Zwei Herrscher - ein Spiegel ihres Zeitalters
Der kinderlose Hohenzollernkönig Friedrich wollte "der erste Diener des Staates" sein. Die habsburgische Kaiserin Maria Theresia, die ihr Reich sechzehn mal von ihrem Wochenbett aus regierte, verstand sich als "ihrer Länder allgemeine und erste Mutter" - zwei Prinzipien, die einander ausschlossen und doch auch aufeinander zuliefen. Das norddeutsch-protestantische und das österreichisch-katholisch-barocke Wesen standen sich in ihren Herrscherpersönlichkeiten gegenüber.
Klaus Günzel macht sowohl Friedrichs Herkunft aus der glanzlosen märkischen Welt, die sich erst durch ihn zu einem Staat mauserte, als auch Maria Theresias Verwurzelung im opulenten und sinnlichen Wiener Barock sichtbar, in dem der alte Reichsgedanke noch lebendig war. Er arbeitet den Antagonismus zwischen Potsdam und Schönbrunn pointiert heraus, vergleicht die Welten der beiden Herrscherpersönlichkeiten und setzt sie zueinander in Beziehung. Dabei lässt er anhand farbiger zeitgenössischer Zeugnisse ein ganzes Jahrhundert silhouettenartig aufleben.
Der kinderlose Hohenzollernkönig Friedrich wollte "der erste Diener des Staates" sein. Die habsburgische Kaiserin Maria Theresia, die ihr Reich sechzehn mal von ihrem Wochenbett aus regierte, verstand sich als "ihrer Länder allgemeine und erste Mutter" - zwei Prinzipien, die einander ausschlossen und doch auch aufeinander zuliefen. Das norddeutsch-protestantische und das österreichisch-katholisch-barocke Wesen standen sich in ihren Herrscherpersönlichkeiten gegenüber.
Klaus Günzel macht sowohl Friedrichs Herkunft aus der glanzlosen märkischen Welt, die sich erst durch ihn zu einem Staat mauserte, als auch Maria Theresias Verwurzelung im opulenten und sinnlichen Wiener Barock sichtbar, in dem der alte Reichsgedanke noch lebendig war. Er arbeitet den Antagonismus zwischen Potsdam und Schönbrunn pointiert heraus, vergleicht die Welten der beiden Herrscherpersönlichkeiten und setzt sie zueinander in Beziehung. Dabei lässt er anhand farbiger zeitgenössischer Zeugnisse ein ganzes Jahrhundert silhouettenartig aufleben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2005Stock und Schürze
Armes Sachsen: Klaus Günzel porträtiert die Widersacher Maria Theresia und Friedrich den Großen
Ein paar hunderttausend Tote hätte es weniger gegeben. Das Heilige Römische Reich - diese Kostbarkeit, die zu schwach für Angriffskriege, aber zur Verteidigung stark genug war - würde vielleicht bis auf den heutigen Tag fortbestehen . . . und um Dreck wie Hitler hätte man sich gar nicht zu kümmern. Vieles wäre anders gekommen, und Träume von Pazifisten hätten sich erfüllt, wenn während des Siebenjährigen Kriegs Maria Theresias mannhafter Wunsch in Erfüllung gegangen wäre: „Ich würde dem König von Preußen eine Herausforderung schicken, er möge mich in einem Postwagen mit Pistolen, Pulver und Blei aufsuchen, wo wir in Person unseren Streit entscheiden wollen.”
Die Habsburgerin und der Hohenzoller schossen sich in persona nicht über den Haufen, um den Besitz von Schlesien zu klären. Stattdessen blutete drei Mal Europa, verhärtete sich - innerhalb des einen Deutschland - der österreichisch-preußische Dualismus, borussifizierte das Heilige Römische Reich . . . mitsamt den Verhängnissen bis 1945. Die Bedeutung des Machtkampfs um Schlesien im 18. Jahrhundert ist kaum zu überschätzen.
Den imposanten Protagonisten der reichen, schwindelerregenden deutschen Geschichte, Maria Theresia in Wien und Friedrich dem Großen in Preußen, hat der sächsische Publizist Klaus Günzel ein aufschlussreiches, spannendes und gut zu lesendes Doppelporträt gewidmet: „Der König und die Kaiserin”. Weniger ans hochspezialisierte Fachpublikum ist dieses Buch gerichtet, sondern an jeden Geschichtsinteressierten, der natürlich nur aus der Vergangenheit seine Gegenwart erkennt. Gleichsam als später Zuschauer eines blutigen Ringens und zweier diametral entgegengesetzter Charaktere schildert Günzel die so unterschiedlichen Werdegänge der charmant-mütterlichen Habsburgerin und ihres eisern-luziden Herausforderers in Sanssouci.
