Erzählt wird die Geschichte des kleinen, rotzfrechen Louis Seynaves aus dem flämischen Walle, der zu Beginn am Straßenrand hingerissen den Einmarsch deutscher SS-Verbände in sein Heimatstädtchen verfolgt. Und schnell ist der Leser vertraut mit diesem Kleinstadt-Kosmos - und mit dem Internats-Geheimbund "Die vier Apostel", dem Louis angehört, bis er nach Hause entlassen wird. Zuhause: das sind die Gassen um den Grote Markt, die schummrigen Winkel in der Druckerei des Vaters, und das ist vor allem der Familientratsch am Küchentisch. Jede kleine Denunziation, jede opportunistische Versuchung, sich mit den "Germanen" gegen die Wallonen zu verbünden, jede Episode dieser spannenden Jahre erlebt Louis mit - wie einen Weltalltag.
Claus fügt seine Hunderte von Episoden zu einem epochalen Roman zusammen, spielerisch, humorvoll, mitreißend. Mitzulesen in neuer, meisterhafter Übertragung von Waltraut Hüsmert.
Claus fügt seine Hunderte von Episoden zu einem epochalen Roman zusammen, spielerisch, humorvoll, mitreißend. Mitzulesen in neuer, meisterhafter Übertragung von Waltraut Hüsmert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.07.2008Belgien ist kein Land, sondern ein Zustand
Im Namen der Flamen: „Der Kummer von Belgien”, das großartige Werk von Hugo Claus, ist jetzt in neuer deutscher Übersetzung erschienen
Als Hugo Claus im März dieses Jahres in einem Antwerpener Krankenhaus die in Belgien legale Sterbehilfe in Anspruch nahm, um seinem, vom Alzheimer gezeichneten Leben ein Ende zu setzen, starb nicht nur der bedeutendste Autor Flanderns, sondern auch eine belgische Hoffnung auf den Literaturnobelpreis. Trotz der Nachricht vom Tod des schillernden Multitalents, der auch für das Theater und den Film tätig, als Mitglied der bekannten Gruppe Cobra ein erfolgreicher Maler und in zweiter Ehe mit Emanuelle-Darstellerin Sylvia Kristel verheiratet war, fand Waltraud Hüsmerts brillante Neuübersetzung seines Opus magnum, „Der Kummer von Belgien”, bislang im Feuilleton ziemlich wenig Widerhall.
Im katholischen Klosterinternat
Dabei ist „Het verdriet van Belgie”, der 1983 im flämischen Original erschienen ist und mit epochalen Werken wie „Die Blechtrommel” oder „Hundert Jahre Einsamkeit” verglichen wurde, bei aller Gewichtigkeit ein überaus süffiger und kulinarischer Roman. In seinem Mittelpunkt steht Louis Seynaeve, der in der flämischen Kleinstadt Walle aufwächst. Der Leser lernt den 11-Jährigen zunächst im Internat kennen, wo er sich mit seinen Freunden zu einem Geheimbund zusammengeschlossen hat, der zwischen Frömmigkeit, Auflehnung und obskurer Privattheologie schwankt und all jene Rituale frühpubertärer Abgrenzung und Aufnahme praktiziert, die man unter Knaben in einem katholischen Kloster erwarten darf. Hier wird auch das Generalthema von Loyalität und Verrat, Lüge und Schuldlust angeschlagen, das sich durch den ganzen Roman zieht. Während der ahnungslose Louis die Schwangerschaft seiner Mutter mit den Euphemismen der Erwachsenen umschreibt und damit sogar bei den Nonnen für Gelächter sorgt, machen er und seine Freunde sich auf den Zusammenhang zwischen Zeugung und Geburt ihren eigenen Reim, unter anderem den, dass „zärtlich miteinander plaudernde Eltern” die mütterlichen Exkremente am Küchentisch „zu einem Kind formten”.
