Beatrice Alemagna erzählt von den gewissen kleinen Momenten, die manchmal nur Minuten oder Sekunden dauern,die im Innern einer Schneeflocke oder Freudenträne stecken können. Die sich in einem Bonbonglas verstecken oder beim Eislaufen, im Sand zwischen den Zehen am Meeresstrand hindurchrieseln ...Die Augenblicke, die unser Leben besonders machen und in Gerüchen, Erinnerungen an etwas besonderes erinnen,das uns glücklich macht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2022Was wir in den Armen anderer finden
In "Der kleine große Augenblick" erzählt Beatrice Alemagna vom Glück
Ein Junge steht im Regen: Wie an Fäden tropft es aus blauen, grauen, algenfarbenen Wolken. Er verschwindet fast in seinem Pullover und der Hose. In seinen Händen hält er einen Regenschirm, aufgespannt hat er ihn nicht. Sein Gesichtsausdruck: offen, der Blick eher nach innen gewandt. Ein Spüren, ein Staunen.
Ein alter Mann steht im Schnee: In Tupfen und in Kringeln fallen die Flocken um ihn herum zu Boden. Der braune Pullover mit angedeuteter Weste darüber, die karierte Hose, aus der viel zu kleine Schuhe schauen, lassen ihn fast unförmig erscheinen. Auf dem Zeigefinger seiner Rechten landet eine Schneeflocke, den der Linken hat er schon mit einer zum Mund geführt. Ein Schmecken, eine Erinnerung.
Auf fünfzehn Doppelseiten stellt uns die italienisch-französische Künstlerin Beatrice Alemagna in ihrem neuen Bilderbuch "Der kleine große Augenblick" Momente wie diese vor: Eine Lesende blickt auf einer Wiese von ihrem Buch auf und sieht ein paar Blütenblätter im Wind. Ein junger Mann streckt sich auf einem Bett am Fenster aus und schaut zur Decke, im Augenwinkel eine Träne. Die Silhouette eines Mädchens jagt mit einem Schmetterlingsnetz am Flussufer durch die Stadt. Ein Säugling schläft im Arm einer Frau.
Selbst wenn Beatrice Alemagna ein Mädchen beim Seilspringen zeigt oder eine ganze Kinderschar mit Schlittschuhen auf dem Eis, strahlen ihre Bilder eine erstaunliche Ruhe aus. Das mag am Einsatz farbiger Papiere liegen, die Alemagna für ihre Illustrationen collagiert und bemalt hat, wodurch die Bilder an Wolf Erlbruch erinnern, ohne an dessen Dynamik und Verspieltheit anzuschließen. Viel eher jedoch liegt es an der Gelassenheit auf den Gesichtern ihrer Figuren, an ihrer Stille, ihrem Bei-sich-Sein, ihrem In-sich-Ruhen.
Dabei geht es in "Der kleine große Augenblick" doch um ein Gefühl, das manch anderer mit Begeisterung, mit einem Strahlen, mit einer ungleich stärkeren Expressivität dargestellt hätte: Beatrice Alemagna erzählt, das enthüllt sie selbst auf der letzten Doppelseite ihres Buchs, vom Glück.
"Manche Menschen finden es in einem Geruch, in einem Blick, in den Armen anderer", heißt es neben dem Bild vom schlafenden Baby, und ob es die Frau in der bestickten Bluse ist, eine Tante vielleicht oder das Baby selbst, um dessen Glück es hier geht, lässt sie offen. Der Mann im Schnee erinnert sich an seine Kindheit, der Junge im Regen ist ganz Gefühl: Das Glück, von dem Beatrice Alemagna erzählt, ist nicht zu kaufen, nicht zu schenken, nicht festzuhalten. Es ist flüchtig, und alles, was wir tun können, ist, unsere Empfänglichkeit zu üben, um zu erkennen, wenn es da war. Das Buch mag wie ein Rätsel wirken, doch einmal gelesen und gelöst, hat es den gegenteiligen Effekt: Man will es sofort noch einmal durchblättern und die Figuren beglückt in ihrem Glück betrachten. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Beatrice Alemagna: "Der kleine große Augenblick".
