Eine Gemeinde nimmt Abschied von dem berühmten Professor und bedeutenden Kunsthändler Gustav Schneider. Gestorben an Herzversagen im hohen Alter - scheinbar nichts Außergewöhnliches. Wären da nicht die Gerüchte um seine Frau, die allein und wie versteinert am Grab steht, und wären da nicht zwei Männer, der Historiker Carlsson und der Kommissar Suchow, die nicht aufhören können, sich Fragen zu stellen. Wie hat es Schneiders Frau, die 30 Jahre jüngere Katharina, geschafft, dem großen Kunstkenner und Unternehmer immer mehr die Kontrolle über ein ganzes Imperium zu entreißen? Und warum fand man neben dem Toten eine unvollendete Erklärung mit der Überschrift WIDERRUF? Klassisch wie ein Krimi des film noir beginnt der packende neue Roman von Hans Graf von der Goltz. In dichten Gesprächen setzen Carlsson und Suchow Stück für Stück das Leben eines außergewöhnlichen Mannes zusammen, kreisen wie in einem Kammerstück immer enger um das Geheimnis eines Verbrechens und erzählen dabei nolens volens auch ein Kapitel deutscher Zeit- und Wirtschaftsgeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2006Dein hinreißend schöner Popo
Willenlos: Hans Graf von der Goltz verheddert sich im Kunsthandel
Wenn eine Hauptfigur gleich dreimal auf einer Seite als "junge Dame" eingeführt wird, dann hat nicht einmal der Lektor den Roman aufmerksam lesen mögen. Warum wird das Buch dann veröffentlicht? Unaufmerksam und hastig berichtet "Der Kunsthändler" von einer Nachkriegsbiographie, trivial im altbackenen Sinn. Doch ist der Autor Hans Graf von der Goltz in der Vergangenheit vor allem mit seinen Lebenserinnerungen "Unwegsames Gelände" und Romanen recht erfolgreich gewesen, in denen er als Vertreter eines patriarchalischen Nachkriegs-Unternehmertums mit der New Economy abrechnete und vielen zum Kronzeugen gegen die Verantwortungslosigkeit einer börsenbefeuerten Managergeneration wurde. "Der Kunsthändler" sei "klassisch wie ein Krimi des film noir", heißt es im Klappentext, es ist eher eine sehr gedehnte "Tatort"-Folge (aus der schwarzweißen Zeit) daraus geworden.
Man lernt die Hauptfigur als Mittfünfziger kennen, als Kunsthändler, der in heiklem Auftrag in Paris lebt. Die Nazis haben ihn ausgesandt, den "größten Kunstdiebstahl aller Zeiten" zu organisieren. Doch statt Museen zu plündern, versteckt Professor Gustav Schneider Bilder und verhilft Juden zur Flucht, eine studierte Kunsthistorikerin mit dem glockenhellen Namen Gisela Wendelin assistiert ihm dabei. Da meldet sich deren Schulfreundin Katharina Taler. Zum gelackten Pola-Negri-Typ herangewachsen, arbeitet diese professionelle Verführerin im Auftrag der Deutschen. Kurz nach einem gemeinsamen Abendessen verschwindet der Kunsthändler in den Kellern der Besatzer. Es gelingt Gisela unter Einsatz aller Mittel, zu denen auch ein kurzer Rock und Schminke gehören, ihn freizubekommen.
Doch Katharina Taler, das Luder mit dem berechnenden Namen, wird eines Tages Gustav Schneider als seine Witwe beerdigen. Das Grab ist Ausgangspunkt des Romans, dort begegnen sich Kriminalkommissar Suchow und Carlsson, enger Freund des kinderlos Verstorbenen. Beide sind sich, wie auch die Menge der Dorfbewohner, einig: Die Taler hat den Zweiundneunzigjährigen umgebracht. Der Fall wird in ihren Gesprächen und Rückblenden erzählt, die mit Gedankenstrichen und Fragezeichen gesprenkelt sind; so kostümiert sich das Geschriebene als gedankenvoller und reflexiver Text - doch das ist Rhetorik, die Vorbehalte formuliert, allein, um sie rasch zu überwinden.
