Über das Leben eines jüdischen Mannes, der nach seiner Vertreibung aus Rumänien in Großbritannien landet. "Sehr persönlich und bewegend - eine beeindruckende Familiengeschichte" Philippe Sands
Briefe, Dokumente, Fotos, ein ganzer Koffer voll. Sie sind es, die Frances Stonor Saunders von ihrem Vater Donald bleiben; aber sind sie es auch, die Aufschluss geben über seine lebenslange Verschlossenheit?
In seiner Kindheit bereits gerät der Sohn eines polnisch-jüdischen Erdölingenieurs in die Mühlen der Geschichte. Während des Zweiten Weltkriegs wird die Familie aus Rumänien vertrieben, Donald landet nach Stationen in der Türkei und in Ägypten in einem britischen Internat. Und dann? Es ist eine fesselnde, zutiefst berührende Erkundung, die Saunders unternimmt - und die letztlich in der Frage mündet, ob es besser ist, die Büchse der Pandora zu öffnen - oder zu vergessen.
Briefe, Dokumente, Fotos, ein ganzer Koffer voll. Sie sind es, die Frances Stonor Saunders von ihrem Vater Donald bleiben; aber sind sie es auch, die Aufschluss geben über seine lebenslange Verschlossenheit?
In seiner Kindheit bereits gerät der Sohn eines polnisch-jüdischen Erdölingenieurs in die Mühlen der Geschichte. Während des Zweiten Weltkriegs wird die Familie aus Rumänien vertrieben, Donald landet nach Stationen in der Türkei und in Ägypten in einem britischen Internat. Und dann? Es ist eine fesselnde, zutiefst berührende Erkundung, die Saunders unternimmt - und die letztlich in der Frage mündet, ob es besser ist, die Büchse der Pandora zu öffnen - oder zu vergessen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hendrik Buchholz warnt vor nicht eben leichter Lektüre. Wer sich auf Frances Stonor Saunders' Buch einlässt, bekommt es mit der Geschichte Großrumäniens zu tun, mit einer Vielzahl von Namen historischer Personen und Orte. Dazu kommt Saunders' eigene Familiengeschichte, die die Autorin anekdotisch erzählend mit den historischen Ereignissen verknüpft. Beeindruckt zeigt sich Buchholz von den Schilderungen des Kriegsverlaufs ab 1939 oder des Begräbnisses der Königin Maria von Rumänien. Wer die dichte, von Querverweisen geprägte Erzählweise nicht scheut, dem empfiehlt Buchholz das Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Es gelingt der Autorin Lebens- und Globalgeschichte äußerst spannend zu verweben ... Ein großartiges Buch!" Matthias Bertsch, Deutschlandfunk Andruck, 06.05.24
"Im anekdotenreichen Parlando-Ton, der die Lektüre trotz der Verwobenheit der Geschichte zu einem erkenntnisreichen Vergnügen macht, beleuchtet Saunders Weltgeschehen und Familiengeschichte in den Wirren der 20. Jahrhunderts." Cornelius Wüllenkemper, Deutschlandfunk, 23.02.24
"Im anekdotenreichen Parlando-Ton, der die Lektüre trotz der Verwobenheit der Geschichte zu einem erkenntnisreichen Vergnügen macht, beleuchtet Saunders Weltgeschehen und Familiengeschichte in den Wirren der 20. Jahrhunderts." Cornelius Wüllenkemper, Deutschlandfunk, 23.02.24
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2024Eine lange Flucht nach Großbritannien
Frances Stonor Saunders erzählt von der Geschichte ihrer Familie und dem Schicksal Großrumäniens
"Nun ertappe ich mich, wie ich im Dilemma zweier widerstreitender Antriebe feststecke: wissen zu wollen, was im Koffer ist, und es nicht wissen zu wollen." Das schreibt Frances Stonor Saunders gleich zu Beginn ihres Buchs, und anstatt den Koffer zu öffnen, um die darin enthaltenen Erinnerungen an den Vater zu sichten, macht sie sich selbst auf die Suche nach Zeugnissen über die Geschichte ihrer Familie. Sie befragt Verwandte, liest Briefe und besucht Archive. Aus dem dabei zusammengetragenen Material fertigt sie eine Geschichte, die vom rumänischen Königreich nach den Grenzverschiebungen des Landes im Zuge des Versailler Vertrags handelt, die Zeit der Dreißigerjahre und das Chaos des Zweiten Weltkriegs beschreibt und schließlich die sowjetische Nachkriegszeit des osteuropäischen Landes umfasst.
