Berlin-Kreuzberg, November 1980: Im Schatten der Mauer gedeiht ein Paralleluniversum voller Künstler, Hausbesetzer, Kneipenbesitzer, Kneipenbesucher, Hunde und Punks. Bier, Standpunkte, Reden, Verräterschweine - alles ist da. Nur eins fehlt: jemand, der alles mal richtig durchdenkt - Frank Lehmann aus Bremen. Nachdem seine WG dort vom Gesundheitsamt geschlossen wurde, das Zimmer bei seinen Eltern zum Fernseherreparieren benötigt wird und er nach kühnem Ausbruch aus dem Wehrdienst noch keinen Plan hat, fährt er erst mal nach Berlin - zu seinem großen Bruder Manni, der dort als Künstler lebt und eine große Nummer ist. Dachte er. Doch Manni ist weg. Weder sein Vermieter Erwin Kächele noch dessen Nichte Chrissie oder sein Mitbewohner Karl haben eine Ahnung, wo Manni steckt. Außerdem nennen sie ihn nicht Manni, sondern Freddie. Und haben sofort eine konkrete Idee davon, was Frank zu tun hat: Anstelle seines Bruders an einem kurzfristig anberaumten Krisenplenum teilnehmen. Damit beginnt eine lange Nacht, in der Frank Lehmann lernt, dass in einer Welt, in der alle Künstler sein wollen, nichts notwendigerweise das ist, als das es erscheint, und in der er mehr über seinen Bruder erfährt, als er wissen will, aber nie das, wonach er fragt. Und mit einer Nacht ist es nicht getan, denn wie sagt Karl, der Typ, den Frank auf Anhieb nicht mag und der sein bester Freund werden wird: "Das ist wie in der Geisterbahn. Jetzt sind alle eingestiegen, und der Bügel geht runter, und dann müssen das auch alle bis zu Ende mitmachen ..."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2008Das Gute ist, dass man hier nichts falsch machen kann
Ankunft im Kreuzberger Alltag: Sven Regener schließt mit "Der kleine Bruder" seine Romantrilogie um Frank Lehmann ab
Früher, im November 1980, als die Mauer noch stand, gab es ein paar Gewissheiten mehr: Dass, wer aus Westdeutschland nach West-Berlin ging, keinen Wehrdienst abzuleisten hatte, war die eine; dass der Schritt aber auch dem Eintritt in die Fremdenlegion glich, war die andere. Was immer vorher gewesen war, hatte sich erledigt, dafür durfte man nicht groß auf Hilfe von außen hoffen.
Und West-Berlin hatte seine Gesetze, die kein Neuankömmling auf Anhieb durchschaute; sicher war nur, dass er von den alten Hasen erst einmal unter fadenscheinigen Gründen ausgenommen wurde - so etwa könnte man das Bild skizzieren, das Sven Regener in seinem Roman "Der kleine Bruder" von diesem versunkenen Biotop entwirft.
Frank Lehmann jedenfalls, bestens bekannt aus den beiden anderen Romanen Regeners, ist kaum ein paar Stunden in Kreuzberg, da muss er schon in der Wohngemeinschaft seines Bruders Manfred für dessen angebliche Mietschulden aufkommen. Manfred aber, von dem er sich allerhand erhofft hatte, ist verschwunden. So ist es nur logisch, dass der Roman seine Struktur aus der doppelten Suche Frank Lehmanns bezieht: nach Orientierung in einer verwirrenden Welt voller unverständlicher Zeichen und nach dem Bruder; und dass er zu Ende ist, als sich beides erledigt hat.
Zu Ende? "Der kleine Bruder" ist, was die Publikation angeht, der Abschluss einer Trilogie, die 2001 mit "Herr Lehmann" begann und 2004 mit "Neue Vahr Süd" fortgesetzt wurde. In der Lehmann-Chronologie aber ist er das Mittelstück, das unmittelbar einsetzt, als sein Held gerade trickreich der Bundeswehr entkommen und nun auf dem Weg von Bremen nach West-Berlin ist - "sie haben mich heute morgen entlassen", erzählt Frank auf der Fahrt, "weil sie erst jetzt gemerkt haben, dass ich untauglich bin". Derlei Erinnerungsstützen für die Leser der anderen Bücher gibt es manche. Sie sind vergleichsweise einfach mit dem Text verwoben, wo es um den Blick auf Franks Vergangenheit geht - viel interessanter aber sind die Vorausdeutungen auf das, was der Leser als Erstes kennengelernt hatte, Franks Situation im Herbst 1989, immer noch in Kreuzberg, immer noch umgeben von den Menschen, die er jetzt - 1980 - gerade trifft.
