Elisabeth Plessen erzählt die komplizierte Liebesgeschichte eines Paares und seiner gegenseitigen Abhängigkeit. Nicholas ist der stets aufopferungsbereite Partner, der die Launen seiner egomanischen Frau Vera, einer bekannten Schauspielerin, erträgt, bis Veras Tablettensucht beide in eine ebenso schmerzliche wie befreiende Konfrontation treibt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1997Krankenschwestern-Report
"Der Knick": Elisabeth Plessens Roman einer Abhängigkeit
Sie spielt in einer Saison an zwei, drei Bühnen die Hauptrollen. Hamburg, Wien, München - überall ist sie der Mittelpunkt, ein Star, dem man Launen und Extravaganzen nachsieht. Sie fasziniert nicht nur ihr Publikum, ihre Regisseure und Kollegen, auch ihre Ärzte und noch immer ihren Mann, der auch die andere Seite dieser strahlenden Frau kennt, die Verzweiflung wie die rücksichtslose Besessenheit.
Vera, Ende Vierzig und noch immer schön, erwartet von ihrem jüngeren Partner, daß er immer für sie da ist, wenn sie ihn braucht, daß er Verständnis hat für ihre Depressionen wie für ihre überschäumende Lebenslust. Sie glaubt, er werde sie auffangen, wenn sie zusammenbricht. Aber in zehn Ehejahren ist es Nicolas nicht gelungen, sie von ihrer fortschreitenden Selbstzerstörung zu retten. Noch kann sie sich vor ihren Auftritten auf der Bühne mit Medikamenten so präparieren, daß sie nicht versagt. Doch immer gefährlicher wird ihre Abhängigkeit von Beruhigungs-und Aufputschmitteln, immer häufiger die Schmerzanfälle und Zeiten der Mutlosigkeit.
Vera, die Hauptfigur in Elisabeth Plessens neuem Roman, nutzt die Menschen, die sie lieben oder verehren, skrupellos aus. Nicolas scheint außerstande, sich dagegen zu wehren. Bis zur Selbstaufgabe pflegt er die Kranke und erträgt Kränkungen. Nur seinem Tagebuch vertraut er an, daß er am Ende seiner Kraft ist. Er vernachlässigt seinen Beruf als Leiter der Hörspiel- und Featureabteilung des Hamburger Rundfunks. Nur mühsam kann er sich auf seine Arbeit konzentrieren, während Vera in Wien an der Burg im "Kirschgarten" spielt und ihre Anziehungskraft an jüngeren Kollegen oder ihrem Leibarzt erprobt.
Elisabeth Plessen versteht sich auf komplizierte Liebesbeziehungen. Seit ihrem erfolgreichen Debüt mit "Mitteilungen an den Adel" ist der autobiographische Hintergrund der meisten ihrer Romane und Erzählungen mühelos zu erkennen, was durchaus seinen authentischen Reiz hat. Erfahren und erlitten scheint auch vieles in ihrem neuen Buch "Der Knick". Thema ist der verzweifelte Versuch, dem Teufelskreis einer Tablettenabhängigkeit zu entkommen. Die Beschreibung dieser Sucht liest sich seitenlang (und bis zur Ermüdung) wie eine Krankengeschichte, einschließlich der genauen Angabe von Medikamenten, Untersuchungen, Körperfunktionen und ihren Störungen. Die Patientin bleibt immer im Mittelpunkt.
Schemenhaft taucht gelegentlich Nicolas' Schwester auf, die in Berlin an einem Institut für Osteuropakontakte arbeitet. Durch sie dringen Bruchstücke der Wirklichkeit in die künstliche Welt von Medikamenten, Krankheit und Theaterillusionen. Kurz vor dem Fall der Mauer beobachtet die Schwester aus Berlin die Risse im Eisernen Vorhang. Aber der Bruder reagiert darauf kaum. Er ist im Hauptberuf Veras Krankenschwester, der Rettungsanker mitten in ihren Krisen und chaotischen Stimmungsumschwüngen.
Nur einmal erlaubt er sich insgeheim Mordlust: "Ich hasse dich. Ich schlage dich tot, damit es endlich vorbei ist und ich meine Ruhe habe." Er sieht nun auch, wie sie gealtert ist, niemals mehr wird sie jugendliche Liebhaberinnen spielen können. Doch als Vera ihn anfleht, sie nicht allein zu lassen, bei ihr zu bleiben und mit ihr zusammen die Qualen des Entzugs durchzustehen, hält er fast bis zur Selbstaufgabe durch.
