Die Steuerfahnderin Anna wird auf den steinreichen John Law angesetzt. Sie soll herausfinden, was der rätselhafte Kryptograph, der Erfinder einer sicheren elektronischen Währung, zu verbergen hat. Weil er so mächtig ist, traut ihm niemand über den Weg. Aber Anna fühlt sich von Law angezogen. Sie weiß, dass sie ihn verstehen muss, um ihn überführen zu können. Es ist eine Welt, in der es keine Sicherheit mehr gibt weder für die Liebe noch für das Geld, denn der so sicher gedachte Währungscode des Kryptographen wird geknackt.Tobias Hill erzählt mit enormer Spannung und poetischer Genauigkeit vom Zusammenspiel von Geld und Moral, Vertrauen und Liebe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Das Buch zur Finanzmarktkrise: Tobias Hill wirft einen Blick in die Zukunft des virtuellen Geldes - und findet dort nur Verrat und enttäuschte Liebe.
Von Hannes Hintermeier
Schriftsteller und ihre Zuneigung zum Thema Geld, das geht nicht immer gut aus. Denn Geld erwidert diese Zuneigung häufig nicht, verwehrt Einblicke in seine Seelenmechanik. Auch der Titelheld des vorliegenden Romans bleibt ein Rätsel, ganz wie es seinem ursprünglichen Beruf als Kryptographen entspricht. John Law ist ein Midas des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ein Mann, der mit der virtuellen Währung SoftGold alle anderen Währungen pulverisiert hat und zum reichsten Mann des Planeten aufstieg. Ein Nachfahre des schottischen Ökonomen John Law, der zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts das Credo ausgab, die Wirtschaft floriere nur dann, wenn ausreichend Vertrauen in die Währung vorhanden sei. Law ist zudem ein Echo auf eine literarische Figur - ein übergroßer Gatsby im London des Jahres 2021, in der "Hauptstadt des Geldes".
Noch gibt es die Steuerfahndung Ihrer Majestät (ja, die regiert immer noch), und diese jagt die aufstrebende Beamtin Anna Moore auf den Quadrillionär, weil eine Unregelmäßigkeit aufgetaucht ist, ein winziges Millionenbeträgchen, das Law - verblüffend laienhaft - an der Steuer vorbeigeschleust hat. Beraten von ihrem früheren Ausbilder und Geliebten Lawrence, bedrängt vom ambitionierten Kollegen Carl, will die attraktive Enddreißigerin Fall und Mann ganz für sich allein. Dabei ist sie in ihrem Leben nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen; obendrein liest sie noch Gedichte, T.S. Eliot zum Beispiel.
Naturgemäß erliegt sie dem charismatischen Steuerbetrüger. Auch die Sprache des Finanzamts - "alt, gestelzt und gnadenlos präzise" - gibt sie in seiner Gegenwart umstandslos auf. Laws Glanz färbt auf sie ab. Sein Händedruck ist weich, "verletzlich", seine Augen sind "kennedy-grau". Er wirkt wie "ein Mann, der vor nichts Angst hat", und trotzdem wie einer, "der auf seinen Sturz wartet" - Letzteres ist eine Reminiszenz an eine Selbstbeschreibung von Bill Gates. Anna ist fasziniert und abgestoßen von der Cyber-Dekadenz-Entourage in Laws Glaspalast Erith Reach. Wo früher die Docklands waren, hat er ein künstliches Xanadu mit eigenem Binnenklima erschaffen.
