Hans-Jürgen Heinrichs ist ein Weltreisender mit umfassendem Wissen über europäische und außereuropäische Kulturen. Sein Unterwegssein ist eine nicht endende Suche, die das eigene Leben meint, um die Wahrheit über die eigene Geschichte herauszufinden, wahrer als eine Autobiographie. Von Jugend auf sucht er das Glück der Begegnung - in Europa, Afrika, im Vorderen Orient und im Pazifischen Raum. Ebenso setzt er sich mit den künstlerischen Entwürfen in Literatur, Film, Theater und Philosophie auseinander; immer nach Spuren suchend, auch als Begründer des Qumran Verlags, in dem er neue Entwicklungen in der französischen Ethnologie, Psychoanalyse und Literatur im deutschsprachigen Raum bekannt macht.
»Der kürzeste Weg führt um die Welt« erzählt von unvorhersehbaren, oft geheimnisumwitterten, glück- und schreckerfüllten Pfaden, die zum Verstehen der Menschen und der Welt führen sollen, allen Widerständen zum Trotz. Seine oft von Zufällen und anderen als den vorgesehenen Wegengeleiteten Reisen führen Hans-Jürgen Heinrichs durch die syrische Wüste, den Nil hinunter Richtung Sudan, zu den Bergen der Nuba, an deren Leben er teilhat; und er erlebt noch legendäre Städte wie Timbuktu oder Agadez. Die Freundschaft mit Ethnologen oder Ethnopoeten wie Hubert Fichte, Paul Parin und Fritz Morgenthaler begleitet ihn dabei.
Hans-Jürgen Heinrichs versteht Leben als die hohe Kunst der Anverwandlung an ein inneres Bild, das andere Menschen in uns hinterlassen und auf diese Weise, im schreibenden Erinnern, weiterleben. Es sind viele Namen darunter - das zentrale Kapitel "Eine Liebe in Rom" erzählt von Ingeborg Bachmann, vom filmischen Austausch mit Jean-Marie Straub, Danièle Huillet und Pierre Clément sowie von den Musik-Gesprächen mit Hans Werner Henze. Und immer wieder ist es der Kosmos von Paris, in dem Hans-Jürgen Heinrichs zu lebensweisenden Begegnungen findet - mit Michel Leiris, Nathalie Sarraute oder Peter Handke, mit dem ihn Poesie und Leidenschaft verbinden.
"Für mich war das Zur-Welt-Kommen ein philosophisches Abenteuer und eine Abenteuerreise gleichermaßen. Die Stationen reihten sich wie Perlen an einer Schnur."
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
»Der kürzeste Weg führt um die Welt« erzählt von unvorhersehbaren, oft geheimnisumwitterten, glück- und schreckerfüllten Pfaden, die zum Verstehen der Menschen und der Welt führen sollen, allen Widerständen zum Trotz. Seine oft von Zufällen und anderen als den vorgesehenen Wegengeleiteten Reisen führen Hans-Jürgen Heinrichs durch die syrische Wüste, den Nil hinunter Richtung Sudan, zu den Bergen der Nuba, an deren Leben er teilhat; und er erlebt noch legendäre Städte wie Timbuktu oder Agadez. Die Freundschaft mit Ethnologen oder Ethnopoeten wie Hubert Fichte, Paul Parin und Fritz Morgenthaler begleitet ihn dabei.
Hans-Jürgen Heinrichs versteht Leben als die hohe Kunst der Anverwandlung an ein inneres Bild, das andere Menschen in uns hinterlassen und auf diese Weise, im schreibenden Erinnern, weiterleben. Es sind viele Namen darunter - das zentrale Kapitel "Eine Liebe in Rom" erzählt von Ingeborg Bachmann, vom filmischen Austausch mit Jean-Marie Straub, Danièle Huillet und Pierre Clément sowie von den Musik-Gesprächen mit Hans Werner Henze. Und immer wieder ist es der Kosmos von Paris, in dem Hans-Jürgen Heinrichs zu lebensweisenden Begegnungen findet - mit Michel Leiris, Nathalie Sarraute oder Peter Handke, mit dem ihn Poesie und Leidenschaft verbinden.