"Der kleine Bruder" also ist der Schlussstein auf einem Gewölbe, dessen Pfeiler schon stehen und mit denen er harmonieren muss. Er muss zunächst eine Geschichte aus eigenem Recht erzählen und gleichzeitig zu einem bekannten Ende überleiten: Wer "Herr Lehmann" aufmerksam gelesen hat, weiß, dass Franks Suche nach dem Bruder letztlich erfolgreich sein wird (in welchen Abgrund es Manfred allerdings verschlagen hat, überrascht dann doch). Er kennt auch die rührende Freundschaft zwischen Frank und dem Kreuzberger Alleskönner Karl, deren Grundlagen sich hier bilden, er weiß, welches Ende es mit dem Schwaben Erwin nehmen wird, der hier als aufstrebender Kneipenmogul auftritt und bald mit seiner schwangeren Freundin zusammenziehen wird, von der er in "Herr Lehmann" wieder geschieden sein wird, während sein Alkoholkonsum bedenkliche Formen angenommen hat. Und er wird sich vergnügt an die Weck- und Störanrufe der Mutter erinnern, die hier ihren Anfang nehmen. Denn alles ist Aufbruch in diesem Buch, vor allem für einen, der wie Frank mit offenen Augen und hartem Kopf durch das neblige Kreuzberg stapft und Künstler und Punker ebenso kennenlernt wie Kunst- und Punksimulationen, wobei er klugerweise die Frage nach Echt, Falsch und den Grauzonen dazwischen gar nicht mehr stellt.
Frank Lehmann lernt Hausbesetzer kennen, die gar nicht wissen, dass ihrem Anführer das besetzte Haus gehört; er erlebt eine Dichterlesung, die massiv gestört wird, was offenbar zwischen den Störern und den Vortragenden abgesprochen ist; er trifft auf Spieler, die nichts von Regeln halten und viel von Konspiration. Umso erstaunlicher wirkt in diesem Konglomerat Lehmanns unbeirrter Wille, sich mit nichts abzufinden, was man ihm vorschreiben will.
Denn auch wenn Regener zeigt, was sich und in welcher Weise es sich verändert in Lehmanns Welt und in ihm selbst, so ist doch eines immer gleich (und wäre es vermutlich auch in weiteren Romanen, die Lehmanns Geschichte ins neue Jahrtausend trügen): Lehmanns große Liebe zu den Worten, seine permanente Suche nach den richtigen Formeln, um die Dinge adäquat auszudrücken, und sein Misstrauen der eigenen Sprache gegenüber. Natürlich ist es Regeners Trick, dieses Grübeln eben nicht einem feinsinnigen Literaten auf den Leib zu schreiben, sondern der aus "Herr Lehmann" bekannten Tresenkraft - die übrigens ihr Talent zum Bierverkauf in dem nun erschienenen Roman auf das Schönste entdeckt: "Frank verstummte, weil ihm peinlich war, was er da redete, sowas kann man denken, ermahnte er sich, aber nicht sagen." Dieser Satz könnte in jedem der Lehmann-Romane stehen.
In der DDR-Literatur hätte man einen solchen Plot vielleicht den "Ankunftsromanen" zugerechnet, jenen Büchern also, die zeigen, wie ein Individuum auf eine Gruppe trifft und sich mehr oder weniger reibungslos integriert.