Dabei dient Saunders das Leben ihrer Großeltern, ihres Vaters Donald und seiner Geschwister als roter Faden. Joseph Slomnicki, der "polnisch-russisch-jüdischer Herkunft" und der Großvater der Autorin war, arbeitete als Geologe und war am Ölboom Rumäniens in den Zwanzigerjahren beteiligt. Es ist eine Zeit, die Menschen vieler Nationalitäten nach Rumänien lockt. So auch Familie Redgrave, die sich mit den Slomnickis anfreundet. Zusammen gehören sie der Oberschicht an und besuchen Cocktailpartys und Maskenbälle. Das ändert sich mit dem aufkommenden Faschismus in Europa und der wachsenden Bedrohung durch die Sowjetunion. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beginnt eine nicht enden wollende Flucht für die Slomnickis aus Rumänien nach Ägypten, für kurze Zeit nach Südafrika - und zurück nach Kairo. Schließlich lassen sie sich in Großbritannien nieder.
Besonders eindrücklich werden Saunders' Beschreibungen, sobald es um wichtige Entwicklungen Rumäniens geht. So erzählt sie etwa vom Begräbnis der Königin Maria von Rumänien, das 1938 eine Viertelmillion Menschen anlockte. Oder von der Ermordung des rumänischen Ministerpräsidenten Armand Calinescu, der 1939 von der faschistischen Bewegung "Eiserne Garde" ermordet wurde und dessen Attentäter unter tosendem Applaus hingerichtet wurden.
Eindrücklich ist aber auch, wie die Autorin die Berichterstattung über den Kriegsverlauf beschreibt. Anhand einer Karte, die im Schaufenster des deutschen Propagandaministeriums in Bukarest aushing, wurden Passanten über den sich stetig ändernden Grenzverlauf Großdeutschlands informiert. Pfeile wiesen dabei auf Offensiven der Wehrmacht hin, Hakenkreuze auf erobertes, neudeutsches Gebiet. Als sich Hitlers Truppen nach der Eroberung weiter Teile Skandinaviens Westeuropa zuwandten, konnten die bummelnden Fußgänger jeden Tag "die dicken Pfeile des deutschen Vormarschs tiefer nach Frankreich eindringen sehen". Schließlich wurde dann Paris auf der Karte von Hakenkreuzen "zerquetscht".
Das Buch, obschon empfehlenswert, ist keine leichte Kost. Leser werden mit zahllosen Namen historischer Persönlichkeiten konfrontiert, hinzu kommen die Figuren aus Saunders' Umfeld. Die anekdotenreiche Erzählweise mit etlichen nicht erläuterten Querverweisen kommt hinzu. Diese Geschichte Großrumäniens, verknüpft mit der Geschichte einer Familie, ergibt eine dichte Darstellung von Ereignissen, die freilich nicht Gegenstand einer vertieften Auseinandersetzung mit ihnen werden. HENDRIK BUCHHOLZ
Frances Stonor Saunders: "Der Koffer". Sechs Versuche, eine Grenze zu überqueren.