Der erste, mit „Der Kummer” überschriebene Teil des Romans stellt Louis’ Familie vor, der neben den Eltern und den Großeltern auch noch eine kaum überschaubare Reihe von Tanten und Onkels angehören, und er endet mit der homoerotisch grundierten Erniedrigung von Vlieghe, der im deutlich längeren zweiten Teil des Romans („Von Belgien”) keinen Auftritt mehr hat. Lediglich in einem Abschiedsbrief wird er sich an seinen Schulfreund wenden („Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich geliebt habe?”), nachdem ihn die Scham über eine Geschlechtskrankheit zu einer dilettantischen Selbstentmannung getrieben hat, an deren Folgen er schließlich stirbt. Und auch Louis wird recht abrupt und mit ungewissen, aber durchaus hoffnungsfrohen Aussichten – „Wir werden sehen. Wir werden sehen. Doch” – aus dem Roman entlassen. Die Schriftstellerkarriere, vor der er steht, ist freilich von Anfang an von einer dreisten Lüge überschattet: Um trotz versäumter Frist noch zu einem Literaturwettbewerb zugelassen zu werden, gibt Louis vor, dass es sich bei dem Manuskript, das schließlich unter dem Titel „Der Kummer von Belgien” eingereicht wird, um das literarische Vermächtnis seines im KZ ums Leben gekommenen Bruders handelt. Der Schwindel fliegt auf, aber immerhin: Das Werk soll gedruckt werden. Als Mutter, Großmutter und eine der Tanten das Manuskript zufällig in die Finger kriegen und gemeinsam am Küchentisch lesen, wird Louis zugleich bewundert und durchschaut: „,Woher nimmt der Junge nur diese Sätze und diese Wörter?‘, sagte Meerke. ,Wie schön das alles klingt‘, sagte Anna. ,Dabei macht er mich die ganze Zeit schlecht‘, sagte Mama.”
„Der Kummer von Belgien” weist Elemente des Künstler-, des Schelmen- und des Entwicklungsromans auf und hält doch skeptische Distanz zu allen idealtypischen Genremustern. Alle erzählerische Teleologie und finale Sinnstiftung scheint ihm suspekt, und Louis ist weder Held, noch Anti-Held, sondern das Zentrum einer Erzählung, die immer wieder in seltsam wackeligen Perspektivwechseln von der ersten in die dritte Person kippt oder ansatzlos zwischen realistischem Erzählen und narzisstischen Wunschphantasien wechselt. Es liegt nahe, Hugo Claus mit Pieter Brueghel zu vergleichen. Man sollte dann aber an den Brueghel von Gemälden wie „Die niederländischen Sprichwörter” denken, in dem ein Gewimmel von Figuren und allegorischen Situationen die Hierarchie des Bildraumes in Vorder- und Hintergrund, Haupt- und Nebenmotive unterläuft.
Das Bestechende und Irritierende am „Kummer von Belgien” ist die mitunter schon schnoddrige Beiläufigkeit, mit der hier von Krieg und Kollaboration erzählt wird, ohne daraus eine – sei’s tragische, sei’s kathartische – Pointe zu schlagen. So wie Louis eines Tages der NSJV (Nationaal-Socialistische Jeugd in Vlaanderen) beitritt, lässt er den faschistischen Firlefanz dann auch wieder bleiben. Zu seiner Enttäuschung reagiert übrigens kein einziger seiner ehemaligen Kameraden auch nur in irgendeiner Weise auf sein Renegatentum.
Belgien, heißt es an einer Stelle, sei kein Land, sondern ein Zustand. Der Mann, der diesen Satz äußert, Louis’ Vater, ist selbst der beste Beweis dafür. Alles Auftrumpfende an ihm ist Anmaßung, eine ungedeckte Behauptung. Tatsächlich steht Staf Seynaeve unter der Fuchtel des eigenen Vaters, der ihm sein politisches Engagement aus opportunistischen Gründen untersagt; und er ist ein Pantoffelheld, der den Ehebruch seiner Frau mehr oder weniger ignoriert. Nachdem sein „Idealismus” mit Gefängnis und Hausarrest geahndet wird, zeigt er – vom Sohn übrigens wahlweise als Mitglied oder Opfer der Gestapo ausgegeben – Reue und bittet einen GI „persönlich und im Namen der Flamen” um Entschuldigung: „Ich habe Ihnen und allen Ihren Rassegenossen Unrecht getan.”
