters: die Freundschaft zwischen dem französischen und dem deutschen Volk".

Mit den plastischen Beschreibungen der deutsch-französischen Gipfeltreffen im Jahre 1962 gelingt es Kusterer, etwas von seiner offensichtlich unwandelbaren Begeisterung überspringen zu lassen. Dazu werden neben den aus Stichworten und aus mancherlei Symbolen bestehenden Dolmetscher-Notizblöckchen, die er seit dieser Zeit nicht mehr nach Anfertigung der amtlichen geheimen Gesprächsaufzeichnungen vernichtete, zusätzlich noch die Memoiren Konrad Adenauers, Charles de Gaulles, Maurice Couve de Murvilles, Pierre Maillards und Horst Osterhelds herangezogen.

Das Treffen in Baden-Baden am 15. Februar 1962 legte nach Kusterers Meinung den "Grundstein" für den deutsch-französischen Vertrag vom 22. Januar 1963. Damals schlug de Gaulle vor, die bilateralen Kontakte zu organisieren, um der Weltpolitik den fehlenden Faktor eines "gemeinsamen deutsch-französischen Vorgehens" zu geben. Allerdings sparte er auch nicht mit Kritik an der Nato als Organisationsform und an der EWG-Kommission in Brüssel.

Übrigens zieht sich der Hinweis auf den unterschiedlichen sprachlichen Gebrauch des Wortes "Nato" wie ein roter Faden durch das Buch. Für Adenauer und die Deutschen seien die Nato und das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika gleichbedeutend gewesen, so daß der Begriff Nato sowohl das militärische als auch das politische Bündnis umfaßt habe. Hingegen habe de Gaulle unter "le Neto" - so im Originalton des Generals - nur den faktischen amerikanischen Oberbefehl gesehen, "une affaire américaine", eine als künstlich, unnatürlich, vaterlandslos eingeschätzte Integration. Währenddessen habe er immer an der "alliance atlantique" festgehalten: an einem selbständigen "europäischen Europa" Seite an Seite mit den Vereinigten Staaten. Wie diese theoretische Unterscheidung in der praktischen Politik durchgehalten werden sollte, weiß der Dolmetscher allerdings nicht zu erklären.

Auf Baden-Baden folgte der Staatsbesuch in Frankreich Anfang Juli 1962. Dort stand zunächst Adenauers Vorschlag der persönlichen Konsultationen ohne diplomatische Kanäle und ohne Parlamentarier zur Diskussion, dann aber die von de Gaulle angestrebte Zweierunion als Ausgangspunkt für die politische Union Europas.

Beim Gegenbesuch de Gaulles wurde Kusterer am Nachmittag des 4. September 1962 von Staatssekretär Carstens im Auftrag von Bundesaußenminister Schröder fernmündlich angewiesen, den mehrfach verwendeten Begriff "union entre la France et l'Allemagne" im vorab zugänglich gemachten Redetext des Staatspräsidenten keinesfalls mit "Union" zu übersetzen, sondern nur vage mit "Zusammenschluß". Dem mußte Kusterer auf dem Festbankett am Abend nachkommen, aber mit "soviel Tiefe und Ton in der Stimme", daß ein jeder auf Schloß Augustusburg bemerkt haben soll, was vom General gemeint gewesen sei.

Seit Anfang Januar 1963 favorisierte Adenauer den feierlichen Vertrag, dessen nachträglich aufgezwungene Präambel mit dem Bekenntnis der Bundesrepublik zur atlantischen Bindung und zur Nato als "Schlag in die Magengrube" des Generals interpretiert wird. Kusterer vertritt die Meinung, daß Adenauer hätte versuchen sollen, den Vertrag ohne Präambel einfach durchzusetzen; dies wäre vielleicht gelungen, weil der Kanzler - man höre und staune - das Volk, die "Seele der Nation" und die "schweigende Mehrheit" auf seiner Seite gehabt hätte.