Aus dem Französischen von Anna Taube. Bohem Press, Münster 2022. 40 S., geb.,
18,- Euro. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In "Der kleine große Augenblick" erzählt Beatrice Alemagna vom Glück
Ein Junge steht im Regen: Wie an Fäden tropft es aus blauen, grauen, algenfarbenen Wolken. Er verschwindet fast in seinem Pullover und der Hose. In seinen Händen hält er einen Regenschirm, aufgespannt hat er ihn nicht. Sein Gesichtsausdruck: offen, der Blick eher nach innen gewandt. Ein Spüren, ein Staunen.
Ein alter Mann steht im Schnee: In Tupfen und in Kringeln fallen die Flocken um ihn herum zu Boden. Der braune Pullover mit angedeuteter Weste darüber, die karierte Hose, aus der viel zu kleine Schuhe schauen, lassen ihn fast unförmig erscheinen. Auf dem Zeigefinger seiner Rechten landet eine Schneeflocke, den der Linken hat er schon mit einer zum Mund geführt. Ein Schmecken, eine Erinnerung.
Auf fünfzehn Doppelseiten stellt uns die italienisch-französische Künstlerin Beatrice Alemagna in ihrem neuen Bilderbuch "Der kleine große Augenblick" Momente wie diese vor: Eine Lesende blickt auf einer Wiese von ihrem Buch auf und sieht ein paar Blütenblätter im Wind. Ein junger Mann streckt sich auf einem Bett am Fenster aus und schaut zur Decke, im Augenwinkel eine Träne. Die Silhouette eines Mädchens jagt mit einem Schmetterlingsnetz am Flussufer durch die Stadt. Ein Säugling schläft im Arm einer Frau.
Selbst wenn Beatrice Alemagna ein Mädchen beim Seilspringen zeigt oder eine ganze Kinderschar mit Schlittschuhen auf dem Eis, strahlen ihre Bilder eine erstaunliche Ruhe aus. Das mag am Einsatz farbiger Papiere liegen, die Alemagna für ihre Illustrationen collagiert und bemalt hat, wodurch die Bilder an Wolf Erlbruch erinnern, ohne an dessen Dynamik und Verspieltheit anzuschließen. Viel eher jedoch liegt es an der Gelassenheit auf den Gesichtern ihrer Figuren, an ihrer Stille, ihrem Bei-sich-Sein, ihrem In-sich-Ruhen.
Dabei geht es in "Der kleine große Augenblick" doch um ein Gefühl, das manch anderer mit Begeisterung, mit einem Strahlen, mit einer ungleich stärkeren Expressivität dargestellt hätte: Beatrice Alemagna erzählt, das enthüllt sie selbst auf der letzten Doppelseite ihres Buchs, vom Glück.
"Manche Menschen finden es in einem Geruch, in einem Blick, in den Armen anderer", heißt es neben dem Bild vom schlafenden Baby, und ob es die Frau in der bestickten Bluse ist, eine Tante vielleicht oder das Baby selbst, um dessen Glück es hier geht, lässt sie offen. Der Mann im Schnee erinnert sich an seine Kindheit, der Junge im Regen ist ganz Gefühl: Das Glück, von dem Beatrice Alemagna erzählt, ist nicht zu kaufen, nicht zu schenken, nicht festzuhalten. Es ist flüchtig, und alles, was wir tun können, ist, unsere Empfänglichkeit zu üben, um zu erkennen, wenn es da war. Das Buch mag wie ein Rätsel wirken, doch einmal gelesen und gelöst, hat es den gegenteiligen Effekt: Man will es sofort noch einmal durchblättern und die Figuren beglückt in ihrem Glück betrachten. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Beatrice Alemagna: "Der kleine große Augenblick".
Aus dem Französischen von Anna Taube. Bohem Press, Münster 2022. 40 S., geb.,
18,- Euro. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Fridtjof Küchemann kann die Figuren in Beatrice Alemagnas Bilderbuch nicht oft genug anschauen. Dabei ist das Gefühl, das er von ihren Gesichtern abliest, flüchtig: Glück. Dass Alemagna ihre farbigen Bildcollagen à la Wolf Erlbruch (so Küchemann) nicht wie jener mit Dynamik anfüllt, sondern eher mit ruhiger Gelassenheit, gefällt Küchemann gut. Es ist ein Spüren und Staunen und In-sich-Ruhen in diesen Mienen von seilspringenden, schlittschuhlaufenden Kindern, Müttern mit Babys, Lesenden und Alten im Schnee, freut sich der Rezensent und schlägt das Buch noch einmal auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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