Eine sentimentale Suada
Die ostentative Zerknirschung trieft freilich vor Larmoyanz. Wenig später bemüht denn der Vater auch die klassische Rhetorik der höheren Notwendigkeit in schicksalsschwerer Zeit: „,Ich geb’s zu‘, sagte Papa. ,Hitler hat üble Dinge getan, er hat sein Ideal vernichtet, indem er die Juden vernichtet hat, das ist unmenschlich, wenn man die Fotos sieht, lässt es einen das Blut gefrieren, aber dass es so viele waren, kann mir keiner weismachen, hunderttausend vielleicht, oder auch zweihunderttausend, über den Daumen gepeilt, und wie viele Kriminelle waren wohl darunter, oder Typen, die den Staat umstürzen wollten? Dagegen muss ein Staat doch was unternehmen, es ging um Leben und Tod, seht euch andere Staaten an, wenn sie bedroht werden, seht euch unser Land an, wenn . . .‘”
Kommentarlos, ohne Punkt und mit vielen Kommata wird diese Suada sentimentaler Selbstentschuldung in eine Erzählung gerückt, die dem Erzählten das Pathos und die Tragik konsequent verweigert – und genau deswegen ist Hugo Claus’ deftige Collage aller erhabenen Didaktik vorzuziehen. Das Leid eines Landes, der mehrfach zitierte „Kummer von Belgien”, das ist vor allem eine handliche Metapher für den Familienplausch am Küchentisch und für gravitätisches Kneipengewäsch. KLAUS NÜCHTERN
HUGO CLAUS: Der Kummer von Belgien. Roman. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 824 S., 24,50 Euro.
Flämische Landschaft am Zillebeke-See Foto: Michael St. Maur Sheil/CORBIS
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Im Namen der Flamen: „Der Kummer von Belgien”, das großartige Werk von Hugo Claus, ist jetzt in neuer deutscher Übersetzung erschienen
Als Hugo Claus im März dieses Jahres in einem Antwerpener Krankenhaus die in Belgien legale Sterbehilfe in Anspruch nahm, um seinem, vom Alzheimer gezeichneten Leben ein Ende zu setzen, starb nicht nur der bedeutendste Autor Flanderns, sondern auch eine belgische Hoffnung auf den Literaturnobelpreis. Trotz der Nachricht vom Tod des schillernden Multitalents, der auch für das Theater und den Film tätig, als Mitglied der bekannten Gruppe Cobra ein erfolgreicher Maler und in zweiter Ehe mit Emanuelle-Darstellerin Sylvia Kristel verheiratet war, fand Waltraud Hüsmerts brillante Neuübersetzung seines Opus magnum, „Der Kummer von Belgien”, bislang im Feuilleton ziemlich wenig Widerhall.
Im katholischen Klosterinternat
Dabei ist „Het verdriet van Belgie”, der 1983 im flämischen Original erschienen ist und mit epochalen Werken wie „Die Blechtrommel” oder „Hundert Jahre Einsamkeit” verglichen wurde, bei aller Gewichtigkeit ein überaus süffiger und kulinarischer Roman. In seinem Mittelpunkt steht Louis Seynaeve, der in der flämischen Kleinstadt Walle aufwächst. Der Leser lernt den 11-Jährigen zunächst im Internat kennen, wo er sich mit seinen Freunden zu einem Geheimbund zusammengeschlossen hat, der zwischen Frömmigkeit, Auflehnung und obskurer Privattheologie schwankt und all jene Rituale frühpubertärer Abgrenzung und Aufnahme praktiziert, die man unter Knaben in einem katholischen Kloster erwarten darf. Hier wird auch das Generalthema von Loyalität und Verrat, Lüge und Schuldlust angeschlagen, das sich durch den ganzen Roman zieht. Während der ahnungslose Louis die Schwangerschaft seiner Mutter mit den Euphemismen der Erwachsenen umschreibt und damit sogar bei den Nonnen für Gelächter sorgt, machen er und seine Freunde sich auf den Zusammenhang zwischen Zeugung und Geburt ihren eigenen Reim, unter anderem den, dass „zärtlich miteinander plaudernde Eltern” die mütterlichen Exkremente am Küchentisch „zu einem Kind formten”.