Law hat schon im Alter von zehn Jahren den Maschinencode beherrscht, mit dreizehn verbreitete er einen Virus namens Pandora, der viel Schaden anrichtete. Nach SoftGold soll er einen Code entwickelt haben, der mittels Gentechnik in menschliche Zellen implantiert worden ist. Gerüchte von Krebsfällen häufen sich. Derweil arbeitet sich die entflammte Anna durch ihren Steuerfahnder-Fragenkatalog. Sie "würde gern wissen, an wen John Law denkt, wenn er an Geld denkt". Oder: "Um die Reichen zu verstehen, muss man verstehen, für wen sie reich sind." Nach zweihundert langen Seiten die Katastrophe: Irgendjemand muss den Code von SoftGold geknackt haben. Die Weltwirtschaft kollabiert, Law verschwindet spurlos. Die restlichen hundert Seiten vergehen mit Annas Suche. Schließlich findet sie Law auf einer Hebriden-Insel, bei seiner Mutter. Man spricht sich aus. Von Verrat und Vertrauen ist die Rede. Dabei hat Laws Exfrau die Misere längst benannt: "Ich habe nie gewusst, wann ich ihm vertrauen konnte."
Der Brite Tobias Hill, Jahrgang 1970, ist zunächst als Lyriker hervorgetreten, der sich dann der Prosa zugewandt hat. Die Reaktionen auf den 2003 erschienenen Roman waren durchwegs positiv. Renommierte Rezensentinnen lobten verdeckte Hinweistechnik und Einfühlungsvermögen in die weibliche Psyche. Mag sein, dass der schwebende, opake Ton auf dem Weg ins Deutsche zwangsläufig verlorengeht, er wirkt in der Übersetzung bemüht und bedeutungsschwanger. Die pseudophilosophischen Dialoge des Liebespaares in Lauerstellung sind strapaziös. Ein Beispiel. Law: "Was keiner sieht, kann auch keiner verhindern." - Moore: "Sie schon." Law: "Aber ich werde die Menschen kaum ändern können. Und Gott ist kein Steuerfahnder." Das Vertrauensmotiv wird so breit gewalzt wie die Themse an der Mündung, und in einem Binsenkörbchen schaukelt der Roman durchs Ziel. "Man muss vertrauen, denkt sie. Weil man Liebe braucht, man braucht Liebe, auch wenn man den hasst, den man liebt. Und in der Liebe ist Vertrauen alles." Früher hätte man so etwas trivial genannt.
Tobias Hill: "Der Kryptograph". Roman. Aus dem Englischen von Regina Rawlinson. C. Bertelsmann Verlag, München 2009. 319 S., geb. 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Buch zur Finanzmarktkrise: Tobias Hill wirft einen Blick in die Zukunft des virtuellen Geldes - und findet dort nur Verrat und enttäuschte Liebe.
Von Hannes Hintermeier
Schriftsteller und ihre Zuneigung zum Thema Geld, das geht nicht immer gut aus. Denn Geld erwidert diese Zuneigung häufig nicht, verwehrt Einblicke in seine Seelenmechanik. Auch der Titelheld des vorliegenden Romans bleibt ein Rätsel, ganz wie es seinem ursprünglichen Beruf als Kryptographen entspricht. John Law ist ein Midas des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ein Mann, der mit der virtuellen Währung SoftGold alle anderen Währungen pulverisiert hat und zum reichsten Mann des Planeten aufstieg. Ein Nachfahre des schottischen Ökonomen John Law, der zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts das Credo ausgab, die Wirtschaft floriere nur dann, wenn ausreichend Vertrauen in die Währung vorhanden sei. Law ist zudem ein Echo auf eine literarische Figur - ein übergroßer Gatsby im London des Jahres 2021, in der "Hauptstadt des Geldes".
Noch gibt es die Steuerfahndung Ihrer Majestät (ja, die regiert immer noch), und diese jagt die aufstrebende Beamtin Anna Moore auf den Quadrillionär, weil eine Unregelmäßigkeit aufgetaucht ist, ein winziges Millionenbeträgchen, das Law - verblüffend laienhaft - an der Steuer vorbeigeschleust hat. Beraten von ihrem früheren Ausbilder und Geliebten Lawrence, bedrängt vom ambitionierten Kollegen Carl, will die attraktive Enddreißigerin Fall und Mann ganz für sich allein. Dabei ist sie in ihrem Leben nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen; obendrein liest sie noch Gedichte, T.S. Eliot zum Beispiel.
