"Bilderbuch des Monats August 2022" - Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur»Krieg hat keine Arme oder Beine und schon gar keine Flügel. Er hat auch keinen Vater, keine Mutter, kein Zuhause und verdient keine Liebe. Krieg ist hässlich, traurig und alt; und schon oft ist er verrückt geworden...«In einer Welt voller Fußangeln erinnert uns José Jorge Letrias poetischer Text, dass Krieg immer leise und unerkannt daherkommt. Die aphoristischen Sätze, die alle formelgleich beginnen, reflektieren die zeitlosen, tiefgründigen und mächtigen Gedanken und Bilder über Kriegsursachen, den Charakter des Krieges, seine Macht, seine Schrecken und seine enge Verflechtung mit den Menschen.André Letria versteht es als Illustrator, dieses heikle Thema künstlerisch hervorragend und mit atmosphärischen Dichte umzusetzen, die dem Buch zu Recht über ein Dutzend internationale Auszeichnungen eingebracht hat.»Ein poetisches Bilderbuch über den Krieg, das zur Diskussion und zum Nachdenken einlädt.« (Mundo Azul)
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Christine Knödler schaut sich vier Bilderbücher an, die versuchen, Kindern den Krieg zu erklären. Alle vier hält die Kritikerin für gelungen, sie muten allerdings Kindern einiges zu. José Jorge Letria, Präsident des portugiesischen Schriftstellerverbands, und sein Sohn, der Illustrator André Letria wählen eine ganz eigene Ästhetik, um den Krieg darzustellen, staunt die Kritikerin: Der Krieg tritt auf als Mann mit Federbusch und Helm, spinnenartige Wesen kriechen durch den Wald, begleitet von lyrischen Sätzen wie "Der Krieg ist Stille", resümiert Knödler. Die abstrahierten, zweifarbigen Bilder von Bomben und durch die Luft gewirbelten Menschen erscheinen ihr wie ein "schrecklich schöner Blickfang", allerdings vor allem für Erwachsene.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2022Stell dir vor, es ist Krieg
Seit Putins Angriff auf die Ukraine versuchen immer mehr Bilderbücher zu erklären, was Krieg bedeutet.
Geht das, ohne zu verstören?
VON CHRISTINE KNÖDLER
Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, ist das Thema Krieg unerbittlich ins kollektive Bewusstsein gerückt. Auch die Sparte Bilderbuch schaut hin. Dabei mag sich die immer aktuelle Frage, was Kindern zumutbar ist und was nicht, besonders aufdrängen. Selten ist allerdings die Schnittmenge dessen, was Kinder und Erwachsene gleichermaßen beschäftigt, so groß wie beim Thema Krieg. Der Grad der Ohnmacht und Machtlosigkeit mag unterschiedlich sein, aber das Gefühl von Hilflosigkeit hält sich nicht an Altersgrenzen.
Wie aber erklärt man Kindern den Krieg? Ganz sicher nicht im Schonwaschgang. Krieg lässt sich nicht weichspülen. Für die Sparte Bilderbuch ist das eine besondere Herausforderung. Wo sie bewältigt wird, mutet das Bilderbuch seinen Lesern etwas zu. Nicht zum Selbstzweck, sondern aus Gründen des Respekts. Wo sie formal angenommen wird, entwickeln Bilderbücher eine eigene Ästhetik für die Darstellung des Kriegs.
Vor 28 Jahren erschien das Bilderbuch „Floris & Maja“ von der renommierten Bilderbuchkünstlerin Elzbieta. 1936 in Polen geboren, ein Kriegskind, lebte sie später im Elsass, in England und Paris. Das Werk der 2018 verstorbenen Illustratorin und Autorin umfasst mehr als 40 Bilderbücher, aus aktuellem Anlass hat der Moritz Verlag eins davon wieder aufgelegt. „Floris und Maja“ leben diesseits und jenseits des Bachs, sie sind Freunde. Wenn sie groß sind, wollen sie heiraten. Bis es so weit ist, spielen sie Tag für Tag miteinander. Bis der Krieg kommt, und auf einen Schlag alles verändert.
Der Bach ist jetzt eine stacheldrahtbewehrte Grenze und Floris darf nicht mal mehr Majas Namen erwähnen. „Aber warum denn nicht?“, fragt er seine Mutter. „Weil der Krieg es verboten hat.“ Floris stellt Fragen: „Wo ist der Krieg?“ Er möchte ihn vertreiben, aber das geht nicht. Kindererfahrung und Kinderfragen sind der Ausgangspunkt für ein ehrliches, sich herantastendes Erzählen über den Krieg. Elzbieta lässt jede einzelne Szene hinter einem Fenster spielen. Wie auf einer Guckkastenbühne gibt sie dem Geschehen einen Rahmen. Das schafft die zuweilen notwendige Distanz und suggeriert zugleich Geborgenheit.