"Für mich war das Zur-Welt-Kommen ein philosophisches Abenteuer und eine Abenteuerreise gleichermaßen. Die Stationen reihten sich wie Perlen an einer Schnur."
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Helmut Böttiger lässt Kritik an Hans-Jürgen Heinrichs Erinnerungsbuch nur höchst unterschwellig anklingen. Etwa scheint ihm der Kenner-Gestus - Heinrichs kennt seit den 60er Jahren augenscheinlich Gott und die literarische Welt von Berlin bis Rom - durchaus strapaziös zu sein. Dann wieder nehmen Böttiger der "traumwandlerische" Gang durch die Kulturmilieus, all die Begegnungen, Affären und Intrigen gefangen wie ein Hollywood-Streifen. Vielleicht liegt ja gerade in den (Selbst-)Stilisierungen das Aufschlussreiche des Buches, mutmaßt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2021Der Nabel bin ich
Wohin geht's wirklich? Hans-Jürgen Heinrichs' enervierend-faszinierende Autobiographie "Der kürzeste Weg führt um die Welt".
An intellektuellem Snobismus ist dieses Buch kaum zu übertreffen. Als junger Mann, der die deutsche Enge überwinden will, trifft der Erzähler in Paris - im Café de Flore - zwei "Berühmtheiten". Sie hatten schon vor ihm und "stets auf Einladung politisch und kulturell Mächtiger die ganze Welt bereist, während ich mir nur Ausschnitte der Fremde auf eigene Faust zu erobern versuchte hatte". Sie waren nicht bereit, "die eherne Größe ihrer Namen" gegen seine "Haltung ungeschützter Neugierde" einzutauschen. Und deshalb werden diese verschwiegen.
Es handelte sich - denn doch leicht entschlüsselbar - um Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Ihm erklärte Heinrichs zum Abschied, er habe "als Schüler dessen Buch ,La Nausée' in weinrotes Leder einbinden lassen". Als selbsternannter "Narr" kommt Sartre später dann doch noch namentlich vor.
Hans-Jürgen Heinrichs wurde 1945 geboren. Er ist Ethnologe und Schriftsteller, 1980 begründete er in Frankfurt den Qumran Verlag, der ein paar Jahre lang zu den lebendigen Zentren des deutschen Geisteslebens gehörte. Als Verleger und Essayist beschäftigte sich Heinrichs mit Strukturalismus, Ethnologie, Psychoanalyse.
"Von den ersten Zeilen an führt er den Leser auf die Wege geheimnisvoller Freundschaften und hinaus in die weite Welt eines manisch Reisenden", schreibt Durs Grünbein in seinem hymnischen Vorwort: "Ein Mensch verlässt, wie wir alle von der Schule gelangweilt, das Klassenzimmer durch das Fenster - und findet sich eines Tages in Bagdad wieder und in Ostafrika, in den Bergen der Nuba, an der Seite von Leni Riefenstahl."
Am Kriegsende war die Mutter "mit einem Wagen und zwei Pferden" aus Danzig geflohen. Mit dem Moped fuhr Heinrichs nach Paris. Die Enttäuschung über das verpatzte Rendezvous mit Sartre und Beauvoir war umso größer, als unmittelbar zuvor die spontane Begegnung mit einem genauso mythischen Intellektuellen-Paar sehr viel erfreulicher verlaufen war: Simone Signoret und Yves Montand baten Heinrichs, der im Bistro Texte von Jacques Prévert las, an ihren Tisch. "Das Gespräch entfaltete dann seine Spannung gerade aus dem Gefälle zwischen uns." Als einer, "der im Restaurant schrieb", glaubt Hans-Jürgen Heinrichs, sei er "ein augenblickshafter Teil ihrer Wirklichkeit geworden".
