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Tahar Ben Jelloun erzählt eine Geschichte aus dem heutigen Marokko - und zugleich die klassische, exemplarische Geschichte eines Bürgers, der in Konflikt gerät mit der Gesellschaft, in der er lebt, weil er das Spiel der Korruption nicht mitspielen will.

Produktbeschreibung
Tahar Ben Jelloun erzählt eine Geschichte aus dem heutigen Marokko - und zugleich die klassische, exemplarische Geschichte eines Bürgers, der in Konflikt gerät mit der Gesellschaft, in der er lebt, weil er das Spiel der Korruption nicht mitspielen will.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.1995

Im Club der Käuflichen
Tahar Ben Jelloun erzählt vom "Korrumpierten Mann"

Mourad ist ein wichtiger Mann. Als Beamter in der Baubehörde hat er darüber zu befinden, was in Casablanca gebaut werden darf und was nicht. Mourad ist ein mißachteter Mann. Denn er läßt sich nicht bestechen, und da die Gehälter, die der Staat für seine Beamten erübrigt, nur symbolischen Charakter haben, bringt der Unbestechliche seine Familie ins Elend. Mourad lebt in Marokko, aber seine Geschichte könnte in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt spielen, in denen im Niedergang von Wirtschaft und Demokratie vor allem eines aufblüht: die Korruption.

Der 1944 geborene Tahar Ben Jelloun, der als einer der bekanntesten Schriftsteller des Maghreb heute in Paris lebt, erzählt die Geschichte des unbeugsamen, in seiner Unbeugsamkeit indes bornierten und hartherzigen Beamten in seinem neuen Roman. Freilich nicht als Heldenlied, dazu ist dieser Unbestechliche zu selbstgefällig und in seiner Tugendhaftigkeit zu eitel. Ben Jelloun bringt stets zwei einander widerstreitende Momente zusammen: Er steht in der maghrebinischen Tradition des mündlichen Geschichtenerzählens - und schreibt dabei doch in der Sprache der einstigen Kolonialherren, auf französisch.

"Der korrumpierte Mann" ist als großes Selbstgespräch, als formal nicht allzu kühner innerer Monolog Mourads angelegt: Unerbittlich führt der Autor vor Augen, wie schwer es ist, sich in einer zerfallenden Gesellschaft den Verlockungen der Korruption zu entziehen, ihrem Sog zu widerstehen. Die Tochter des Beamten hat Asthma, ein Kuraufenthalt am Meer würde ihr Leiden lindern; der begabte Sohn will an die Universität. Doch beide haben wenig Aussicht, denn der stolze Vater, der auf das alltägliche Zubrot der Bestechlichkeit verzichtet, kann weder die medizinische Behandlung finanzieren noch seinerseits die Bürokraten bestechen, daß sie den Sohn zum Studium überhaupt zulassen.

Die Korruption ist ein gefräßiges Ungeheuer, das sich nach und nach die ganze Gesellschaft einverleibt: keiner, der von ihr nicht betroffen wäre, selbst den, der sich ihr widersetzt, verfolgt sie bis in seine intimen Beziehungen hinein. So hat Mourad, der über alle beruflichen Anfechtungen triumphiert, im Privatleben nichts als Niederlagen hinzunehmen: und wie selbstgerecht er sich auch immer seiner untadeligen Prinzipienstrenge versichert, langsam wird auch er reif für den Verrat. Just als er seine Angebetete gewinnt, eine Kusine, die für ihn Reinheit, Güte, Anmut verkörpert, läßt er sich im Bauamt zum ersten Mal ein Kuvert mit Geldscheinen zustecken. Als er sich endlich aus dem Elend seiner gescheiterten Ehe gehoben sieht, stürzt auch er in den Abgrund der Korruption.

Den Eintritt des Unbestechlichen in den "Club der Käuflichen" bietet Tahar Ben Jelloun nicht als einfachen Fall, sondern als Ereignis mit vielen verschiedenen Facetten dar. Mourad, dieses Monstrum der Wohlanständigkeit, stößt seltsamerweise ab, solange er integer ist, und gewinnt sympathische Züge just, als auch er sich korrumpiert. Tahar Ben Jelloun hat das Kunststück zustande gebracht, diese Entwicklungen in einem Roman gegeneinanderlaufen zu lassen, der die schärfste Verwerfung der universellen Korruption darstellt. Dafür vor allem ist dieser Roman zu loben, der erheblich in Richtung eines - für den magischen Erzähler Tahar Ben Jelloun recht unpoetischen - Traktakts gravitiert.

Zuletzt ist Mourad aller finanziellen Sorgen ledig, seiner zur Lüge verkommenen Ehe entronnen und dabei doch nicht glücklicher geworden. "Ich fühle mich als freier Mensch. Kann ein korrumpierter Mann frei sein? Das schmutzige Geld verleiht Flügel. Doch was ist diese Freiheit wert?" KARL-MARKUS GAUSS

Tahar Ben Jelloun: "Der korrumpierte Mann". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Kayser. Rowohlt Verlag, Reinbek 1995. 188 S., geb., 36,- DM.

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