Traditionen, Mentalitäten, konträre Lebenseinstellungen prallten in der Tochter Kaiser Karls VI. und dem Sohn des Soldatenkönigs aufeinander. Lebensfroher zeremoniöser Schlendrian umgab die österreichische Erzherzogin, bevor sie politisch unvorbereitet, aber sofort von raubgierigen Mächten bedrängt, 1740 die habsburgischen Kronen zu tragen begann. Der fünf Jahre ältere, musische Preuße hingegen war durch das Prügeln seines Vaters bereits zu einem bitteren Realisten geworden, als er, gleichfalls 1740, den Thron bestieg, Toleranz zu einer Gesetzesnorm erhob, doch zugleich jedes Völkerrecht brach und in Maria Theresias Schlesien einmarschierte.
Von da an blieben der Frauenfeind und die gläubige Katholikin abscheuerfüllt ineinander verbissen, so dass sie sich einander bestenfalls als „Der böse Mann” und „Die Königin von Ungarn” titulierten.
Der tolldreiste Bandit
Klaus Günzel reiht in seinem Porträtband nicht einfach Bündnisverstrickungen und Schlachten aneinander, sondern versucht die Persönlichkeiten der „Mater Austriae” und Friedrichs des Großen nachzumodellieren. Der Leser kann nachempfinden, mit welchen Argusaugen man von Schönbrunn nach Potsdam und von den Kasernenhöfen Preußens zu den Klöstern Österreichs spähte. Günzel lässt sowohl der Kaiserin wie dem König die erdenkliche Gerechtigkeit widerfahren, wenn er feststellt, dass Friedrich das habsburgisch-deutsche Reich für marode befinden konnte und gleichzeitig die Erbwalterin in Wien im norddeutschen Monarchen einen tolldreisten Banditen sehen musste.
Wem von beiden, welchem Regierungsprinzip würde die Zukunft beschieden sein? „Für den Rationalisten Friedrich war der Staat ein möglichst perfekt konstruierter Automat, dessen einzelne Hebel, Knöpfe und Tasten der absolute Herrscher als allwissender Ingenieur einstellte und in Schwung hielt. Für die Kaiserin war der Staat ein gewachsener Organismus, einem gewaltigen Baum vergleichbar, dessen Astwerk zwar der Säuberung und des Zurechtschneidens bedurfte, dessen innerste, Generationen überdauernde, Lebenskraft aber unberührbar blieb.”
Friedrichs Siege und sein Durchhaltevermögen düpierten die habsburgische Vielvölkermonarchie. Und spannend ist es nachzuverfolgen, wie zwangsläufig beide Kontrahenten um die Vormacht in Deutschland in wirtschaftlicher, militärischer, zivilpolitischer Effizienz sich steigern, einander angleichen mussten, um drei europäische Kriege durchzustehen. Dann und wann entschlüpften Friedrich Worte der Bewunderung für seine am Abgrund manövrierende Gegnerin in der Hofburg: „Sie hat ihrem Thron und ihrem Geschlecht Ehre gemacht.”
Noch stärker war man jedoch in Wien gezwungen fast nach preußischem Vorbild das Heer zu reorganisieren - „denn Tempo war nicht die Sache der habsburgischen Generäle” - die Verwaltung zu straffen, für ein moderneres Staatseinverständnis der Untertanen mehr Bildung, Rechtssicherheit und größere Duldsamkeit zu garantieren. Maria Theresia lernte von Friedrich dem Großen innenpolitische Dynamik; Friedrich seinerseits mochte hin und wieder von einem Staat geträumt haben, in dem die bunte Geschmeidigkeit der Habsburgerlande gang und gäbe wäre.
Dem Wetteifern der Feinde fielen Menschen und Ruhe zum Opfer. Es verdanken sich ihm jedoch auch Prestigeprojekte wie Schloss Schönbrunn oder das Neue Palais in Potsdam. Die Altersjahre von Kaiserin und König zeichnet Günzel düster. Die von Leben und Sorgen erschöpfte Maria Theresia starb - „es ist als ob man von einem Zimmer ins andere geht” - in dem Gefühl, die Reichstraditionen nur unvollkommen gewahrt zu haben. Der Alte Fritz brachte Preußen wieder zum Florieren, doch die Heiterkeit früher Friedensjahre kehrte nach den Gemetzeln nicht zurück.
