Seit Platon erklärte man sich Kreativität durch die Inspirations-Theorie, derzufolge der Künstler sein Werk nicht eigenständig erschafft, sondern vom Gott oder einer Muse empfängt und dann weitergibt. Daneben gab es immer auch die Sicht, den Künstler als verkleinertes Abbild des biblischen Schöpfergott zu verstehen. Beide Argumentationsmodelle kranken an ihrer Einseitigkeit, weil sie entweder den passiven oder den aktiven Anteil am kreativen Prozess ungebührlich verabsolutieren, obwohl dieser sich im weiten Feld zwischen Handlung und Widerfahrnis ereignet. Hier setzt nun die Studie von Lenz Prütting an, indem sie durch genaue phänomenologische und sprachkritische Analysen die einzelnen Entwicklungs-Stadien kreativer Prozesse beschreibt. Sie schildert zunächst anhand vieler Selbstzeugnisse die festen Strukturen, die der kreative Einfall als ein autoritätsträchtiges Widerfahrnis entfaltet, schildert aber auch die Krisen und Blockaden, die den kreativen Prozess beeinträchtigen und sogar zur puren Qual machen können. Im zweiten Teil des Buches wird durch eine neu konzipierte Theorie "poietischer Hermeneutik" detailliert aufgezeigt, dass die aus Platons Ion-Dialog abgeleitete Forderung nach "Werktreue" im Umgang mit Spielvorlagen prinzipiell unerfüllbar ist.