Hans Graf von der Goltz schreibt in einem Tonfall, in dem man bei guten Gesprächen Lebensläufe umreißt, zuweilen genügen zur Charakterisierung biographische Hinweise: Eltern, Ort, Ausbildung - das klingt nach Bewerbung; "Stellen Sie den lieber nicht ein", möchte man als Leser dem Autor zurufen, "der ist genauso langweilig wie die anderen", denn hier geht es ja nicht um irgendeine Prokura, sondern um den Auftritt in einem Roman. Aber es bleibt bei den Üblichen, dem bis in den Tod treu ergebenen Diener Martin oder dem jüdischen Kunstkenner, den man in dunklen Zeiten im Kontor versteckt. Auch zärtlichere Episoden enden in der Firmenbilanz. Giselas erster Liebhaber, ein junger Professor, darf ihr nach dem Krieg noch die Doktorarbeit abnehmen, bevor Gustav ihn zum Geschäftsführer einer Filiale promoviert. Der amerikanische Gentleman-Offizier, der ihr in der Nachkriegszeit bei der Suche nach Gustav hilft und dem sie doch einen Korb gibt, kommt als Kunde zurück und sichert sich im Trubel der Wiedereröffnung einen Manet, eigentlich unverkäuflich, wie Gustav klagt. "Denn, Gisela - ich habe dir das nie gesagt -, dieser Akt bist du! Dein wundervoll geschwungener Rücken, Pinselstrich für Pinselstrich, dein hinreißend schöner Po." Cognac und Tabletten machen ihn zum Greis, der Generalvollmachten und Testamente willenlos unterschreibt.
Das sind eilig berichtete Schicksale, tragisch höchstens in dem Sinn, daß sie für den fast vierhundert Seiten langen Roman vollkommen folgenlos bleiben. Im Nichterzählen offenbart sich Hans Graf von der Goltz unfreiwillig als Generationsgenosse seiner Protagonisten, er schreibt das Gebot des gnadenlosen Weitermachens fort. Aufgaben wollen erledigt, Pflichten erfüllt sein, das Geschäft geht vor. Als Gustav von einer Geschäftsreise ein verräterisches Taschentuch mit dem Monogramm Katharina Talers mitbringt, verzweifelt Gisela für ein paar Absätze. Doch was tut die kluge Frau? Sie wartet ab. Und als ihr Mann zufällig, arglos und ungefragt die ganze Sache aufklärt, da kann sie ihm "gewaschen und gebügelt" das Stoffstückchen über den Tisch reichen. Hätte Othello sich nicht so aufgeregt, wer weiß - in der Villa des Wiederaufbaus hat man jedenfalls keine Zeit für venezianische Verhältnisse.
Dennoch hält diese Generation die Kunst in Ehren; Malerei tapeziert die wieder aufgebauten Wände, Literatur füllt den Bücherschrank und distinguiert das Denken - wie, dafür sind die hoffnungslosen Vergleiche des Hans Graf von der Goltz das beste Beispiel, dessen jüdische Flüchtlinge Decknamen wie "Goya", "Tintoretto" oder "Tizian" tragen und der seinen Gustav überlegen läßt, "eine Tändelei zu beginnen im Stile von Maupassant oder Proust", wie soll die wohl aussehen, wie das fruchtlose Werben um eine Lesbe oder die vergebliche Verfolgung von Kokotten? Kenntnisreich in einem eher lexikalischen Sinn, interessiert sich der Kunsthändler zum rechten Zeitpunkt nicht nur für die Neuen Wilden, sondern auch für "Sitte, Heisig, Tübke". Der Kunsthandel ist aus dieser Perspektive eine Firma wie jede andere, nur, daß sie den Rohstoff aus Kellern und Tresoren, manchmal auch in Ateliers, schürft. Hans Graf von der Goltz scheint unentschieden - Ware oder ewige Werte? Schließlich bleibt dem Kunsthändler nicht einmal ein ordentliches Vermächtnis.