Hier aber folgt die Integration so unübersehbar Franks eigenen Regeln, er übernimmt sofort die Regie in Bereichen, in denen ihm die anderen nicht gewachsen sind, so dass man sich beinahe fragt, ob Franks Ankunft nicht eher diejenigen verändert, die er im Umfeld seines Bruders antrifft. Seine Geschichte in Kreuzberg ist eine Erfolgsgeschichte, ganz anders als die seines Mitfahrers Wolli, der den Kenner heraushängen lässt und dem Novizen Berlin erklärt: "Das ist ja das Gute hier", sagt er, "hier kann man nichts falsch machen. Hier ist alles scheißegal." Ein paar Tage später wird er sich bitterlich über den Gruppenzwang in seiner Punker-WG beschweren, den er als "gefährlich" und "ansteckend" beschreibt; und er wird den Großteil seiner Barschaft eingebüßt haben und sich von Frank Geld leihen, um wieder ins heimatliche Bremen zu kommen. Das wäre der erste von zwei Einwänden, den man gegen diesen fabelhaften Roman erheben könnte: Hier, wie auch an einer anderen Stelle gegen Ende des Buches, wird dann doch eine Botschaft, die der Leser durchaus verstanden hat, noch einmal explizit gemacht.
Lehmann allerdings ist in diesem Punkt meist wachsam: "Kaum hat man eine Meinung, schon ist man in die Falle gegangen", sagt Frank, als er den verabredeten Tumult bei der Dichterlesung durchschaut. Wenig später passiert etwas, das alle Beteiligten zuvor kategorisch ausgeschlossen hatten, weil ein Blitz ja niemals an der gleichen Stelle einschlagen soll: Eine Bierflasche fliegt durch den Raum und trifft exakt jenen Unglücklichen am Kopf, der dort ein paar Tage zuvor bereits getroffen worden war.
Worauf also ist Verlass in dieser Welt, wenn der große Bruder verschwindet und nicht einmal das Sprichwortwissen weiterhilft? Frank, auf sich selbst gestellt, schluckt ein-, zweimal, lässt sich nichts anmerken und nimmt die Dinge in die Hand, mehr als fast alle anderen, mit denen er zu tun hat. Die Einzige, die ihm vielleicht das Wasser reichen könnte, Erwins junge Nichte Chrissie, die aus der schwäbischen Provinz nach Berlin abgehauen ist, Chrissie also, die von Karl mit den apartesten Spitznamen belegt wird, verschwindet leider mit dem Ende dieses Romans aus der Lehmann-Saga. Das ist der zweite Einwand.
TILMAN SPRECKELSEN
Sven Regener: "Der kleine Bruder". Eichborn Berlin 2008, 300 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ankunft im Kreuzberger Alltag: Sven Regener schließt mit "Der kleine Bruder" seine Romantrilogie um Frank Lehmann ab
Früher, im November 1980, als die Mauer noch stand, gab es ein paar Gewissheiten mehr: Dass, wer aus Westdeutschland nach West-Berlin ging, keinen Wehrdienst abzuleisten hatte, war die eine; dass der Schritt aber auch dem Eintritt in die Fremdenlegion glich, war die andere. Was immer vorher gewesen war, hatte sich erledigt, dafür durfte man nicht groß auf Hilfe von außen hoffen.
Und West-Berlin hatte seine Gesetze, die kein Neuankömmling auf Anhieb durchschaute; sicher war nur, dass er von den alten Hasen erst einmal unter fadenscheinigen Gründen ausgenommen wurde - so etwa könnte man das Bild skizzieren, das Sven Regener in seinem Roman "Der kleine Bruder" von diesem versunkenen Biotop entwirft.
Frank Lehmann jedenfalls, bestens bekannt aus den beiden anderen Romanen Regeners, ist kaum ein paar Stunden in Kreuzberg, da muss er schon in der Wohngemeinschaft seines Bruders Manfred für dessen angebliche Mietschulden aufkommen. Manfred aber, von dem er sich allerhand erhofft hatte, ist verschwunden. So ist es nur logisch, dass der Roman seine Struktur aus der doppelten Suche Frank Lehmanns bezieht: nach Orientierung in einer verwirrenden Welt voller unverständlicher Zeichen und nach dem Bruder; und dass er zu Ende ist, als sich beides erledigt hat.
