Produktdetails
- Verlag: Lembeck
- Seitenzahl: 151
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 204g
- ISBN-13: 9783874763103
- Artikelnr.: 22047511
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.1996Die Buchwerdung Gottes
Jacques Berque sieht den Koran als beziehungsreichen Teppich
Die Weltreligion Islam, heute sehr in Rückwärtsbewegung begriffen, kreist um ihr heiliges Buch, den Koran. Wissenschaftler haben denn auch schon den Vorschlag gemacht, man solle diese Religion im Kern als eine "inlibration", als eine Buchwerdung Gottes durch Offenbarung beschreiben - als Analogie zur "Inkarnation", der Menschwerdung Gottes, im Christentum. Der im vergangenen Jahr verstorbene französische Orientalist Jacques Berque spricht sogar von "inverbation": im Islam sei Gott zum Wort geworden. Die Übersetzung des - möglicherweise auf eine aramäische Wurzel "qeryana" zurückgehenden - arabischen Wortes "al qur'an" (Koran) lautet denn auch schlicht "Lesung", "Rezitation".
Doch was soll wie und auf welche Weise gelesen werden? Die zeitgenössischen Islamisten, die heute zwischen Köln und Karatschi von sich reden machen, bevorzugen ein Zurück zur wörtlichen Lesung. Allein "sola scriptura" könne der Koran richtig verstanden werden. Dem widersprechen die Reformer, die, mehr oder weniger von westlichen Ideen beeinflußt, den wörtlichen Text auf verschiedene Weisen in den Kontext seiner Entstehung einordnen und interpretieren. Versuche, dies unter ausdrücklicher Berufung auf den Koran selbst, das heißt auf innere Kriterien zu tun, gibt es zwar, doch sind sie eher selten und haben sich - der Fall des zwangsgeschiedenen ägyptischen Professors Nasr Hamid Abu Zaid beweist es - als höchst gefährlich, zuweilen als lebensgefährlich erwiesen.
Der Professor am Collège de France Jacques Berque, im gleichen algerischen Ort geboren, in dem der berühmte arabische, im Jahre 1406 gestorbene Geschichtsdenker Abdarrahman Ibn Khaldun sein bekanntestes Werk verfaßte, zeit seines Lebens ein vermittelnder Wanderer zwischen der islamischen und der christlichen Welt, hat 1993 vier Vorträge unter dem Titel "Relire le Coran" publiziert, die jetzt, mit einer Einführung des deutschen Orientalisten und Koran-Spezialisten Tilman Nagel versehen, auf deutsch erschienen sind: "Der Koran neu gelesen". Zu den vielen Unterschieden zwischen Koran und Bibel gehört, wie Berque in seinem letzten Vortrag hervorhebt, die unterschiedliche Gewichtung der Offenbarungssprache. Daß Jesus Aramäisch gesprochen habe, habe kaum einen Exegeten sonderlich bewegt. Anders beim Koran, einer Offenbarung, die darauf Wert legt, in klarem Arabisch "herabgekommen" ("tanzil") zu sein. So muß das Arabische das Lesen des heiligen Textes auch beeinflussen. Dies allein ist ein Hinweis darauf, daß der Text interpretierbar ist, denn dies ist gerade ein Charakteristikum der Sprache, natürlich auch und erst recht des Arabischen.
Der Koran gleicht, wie Nagel in seinem Vorwort formuliert, in den Augen Berques einem Teppich. Er ist nichts eindimensional Eindeutiges, sondern ein facettenreiches Gewebe, eine Textur eben, deren Muster immer wieder neu entdeckt und nachvollzogen werden können. In dem Kapitel "Die Zeit im Koran" macht der französische Orientalist deutlich, wie sich die überzeitliche Botschaft des Absoluten in eine zeitliche überträgt. In dem Vortrag "Die Norm im Koran" zeigt sich, daß neben eindeutigen normativen Aussagen vieles ziemlich vage bleibt, was später in der Scharia, dem religiösen Gesetz (dieses Wort kommt im Koran kaum vor), den Anschein absoluter Eindeutigkeit erweckt. Der Koran selbst ermuntert jedoch nach der Meinung Berques dazu, die teilweise stringenten, teilweise nur angedeuteten Normen mit Hilfe der Vernunft und mit der Tendenz zu einem überraschenden Naturalismus auszulegen. WOLFGANG GÜNTER LERCH
Jacques Berque: "Der Koran neu gelesen". Mit einer Einführung von Tilman Nagel und einem Vorwort von Mohamed Bennouna. Aus dem Französischen von Monika Gronke. Lembeck Verlag, Frankfurt am Main 1996. 151 S., br., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jacques Berque sieht den Koran als beziehungsreichen Teppich
Die Weltreligion Islam, heute sehr in Rückwärtsbewegung begriffen, kreist um ihr heiliges Buch, den Koran. Wissenschaftler haben denn auch schon den Vorschlag gemacht, man solle diese Religion im Kern als eine "inlibration", als eine Buchwerdung Gottes durch Offenbarung beschreiben - als Analogie zur "Inkarnation", der Menschwerdung Gottes, im Christentum. Der im vergangenen Jahr verstorbene französische Orientalist Jacques Berque spricht sogar von "inverbation": im Islam sei Gott zum Wort geworden. Die Übersetzung des - möglicherweise auf eine aramäische Wurzel "qeryana" zurückgehenden - arabischen Wortes "al qur'an" (Koran) lautet denn auch schlicht "Lesung", "Rezitation".