Bei der Darstellung des Jahres 1963 gibt Kusterer ausführlich Unterredungen wieder, die seit 1994 in der Edition der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963" vorliegen. Geringfügige Korrekturen und Ergänzungen hält er hier manchmal für notwendig, so zum Beispiel bei der Äußerung Adenauers während des Abschiedsbesuches in Rambouillet am 22. September 1963, "daß jemand wie Schröder, der England als etwas Großartiges empfinde, geheilt werde, wenn er Außenminister bleiben sollte". Kusterer erweitert nun mit Hilfe seines Blöckchens: "was noch nicht zu 100 Prozent feststeht". Ohne auf den Quellenwert eines solchen Zusatzes einzugehen, ist doch der Hinweis angebracht, daß in der vom Institut für Zeitgeschichte herausgegebenen Aktenedition Dolmetscheraufzeichnungen ungekürzt, also im amtlich überlieferten Wortlaut wiedergegeben werden. Demgegenüber können die im Regelfall unzugänglichen und nur vom Dolmetscher entzifferbaren Blöckchen-Fassungen nicht zugrunde gelegt werden, weil sie keine Stenogramme darstellen und vom eigentlichen Gesprächsführer nicht autorisiert wurden.

Die letzten fünfzig Seiten des Buches sind der Zeit nach Adenauer gewidmet, als der "puddingweiche" Erhard bei Gipfelgesprächen keinen Satz zu Ende geführt haben soll. Da machte Dolmetschen natürlich keinen Spaß mehr, galt es doch nun, dem Kanzlergerede erst einmal Sinn zu verleihen. Welche Aufgabe! Als Kostprobe zunächst ein Auszug aus einer vor kurzem publizierten offiziellen Gesprächsaufzeichnung der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1964" in indirekter und damit sinnvermittelnder Rede: Die Amerikaner seien "nicht die Feinde Europas", sondern hätten immer wieder erklärt, "daß sie nicht an einem Netz von bilateralen Beziehungen zu den europäischen Ländern interessiert seien, sondern es vielmehr vorzögen, ein einiges Europa anzusprechen. Dieses Europa aber gebe es leider nicht." In der jetzt erst nach dem Dolmetscher-Blöckchen rekonstruierten Fassung liest sich diese Passage erschreckend sinnlos: Erhard müsse sagen, daß "die Vereinigten Staaten Europa nicht feindlich gesinnt seien, aber . . .". Auf dieses "in der Luft" stehengebliebene "Aber" fuhr der Kanzler am 4. Juli 1964 wörtlich fort: "Wir zögen es vor, wenn wir Europa haben könnten, aber es ist nicht da."

Ein einziges Mal wurde aus dem Statisten ein Hauptdarsteller, als der dolmetschende Gaullist nämlich von seinem "Stühlchen" auf einen Stuhl aufrücken durfte. Anfang Februar 1968 hielt sich Bundespräsident Lübke in Begleitung einiger Minister zur Wiedereinweihung des "Hôtel Beauharnais" in Paris auf. Als Außenminister Willy Brandt zur gleichen Zeit auf einer Wahlkampfveranstaltung im fernen Ravensburg nach ersten, später nicht ganz bestätigten Meldungen erklärte, daß man sich von einem künftigen EWG-Beitritt Großbritanniens nicht durch irgendwelche "starrsinnige Greise" abhalten lasse, fühlte sich der General angesprochen. Er entschied nun kurzerhand, die zu einem Mittagessen in den Elysée-Palast geladenen Bundesminister einfach wieder auszuladen. Die deutschen Ehrengäste wurden auf das Präsidentenehepaar Lübke und das Botschafterehepaar Klaiber reduziert, so daß ausgerechnet der in Ravensburg aufgewachsene Kusterer an der großen Tafel Platz nehmen, übersetzen und sogar speisen durfte. Eine wohlverdiente Anerkennung für den erfolgreichen De-Gaulle-Interpreten, der viele schwierige Situationen nicht nur in früheren Zeiten gemeistert hatte, sondern auch heute noch dramatisch und unterhaltsam zu schildern versteht. RAINER A. BLASIUS

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