Den österreichischen Ehrentitel Kommerzialrat trägt der stattliche Alois Marsoner mit sichtbarem Stolz; sämtliche Ämter in einem Bergdorf, in dem es nach einer Serie von Anschlägen auf Schitouristen drunter und drüber geht, sind in seiner Person vereint: ein Sechzigjähriger, ein Mann mit Eigenschaften, ein ganzer Kerl. Mit dem plötzlichen Auftreten eines 'Provinzcasanovas' ändert sich für den geschätzten 'Mann der Tat' sein gewohntes Leben. Zwischen dem Fremden, wegen seiner Heimat 'Steirer' genannt, und ihm entwickelt sich eine geheime Rivalität, auch um seine beiden Töchter Therese und Sophie.
Das ist der Beginn einer Geschichte, die alle Zutaten einer Kriminalgeschichte hat und in ihrer Konstruktion an die 'Chronik eines angekündigten Todes' von Gabriel Garcia Marquez erinnert: 'Hier wie dort wird von einer Dorfgemeinschaft, sehendes Auges, ein Mensch geopfert... Es geht bei beiden zuletzt um Schuld. Um jene Form der Schuld, mit der die Figuren Kafkas allesamt geschlagen sind:die unausweichliche. Die Genauigkeit, mit der Gstrein ausgespart hat, was sich keiner Erklärung fügt, ist bewundernswert. (Martin Lüdke, Frankfurter Rundschau)
Das ist der Beginn einer Geschichte, die alle Zutaten einer Kriminalgeschichte hat und in ihrer Konstruktion an die 'Chronik eines angekündigten Todes' von Gabriel Garcia Marquez erinnert: 'Hier wie dort wird von einer Dorfgemeinschaft, sehendes Auges, ein Mensch geopfert... Es geht bei beiden zuletzt um Schuld. Um jene Form der Schuld, mit der die Figuren Kafkas allesamt geschlagen sind:die unausweichliche. Die Genauigkeit, mit der Gstrein ausgespart hat, was sich keiner Erklärung fügt, ist bewundernswert. (Martin Lüdke, Frankfurter Rundschau)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.1995Soviel Elend muß sein
Auch im Luxus: Norbert Gstreins Bericht "Der Kommerzialrat"
Ein Tiroler Ortskaiser, Hotelier und Vorstand des Fremdenverkehrsverbandes, ist als Sechzigjähriger unter nicht geklärten Umständen gestorben. Die Leute nannten ihn den "Kommerzialrat", die Freunde "Sir". Alois Marsoner war, man nehme alles nur in allem, ein gestandenes Mannsbild mit den zugehörigen Frauenaffären. Das bestätigen auch die überlebenden Kumpane, Honoratioren wie weiland er selbst. Sie haben in Norbert Gstreins neuem Buch das erste und das letzte Wort, das mittlere Kapitel gehört den Aufzeichnungen des Verblichenen.
"Bericht" lautet der Untertitel von "Der Kommerzialrat". Das deutet auf Sachlichkeit hin, und die gibt es hier zur Genüge. Freilich bleibt sie meist im Bereich des Ungefähren und Ungewissen, der Gerüchte und der Vermutungen. Eine mysteriös sein wollende Alltagsgeschichte vom Verfall im Luxuselend der Tourismusindustrie wird ausgebreitet. Kleine und größere Schweinereien kommen ans Licht, der Verdacht auf verbrecherische Vergangenheit steht im biographischen Raum. Selten fragt sich der Leser so nachdrücklich wie bei der Lektüre des vorliegenden Bandes: Wozu erfahre ich das?
Der hochbegabte österreichische Erzähler Norbert Gstrein, an dessen Debüt "Einer" wir uns mit ungetrübter Freude erinnern, hat offensichtlich einen Holzweg beschritten. Denn die negative Heimat-Idylle, die da beschworen wird, besitzt keinen bösen Glanz, sie scheint weder aus Witz noch aus Empörung geboren. Diese Prosa ist schlicht langweilig. Nichts an Irritation vermag die Sprache zu vermitteln, im Gegenteil: Meist wirkt sie recht hübsch, manchmal bieder.
Vielleicht hat sich der Autor vom Österreich-Thema der Buchmesse zu seinem Werk drängen lassen. Innerem Zwang dürfte es kaum entsprungen sein. Darum wollen wir auf Norbert Gstreins Zukunft hoffen und den "Kommerzialrat" so rasch vergessen, wie es uns das Gedächtnis in diesem Fall ohnehin nahelegt. ULRICH WEINZIERL
Norbert Gstrein: "Der Kommerzialrat". Bericht. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 150 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch im Luxus: Norbert Gstreins Bericht "Der Kommerzialrat"
Ein Tiroler Ortskaiser, Hotelier und Vorstand des Fremdenverkehrsverbandes, ist als Sechzigjähriger unter nicht geklärten Umständen gestorben. Die Leute nannten ihn den "Kommerzialrat", die Freunde "Sir". Alois Marsoner war, man nehme alles nur in allem, ein gestandenes Mannsbild mit den zugehörigen Frauenaffären. Das bestätigen auch die überlebenden Kumpane, Honoratioren wie weiland er selbst. Sie haben in Norbert Gstreins neuem Buch das erste und das letzte Wort, das mittlere Kapitel gehört den Aufzeichnungen des Verblichenen.
"Bericht" lautet der Untertitel von "Der Kommerzialrat". Das deutet auf Sachlichkeit hin, und die gibt es hier zur Genüge. Freilich bleibt sie meist im Bereich des Ungefähren und Ungewissen, der Gerüchte und der Vermutungen. Eine mysteriös sein wollende Alltagsgeschichte vom Verfall im Luxuselend der Tourismusindustrie wird ausgebreitet. Kleine und größere Schweinereien kommen ans Licht, der Verdacht auf verbrecherische Vergangenheit steht im biographischen Raum. Selten fragt sich der Leser so nachdrücklich wie bei der Lektüre des vorliegenden Bandes: Wozu erfahre ich das?
Der hochbegabte österreichische Erzähler Norbert Gstrein, an dessen Debüt "Einer" wir uns mit ungetrübter Freude erinnern, hat offensichtlich einen Holzweg beschritten. Denn die negative Heimat-Idylle, die da beschworen wird, besitzt keinen bösen Glanz, sie scheint weder aus Witz noch aus Empörung geboren. Diese Prosa ist schlicht langweilig. Nichts an Irritation vermag die Sprache zu vermitteln, im Gegenteil: Meist wirkt sie recht hübsch, manchmal bieder.
Vielleicht hat sich der Autor vom Österreich-Thema der Buchmesse zu seinem Werk drängen lassen. Innerem Zwang dürfte es kaum entsprungen sein. Darum wollen wir auf Norbert Gstreins Zukunft hoffen und den "Kommerzialrat" so rasch vergessen, wie es uns das Gedächtnis in diesem Fall ohnehin nahelegt. ULRICH WEINZIERL
Norbert Gstrein: "Der Kommerzialrat". Bericht. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 150 S., geb., 34,- DM.
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