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag, Wien 2024. 256 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Frances Stonor Saunders erzählt von der Geschichte ihrer Familie und dem Schicksal Großrumäniens
"Nun ertappe ich mich, wie ich im Dilemma zweier widerstreitender Antriebe feststecke: wissen zu wollen, was im Koffer ist, und es nicht wissen zu wollen." Das schreibt Frances Stonor Saunders gleich zu Beginn ihres Buchs, und anstatt den Koffer zu öffnen, um die darin enthaltenen Erinnerungen an den Vater zu sichten, macht sie sich selbst auf die Suche nach Zeugnissen über die Geschichte ihrer Familie. Sie befragt Verwandte, liest Briefe und besucht Archive. Aus dem dabei zusammengetragenen Material fertigt sie eine Geschichte, die vom rumänischen Königreich nach den Grenzverschiebungen des Landes im Zuge des Versailler Vertrags handelt, die Zeit der Dreißigerjahre und das Chaos des Zweiten Weltkriegs beschreibt und schließlich die sowjetische Nachkriegszeit des osteuropäischen Landes umfasst.
Dabei dient Saunders das Leben ihrer Großeltern, ihres Vaters Donald und seiner Geschwister als roter Faden. Joseph Slomnicki, der "polnisch-russisch-jüdischer Herkunft" und der Großvater der Autorin war, arbeitete als Geologe und war am Ölboom Rumäniens in den Zwanzigerjahren beteiligt. Es ist eine Zeit, die Menschen vieler Nationalitäten nach Rumänien lockt. So auch Familie Redgrave, die sich mit den Slomnickis anfreundet. Zusammen gehören sie der Oberschicht an und besuchen Cocktailpartys und Maskenbälle. Das ändert sich mit dem aufkommenden Faschismus in Europa und der wachsenden Bedrohung durch die Sowjetunion. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beginnt eine nicht enden wollende Flucht für die Slomnickis aus Rumänien nach Ägypten, für kurze Zeit nach Südafrika - und zurück nach Kairo. Schließlich lassen sie sich in Großbritannien nieder.
Besonders eindrücklich werden Saunders' Beschreibungen, sobald es um wichtige Entwicklungen Rumäniens geht. So erzählt sie etwa vom Begräbnis der Königin Maria von Rumänien, das 1938 eine Viertelmillion Menschen anlockte. Oder von der Ermordung des rumänischen Ministerpräsidenten Armand Calinescu, der 1939 von der faschistischen Bewegung "Eiserne Garde" ermordet wurde und dessen Attentäter unter tosendem Applaus hingerichtet wurden.
Eindrücklich ist aber auch, wie die Autorin die Berichterstattung über den Kriegsverlauf beschreibt. Anhand einer Karte, die im Schaufenster des deutschen Propagandaministeriums in Bukarest aushing, wurden Passanten über den sich stetig ändernden Grenzverlauf Großdeutschlands informiert. Pfeile wiesen dabei auf Offensiven der Wehrmacht hin, Hakenkreuze auf erobertes, neudeutsches Gebiet. Als sich Hitlers Truppen nach der Eroberung weiter Teile Skandinaviens Westeuropa zuwandten, konnten die bummelnden Fußgänger jeden Tag "die dicken Pfeile des deutschen Vormarschs tiefer nach Frankreich eindringen sehen". Schließlich wurde dann Paris auf der Karte von Hakenkreuzen "zerquetscht".
Das Buch, obschon empfehlenswert, ist keine leichte Kost. Leser werden mit zahllosen Namen historischer Persönlichkeiten konfrontiert, hinzu kommen die Figuren aus Saunders' Umfeld. Die anekdotenreiche Erzählweise mit etlichen nicht erläuterten Querverweisen kommt hinzu. Diese Geschichte Großrumäniens, verknüpft mit der Geschichte einer Familie, ergibt eine dichte Darstellung von Ereignissen, die freilich nicht Gegenstand einer vertieften Auseinandersetzung mit ihnen werden. HENDRIK BUCHHOLZ
Frances Stonor Saunders: "Der Koffer". Sechs Versuche, eine Grenze zu überqueren.
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag, Wien 2024. 256 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.