Er folgt einer Bekannten zu Georg Stefan Troller, dem legendären Paris-Chronisten mehrerer Jahrzehnte. Ihm sollte er von seinem Trip auf den Spuren Ezra Pounds nach Rapallo berichten - per Autostopp: Ein Ferrari hatte neben ihm angehalten, aber der Fahrer wollte keinen Tramper mitnehmen, sondern pinkeln. Erweichen ließ er sich dann trotzdem. Das alles ist manchmal lustig, auf die Dauer aber ziemlich langweilig. Heinrichs entdeckt eine Gemeinschaft, die ihre Tradition "seelisch, religiös und sozial" hinter sich gelassen hat. Ein paar Zeilen weiter hat sich Europa nach seiner Rückkehr "politisch, sozial und kulturell grundlegend verändert". Vom Autor kann man das nicht sagen. Von der vielbeschworenen "Lust" am Reisen und einer Horizonterweiterung ist im Text wenig zu spüren.
Das Interesse an den Gesprächspartnern und die "ungeschützte Neugierde" halten sich in Grenzen: "Phantasievoll schickt der Historiker Jacques Le Goff bei unserem Treffen wie in seinem Buch jemanden auf die Reise vom Westen in den Osten Europas." Das Thema, um das es gehen soll, ist der Gegenstand dieses Buchs: "Wie aber entsteht dennoch das Gefühl, ,zu Hause' zu sein?" Aber Heinrichs beschreibt nur die Umstände des Gesprächs und Le Goffs Büro: "Mich empfing ein freundlicher, ja herzlicher Mensch", und es fiel Heinrichs "nicht schwer, mit ihm über das Leben und die jederzeit möglichen Unglücksfälle zu reden" - Le Goff ging vorübergehend an Krücken. Er darf zwar noch etwas über Rassismus sagen, aber da ist Heinrichs bereits unterwegs zu Alain Finkielkraut und zitiert György Konrád, "den ich in Berlin traf". Er besucht Cioran, Jorge Semprún, Paul Nizon. Bei Paul Virilio und Nathalie Sarraute war er auch. Ergiebiger sind die Begegnungen mit Michel Leiris und Michel Foucault, dem er erzählt, was Leiris über Raymond Roussel gesagt hat. Spätestens jedoch, als ihm in der Wüste Leni Riefenstahl entgegenwinkt, sagt sich der überforderte Leser: Hätte Heinrichs das alles doch erfunden! Etwas frivole Phantasie und selbstironische Flunkerei hätten dem Buch gutgetan.
Als Sammler und Jäger bereist Hans-Jürgen Heinrichs die Welt, deren zweitgrößte Geister er in Nebenrollen auftreten lässt. Zwei Kapitel aber haben es in sich. Sie schreiben deutsche Literaturgeschichte. Heinrichs war ein "unbeschriebenes Blatt", als er der zwanzig Jahre älteren "Ingeborg" (Bachmann) begegnete: "Eine Liebe in Rom" ist das zweitbeste Porträt im Buch - seiner selbst und seiner gesammelten Eroberungen. Auch von Heinrichs' Vater ist darin die Rede. "Zwei, drei Geheimnisse" (Grünbein) aus dem Leben Ingeborg Bachmanns wird Heinrichs später Elfriede Jelinek anvertrauen, der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin.
Heinrichs erinnert sich auch daran, als Peter Handke diese Auszeichnung erhielt: "Für mich wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, in den Chor der Ankläger einzustimmen." Er sinniert, ob es für den "Serbien-Agitator" klug gewesen sei, "seine Welt zu verlassen" und "sich ,zum Narren' zu machen, wie dies Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre einst nannten". Heinrichs' Demütigung durch Sartre war später ein "Liebesraub" durch Handke gefolgt: Abermals auf dem Weg ins Café de Flore war Heinrichs dem in Frankreich lebenden Handke zufällig begegnet und hatte ihm seine Freundin vorgestellt. Es war der Beginn einer sich "anbahnenden Selbstzerstörung".
