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In seinem Buch "Der kosmische Schnitt" diskutiert John D. Barrow eine provozierende These: Unser Sinn für Schönheit wurzelt in den Naturgesetzen des Kosmos, ähnlich wie die Existenz des Menschen in den Anfangsbedingungen des kosmischen Urknalls angelegt war. Barrow reflektiert seine These unter verschiedenen Perspektiven: Von der Evolutionstheorie, die er auf die Einflüsse der kosmischen Umgebung auf den Menschen anwendet, bis hin zu den Naturgesetzen des Zufalls, die uns Musik als ästhetisch empfinden lassen. Der kosmische Schnitt lädt aber auch dazu ein, über viele Gesetzmäßigkeiten im…mehr

Produktbeschreibung
In seinem Buch "Der kosmische Schnitt" diskutiert John D. Barrow eine provozierende These: Unser Sinn für Schönheit wurzelt in den Naturgesetzen des Kosmos, ähnlich wie die Existenz des Menschen in den Anfangsbedingungen des kosmischen Urknalls angelegt war. Barrow reflektiert seine These unter verschiedenen Perspektiven: Von der Evolutionstheorie, die er auf die Einflüsse der kosmischen Umgebung auf den Menschen anwendet, bis hin zu den Naturgesetzen des Zufalls, die uns Musik als ästhetisch empfinden lassen. Der kosmische Schnitt lädt aber auch dazu ein, über viele Gesetzmäßigkeiten im Kosmos nachzudenken, die wir als ästhetisch empfinden und Barrow auf seiner Reise durch seine Welt kosmologisch-philosophischer Reflexionen zu begleiten. Das Buch ist eine Reflexion über die Moderne Kosmologie und ihre Geschichte und stellt eine Zusammenschau kosmologischer Ideen aus Wissenschaft, Kunst und Kultur dar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.1998

Mit Geraschel und Gebrumm
Das Schöne in Natur und Wissenschaft

Die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten hinter dem Sichtbaren ist ein zutiefst menschliches Unterfangen. Wissenschaftler und Künstler sind durch sorgfältiges Beobachten der Dinge zu Ansichten und Einsichten über die Welt gelangt. Während die Naturwissenschaft durch unsichtbare Gesetze das Sichtbare erklären konnte, wurde die bildende Kunst immer subjektiver und metaphorischer. Die Wissenschaftler konnten aus der Vielfalt im Universum die Gemeinsamkeit herausarbeiten, Komplexität und Unordnung wurden lange Zeit vernachlässigt, die Künstler beschäftigten sich mit Vielfalt und Unvorhersagbarkeit der Welt, worüber sie die Fülle der Gemeinsamkeiten aus den Augen verloren. Es scheint, als seien Kunst und Wissenschaft entgegengesetzte Wege gegangen, als sei die eine nicht durch die andere erklärbar.

John D. Barrow ist Astronom, er kennt den gestirnten Himmel wie seine Westentasche, und er kann erklären, warum wir etwas als harmonisch und ästhetisch empfinden. Aus der Sicht des Naturwissenschaftlers erörtert er, was den Künstler bewegt, was aller Kunst gemein ist. Die Struktur des Universums setzt nämlich dem, was wir denken, Schranken und hat sich somit unseren Gedanken, unserem ästhetischen Empfinden und unseren Ansichten über das Wesen der Dinge eingeprägt. So ist beispielsweise unsere Existenz abhängig von der Verfügbarkeit der chemischen Elemente, aus denen unsere Körper bestehen. Um diese Elemente hervorzubringen, benötigte das Universum mehrere Milliarden Jahre. Folglich müssen Universen, die unser Dasein ermöglichen können, eine Größe von etwa einem Dutzend Milliarden Lichtjahre haben, kleiner dürften sie wirklich nicht sein.

Vorlieben des Menschen lassen sich durch evolutionäre Vorteilhaftigkeit erklären. Die Speisen, die wir zu uns nehmen, stellen wenig Ansprüche an die Verdauung; der Aufwand, der für die Verdauung eingespart wurde, konnte im Laufe der Evolution der Ausdehnung des Gehirns zugute kommen. Kleinen Kindern, denen verschiedene Landschaftsbilder gezeigt wurden, gefielen Savannen am besten, Wüsten am wenigsten. Die Savanne ist die Landschaft, in der die ersten Menschen lebten, und Barrow vermutet, daß uns die Vorliebe für diesen Geländetyp ebenso angeboren ist, wie das angenehme Empfinden beim Anblick von regenverheißenden Wolken am Firmament einer Landschaftsdarstellung.

Das Spektrum des Sonnenlichts und die Lichtstreuung in der Atmosphäre sind ursächlich für unsere Farbwahrnehmung und unser Farbempfinden. Barrow schildert anhand einer Vielzahl von Beispielen Phänomene, die mit dem Farbensehen in Zusammenhang stehen, darunter auch die grüne Farbe von Fröschen: "Wenn ein toter grüner Frosch in Alkohol gelegt wird, löst sich das gelbe Pigment auf, und er wird blau." Gewichtiger sind da die Betrachtungen zu den Handlungsmöglichkeiten eines Lebewesens und ihre Abhängigkeit von seiner Größe. Der Mensch hat eine Körpergröße, die es ihm unter anderem erlaubt, das Feuer nutzbar zu machen und seine Mitmenschen zu erschlagen. Wäre der Mensch nur ein Viertel so groß, wäre die Geschichte völlig anders verlaufen.