Nur auf einer Seite wird der Rahmen gesprengt: „Der Krieg war unheimlich stark! Er beherrschte alle und nahm keine Rücksicht. Er machte schrecklichen Lärm. Er steckte alles an und schlug Häuser kaputt.“ Ein seitenfüllender apokalyptischer Reiter, ein roter Hase mit Schwert, fegt über gefallene Hasen hinweg. Der Krieg ist hasen-, also menschengemacht. Sogar diese Einsicht mutet Elzbieta ihren Lesern zu: kindgerecht und zeitlos.
Eine aktuelle Antwort auf den Krieg in der Ukraine aus eigener Anschauung ist „Als der Krieg nach Rondo kam“ des ukrainischen Künstlerpaars Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw. In einer kleinen Stadt leben drei Freunde. Ihre Welt ist in Ordnung, auch die grafischen Illustrationen sind in Ordnung, aufgeräumt und hell. Doch mit dem Krieg kommt die Dunkelheit. Der Krieg hat Dornen. Panzer mit Augen und Mäulern rollen durch die Straßen. Der Krieg, so beschreibt es der Text, ist riesig, kann alle treffen. Er kann immer und überall zuschlagen. Rondo ist ein Ort der Fantasie und der Kunst. Die Freunde Danko, Fabian und Sirka sind Fantasiewesen, entsprechend fantastisch begegnen sie dem Krieg. Erst bitten sie ihn, wieder zu gehen. Als das nicht funktioniert, antworten sie dem Krieg in dessen Sprache. Sie sammeln Steine und Nägel, beschießen ihn. Schließlich bauen die drei eine Lichtmaschine, deren Licht die Finsternis vertreibt und den Krieg in die Flucht schlägt. Die Bilder lichten sich wieder, es gibt Zuversicht.
Auch José Jorge Letria, Präsident des portugiesischen Schriftstellerverbands, und sein Sohn, der Illustrator André Letria, wählen den Kunstgriff der Personifikation. Der Krieg ist die einzige Figur in diesem Ein-Mann-Stück, in dem die Schönheit der Kunst der Zerstörungswut des Kriegs entgegentritt. Auf hoher schwarzer Klippe steht ein Mann mit Federbusch und Helm. Er ist „der Krieg“. Auf dunklen Seiten kriechen spinnenartige Wesen und Schlagen durch den Wald, sie verdichten sich zu einem Vogelkopf mit Schnabel. Erst an dieser Stelle fallen die ersten Worte: „Der Krieg zerreißt die Tage wie eine Krankheit, die sich schnell und leise verbreitet. Der Krieg hört nicht, sieht nicht und fühlt nicht.“ Er wird in knappen Sätzen eingefangen: „Der Krieg ist schlimmer als jede Angst“, „Der Krieg ist Lärm und Chaos“, „Der Krieg ist Stille“.
Das liest sich wie ein Bühnenmonolog oder ein Gedicht. Letria setzt auf die Wucht der Worte und der Sprachbilder. Auch die Bilder antworten in eigener Ästhetik auf den Krieg. Wenn Flugzeuggeschwader den Himmel verdunkeln und Bomben zu Bombenteppichen werden, wenn Soldaten in Reih und Glied stehen oder unzählige Menschen durch die Luft gewirbelt werden, ergibt das ein Muster: konsequent abstrahiert, in reduzierter Zweifarbigkeit ist das ein schrecklich schöner Blickfang, vor allem für Erwachsene.
Und schließlich kommt in einem Bilderbuch ein kleines Mädchen zu Wort. „Der Tag, an dem der Krieg kam“ ist ein ganz normaler, vielleicht ein besonders schöner Tag: „An dem Tag (...) standen Blumen auf der Fensterbank und mein Vater sang meinen kleinen Bruder zurück in den Schlaf.“ Das kleine, bezopfte Mädchen geht zur Schule, lernt etwas über Vulkane, es singt, es malt ein Bild. Ganz am Ende wird es wieder etwas über Vulkane lernen, singen und Vögel malen können. Dazwischen hat das Mädchen alles verloren. Eine Bombe zerstört das Haus, seine Eltern und der kleine Bruder kommen ums Leben. Dazwischen liegt eine Flucht, mutterseelenallein, und die Erfahrung, im neuen Land zunächst abgewiesen zu werden. Dazwischen liegt aber auch die Begegnung mit einem Jungen, der ihm einen Stuhl bringt, damit es wieder zur Schule gehen kann.