CATRIN LORCH.
Hans Graf von der Goltz: "Der Kunsthändler". Berlin Verlag, Berlin 2006. 364 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willenlos: Hans Graf von der Goltz verheddert sich im Kunsthandel
Wenn eine Hauptfigur gleich dreimal auf einer Seite als "junge Dame" eingeführt wird, dann hat nicht einmal der Lektor den Roman aufmerksam lesen mögen. Warum wird das Buch dann veröffentlicht? Unaufmerksam und hastig berichtet "Der Kunsthändler" von einer Nachkriegsbiographie, trivial im altbackenen Sinn. Doch ist der Autor Hans Graf von der Goltz in der Vergangenheit vor allem mit seinen Lebenserinnerungen "Unwegsames Gelände" und Romanen recht erfolgreich gewesen, in denen er als Vertreter eines patriarchalischen Nachkriegs-Unternehmertums mit der New Economy abrechnete und vielen zum Kronzeugen gegen die Verantwortungslosigkeit einer börsenbefeuerten Managergeneration wurde. "Der Kunsthändler" sei "klassisch wie ein Krimi des film noir", heißt es im Klappentext, es ist eher eine sehr gedehnte "Tatort"-Folge (aus der schwarzweißen Zeit) daraus geworden.
Man lernt die Hauptfigur als Mittfünfziger kennen, als Kunsthändler, der in heiklem Auftrag in Paris lebt. Die Nazis haben ihn ausgesandt, den "größten Kunstdiebstahl aller Zeiten" zu organisieren. Doch statt Museen zu plündern, versteckt Professor Gustav Schneider Bilder und verhilft Juden zur Flucht, eine studierte Kunsthistorikerin mit dem glockenhellen Namen Gisela Wendelin assistiert ihm dabei. Da meldet sich deren Schulfreundin Katharina Taler. Zum gelackten Pola-Negri-Typ herangewachsen, arbeitet diese professionelle Verführerin im Auftrag der Deutschen. Kurz nach einem gemeinsamen Abendessen verschwindet der Kunsthändler in den Kellern der Besatzer. Es gelingt Gisela unter Einsatz aller Mittel, zu denen auch ein kurzer Rock und Schminke gehören, ihn freizubekommen.
Doch Katharina Taler, das Luder mit dem berechnenden Namen, wird eines Tages Gustav Schneider als seine Witwe beerdigen. Das Grab ist Ausgangspunkt des Romans, dort begegnen sich Kriminalkommissar Suchow und Carlsson, enger Freund des kinderlos Verstorbenen. Beide sind sich, wie auch die Menge der Dorfbewohner, einig: Die Taler hat den Zweiundneunzigjährigen umgebracht. Der Fall wird in ihren Gesprächen und Rückblenden erzählt, die mit Gedankenstrichen und Fragezeichen gesprenkelt sind; so kostümiert sich das Geschriebene als gedankenvoller und reflexiver Text - doch das ist Rhetorik, die Vorbehalte formuliert, allein, um sie rasch zu überwinden.
Hans Graf von der Goltz schreibt in einem Tonfall, in dem man bei guten Gesprächen Lebensläufe umreißt, zuweilen genügen zur Charakterisierung biographische Hinweise: Eltern, Ort, Ausbildung - das klingt nach Bewerbung; "Stellen Sie den lieber nicht ein", möchte man als Leser dem Autor zurufen, "der ist genauso langweilig wie die anderen", denn hier geht es ja nicht um irgendeine Prokura, sondern um den Auftritt in einem Roman. Aber es bleibt bei den Üblichen, dem bis in den Tod treu ergebenen Diener Martin oder dem jüdischen Kunstkenner, den man in dunklen Zeiten im Kontor versteckt. Auch zärtlichere Episoden enden in der Firmenbilanz. Giselas erster Liebhaber, ein junger Professor, darf ihr nach dem Krieg noch die Doktorarbeit abnehmen, bevor Gustav ihn zum Geschäftsführer einer Filiale promoviert. Der amerikanische Gentleman-Offizier, der ihr in der Nachkriegszeit bei der Suche nach Gustav hilft und dem sie doch einen Korb gibt, kommt als Kunde zurück und sichert sich im Trubel der Wiedereröffnung einen Manet, eigentlich unverkäuflich, wie Gustav klagt. "Denn, Gisela - ich habe dir das nie gesagt -, dieser Akt bist du! Dein wundervoll geschwungener Rücken, Pinselstrich für Pinselstrich, dein hinreißend schöner Po." Cognac und Tabletten machen ihn zum Greis, der Generalvollmachten und Testamente willenlos unterschreibt.