Handke erweist sich fortan als "Projektionsfigur" nicht nur für "meine Wut", die Heinrichs zu einem literarischen Höhenflug führt. Seiner Lust, einen "Dichter der Wandlung zu erschießen", entsagt er, weil er Handkes Werk nicht noch einmal "auf tragische Weise erstrahlen" lassen will. Handke und dessen "ewige Verführungen mit Gesten und selbstgepflückten Pilzen und erträumten Poesien"! Der Beziehungen beendet, indem er spazieren geht - worauf die Frau gut daran tut, das Haus vor der Heimkehr des Dichters zu verlassen.
Dem Umgang beider Schriftsteller mit der Mutter - im Leben, in der Literatur - widmet Heinrichs herrliche Abschnitte. Handke ist ihm die Jeanne Moreau der Literatur. Es geht nach Südfrankreich in das Schloss des Marquis de Sade und auf den Mont Ventoux, wo jeweils der legendäre Petrarca-Preis vergeben wurde. Handke verfolgt Heinrichs bis in dessen Albträume. In einem davon überlebt Michael Krüger, weil er noch ein Gedicht schreiben muss. Alfred Kolleritsch überlebt, weil er immer genügend Schnaps mit sich trägt. Der Verleger Hubert Burda überlebt, weil er sich an Handke klammert und von dessen Körperwärme am Leben gehalten wird. Und Peter Handke überlebt, "weil er die selbstgepflückten Blumen und Kräuter in seinen Taschen ganz fest umklammert und sich mit aller Kraft vorstellt, dass er sie einer Angebeteten überreicht".
Hans-Jürgen Heinrichs wiederum hat überlebt, um diesen Traum Paul "Pablo" Nizon erzählen zu können. Und um dieses ebenso enervierende wie faszinierende Buch zu schreiben. Er erkennt, dass seine "manischen" Reisen die Wiederholung der Flucht seiner Mutter sind. Wohin der titelgebende "kürzeste Weg" um den Globus führte, bleibt offen. Von seinen Lehr- und Wanderjahren, den Eroberungen von "Echoräumen in Europa und außerhalb Europas" bekommen die Leser nicht viel mit. Aber dem Autor gelingt es zu guter Letzt sehr wohl, ihnen seine Fremdheit in dieser Welt, deren Nabel er ist, eindringlichst zu vermitteln.
JÜRG ALTWEGG
Hans-Jürgen Heinrichs: "Der kürzeste Weg führt um die Welt".
Die Andere Bibliothek, Berlin 2020. 480 S., Abb., geb., 44,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wohin geht's wirklich? Hans-Jürgen Heinrichs' enervierend-faszinierende Autobiographie "Der kürzeste Weg führt um die Welt".
An intellektuellem Snobismus ist dieses Buch kaum zu übertreffen. Als junger Mann, der die deutsche Enge überwinden will, trifft der Erzähler in Paris - im Café de Flore - zwei "Berühmtheiten". Sie hatten schon vor ihm und "stets auf Einladung politisch und kulturell Mächtiger die ganze Welt bereist, während ich mir nur Ausschnitte der Fremde auf eigene Faust zu erobern versuchte hatte". Sie waren nicht bereit, "die eherne Größe ihrer Namen" gegen seine "Haltung ungeschützter Neugierde" einzutauschen. Und deshalb werden diese verschwiegen.
Es handelte sich - denn doch leicht entschlüsselbar - um Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Ihm erklärte Heinrichs zum Abschied, er habe "als Schüler dessen Buch ,La Nausée' in weinrotes Leder einbinden lassen". Als selbsternannter "Narr" kommt Sartre später dann doch noch namentlich vor.
Hans-Jürgen Heinrichs wurde 1945 geboren. Er ist Ethnologe und Schriftsteller, 1980 begründete er in Frankfurt den Qumran Verlag, der ein paar Jahre lang zu den lebendigen Zentren des deutschen Geisteslebens gehörte. Als Verleger und Essayist beschäftigte sich Heinrichs mit Strukturalismus, Ethnologie, Psychoanalyse.