Ob klassische Musik, Jazz oder Rock: eine Analyse der Musik auf Variationen von Lautstärke, Tonhöhe und Intervallen zeigt in den statistischen Eigenschaften eine verblüffende Ähnlichkeit mit von der Natur erzeugtem Geraschel, Geknister und Gebrumm. Es scheint, daß Musik gerade dann nicht als Lärm empfunden wird, wenn sie mit natürlichem Geräusch verbunden ist. Gerade das Beispiel der Musik zeigt, daß sich hinter der Vielfalt in der Kunst einfache Gesetzmäßigkeiten verbergen. Die Prinzipien des Ästhetischen sind wissenschaftlich erklärbar und können durchaus simpel sein.

Barrow sieht hinter allen Bemühungen der Naturwissenschaftler ein Streben nach Schönheit. Zu seinen Zeugen zählt er Johannes Kepler, der den Prozeß Erkenntnis so empfand, als leuchteten Bilder "in der Seele auf".

Daß auch das Umgekehrte gilt, daß wissenschaftliche Prinzipien sich ästhetisch erklären lassen, möchte Ernst Peter Fischer beweisen. Als Richard Feynman die nach ihm benannten Feynman-Diagramme erstmals vor Augen hatte, da "leuchtete das verdammte Ding". Robert Millikan bestimmte erfolgreich die Größe der Elementarladung. Die in seinem Nachlaß gefundenen Laboraufzeichnungen zeigen, daß er nicht alle seine Meßergebnisse bei der Veröffentlichung seiner Forschungen verwertet hatte, sondern nur diejenigen, die er für schön hielt; er hatte sie mit dem Vermerk "Beauty" gekennzeichnet.

Bedeutende Entdeckungen finden besonders schnell Verbreitung, wenn sie in gefälliger Form präsentiert werden können. Die Veröffentlichung von James Watson und Francis Crick aus dem Jahr 1953 über die Struktur der DNS fand, so vermutet Fischer, deshalb schnell allgemeine Anerkennung, weil die ästhetischen Qualitäten der Doppelhelix eine ansprechende Präsentation erlaubten.

Menschen empfinden bisweilen auch andere Menschen als schön. Fischer geht dem Geheimnis dieser Art von Schönheit nach. 1878 versuchte der Anthropologe Francis Galton durch Übereinanderbelichtung der Konterfeis mehrerer Gesetzesbrecher die typische Verbrechervisage zu synthetisieren. Zu seiner Überraschung mußte er jedoch feststellen, daß das Durchschnittsgesicht eher sympathisch wirkte. In den neunziger Jahren wurden die Versuche von Galton mit Computerunterstützung fortgesetzt und weitgehend bestätigt. Das Schönheitsideal kommt dem Durchschnittlichen sehr nahe.

Schönheit ist jedoch für die sexuelle Attraktivität nur bedingt von Bedeutung. Fischer belegt, daß die Evolution bei Nestflüchtern, bei denen die Weibchen nicht auf die Mithilfe von Männchen bei der Aufzucht angewiesen sind, die Entwicklung prächtiger Männchen gefördert hat. Bei den Nesthockern muß sich das Männchen an der Aufzucht beteiligen und ist weniger auffällig. Bis vor etwa 100000 Jahren, mutmaßt Fischer, zählte bei den Menschenmännchen jedenfalls Muskelschmalz. Nach und nach ersetzten dann intellektuelle Fähigkeiten die rohe Kraft, und grunzende Mannsbilder, die der Zeitschrift "Der Kraftathlet" entsprungen schienen, wurden für die Frauen uninteressanter. Sie begannen jetzt mehr auf soziale Kompetenzen zu achten.

Die Männerwelt reagierte auf die neuen Anforderungen dadurch, daß sie die Wahrnehmungsfähigkeit der Angebeteten ausschöpfte und ihr öfters etwas Neues präsentierte. Als die Männer klüger werden mußten, weil nach Fischers Ansicht die Frauen nur noch mit geistreichen und unterhaltsamen Gefährten zufrieden waren, tauchten erstmals in der Menschheitsgeschichte Kunstgegenstände auf. Die Suche nach dem Schönen und das Erschaffen von Schönem machen Wissenschaft und Kunst aus. Fischer hält eine Besinnung auf das Schöne für notwendig, wenn noch Fortschritte erzielt werden sollen, denn der Mensch mag nicht immer wissen, wer er ist und was er wirklich braucht, aber er weiß fast immer, was ihm gefällt. HARTMUT HÄNSEL

John D. Barrow: "Der kosmische Schnitt". Die Naturgesetze des Ästhetischen. Aus dem Englischen von Anita Ehlers. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1997. 336 S., 80 Abb., geb., 49,80 DM.

Ernst Peter Fischer: "Das Schöne und das Biest". Ästhetische Momente der Wissenschaft. Piper Verlag, München 1997. 284 S., 69 Abb., geb., 39,80 DM.

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