Der erste, mit „Der Kummer” überschriebene Teil des Romans stellt Louis’ Familie vor, der neben den Eltern und den Großeltern auch noch eine kaum überschaubare Reihe von Tanten und Onkels angehören, und er endet mit der homoerotisch grundierten Erniedrigung von Vlieghe, der im deutlich längeren zweiten Teil des Romans („Von Belgien”) keinen Auftritt mehr hat. Lediglich in einem Abschiedsbrief wird er sich an seinen Schulfreund wenden („Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich geliebt habe?”), nachdem ihn die Scham über eine Geschlechtskrankheit zu einer dilettantischen Selbstentmannung getrieben hat, an deren Folgen er schließlich stirbt. Und auch Louis wird recht abrupt und mit ungewissen, aber durchaus hoffnungsfrohen Aussichten – „Wir werden sehen. Wir werden sehen. Doch” – aus dem Roman entlassen. Die Schriftstellerkarriere, vor der er steht, ist freilich von Anfang an von einer dreisten Lüge überschattet: Um trotz versäumter Frist noch zu einem Literaturwettbewerb zugelassen zu werden, gibt Louis vor, dass es sich bei dem Manuskript, das schließlich unter dem Titel „Der Kummer von Belgien” eingereicht wird, um das literarische Vermächtnis seines im KZ ums Leben gekommenen Bruders handelt. Der Schwindel fliegt auf, aber immerhin: Das Werk soll gedruckt werden. Als Mutter, Großmutter und eine der Tanten das Manuskript zufällig in die Finger kriegen und gemeinsam am Küchentisch lesen, wird Louis zugleich bewundert und durchschaut: „,Woher nimmt der Junge nur diese Sätze und diese Wörter?‘, sagte Meerke. ,Wie schön das alles klingt‘, sagte Anna. ,Dabei macht er mich die ganze Zeit schlecht‘, sagte Mama.”
„Der Kummer von Belgien” weist Elemente des Künstler-, des Schelmen- und des Entwicklungsromans auf und hält doch skeptische Distanz zu allen idealtypischen Genremustern. Alle erzählerische Teleologie und finale Sinnstiftung scheint ihm suspekt, und Louis ist weder Held, noch Anti-Held, sondern das Zentrum einer Erzählung, die immer wieder in seltsam wackeligen Perspektivwechseln von der ersten in die dritte Person kippt oder ansatzlos zwischen realistischem Erzählen und narzisstischen Wunschphantasien wechselt. Es liegt nahe, Hugo Claus mit Pieter Brueghel zu vergleichen. Man sollte dann aber an den Brueghel von Gemälden wie „Die niederländischen Sprichwörter” denken, in dem ein Gewimmel von Figuren und allegorischen Situationen die Hierarchie des Bildraumes in Vorder- und Hintergrund, Haupt- und Nebenmotive unterläuft.
Das Bestechende und Irritierende am „Kummer von Belgien” ist die mitunter schon schnoddrige Beiläufigkeit, mit der hier von Krieg und Kollaboration erzählt wird, ohne daraus eine – sei’s tragische, sei’s kathartische – Pointe zu schlagen. So wie Louis eines Tages der NSJV (Nationaal-Socialistische Jeugd in Vlaanderen) beitritt, lässt er den faschistischen Firlefanz dann auch wieder bleiben. Zu seiner Enttäuschung reagiert übrigens kein einziger seiner ehemaligen Kameraden auch nur in irgendeiner Weise auf sein Renegatentum.