Zu Ende? "Der kleine Bruder" ist, was die Publikation angeht, der Abschluss einer Trilogie, die 2001 mit "Herr Lehmann" begann und 2004 mit "Neue Vahr Süd" fortgesetzt wurde. In der Lehmann-Chronologie aber ist er das Mittelstück, das unmittelbar einsetzt, als sein Held gerade trickreich der Bundeswehr entkommen und nun auf dem Weg von Bremen nach West-Berlin ist - "sie haben mich heute morgen entlassen", erzählt Frank auf der Fahrt, "weil sie erst jetzt gemerkt haben, dass ich untauglich bin". Derlei Erinnerungsstützen für die Leser der anderen Bücher gibt es manche. Sie sind vergleichsweise einfach mit dem Text verwoben, wo es um den Blick auf Franks Vergangenheit geht - viel interessanter aber sind die Vorausdeutungen auf das, was der Leser als Erstes kennengelernt hatte, Franks Situation im Herbst 1989, immer noch in Kreuzberg, immer noch umgeben von den Menschen, die er jetzt - 1980 - gerade trifft.
"Der kleine Bruder" also ist der Schlussstein auf einem Gewölbe, dessen Pfeiler schon stehen und mit denen er harmonieren muss. Er muss zunächst eine Geschichte aus eigenem Recht erzählen und gleichzeitig zu einem bekannten Ende überleiten: Wer "Herr Lehmann" aufmerksam gelesen hat, weiß, dass Franks Suche nach dem Bruder letztlich erfolgreich sein wird (in welchen Abgrund es Manfred allerdings verschlagen hat, überrascht dann doch). Er kennt auch die rührende Freundschaft zwischen Frank und dem Kreuzberger Alleskönner Karl, deren Grundlagen sich hier bilden, er weiß, welches Ende es mit dem Schwaben Erwin nehmen wird, der hier als aufstrebender Kneipenmogul auftritt und bald mit seiner schwangeren Freundin zusammenziehen wird, von der er in "Herr Lehmann" wieder geschieden sein wird, während sein Alkoholkonsum bedenkliche Formen angenommen hat. Und er wird sich vergnügt an die Weck- und Störanrufe der Mutter erinnern, die hier ihren Anfang nehmen. Denn alles ist Aufbruch in diesem Buch, vor allem für einen, der wie Frank mit offenen Augen und hartem Kopf durch das neblige Kreuzberg stapft und Künstler und Punker ebenso kennenlernt wie Kunst- und Punksimulationen, wobei er klugerweise die Frage nach Echt, Falsch und den Grauzonen dazwischen gar nicht mehr stellt.
Frank Lehmann lernt Hausbesetzer kennen, die gar nicht wissen, dass ihrem Anführer das besetzte Haus gehört; er erlebt eine Dichterlesung, die massiv gestört wird, was offenbar zwischen den Störern und den Vortragenden abgesprochen ist; er trifft auf Spieler, die nichts von Regeln halten und viel von Konspiration. Umso erstaunlicher wirkt in diesem Konglomerat Lehmanns unbeirrter Wille, sich mit nichts abzufinden, was man ihm vorschreiben will.
Denn auch wenn Regener zeigt, was sich und in welcher Weise es sich verändert in Lehmanns Welt und in ihm selbst, so ist doch eines immer gleich (und wäre es vermutlich auch in weiteren Romanen, die Lehmanns Geschichte ins neue Jahrtausend trügen): Lehmanns große Liebe zu den Worten, seine permanente Suche nach den richtigen Formeln, um die Dinge adäquat auszudrücken, und sein Misstrauen der eigenen Sprache gegenüber. Natürlich ist es Regeners Trick, dieses Grübeln eben nicht einem feinsinnigen Literaten auf den Leib zu schreiben, sondern der aus "Herr Lehmann" bekannten Tresenkraft - die übrigens ihr Talent zum Bierverkauf in dem nun erschienenen Roman auf das Schönste entdeckt: "Frank verstummte, weil ihm peinlich war, was er da redete, sowas kann man denken, ermahnte er sich, aber nicht sagen." Dieser Satz könnte in jedem der Lehmann-Romane stehen.
In der DDR-Literatur hätte man einen solchen Plot vielleicht den "Ankunftsromanen" zugerechnet, jenen Büchern also, die zeigen, wie ein Individuum auf eine Gruppe trifft und sich mehr oder weniger reibungslos integriert.