In den Porträts der Widersacher ist es mehr als eine Marginalie, dass der Sachse Günzel auf die 1763 vollends verwüstete dritte Kraft Deutschlands hinweist, auf das unglücklich geführte Sachsen, in dem Hochkultur und Leistungsfähigkeit, also Wienerisches und Berlinisches, sich schon verbunden hatten, und das, bei anderem Schlachtenglück, ein angenehmeres Deutschland hätte prägen können.
HANS PLESCHINSKI
KLAUS GÜNZEL: Der König und die Kaiserin. Friedrich II. und Maria Theresia. Droste Verlag, Düsseldorf 2005. 272 Seiten, 17,95 Euro.
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Armes Sachsen: Klaus Günzel porträtiert die Widersacher Maria Theresia und Friedrich den Großen
Ein paar hunderttausend Tote hätte es weniger gegeben. Das Heilige Römische Reich - diese Kostbarkeit, die zu schwach für Angriffskriege, aber zur Verteidigung stark genug war - würde vielleicht bis auf den heutigen Tag fortbestehen . . . und um Dreck wie Hitler hätte man sich gar nicht zu kümmern. Vieles wäre anders gekommen, und Träume von Pazifisten hätten sich erfüllt, wenn während des Siebenjährigen Kriegs Maria Theresias mannhafter Wunsch in Erfüllung gegangen wäre: „Ich würde dem König von Preußen eine Herausforderung schicken, er möge mich in einem Postwagen mit Pistolen, Pulver und Blei aufsuchen, wo wir in Person unseren Streit entscheiden wollen.”
Die Habsburgerin und der Hohenzoller schossen sich in persona nicht über den Haufen, um den Besitz von Schlesien zu klären. Stattdessen blutete drei Mal Europa, verhärtete sich - innerhalb des einen Deutschland - der österreichisch-preußische Dualismus, borussifizierte das Heilige Römische Reich . . . mitsamt den Verhängnissen bis 1945. Die Bedeutung des Machtkampfs um Schlesien im 18. Jahrhundert ist kaum zu überschätzen.
Den imposanten Protagonisten der reichen, schwindelerregenden deutschen Geschichte, Maria Theresia in Wien und Friedrich dem Großen in Preußen, hat der sächsische Publizist Klaus Günzel ein aufschlussreiches, spannendes und gut zu lesendes Doppelporträt gewidmet: „Der König und die Kaiserin”. Weniger ans hochspezialisierte Fachpublikum ist dieses Buch gerichtet, sondern an jeden Geschichtsinteressierten, der natürlich nur aus der Vergangenheit seine Gegenwart erkennt. Gleichsam als später Zuschauer eines blutigen Ringens und zweier diametral entgegengesetzter Charaktere schildert Günzel die so unterschiedlichen Werdegänge der charmant-mütterlichen Habsburgerin und ihres eisern-luziden Herausforderers in Sanssouci.
Traditionen, Mentalitäten, konträre Lebenseinstellungen prallten in der Tochter Kaiser Karls VI. und dem Sohn des Soldatenkönigs aufeinander. Lebensfroher zeremoniöser Schlendrian umgab die österreichische Erzherzogin, bevor sie politisch unvorbereitet, aber sofort von raubgierigen Mächten bedrängt, 1740 die habsburgischen Kronen zu tragen begann. Der fünf Jahre ältere, musische Preuße hingegen war durch das Prügeln seines Vaters bereits zu einem bitteren Realisten geworden, als er, gleichfalls 1740, den Thron bestieg, Toleranz zu einer Gesetzesnorm erhob, doch zugleich jedes Völkerrecht brach und in Maria Theresias Schlesien einmarschierte.
Von da an blieben der Frauenfeind und die gläubige Katholikin abscheuerfüllt ineinander verbissen, so dass sie sich einander bestenfalls als „Der böse Mann” und „Die Königin von Ungarn” titulierten.
Der tolldreiste Bandit
Klaus Günzel reiht in seinem Porträtband nicht einfach Bündnisverstrickungen und Schlachten aneinander, sondern versucht die Persönlichkeiten der „Mater Austriae” und Friedrichs des Großen nachzumodellieren. Der Leser kann nachempfinden, mit welchen Argusaugen man von Schönbrunn nach Potsdam und von den Kasernenhöfen Preußens zu den Klöstern Österreichs spähte. Günzel lässt sowohl der Kaiserin wie dem König die erdenkliche Gerechtigkeit widerfahren, wenn er feststellt, dass Friedrich das habsburgisch-deutsche Reich für marode befinden konnte und gleichzeitig die Erbwalterin in Wien im norddeutschen Monarchen einen tolldreisten Banditen sehen musste.