"Von den ersten Zeilen an führt er den Leser auf die Wege geheimnisvoller Freundschaften und hinaus in die weite Welt eines manisch Reisenden", schreibt Durs Grünbein in seinem hymnischen Vorwort: "Ein Mensch verlässt, wie wir alle von der Schule gelangweilt, das Klassenzimmer durch das Fenster - und findet sich eines Tages in Bagdad wieder und in Ostafrika, in den Bergen der Nuba, an der Seite von Leni Riefenstahl."
Am Kriegsende war die Mutter "mit einem Wagen und zwei Pferden" aus Danzig geflohen. Mit dem Moped fuhr Heinrichs nach Paris. Die Enttäuschung über das verpatzte Rendezvous mit Sartre und Beauvoir war umso größer, als unmittelbar zuvor die spontane Begegnung mit einem genauso mythischen Intellektuellen-Paar sehr viel erfreulicher verlaufen war: Simone Signoret und Yves Montand baten Heinrichs, der im Bistro Texte von Jacques Prévert las, an ihren Tisch. "Das Gespräch entfaltete dann seine Spannung gerade aus dem Gefälle zwischen uns." Als einer, "der im Restaurant schrieb", glaubt Hans-Jürgen Heinrichs, sei er "ein augenblickshafter Teil ihrer Wirklichkeit geworden".
Er folgt einer Bekannten zu Georg Stefan Troller, dem legendären Paris-Chronisten mehrerer Jahrzehnte. Ihm sollte er von seinem Trip auf den Spuren Ezra Pounds nach Rapallo berichten - per Autostopp: Ein Ferrari hatte neben ihm angehalten, aber der Fahrer wollte keinen Tramper mitnehmen, sondern pinkeln. Erweichen ließ er sich dann trotzdem. Das alles ist manchmal lustig, auf die Dauer aber ziemlich langweilig. Heinrichs entdeckt eine Gemeinschaft, die ihre Tradition "seelisch, religiös und sozial" hinter sich gelassen hat. Ein paar Zeilen weiter hat sich Europa nach seiner Rückkehr "politisch, sozial und kulturell grundlegend verändert". Vom Autor kann man das nicht sagen. Von der vielbeschworenen "Lust" am Reisen und einer Horizonterweiterung ist im Text wenig zu spüren.
Das Interesse an den Gesprächspartnern und die "ungeschützte Neugierde" halten sich in Grenzen: "Phantasievoll schickt der Historiker Jacques Le Goff bei unserem Treffen wie in seinem Buch jemanden auf die Reise vom Westen in den Osten Europas." Das Thema, um das es gehen soll, ist der Gegenstand dieses Buchs: "Wie aber entsteht dennoch das Gefühl, ,zu Hause' zu sein?" Aber Heinrichs beschreibt nur die Umstände des Gesprächs und Le Goffs Büro: "Mich empfing ein freundlicher, ja herzlicher Mensch", und es fiel Heinrichs "nicht schwer, mit ihm über das Leben und die jederzeit möglichen Unglücksfälle zu reden" - Le Goff ging vorübergehend an Krücken. Er darf zwar noch etwas über Rassismus sagen, aber da ist Heinrichs bereits unterwegs zu Alain Finkielkraut und zitiert György Konrád, "den ich in Berlin traf". Er besucht Cioran, Jorge Semprún, Paul Nizon. Bei Paul Virilio und Nathalie Sarraute war er auch. Ergiebiger sind die Begegnungen mit Michel Leiris und Michel Foucault, dem er erzählt, was Leiris über Raymond Roussel gesagt hat. Spätestens jedoch, als ihm in der Wüste Leni Riefenstahl entgegenwinkt, sagt sich der überforderte Leser: Hätte Heinrichs das alles doch erfunden! Etwas frivole Phantasie und selbstironische Flunkerei hätten dem Buch gutgetan.