Belgien, heißt es an einer Stelle, sei kein Land, sondern ein Zustand. Der Mann, der diesen Satz äußert, Louis’ Vater, ist selbst der beste Beweis dafür. Alles Auftrumpfende an ihm ist Anmaßung, eine ungedeckte Behauptung. Tatsächlich steht Staf Seynaeve unter der Fuchtel des eigenen Vaters, der ihm sein politisches Engagement aus opportunistischen Gründen untersagt; und er ist ein Pantoffelheld, der den Ehebruch seiner Frau mehr oder weniger ignoriert. Nachdem sein „Idealismus” mit Gefängnis und Hausarrest geahndet wird, zeigt er – vom Sohn übrigens wahlweise als Mitglied oder Opfer der Gestapo ausgegeben – Reue und bittet einen GI „persönlich und im Namen der Flamen” um Entschuldigung: „Ich habe Ihnen und allen Ihren Rassegenossen Unrecht getan.”
Eine sentimentale Suada
Die ostentative Zerknirschung trieft freilich vor Larmoyanz. Wenig später bemüht denn der Vater auch die klassische Rhetorik der höheren Notwendigkeit in schicksalsschwerer Zeit: „,Ich geb’s zu‘, sagte Papa. ,Hitler hat üble Dinge getan, er hat sein Ideal vernichtet, indem er die Juden vernichtet hat, das ist unmenschlich, wenn man die Fotos sieht, lässt es einen das Blut gefrieren, aber dass es so viele waren, kann mir keiner weismachen, hunderttausend vielleicht, oder auch zweihunderttausend, über den Daumen gepeilt, und wie viele Kriminelle waren wohl darunter, oder Typen, die den Staat umstürzen wollten? Dagegen muss ein Staat doch was unternehmen, es ging um Leben und Tod, seht euch andere Staaten an, wenn sie bedroht werden, seht euch unser Land an, wenn . . .‘”
Kommentarlos, ohne Punkt und mit vielen Kommata wird diese Suada sentimentaler Selbstentschuldung in eine Erzählung gerückt, die dem Erzählten das Pathos und die Tragik konsequent verweigert – und genau deswegen ist Hugo Claus’ deftige Collage aller erhabenen Didaktik vorzuziehen. Das Leid eines Landes, der mehrfach zitierte „Kummer von Belgien”, das ist vor allem eine handliche Metapher für den Familienplausch am Küchentisch und für gravitätisches Kneipengewäsch. KLAUS NÜCHTERN
HUGO CLAUS: Der Kummer von Belgien. Roman. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 824 S., 24,50 Euro.
Flämische Landschaft am Zillebeke-See Foto: Michael St. Maur Sheil/CORBIS
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Weil das Buch in seiner "brillanten Neuübersetzung" bislang so wenig Beachtung fand, nimmt Klaus Nüchtern sich seiner an. Nüchtern tut das mit viel Sympathie für ein Schwergewicht von einem Werk, das dennoch "süffig" genug, ohne Pathos und Tragik, sein Thema Loyalität und Verrat behandelt und das trotz aller Nähe zum Schelmen- und Entwicklungsroman sich gewohnten Sinnmustern entzieht. Formal stellt sich das dem Rezensenten als Abwesenheit einer durchgängigen Heldenperspektive, ja überhaupt eines Helden oder auch Anti-Helden dar (obschon mit dem jungen Louis eine Figur im Mittelpunkt steht) und dem "ansatzlosen" Wechsel zwischen realistischem und fantastischem Erzählen. Irritierender als das erscheint Nüchtern die "schnoddrige Beiläufigkeit" ("im Namen der Flamen") mit der Hugo Claus hier von Krieg und Kollaboration erzählt, ohne dabei auf eine "kathartische Pointe" zu zielen. Dass der Verzicht auf jede Didaktik bei Nüchtern gut ankommt, erkennen wir deutlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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