Von diesen vieren ist es das Buch, das den herkömmlichen Erwartungen an ein Bilderbuch am ehesten entspricht. Es ist klassisch erzählt, farbenkräftig und unmittelbar zugänglich. Metaphern sind sparsam gesetzt, der Stuhl als Symbol fürs Bleiben-Dürfen gehört dazu. Wenn die Worte versagen, wird das ausgesprochen: „Ich finde keine Worte für das Loch, das einmal mein Zuhause war. Was ich sagen kann ist: Der Krieg hat alles genommen. Der Krieg hat jeden genommen.“ Nicola Davies erzählt diese Geschichte wie die Zeugenaussage eines Kindes für Kinder. Das ist glaubwürdig und unverstellt in Ton und Strich, die Illustrationen von Rebecca Cobb folgen dem Gestus von Kinderzeichnungen. Und doch bleibt da immer dieser Satz: Krieg ist nicht zu verstehen. Es ist womöglich eine der wahrhaftigsten Beschreibungen.
Mit solchen Sätzen, Gedanken, Bildern, kann man Kindern vom Krieg erzählen und, Blick für Blick, den Krieg vielleicht ansatzweise erklären. Ganz sicher lässt sich so mit Kindern über den Krieg sprechen. Wegschauen ist dann nicht mehr möglich. Vor allem ist es nicht mehr nötig.
Elzbieta: Floris & Maja. Moritz, Frankfurt a. M. 1994/2022. 38 S., 12,95 Euro. Ab 5 Jahren.
J. J. Letria, A. Letria: Der Krieg. Midas, Zürich 2022. 64 S., 18 Euro. Ab 9 Jahren.
R. Romanyschyn, A. Lessiw: Als der Krieg nach Rondo kam. Gerstenberg, Hildesheim 2022. 40 S., 16 Euro. Ab 5 Jahren.
N. Davies, R. Cobb: Der Tag, an dem der Krieg kam. Weissbooks, Berlin 2022. 32 S., 18 Euro. Ab 4 J.
Die drei Freunde aus der schönen
Stadt Rondo bitten
den Krieg, wieder zu gehen
Metaphern sind sparsam gesetzt,
der Stuhl als Symbol fürs
Bleibendürfen gehört dazu
Für das geflüchtete Mädchen
gibt es in „Der Tag, als der
Krieg kam“ erst keinen Stuhl
in der neuen Schule.
Der apokalyptische Hase
in „Floris & Maja“.
Drei fantasievolle Freunde
fliehen in „Als der Krieg nach Rondo kam“ vor dem Grauen.
Und in „Der Krieg“ findet das Vater-Sohn-Duo Letria eine
reduzierte Ästhetik.
Illustrationen: R. Cobb/Weissbooks,
Elzbieta/Moritz Verlag,
Romanyschyn/ Lessiw/Gerstenberg,
J. J. und A. Letria/Midas.
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Seit Putins Angriff auf die Ukraine versuchen immer mehr Bilderbücher zu erklären, was Krieg bedeutet.
Geht das, ohne zu verstören?
VON CHRISTINE KNÖDLER
Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, ist das Thema Krieg unerbittlich ins kollektive Bewusstsein gerückt. Auch die Sparte Bilderbuch schaut hin. Dabei mag sich die immer aktuelle Frage, was Kindern zumutbar ist und was nicht, besonders aufdrängen. Selten ist allerdings die Schnittmenge dessen, was Kinder und Erwachsene gleichermaßen beschäftigt, so groß wie beim Thema Krieg. Der Grad der Ohnmacht und Machtlosigkeit mag unterschiedlich sein, aber das Gefühl von Hilflosigkeit hält sich nicht an Altersgrenzen.
Wie aber erklärt man Kindern den Krieg? Ganz sicher nicht im Schonwaschgang. Krieg lässt sich nicht weichspülen. Für die Sparte Bilderbuch ist das eine besondere Herausforderung. Wo sie bewältigt wird, mutet das Bilderbuch seinen Lesern etwas zu. Nicht zum Selbstzweck, sondern aus Gründen des Respekts. Wo sie formal angenommen wird, entwickeln Bilderbücher eine eigene Ästhetik für die Darstellung des Kriegs.