Als Sammler und Jäger bereist Hans-Jürgen Heinrichs die Welt, deren zweitgrößte Geister er in Nebenrollen auftreten lässt. Zwei Kapitel aber haben es in sich. Sie schreiben deutsche Literaturgeschichte. Heinrichs war ein "unbeschriebenes Blatt", als er der zwanzig Jahre älteren "Ingeborg" (Bachmann) begegnete: "Eine Liebe in Rom" ist das zweitbeste Porträt im Buch - seiner selbst und seiner gesammelten Eroberungen. Auch von Heinrichs' Vater ist darin die Rede. "Zwei, drei Geheimnisse" (Grünbein) aus dem Leben Ingeborg Bachmanns wird Heinrichs später Elfriede Jelinek anvertrauen, der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin.
Heinrichs erinnert sich auch daran, als Peter Handke diese Auszeichnung erhielt: "Für mich wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, in den Chor der Ankläger einzustimmen." Er sinniert, ob es für den "Serbien-Agitator" klug gewesen sei, "seine Welt zu verlassen" und "sich ,zum Narren' zu machen, wie dies Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre einst nannten". Heinrichs' Demütigung durch Sartre war später ein "Liebesraub" durch Handke gefolgt: Abermals auf dem Weg ins Café de Flore war Heinrichs dem in Frankreich lebenden Handke zufällig begegnet und hatte ihm seine Freundin vorgestellt. Es war der Beginn einer sich "anbahnenden Selbstzerstörung".
Handke erweist sich fortan als "Projektionsfigur" nicht nur für "meine Wut", die Heinrichs zu einem literarischen Höhenflug führt. Seiner Lust, einen "Dichter der Wandlung zu erschießen", entsagt er, weil er Handkes Werk nicht noch einmal "auf tragische Weise erstrahlen" lassen will. Handke und dessen "ewige Verführungen mit Gesten und selbstgepflückten Pilzen und erträumten Poesien"! Der Beziehungen beendet, indem er spazieren geht - worauf die Frau gut daran tut, das Haus vor der Heimkehr des Dichters zu verlassen.
Dem Umgang beider Schriftsteller mit der Mutter - im Leben, in der Literatur - widmet Heinrichs herrliche Abschnitte. Handke ist ihm die Jeanne Moreau der Literatur. Es geht nach Südfrankreich in das Schloss des Marquis de Sade und auf den Mont Ventoux, wo jeweils der legendäre Petrarca-Preis vergeben wurde. Handke verfolgt Heinrichs bis in dessen Albträume. In einem davon überlebt Michael Krüger, weil er noch ein Gedicht schreiben muss. Alfred Kolleritsch überlebt, weil er immer genügend Schnaps mit sich trägt. Der Verleger Hubert Burda überlebt, weil er sich an Handke klammert und von dessen Körperwärme am Leben gehalten wird. Und Peter Handke überlebt, "weil er die selbstgepflückten Blumen und Kräuter in seinen Taschen ganz fest umklammert und sich mit aller Kraft vorstellt, dass er sie einer Angebeteten überreicht".
Hans-Jürgen Heinrichs wiederum hat überlebt, um diesen Traum Paul "Pablo" Nizon erzählen zu können. Und um dieses ebenso enervierende wie faszinierende Buch zu schreiben. Er erkennt, dass seine "manischen" Reisen die Wiederholung der Flucht seiner Mutter sind. Wohin der titelgebende "kürzeste Weg" um den Globus führte, bleibt offen. Von seinen Lehr- und Wanderjahren, den Eroberungen von "Echoräumen in Europa und außerhalb Europas" bekommen die Leser nicht viel mit. Aber dem Autor gelingt es zu guter Letzt sehr wohl, ihnen seine Fremdheit in dieser Welt, deren Nabel er ist, eindringlichst zu vermitteln.
JÜRG ALTWEGG
Hans-Jürgen Heinrichs: "Der kürzeste Weg führt um die Welt".
Die Andere Bibliothek, Berlin 2020. 480 S., Abb., geb., 44,- [Euro].
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