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Sie reisen in entlegene Winkel am Schwarzen Meer, spüren Pelikane auf und reden über die Freiheit. Sie begegnen sich auf Rummelplätzen wie Figuren aus einem vertrauten Märchenstück. Und im nebeldichten Oderhaff bringen sie ihr schmales Ruderboot zum Kentern, um endlich dem wahren Leben näherzukommen. - Die Helden und Heldinnen in Julia Schochs Geschichten widersetzen sich einfallsreich und unbeirrbar allen Erwartungen, sie suchen das Glück und finden dabei nicht zuletzt die eigenen Erinnerungen: Erinnerungen an einen untergegangenen Staat im Osten, an seine seltsam vertraute Ferne und seine…mehr

Produktbeschreibung
Sie reisen in entlegene Winkel am Schwarzen Meer, spüren Pelikane auf und reden über die Freiheit. Sie begegnen sich auf Rummelplätzen wie Figuren aus einem vertrauten Märchenstück. Und im nebeldichten Oderhaff bringen sie ihr schmales Ruderboot zum Kentern, um endlich dem wahren Leben näherzukommen. - Die Helden und Heldinnen in Julia Schochs Geschichten widersetzen sich einfallsreich und unbeirrbar allen Erwartungen, sie suchen das Glück und finden dabei nicht zuletzt die eigenen Erinnerungen: Erinnerungen an einen untergegangenen Staat im Osten, an seine seltsam vertraute Ferne und seine tragikomischen Momente.
Julia Schoch erzählt von der Liebe und der Vergänglichkeit. Und in dem souveränen, kraftvollen Rhythmus ihrer Sätze liegen Humor und Lakonie, Härte und Empfindsamkeit untrennbar miteinander verbunden.
Autorenporträt
Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, aufgewachsen in Eggesin in Mecklenburg, gilt als »Virtuosin des Erinnerungserzählens« (FAZ). Zuletzt veröffentlichte sie die Romane 'Das Vorkommnis', 'Das Liebespaar des Jahrhunderts' und 'Wild nach einem wilden Traum' als die drei Bücher ihrer gefeierten Trilogie 'Biographie einer Frau'. 2022 wurde ihr die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung verliehen, 2023 der Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen, 2024 der Mainzer Stadtschreiber-Literaturpreis. Sie lebt in Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2001

Der Schmerz des eisernen Dickhäuters
Julia Schochs grandioses Debüt · Von Richard Kämmerlings

Das Elefantengerüst gibt es nicht mehr. Auch nicht die Stangen, an denen man sich die Kniekehlen wundgerieben hatte, auch nicht den "albernen Autoreifensteg". Als die junge Frau in Julia Schochs Geschichte "Der Exot" nach Jahren in ihren Heimatort in Mecklenburg zurückkehrt, ist von ihrer Kindheit nicht einmal mehr ein verrosteter Spielplatz übriggeblieben. Kein Gummigeruch wird zum Anlaß einer mémoire involontaire, keine Rostflecken auf der Haut lösen eine Reise in die Vergangenheit aus, so daß man die Augen gleich vor der tristen Einkaufszentrumswelt zwischen den Wohnblocks verschließen kann. "Gleichzeitig war ich aber erleichtert, daß von meiner Geschichte nicht mehr übriggeblieben war als ich selbst." Denn erst der unwiederbringliche Verlust der Vergangenheit setzt die Imagination frei.

Julia Schoch wurde 1974 geboren und wuchs "in einer Kleinstadt im Nordosten Deutschlands" auf. Schon diese Angabe im Klappentext ist verräterisch ungenau. Denn zwischen dem Land ihrer Kindheit, das eben nicht Deutschland war, und der Gegenwart liegt eine ganze Epoche; der Übergang ins Erwachsenenalter kam für ihre Generation verfrüht, mit Gewalt, als "Wende" statt als Reifeprozeß. Es wäre daher falsch, diesen Blick auf den Realsozialismus als Ostalgie zu verstehen. Es ist eher ein Phantomschmerz, den man verspürt, wo ein Stück des Eigenen fehlt, zu dem man zuvor gar kein Verhältnis von Nähe oder Distanz aufbauen konnte.