Vor 28 Jahren erschien das Bilderbuch „Floris & Maja“ von der renommierten Bilderbuchkünstlerin Elzbieta. 1936 in Polen geboren, ein Kriegskind, lebte sie später im Elsass, in England und Paris. Das Werk der 2018 verstorbenen Illustratorin und Autorin umfasst mehr als 40 Bilderbücher, aus aktuellem Anlass hat der Moritz Verlag eins davon wieder aufgelegt. „Floris und Maja“ leben diesseits und jenseits des Bachs, sie sind Freunde. Wenn sie groß sind, wollen sie heiraten. Bis es so weit ist, spielen sie Tag für Tag miteinander. Bis der Krieg kommt, und auf einen Schlag alles verändert.
Der Bach ist jetzt eine stacheldrahtbewehrte Grenze und Floris darf nicht mal mehr Majas Namen erwähnen. „Aber warum denn nicht?“, fragt er seine Mutter. „Weil der Krieg es verboten hat.“ Floris stellt Fragen: „Wo ist der Krieg?“ Er möchte ihn vertreiben, aber das geht nicht. Kindererfahrung und Kinderfragen sind der Ausgangspunkt für ein ehrliches, sich herantastendes Erzählen über den Krieg. Elzbieta lässt jede einzelne Szene hinter einem Fenster spielen. Wie auf einer Guckkastenbühne gibt sie dem Geschehen einen Rahmen. Das schafft die zuweilen notwendige Distanz und suggeriert zugleich Geborgenheit.
Nur auf einer Seite wird der Rahmen gesprengt: „Der Krieg war unheimlich stark! Er beherrschte alle und nahm keine Rücksicht. Er machte schrecklichen Lärm. Er steckte alles an und schlug Häuser kaputt.“ Ein seitenfüllender apokalyptischer Reiter, ein roter Hase mit Schwert, fegt über gefallene Hasen hinweg. Der Krieg ist hasen-, also menschengemacht. Sogar diese Einsicht mutet Elzbieta ihren Lesern zu: kindgerecht und zeitlos.
Eine aktuelle Antwort auf den Krieg in der Ukraine aus eigener Anschauung ist „Als der Krieg nach Rondo kam“ des ukrainischen Künstlerpaars Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw. In einer kleinen Stadt leben drei Freunde. Ihre Welt ist in Ordnung, auch die grafischen Illustrationen sind in Ordnung, aufgeräumt und hell. Doch mit dem Krieg kommt die Dunkelheit. Der Krieg hat Dornen. Panzer mit Augen und Mäulern rollen durch die Straßen. Der Krieg, so beschreibt es der Text, ist riesig, kann alle treffen. Er kann immer und überall zuschlagen. Rondo ist ein Ort der Fantasie und der Kunst. Die Freunde Danko, Fabian und Sirka sind Fantasiewesen, entsprechend fantastisch begegnen sie dem Krieg. Erst bitten sie ihn, wieder zu gehen. Als das nicht funktioniert, antworten sie dem Krieg in dessen Sprache. Sie sammeln Steine und Nägel, beschießen ihn. Schließlich bauen die drei eine Lichtmaschine, deren Licht die Finsternis vertreibt und den Krieg in die Flucht schlägt. Die Bilder lichten sich wieder, es gibt Zuversicht.
Auch José Jorge Letria, Präsident des portugiesischen Schriftstellerverbands, und sein Sohn, der Illustrator André Letria, wählen den Kunstgriff der Personifikation. Der Krieg ist die einzige Figur in diesem Ein-Mann-Stück, in dem die Schönheit der Kunst der Zerstörungswut des Kriegs entgegentritt. Auf hoher schwarzer Klippe steht ein Mann mit Federbusch und Helm. Er ist „der Krieg“. Auf dunklen Seiten kriechen spinnenartige Wesen und Schlagen durch den Wald, sie verdichten sich zu einem Vogelkopf mit Schnabel. Erst an dieser Stelle fallen die ersten Worte: „Der Krieg zerreißt die Tage wie eine Krankheit, die sich schnell und leise verbreitet. Der Krieg hört nicht, sieht nicht und fühlt nicht.“ Er wird in knappen Sätzen eingefangen: „Der Krieg ist schlimmer als jede Angst“, „Der Krieg ist Lärm und Chaos“, „Der Krieg ist Stille“.
Das liest sich wie ein Bühnenmonolog oder ein Gedicht. Letria setzt auf die Wucht der Worte und der Sprachbilder. Auch die Bilder antworten in eigener Ästhetik auf den Krieg. Wenn Flugzeuggeschwader den Himmel verdunkeln und Bomben zu Bombenteppichen werden, wenn Soldaten in Reih und Glied stehen oder unzählige Menschen durch die Luft gewirbelt werden, ergibt das ein Muster: konsequent abstrahiert, in reduzierter Zweifarbigkeit ist das ein schrecklich schöner Blickfang, vor allem für Erwachsene.
