Indridason kann auch historisch!
„Der König und der Uhrmacher“ von Arnaldur Indridason, erschienen bei Bastei Lübbe, ist ein Buch, das zwischen den Welten reist – einerseits ganz real zwischen Dänemark und Island, andererseits ideell, indem der Roman sich souverän auf der Grenze verschiedener
Genres seinen Weg sucht. Indridason kennt mensch primär von seinen einzigartigen Krimis – mit diesem…mehrIndridason kann auch historisch!
„Der König und der Uhrmacher“ von Arnaldur Indridason, erschienen bei Bastei Lübbe, ist ein Buch, das zwischen den Welten reist – einerseits ganz real zwischen Dänemark und Island, andererseits ideell, indem der Roman sich souverän auf der Grenze verschiedener Genres seinen Weg sucht. Indridason kennt mensch primär von seinen einzigartigen Krimis – mit diesem neuen Werk beweist er, dass er auch einen historischen Roman unterhaltsam und fesselnd zu schreiben vermag. Sein Erstling im historischen Genre kommt in einem schön bebilderten Schutzumschlag: Einfach ästhetisch mit dem angedeuteten Ziffernblatt und dem Himmel wie Eis, davor der Palast. Dazu ein schönes atmosphärisches Bild im Innencover, wobei es schade ist, dass es zweimal dasselbe ist. Das orange Hardtop in Leinenoptik greift das Orange der Schrift im Cover auf, ebenso das Lesebändchen – und Lesebändchen lieben wir alle, oder? Optik also 10/10.
In der Handlung trifft der islandstämmige Uhrmacher Jón Sívertsen im Königspalast unverhofft auf König Christian VII, und während Jón, auch eher durch Zufall, den Versuch unternimmt, eine einzigartige astronomische Uhr instand zu setzen, entwickelt sich zwischen diesen zwei Charakteren eine immer intensivere Beziehung. Vom König vorangetrieben erzählt der Uhrmacher von seinem ehemaligen Leben auf Island und den harten Bedingungen, die dort – unter der Macht der dänischen Krone und Christians Vater – herrschten. So entfaltet sich immer mehr in schnellen Wechseln eine Island- und eine Dänemarkhandlung, erst spät im Buch wird offenbar, wie diese zusammenhängen und warum König Christian sich so brennend für Jóns Leben interessiert. Die Beziehung zwischen beiden ist von einigen Ups and Downs und wilden Verwicklungen geprägt. Indridason zeichnet die Charaktere wunderbar sperrig, wie alte Baumwurzeln kommen sie einem vor, und gegensätzlich, der König ist sehr sprunghaft und emotional, Jón der Uhrmacher formt mit seiner Vorsicht und Bedächtigkeit ein gutes Gegenstück. Es ist berührend, mit wie viel Eifer er versucht, die alte Uhr zu restaurieren, obwohl sich niemand für sie interessiert. Eine gute Parabel auf das Leben vielleicht, viele Dinge, die niemand sieht, erhalten Wert, wenn mensch sich um sie kümmert. Auch dem König tut der Kontakt richtig gut. Diese Menschen gehen wie die gesamte Handlung auf reale historische Figuren und ein Stück Zeitgeschichte zurück, es macht viel Freude, sich damit nebenher oder nach dem Buch zu beschäftigen, Indridasons lebendige Phantasie hat sehr neugierig gemacht. Der Schreibstil zwischen den Handlungen variiert zunächst deutlich, sehr märchenhaft in der Palasthandlung und eher wie ein historischer Roman oder ein Bericht in der Islandhandlung – im weiteren Verlauf nähern sich die beiden Ebenen stilistisch immer mehr an. Das Buch lässt sich sehr entspannt und dabei spannend lesen, Indridasons besonderer Stil zeigt sich auch hier, insbesondere findet er wirklich beeindruckend gute Übergänge und Sprachbilder, die die Gegensätze der Welten sehr aktiv unterstreichen. Und auch philosophische Fragen kommen nicht zu kurz. Was ist eigentlich Zeit und wie ist sie entstanden? Haben wir Angst vor dem Tod oder Sehnsucht nach dem Leben? Was ist Wahrheit – und wie geht man mit ihr um? Und wer hat hat mehr Recht – die Ordnung oder die Menschlichkeit?
Insbesondere das letzte Drittel des Romans hat es emotional ganz schön in sich und ist nichts für schwache Nerven. Indridason zeichnet ein sehr nüchtern-wahrhaftiges Bild einer Zeit, in der der einzelne Mensch wenig galt und die Herrschenden Entscheidungen aus der Distanz trafen. Vielleicht insofern auch ein gutes Buch, heute, um sich zu erinnern, dass Demokratie ein kostbares Gut ist. Am Ende schließt sich der Kreis des Romans, indem König Christian genauso wie am Anfang, in exakt gleicher Manier, wieder in der Werkstatt auftaucht. Dass dann fast die Uhr hingerichtet wird und nur die Liebe dieses Schicksal abwenden kann – das ist eine schöne Message. Gut, dass es die Liebe gibt in der Welt! Möge sie uns möglichst oft zu den richtigen Entscheidungen führen und weg von den falschen. Damit die Vergangenheit uns nur an Gutes erinnert. Und es möglichst wenig zu bereuen gibt – das könnte eine mögliche Lehre sein, die dieser Roman uns mitgibt.
Insgesamt hat das Buch mir sehr gut gefallen, toll zu sehen, dass Indridason auch historisch kann! Was den fünften Stern verhindert, ist das Erzähltempo und die zunehmenden Erzähldopplungen in der zweiten Hälfte des Buches, hier findet der Autor keine sinnvollen Erzählanlässe mehr, um die Handlungen direkt zu verbinden, was auf Dauer etwas ermüdend war. Aber dennoch eine klare Leseempfehlung, allein schon, um die Bekanntschaft mit König Christian VII zu machen, lohnt sich diese Lesereise.