Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2008Bis zum letzten Schwanenauge
Deckweiß mit Abgründen: In Ali Mitgutschs frühem Bilderbuch "Kraxenflori" fällt ein Junge unter die Räuber und kommt heil davon. Leider bleibt die Neuausgabe des Buches etwas blass.
Mit Ali Mitgutschs "Kraxenflori" erscheint erfreulicherweise ein Buch neu, das bereits 1963 das erste Mal erschienen ist - keines der wortlosen Wimmelbücher, für die Mitgutsch berühmt ist, sondern eine spannende Geschichte mit Text. Erzählt wird die Geschichte des Kraxenflori, eines kleinen Bauernjungen aus früherer Zeit. Er gerät auf seiner Wanderung an eine Horde Räuber, flieht und hilft dann, die Halunken ins Gefängnis zu bringen. In einer Kutsche des Bürgermeisters reist er triumphierend nach Hause.
Es ist ein sehr bayerisches Buch, aber eines, das jeder verstehen kann. Ein Paar Wörter mögen befremden, aber das gibt sich bald. Die Verbundenheit mit seiner Heimat und der bayerischen Volkskunst zeigt Mitgutsch in seinem "Kraxenflori" auf mehrfache Weise. Der kleine Flori stellt mit seiner Familie in winterlicher Heimarbeit Hinterglasbilder und Holztäfelchen mit Andachtsmotiven her, die er in den umliegenden Dörfern verkauft. Der Junge wandert mit seiner Kraxe (Kiepe) durch eine überaus heitere Welt: Der Himmel ist bayerisch blau mit dicken Deckweißwolken, der Wald dicht und tannengrün, die Häuser haben rote Fensterläden mit Herzen, die Schweine laufen frei über den Hof.
Der Umgang mit Farben weckt Erinnerungen an die Dekors der Bauernmalerei, die Untergründe sind flächig und leuchtend mit wässrigem Pinsel aufgetragen, die Landschaftsbestandteile werden ohne viel Rücksicht auf die Perspektive hineingesetzt. Vor allem die Dorfansichten und Waldstücke wirken wie die reinste naive Malerei. Diese Technik ist im Werk Mitgutschs nicht auf den "Kraxenflori" beschränkt: Auch seine Wimmelbilder kann man gut mit den heiteren Darstellungen des städtischen und ländlichen Lebens begabter Autodidakten vergleichen. Auch hier ist die Vorstellungsweise eher flächenhaft, auch hier fehlen meist Schatten, sind die Farben kräftig und klar bis bunt, die Perspektive erhöht, aber ohne Fluchtpunkt. Was bei den naiven Malern jedoch unbewusst geschieht, ist bei Mitgutsch ein Kunstgriff.
Der Erfolg seiner Bilderbücher hat dazu geführt, dass er seinem Malstil über viele Jahre treu geblieben ist und wenig experimentiert hat. Eine zweischneidige Sache: Manchmal muss man älter werden, um sich freizuschwimmen, und das hat Mitgutsch mit seinen Traumkästchen getan, Dioramen mit Fundstücken, die er zu surrealen Bildern zusammenfügte.
Auch sie spielen mit Elementen der Volkskunst. Und etwas anderes ist gleich geblieben: Der scheinbar naive Blick hat seine Abgründe, im "Kraxenflori" nicht zuletzt durch die sehr unheimliche Gestaltung der Räubergruppe. Schade nur, dass das Bilderbuch nicht durchgängig farbig ist. Einige Seiten sind schwarzweiß, wie schon bei der Erstausgabe, jedoch ohne deren hervorragende Druckqualität zu erreichen. So fallen diese Seiten optisch stark ab, da die Kontraste zu schwach sind und die ganze Malweise Mitgutschs nicht auf Linien oder Helldunkel basiert, sondern auf Farben - Mitgutsch malt mit dem Pinsel, wo jeder andere zum dünnsten Fineliner greifen würde, bis hin zum Auge des allerkleinsten Schwans in der hintersten Bildecke. Schon deshalb hätte diese Neuauflage eine bessere Ausstattung verdient.
SILJA VON RAUCHHAUPT
Ali Mitgutsch: "Der Kraxenflori". Parabel Verlag, Weinheim 2008. 28 S., geb., 9,95 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deckweiß mit Abgründen: In Ali Mitgutschs frühem Bilderbuch "Kraxenflori" fällt ein Junge unter die Räuber und kommt heil davon. Leider bleibt die Neuausgabe des Buches etwas blass.