In der großartigen Titelerzählung "Der Körper des Salamanders" wird ein Leistungsport-Internat für Ruderer zum Sinnbild eines rücksichtslosen Staatsapparates. Wenn die Mädchen hier bis zum Heulkrampf gedrillt werden, ist das weniger eine nachträglich wohlfeile Kritik an einer im Wettlauf der Ideologien gründenden Ausbeutung als vielmehr der Versuch, sich nachträglich eine Identität im und zugleich am Rande des Systems zuzuschreiben. Die Erzählerin gehört nicht zu "den Mädchen", sondern ist als Steuerfrau selbst ein kleines Schwungrad im Disziplinierungsgetriebe. Der Bann, der über dieser Welt seelischer und körperlicher Qualen liegt, kann nur durch ein Verbrechen gebrochen werden; mit einem fahrlässigen Manöver bringt sie ihr Boot zum Kentern. Die Erlösung aus der Hölle der Krafträume und Trainingsbecken ist die tödliche Aufhebung der Grenze zwischen den Elementen: "Ich sah: Das Boot lag mit dem Rumpf nach oben, und unten im Wasser, unter der Nebelwand, saßen die Mädchen im Boot wie ein Spiegelbild, als wollten sie - eine stumm gewordene Galeere - ihre Berufung in die Unterwelt retten."

So schillern Schochs Erzählungen in einem double bind zwischen der Rettung einer Vergangenheit und einer Gegenwart, die diese kühl verdammt, oder noch schlimmer: verschweigt, ohne sie in eine biographische oder historische Kontinuität aufheben zu können. In "Himmelfahrt" begeht der Vater der Erzählerin, ein ehemaliger NVA-Offizier, Selbstmord. Die Geschichte beginnt mit den Sätzen: "So sind die Peinlichkeiten dem Vater wenigstens erspart geblieben. Und mir auch. Daß ich hätte mit ansehen müssen, wie er schnell wieder mit allem zurechtgekommen wäre". Die Besichtigung der Wohnung mit dem Leichnam wird zur Gondelfahrt in die Vergangenheit, die mit dem Freitod gerade nicht abgeschlossen wird, sondern sich als Domäne des Möglichkeitssinns erweist: "Daß die Geschichte ihren eigenen Lauf nehmen würde, ein Vater tun und lassen könnte, was er wollte, hier liegen oder dort, ich ihn mir würde aussuchen können, wie er war, was für ein herrlicher Ausgang."

Ein weiterer Selbstmord wird am Ende von "Schießübung" angedeutet, einer Prosaszene wie von Horváth: Ein junges Mädchen und ein Soldat lernen sich am Schießstand auf dem Rummelplatz kennen und träumen in der Plattenbauwohnung von Paris. "Dieser Ernst gefiel dem Mädchen, weil er so leichthin etwas festlegte. Als wäre solch eine Reise nicht nur eine Idee. Es gefiel dem Mädchen, daß er plötzlich über die Zukunft bestimmte, als würde sie von Menschenhand gemacht." Dieser existentialistische Gestus - dem Soldat, der Sartre liest, bleibt wohl am Ende nur eine freie Wahl - bestimmt auch Schochs Poetik, die sich nicht zu ihren Erfahrungen selbst, wohl aber zum Umgang mit den Altstoffen ihrer Herkunft verhalten kann.

Warum nun sucht die Frau in der erwähnten Story den Kletterelefanten? Als Kind eines Geheimnisträgers waren ihr früher jegliche Westkontakte untersagt. Eines Tages, eben auf jenem Gerüst, begegnete sie einem Jungen, dem "Exoten", und stellte ihm die verbotene Frage "Wie ist denn der Kapitalismus so?" Nun, wo der Sozialismus exotisch geworden ist, warten viele auf die umgekehrte Frage. Wer sich auf dem Spielgerüst der Fiktion so virtuos bewegt wie diese hochtalentierte Autorin, konnte mit der Antwort nicht so lange warten.

Julia Schoch: "Der Körper des Salamanders". Erzählungen. Piper Verlag, München 2001. 172 S., geb., 29,79 DM.

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Ein großartiger Geschichtenband. Richard Kämmerlings Die Welt, Literarische Welt 20220206