Wem von beiden, welchem Regierungsprinzip würde die Zukunft beschieden sein? „Für den Rationalisten Friedrich war der Staat ein möglichst perfekt konstruierter Automat, dessen einzelne Hebel, Knöpfe und Tasten der absolute Herrscher als allwissender Ingenieur einstellte und in Schwung hielt. Für die Kaiserin war der Staat ein gewachsener Organismus, einem gewaltigen Baum vergleichbar, dessen Astwerk zwar der Säuberung und des Zurechtschneidens bedurfte, dessen innerste, Generationen überdauernde, Lebenskraft aber unberührbar blieb.”
Friedrichs Siege und sein Durchhaltevermögen düpierten die habsburgische Vielvölkermonarchie. Und spannend ist es nachzuverfolgen, wie zwangsläufig beide Kontrahenten um die Vormacht in Deutschland in wirtschaftlicher, militärischer, zivilpolitischer Effizienz sich steigern, einander angleichen mussten, um drei europäische Kriege durchzustehen. Dann und wann entschlüpften Friedrich Worte der Bewunderung für seine am Abgrund manövrierende Gegnerin in der Hofburg: „Sie hat ihrem Thron und ihrem Geschlecht Ehre gemacht.”
Noch stärker war man jedoch in Wien gezwungen fast nach preußischem Vorbild das Heer zu reorganisieren - „denn Tempo war nicht die Sache der habsburgischen Generäle” - die Verwaltung zu straffen, für ein moderneres Staatseinverständnis der Untertanen mehr Bildung, Rechtssicherheit und größere Duldsamkeit zu garantieren. Maria Theresia lernte von Friedrich dem Großen innenpolitische Dynamik; Friedrich seinerseits mochte hin und wieder von einem Staat geträumt haben, in dem die bunte Geschmeidigkeit der Habsburgerlande gang und gäbe wäre.
Dem Wetteifern der Feinde fielen Menschen und Ruhe zum Opfer. Es verdanken sich ihm jedoch auch Prestigeprojekte wie Schloss Schönbrunn oder das Neue Palais in Potsdam. Die Altersjahre von Kaiserin und König zeichnet Günzel düster. Die von Leben und Sorgen erschöpfte Maria Theresia starb - „es ist als ob man von einem Zimmer ins andere geht” - in dem Gefühl, die Reichstraditionen nur unvollkommen gewahrt zu haben. Der Alte Fritz brachte Preußen wieder zum Florieren, doch die Heiterkeit früher Friedensjahre kehrte nach den Gemetzeln nicht zurück.
In den Porträts der Widersacher ist es mehr als eine Marginalie, dass der Sachse Günzel auf die 1763 vollends verwüstete dritte Kraft Deutschlands hinweist, auf das unglücklich geführte Sachsen, in dem Hochkultur und Leistungsfähigkeit, also Wienerisches und Berlinisches, sich schon verbunden hatten, und das, bei anderem Schlachtenglück, ein angenehmeres Deutschland hätte prägen können.
HANS PLESCHINSKI
KLAUS GÜNZEL: Der König und die Kaiserin. Friedrich II. und Maria Theresia. Droste Verlag, Düsseldorf 2005. 272 Seiten, 17,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Von Klaus Günzel können selbst die "gelehrten Fachhistoriker" noch viel lernen, meint Rezensent Haug von Kuenheim. Das aktuelle Buch des Kulturhistorikers ist König Friedrich II. und Maria Theresia gewidmet und richtet sich nicht an Experten, sondern an den "historisch interessierten Laien". Dabei schreibt Günzel keine "anbiedernden historischen Romane", betont der Rezensent. In dem Werk über den preußischen König und die österreichische Kaierin, die sich "aufs Blutigste" bekämpften, könne er "stets alles belegen" und verleihe ihnen so eine "wissenschaftliche Substanz". Briefe und Berichte von Zeitgenossen fehlen in der "letzten großen Arbeit" Günzels ebenso wenig wie zahlreiche Anekdoten über die beiden Regenten. Ein Buch, das der Kritiker "gerne" zur Lektüre empfiehlt und das in seinen Augen ein "meisterliches Doppelporträt" darstellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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