Hier aber folgt die Integration so unübersehbar Franks eigenen Regeln, er übernimmt sofort die Regie in Bereichen, in denen ihm die anderen nicht gewachsen sind, so dass man sich beinahe fragt, ob Franks Ankunft nicht eher diejenigen verändert, die er im Umfeld seines Bruders antrifft. Seine Geschichte in Kreuzberg ist eine Erfolgsgeschichte, ganz anders als die seines Mitfahrers Wolli, der den Kenner heraushängen lässt und dem Novizen Berlin erklärt: "Das ist ja das Gute hier", sagt er, "hier kann man nichts falsch machen. Hier ist alles scheißegal." Ein paar Tage später wird er sich bitterlich über den Gruppenzwang in seiner Punker-WG beschweren, den er als "gefährlich" und "ansteckend" beschreibt; und er wird den Großteil seiner Barschaft eingebüßt haben und sich von Frank Geld leihen, um wieder ins heimatliche Bremen zu kommen. Das wäre der erste von zwei Einwänden, den man gegen diesen fabelhaften Roman erheben könnte: Hier, wie auch an einer anderen Stelle gegen Ende des Buches, wird dann doch eine Botschaft, die der Leser durchaus verstanden hat, noch einmal explizit gemacht.
Lehmann allerdings ist in diesem Punkt meist wachsam: "Kaum hat man eine Meinung, schon ist man in die Falle gegangen", sagt Frank, als er den verabredeten Tumult bei der Dichterlesung durchschaut. Wenig später passiert etwas, das alle Beteiligten zuvor kategorisch ausgeschlossen hatten, weil ein Blitz ja niemals an der gleichen Stelle einschlagen soll: Eine Bierflasche fliegt durch den Raum und trifft exakt jenen Unglücklichen am Kopf, der dort ein paar Tage zuvor bereits getroffen worden war.
Worauf also ist Verlass in dieser Welt, wenn der große Bruder verschwindet und nicht einmal das Sprichwortwissen weiterhilft? Frank, auf sich selbst gestellt, schluckt ein-, zweimal, lässt sich nichts anmerken und nimmt die Dinge in die Hand, mehr als fast alle anderen, mit denen er zu tun hat. Die Einzige, die ihm vielleicht das Wasser reichen könnte, Erwins junge Nichte Chrissie, die aus der schwäbischen Provinz nach Berlin abgehauen ist, Chrissie also, die von Karl mit den apartesten Spitznamen belegt wird, verschwindet leider mit dem Ende dieses Romans aus der Lehmann-Saga. Das ist der zweite Einwand.
TILMAN SPRECKELSEN
Sven Regener: "Der kleine Bruder". Eichborn Berlin 2008, 300 Seiten, 19,95 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Recht freundlich hat Kristina Maidt-Zinke den Abschluss von Sven Regeners Triologie um Herrn Lehmann aufgenommen. Im Vergleich zu "Herr Lehmann" und "Neue Vahr Süd" mutet sie "Der kleine Bruder" maximal dialogreich und höchst handlungsarm an, erstreckt sich die Geschichte - Frank Lehmann hat sich vom Wehrdienst verabschiedet, geht nach Berlin um bei seinem Bruder, dem Künstler Manfred, unterzukommen, der allerdings spurlos verschwunden ist, und muss an dessen Stelle am Krisenplenum der WG teilnehmen - doch gerade mal über zwei Tage. Maidt-Zinke würdigt Regener als "Meister des redundanten Dialogs", der den Ton des Kreuzberger Milieus zwischen WG-Leben, Künstler- und Hausbesetzerszene wunderbar trifft. Überhaupt gelingt es ihm ihres Erachtens überzeugend, die Stimmung in Berlin 1980 wiederzugeben. Allerdings wird in dem Buch für ihren Geschmack zu viel geredet. Das Buch wirkt auf sie eher wie eine Mischung aus "Drehbuch und Soundtrack" als ein Roman. Dennoch scheint sie es meistens mit Vergnügen gelesen zu haben. Nur hätte sie sich mehr von Herrn Lehmanns "zarten Reflexionen" und weniger "Gelaber" gewünscht. "Vielleicht sollte der Autor", meint sie abschließend, "um das gutzumachen, doch noch einen vierten Teil ins Auge fassen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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