Und schließlich kommt in einem Bilderbuch ein kleines Mädchen zu Wort. „Der Tag, an dem der Krieg kam“ ist ein ganz normaler, vielleicht ein besonders schöner Tag: „An dem Tag (...) standen Blumen auf der Fensterbank und mein Vater sang meinen kleinen Bruder zurück in den Schlaf.“ Das kleine, bezopfte Mädchen geht zur Schule, lernt etwas über Vulkane, es singt, es malt ein Bild. Ganz am Ende wird es wieder etwas über Vulkane lernen, singen und Vögel malen können. Dazwischen hat das Mädchen alles verloren. Eine Bombe zerstört das Haus, seine Eltern und der kleine Bruder kommen ums Leben. Dazwischen liegt eine Flucht, mutterseelenallein, und die Erfahrung, im neuen Land zunächst abgewiesen zu werden. Dazwischen liegt aber auch die Begegnung mit einem Jungen, der ihm einen Stuhl bringt, damit es wieder zur Schule gehen kann.
Von diesen vieren ist es das Buch, das den herkömmlichen Erwartungen an ein Bilderbuch am ehesten entspricht. Es ist klassisch erzählt, farbenkräftig und unmittelbar zugänglich. Metaphern sind sparsam gesetzt, der Stuhl als Symbol fürs Bleiben-Dürfen gehört dazu. Wenn die Worte versagen, wird das ausgesprochen: „Ich finde keine Worte für das Loch, das einmal mein Zuhause war. Was ich sagen kann ist: Der Krieg hat alles genommen. Der Krieg hat jeden genommen.“ Nicola Davies erzählt diese Geschichte wie die Zeugenaussage eines Kindes für Kinder. Das ist glaubwürdig und unverstellt in Ton und Strich, die Illustrationen von Rebecca Cobb folgen dem Gestus von Kinderzeichnungen. Und doch bleibt da immer dieser Satz: Krieg ist nicht zu verstehen. Es ist womöglich eine der wahrhaftigsten Beschreibungen.
Mit solchen Sätzen, Gedanken, Bildern, kann man Kindern vom Krieg erzählen und, Blick für Blick, den Krieg vielleicht ansatzweise erklären. Ganz sicher lässt sich so mit Kindern über den Krieg sprechen. Wegschauen ist dann nicht mehr möglich. Vor allem ist es nicht mehr nötig.
Elzbieta: Floris & Maja. Moritz, Frankfurt a. M. 1994/2022. 38 S., 12,95 Euro. Ab 5 Jahren.
J. J. Letria, A. Letria: Der Krieg. Midas, Zürich 2022. 64 S., 18 Euro. Ab 9 Jahren.
R. Romanyschyn, A. Lessiw: Als der Krieg nach Rondo kam. Gerstenberg, Hildesheim 2022. 40 S., 16 Euro. Ab 5 Jahren.
N. Davies, R. Cobb: Der Tag, an dem der Krieg kam. Weissbooks, Berlin 2022. 32 S., 18 Euro. Ab 4 J.
Die drei Freunde aus der schönen
Stadt Rondo bitten
den Krieg, wieder zu gehen
Metaphern sind sparsam gesetzt,
der Stuhl als Symbol fürs
Bleibendürfen gehört dazu
Für das geflüchtete Mädchen
gibt es in „Der Tag, als der
Krieg kam“ erst keinen Stuhl
in der neuen Schule.
Der apokalyptische Hase
in „Floris & Maja“.
Drei fantasievolle Freunde
fliehen in „Als der Krieg nach Rondo kam“ vor dem Grauen.
Und in „Der Krieg“ findet das Vater-Sohn-Duo Letria eine
reduzierte Ästhetik.
Illustrationen: R. Cobb/Weissbooks,
Elzbieta/Moritz Verlag,
Romanyschyn/ Lessiw/Gerstenberg,
J. J. und A. Letria/Midas.
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"Was ist Krieg? In eindringlichen Bildern sowie kurzen Sätzen wird gezeigt, was der Krieg nicht kann, was er jedoch anrichtet. Dabei ist der Krieg ein beständiger Begleiter der Menschen. Poetisch in Text und Bild lässt das Bilderbuch Raum für Gedanken, Gefühle und lädt zu einem (philosophischen) Dialog ein. Ein wichtiges Bilderbuch!" Deutsche Akademie für Kinder- u. Jugendliteratur "Letria setzt auf die Wucht der Worte und der Sprachbilder...ein schrecklich schöner Blickfang...in dem die Schönheit der Kunst der Zerstörungswut des Krieges entgegentritt." Süddeutsche Zeitung