Mit Ali Mitgutschs "Kraxenflori" erscheint erfreulicherweise ein Buch neu, das bereits 1963 das erste Mal erschienen ist - keines der wortlosen Wimmelbücher, für die Mitgutsch berühmt ist, sondern eine spannende Geschichte mit Text. Erzählt wird die Geschichte des Kraxenflori, eines kleinen Bauernjungen aus früherer Zeit. Er gerät auf seiner Wanderung an eine Horde Räuber, flieht und hilft dann, die Halunken ins Gefängnis zu bringen. In einer Kutsche des Bürgermeisters reist er triumphierend nach Hause.
Es ist ein sehr bayerisches Buch, aber eines, das jeder verstehen kann. Ein Paar Wörter mögen befremden, aber das gibt sich bald. Die Verbundenheit mit seiner Heimat und der bayerischen Volkskunst zeigt Mitgutsch in seinem "Kraxenflori" auf mehrfache Weise. Der kleine Flori stellt mit seiner Familie in winterlicher Heimarbeit Hinterglasbilder und Holztäfelchen mit Andachtsmotiven her, die er in den umliegenden Dörfern verkauft. Der Junge wandert mit seiner Kraxe (Kiepe) durch eine überaus heitere Welt: Der Himmel ist bayerisch blau mit dicken Deckweißwolken, der Wald dicht und tannengrün, die Häuser haben rote Fensterläden mit Herzen, die Schweine laufen frei über den Hof.
Der Umgang mit Farben weckt Erinnerungen an die Dekors der Bauernmalerei, die Untergründe sind flächig und leuchtend mit wässrigem Pinsel aufgetragen, die Landschaftsbestandteile werden ohne viel Rücksicht auf die Perspektive hineingesetzt. Vor allem die Dorfansichten und Waldstücke wirken wie die reinste naive Malerei. Diese Technik ist im Werk Mitgutschs nicht auf den "Kraxenflori" beschränkt: Auch seine Wimmelbilder kann man gut mit den heiteren Darstellungen des städtischen und ländlichen Lebens begabter Autodidakten vergleichen. Auch hier ist die Vorstellungsweise eher flächenhaft, auch hier fehlen meist Schatten, sind die Farben kräftig und klar bis bunt, die Perspektive erhöht, aber ohne Fluchtpunkt. Was bei den naiven Malern jedoch unbewusst geschieht, ist bei Mitgutsch ein Kunstgriff.
Der Erfolg seiner Bilderbücher hat dazu geführt, dass er seinem Malstil über viele Jahre treu geblieben ist und wenig experimentiert hat. Eine zweischneidige Sache: Manchmal muss man älter werden, um sich freizuschwimmen, und das hat Mitgutsch mit seinen Traumkästchen getan, Dioramen mit Fundstücken, die er zu surrealen Bildern zusammenfügte.
Auch sie spielen mit Elementen der Volkskunst. Und etwas anderes ist gleich geblieben: Der scheinbar naive Blick hat seine Abgründe, im "Kraxenflori" nicht zuletzt durch die sehr unheimliche Gestaltung der Räubergruppe. Schade nur, dass das Bilderbuch nicht durchgängig farbig ist. Einige Seiten sind schwarzweiß, wie schon bei der Erstausgabe, jedoch ohne deren hervorragende Druckqualität zu erreichen. So fallen diese Seiten optisch stark ab, da die Kontraste zu schwach sind und die ganze Malweise Mitgutschs nicht auf Linien oder Helldunkel basiert, sondern auf Farben - Mitgutsch malt mit dem Pinsel, wo jeder andere zum dünnsten Fineliner greifen würde, bis hin zum Auge des allerkleinsten Schwans in der hintersten Bildecke. Schon deshalb hätte diese Neuauflage eine bessere Ausstattung verdient.
SILJA VON RAUCHHAUPT
Ali Mitgutsch: "Der Kraxenflori". Parabel Verlag, Weinheim 2008. 28 S., geb., 9,95 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Silja von Rauchhaupt freut sich wie ein Kind über die Neuausgabe des erstmals 1963 erschienenen Bilderbuches von Ali Mitgutsch. Die Geschichte um einen Bauernjungen, der in Räuberhände fällt und am Ende triumphiert, findet sie spannend anzuschauen und zu lesen. Die stark bayerische Note des Buches, die die Rezensentin an einigen wenigen befremdenden Wörtern und dem naiven Strich festmacht, scheint sie anzusprechen. Die flächige, leuchtende Farbgebung erinnert sie an Dekors der Bauernmalerei. Allerdings weiß Rauchhaupt, dass Mitgutsch hier einen Kunstgriff anwendet. Einen Hinweis dafür erkennt sie in der Abgründe eröffnenden Gestaltung der Räuber. Einen Wermutstropfen muss die Rezensentin auch schlucken: Weil das Buch die Druckqualität der Erstausgabe nicht erreicht, die mit starken Kontrasten aufwartete, empfindet sie den schwarzweißen Teil als kontrastarm.
© Perlentaucher Medien GmbH
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