Als Vera schließlich in ihrem Refugium in Italien - in der medizinischen Wüste - das Schlimmste überstanden hat und ohne Betablocker oder Stimulanzien auskommt, bricht Nicolas zusammen. Er fühlt sich "wie ein Garten voll altem Laub, liegen gelassen, vermodert, nie zusammengerecht". Es bleibt offen, ob diese zerstörerische Liebe damit ein Ende hat. MARIA FRISÉ
Elisabeth Plessen: "Der Knick". Roman. Nagel & Kimche, Zürich/Frauenfeld 1997. 270 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Der Knick": Elisabeth Plessens Roman einer Abhängigkeit
Sie spielt in einer Saison an zwei, drei Bühnen die Hauptrollen. Hamburg, Wien, München - überall ist sie der Mittelpunkt, ein Star, dem man Launen und Extravaganzen nachsieht. Sie fasziniert nicht nur ihr Publikum, ihre Regisseure und Kollegen, auch ihre Ärzte und noch immer ihren Mann, der auch die andere Seite dieser strahlenden Frau kennt, die Verzweiflung wie die rücksichtslose Besessenheit.
Vera, Ende Vierzig und noch immer schön, erwartet von ihrem jüngeren Partner, daß er immer für sie da ist, wenn sie ihn braucht, daß er Verständnis hat für ihre Depressionen wie für ihre überschäumende Lebenslust. Sie glaubt, er werde sie auffangen, wenn sie zusammenbricht. Aber in zehn Ehejahren ist es Nicolas nicht gelungen, sie von ihrer fortschreitenden Selbstzerstörung zu retten. Noch kann sie sich vor ihren Auftritten auf der Bühne mit Medikamenten so präparieren, daß sie nicht versagt. Doch immer gefährlicher wird ihre Abhängigkeit von Beruhigungs-und Aufputschmitteln, immer häufiger die Schmerzanfälle und Zeiten der Mutlosigkeit.
Vera, die Hauptfigur in Elisabeth Plessens neuem Roman, nutzt die Menschen, die sie lieben oder verehren, skrupellos aus. Nicolas scheint außerstande, sich dagegen zu wehren. Bis zur Selbstaufgabe pflegt er die Kranke und erträgt Kränkungen. Nur seinem Tagebuch vertraut er an, daß er am Ende seiner Kraft ist. Er vernachlässigt seinen Beruf als Leiter der Hörspiel- und Featureabteilung des Hamburger Rundfunks. Nur mühsam kann er sich auf seine Arbeit konzentrieren, während Vera in Wien an der Burg im "Kirschgarten" spielt und ihre Anziehungskraft an jüngeren Kollegen oder ihrem Leibarzt erprobt.
Elisabeth Plessen versteht sich auf komplizierte Liebesbeziehungen. Seit ihrem erfolgreichen Debüt mit "Mitteilungen an den Adel" ist der autobiographische Hintergrund der meisten ihrer Romane und Erzählungen mühelos zu erkennen, was durchaus seinen authentischen Reiz hat. Erfahren und erlitten scheint auch vieles in ihrem neuen Buch "Der Knick". Thema ist der verzweifelte Versuch, dem Teufelskreis einer Tablettenabhängigkeit zu entkommen. Die Beschreibung dieser Sucht liest sich seitenlang (und bis zur Ermüdung) wie eine Krankengeschichte, einschließlich der genauen Angabe von Medikamenten, Untersuchungen, Körperfunktionen und ihren Störungen. Die Patientin bleibt immer im Mittelpunkt.
Schemenhaft taucht gelegentlich Nicolas' Schwester auf, die in Berlin an einem Institut für Osteuropakontakte arbeitet. Durch sie dringen Bruchstücke der Wirklichkeit in die künstliche Welt von Medikamenten, Krankheit und Theaterillusionen. Kurz vor dem Fall der Mauer beobachtet die Schwester aus Berlin die Risse im Eisernen Vorhang. Aber der Bruder reagiert darauf kaum. Er ist im Hauptberuf Veras Krankenschwester, der Rettungsanker mitten in ihren Krisen und chaotischen Stimmungsumschwüngen.
Nur einmal erlaubt er sich insgeheim Mordlust: "Ich hasse dich. Ich schlage dich tot, damit es endlich vorbei ist und ich meine Ruhe habe." Er sieht nun auch, wie sie gealtert ist, niemals mehr wird sie jugendliche Liebhaberinnen spielen können. Doch als Vera ihn anfleht, sie nicht allein zu lassen, bei ihr zu bleiben und mit ihr zusammen die Qualen des Entzugs durchzustehen, hält er fast bis zur Selbstaufgabe durch.
Als Vera schließlich in ihrem Refugium in Italien - in der medizinischen Wüste - das Schlimmste überstanden hat und ohne Betablocker oder Stimulanzien auskommt, bricht Nicolas zusammen. Er fühlt sich "wie ein Garten voll altem Laub, liegen gelassen, vermodert, nie zusammengerecht". Es bleibt offen, ob diese zerstörerische Liebe damit ein Ende hat. MARIA FRISÉ
Elisabeth Plessen: "Der Knick". Roman. Nagel & Kimche, Zürich/Frauenfeld 1997. 270 S., geb., 39,80 DM.
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