Doch was soll wie und auf welche Weise gelesen werden? Die zeitgenössischen Islamisten, die heute zwischen Köln und Karatschi von sich reden machen, bevorzugen ein Zurück zur wörtlichen Lesung. Allein "sola scriptura" könne der Koran richtig verstanden werden. Dem widersprechen die Reformer, die, mehr oder weniger von westlichen Ideen beeinflußt, den wörtlichen Text auf verschiedene Weisen in den Kontext seiner Entstehung einordnen und interpretieren. Versuche, dies unter ausdrücklicher Berufung auf den Koran selbst, das heißt auf innere Kriterien zu tun, gibt es zwar, doch sind sie eher selten und haben sich - der Fall des zwangsgeschiedenen ägyptischen Professors Nasr Hamid Abu Zaid beweist es - als höchst gefährlich, zuweilen als lebensgefährlich erwiesen.
Der Professor am Collège de France Jacques Berque, im gleichen algerischen Ort geboren, in dem der berühmte arabische, im Jahre 1406 gestorbene Geschichtsdenker Abdarrahman Ibn Khaldun sein bekanntestes Werk verfaßte, zeit seines Lebens ein vermittelnder Wanderer zwischen der islamischen und der christlichen Welt, hat 1993 vier Vorträge unter dem Titel "Relire le Coran" publiziert, die jetzt, mit einer Einführung des deutschen Orientalisten und Koran-Spezialisten Tilman Nagel versehen, auf deutsch erschienen sind: "Der Koran neu gelesen". Zu den vielen Unterschieden zwischen Koran und Bibel gehört, wie Berque in seinem letzten Vortrag hervorhebt, die unterschiedliche Gewichtung der Offenbarungssprache. Daß Jesus Aramäisch gesprochen habe, habe kaum einen Exegeten sonderlich bewegt. Anders beim Koran, einer Offenbarung, die darauf Wert legt, in klarem Arabisch "herabgekommen" ("tanzil") zu sein. So muß das Arabische das Lesen des heiligen Textes auch beeinflussen. Dies allein ist ein Hinweis darauf, daß der Text interpretierbar ist, denn dies ist gerade ein Charakteristikum der Sprache, natürlich auch und erst recht des Arabischen.
Der Koran gleicht, wie Nagel in seinem Vorwort formuliert, in den Augen Berques einem Teppich. Er ist nichts eindimensional Eindeutiges, sondern ein facettenreiches Gewebe, eine Textur eben, deren Muster immer wieder neu entdeckt und nachvollzogen werden können. In dem Kapitel "Die Zeit im Koran" macht der französische Orientalist deutlich, wie sich die überzeitliche Botschaft des Absoluten in eine zeitliche überträgt. In dem Vortrag "Die Norm im Koran" zeigt sich, daß neben eindeutigen normativen Aussagen vieles ziemlich vage bleibt, was später in der Scharia, dem religiösen Gesetz (dieses Wort kommt im Koran kaum vor), den Anschein absoluter Eindeutigkeit erweckt. Der Koran selbst ermuntert jedoch nach der Meinung Berques dazu, die teilweise stringenten, teilweise nur angedeuteten Normen mit Hilfe der Vernunft und mit der Tendenz zu einem überraschenden Naturalismus auszulegen. WOLFGANG GÜNTER LERCH
Jacques Berque: "Der Koran neu gelesen". Mit einer Einführung von Tilman Nagel und einem Vorwort von Mohamed Bennouna. Aus dem Französischen von Monika Gronke. Lembeck Verlag, Frankfurt am Main 1996. 151 S., br., 24,- DM.
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