Naturgemäß erliegt sie dem charismatischen Steuerbetrüger. Auch die Sprache des Finanzamts - "alt, gestelzt und gnadenlos präzise" - gibt sie in seiner Gegenwart umstandslos auf. Laws Glanz färbt auf sie ab. Sein Händedruck ist weich, "verletzlich", seine Augen sind "kennedy-grau". Er wirkt wie "ein Mann, der vor nichts Angst hat", und trotzdem wie einer, "der auf seinen Sturz wartet" - Letzteres ist eine Reminiszenz an eine Selbstbeschreibung von Bill Gates. Anna ist fasziniert und abgestoßen von der Cyber-Dekadenz-Entourage in Laws Glaspalast Erith Reach. Wo früher die Docklands waren, hat er ein künstliches Xanadu mit eigenem Binnenklima erschaffen.
Law hat schon im Alter von zehn Jahren den Maschinencode beherrscht, mit dreizehn verbreitete er einen Virus namens Pandora, der viel Schaden anrichtete. Nach SoftGold soll er einen Code entwickelt haben, der mittels Gentechnik in menschliche Zellen implantiert worden ist. Gerüchte von Krebsfällen häufen sich. Derweil arbeitet sich die entflammte Anna durch ihren Steuerfahnder-Fragenkatalog. Sie "würde gern wissen, an wen John Law denkt, wenn er an Geld denkt". Oder: "Um die Reichen zu verstehen, muss man verstehen, für wen sie reich sind." Nach zweihundert langen Seiten die Katastrophe: Irgendjemand muss den Code von SoftGold geknackt haben. Die Weltwirtschaft kollabiert, Law verschwindet spurlos. Die restlichen hundert Seiten vergehen mit Annas Suche. Schließlich findet sie Law auf einer Hebriden-Insel, bei seiner Mutter. Man spricht sich aus. Von Verrat und Vertrauen ist die Rede. Dabei hat Laws Exfrau die Misere längst benannt: "Ich habe nie gewusst, wann ich ihm vertrauen konnte."
Der Brite Tobias Hill, Jahrgang 1970, ist zunächst als Lyriker hervorgetreten, der sich dann der Prosa zugewandt hat. Die Reaktionen auf den 2003 erschienenen Roman waren durchwegs positiv. Renommierte Rezensentinnen lobten verdeckte Hinweistechnik und Einfühlungsvermögen in die weibliche Psyche. Mag sein, dass der schwebende, opake Ton auf dem Weg ins Deutsche zwangsläufig verlorengeht, er wirkt in der Übersetzung bemüht und bedeutungsschwanger. Die pseudophilosophischen Dialoge des Liebespaares in Lauerstellung sind strapaziös. Ein Beispiel. Law: "Was keiner sieht, kann auch keiner verhindern." - Moore: "Sie schon." Law: "Aber ich werde die Menschen kaum ändern können. Und Gott ist kein Steuerfahnder." Das Vertrauensmotiv wird so breit gewalzt wie die Themse an der Mündung, und in einem Binsenkörbchen schaukelt der Roman durchs Ziel. "Man muss vertrauen, denkt sie. Weil man Liebe braucht, man braucht Liebe, auch wenn man den hasst, den man liebt. Und in der Liebe ist Vertrauen alles." Früher hätte man so etwas trivial genannt.
Tobias Hill: "Der Kryptograph". Roman. Aus dem Englischen von Regina Rawlinson. C. Bertelsmann Verlag, München 2009. 319 S., geb. 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Lorbeeren, die dieser Roman bei seinem Erscheinen im englischen Original 2003 geerntet hat, kommen Hannes Hintermeier faul vor. Ob das an der Übertragung liegt - Hintermeier kann es nur vermuten. Jedenfalls erscheint ihm der Ton bemüht, die Dialoge strapaziös. So rätselhaft Tobias Hill seinen Helden, der im London des Jahres 2021 die Weltwirtschaft lenkt und versenkt, auch auftreten lässt, so sehr die Liebesgeschichte zwischen dem "übergroßen Gatsby" und einer Steuerbeamtin auch philosophisch untermauert wird, Hintermeier findet es "trivial".
© Perlentaucher Medien GmbH
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