Das sind eilig berichtete Schicksale, tragisch höchstens in dem Sinn, daß sie für den fast vierhundert Seiten langen Roman vollkommen folgenlos bleiben. Im Nichterzählen offenbart sich Hans Graf von der Goltz unfreiwillig als Generationsgenosse seiner Protagonisten, er schreibt das Gebot des gnadenlosen Weitermachens fort. Aufgaben wollen erledigt, Pflichten erfüllt sein, das Geschäft geht vor. Als Gustav von einer Geschäftsreise ein verräterisches Taschentuch mit dem Monogramm Katharina Talers mitbringt, verzweifelt Gisela für ein paar Absätze. Doch was tut die kluge Frau? Sie wartet ab. Und als ihr Mann zufällig, arglos und ungefragt die ganze Sache aufklärt, da kann sie ihm "gewaschen und gebügelt" das Stoffstückchen über den Tisch reichen. Hätte Othello sich nicht so aufgeregt, wer weiß - in der Villa des Wiederaufbaus hat man jedenfalls keine Zeit für venezianische Verhältnisse.
Dennoch hält diese Generation die Kunst in Ehren; Malerei tapeziert die wieder aufgebauten Wände, Literatur füllt den Bücherschrank und distinguiert das Denken - wie, dafür sind die hoffnungslosen Vergleiche des Hans Graf von der Goltz das beste Beispiel, dessen jüdische Flüchtlinge Decknamen wie "Goya", "Tintoretto" oder "Tizian" tragen und der seinen Gustav überlegen läßt, "eine Tändelei zu beginnen im Stile von Maupassant oder Proust", wie soll die wohl aussehen, wie das fruchtlose Werben um eine Lesbe oder die vergebliche Verfolgung von Kokotten? Kenntnisreich in einem eher lexikalischen Sinn, interessiert sich der Kunsthändler zum rechten Zeitpunkt nicht nur für die Neuen Wilden, sondern auch für "Sitte, Heisig, Tübke". Der Kunsthandel ist aus dieser Perspektive eine Firma wie jede andere, nur, daß sie den Rohstoff aus Kellern und Tresoren, manchmal auch in Ateliers, schürft. Hans Graf von der Goltz scheint unentschieden - Ware oder ewige Werte? Schließlich bleibt dem Kunsthändler nicht einmal ein ordentliches Vermächtnis.
CATRIN LORCH.
Hans Graf von der Goltz: "Der Kunsthändler". Berlin Verlag, Berlin 2006. 364 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Catrin Lorch fühlt sich verschaukelt, was sie aber nicht daran hindert, sich recht ausfürhlich zu beschweren. Es geht in dem Roman aus der Nachkriegszeit um den graumelierten Kunsthändler Gustav Schneider, der noch während des Krieges in Paris Bilder und Flüchtlinge versteckt. Doch leider gerät er dann an die falsche Frau, einen verruchten Pola-Negri-Typ, deren wahre Absichten er nicht sofort erkennt. Als es dann soweit ist, hat er sie geheiratet und die richtige Frau, mit den Kurven wie von einem Manetbild, ist weg und der Kunsthändler Jahre später tot. Aus der Rückblende wird erzählt, wie sich ein Kommissar und ein Freund am offenen Grab des Kunsthändlers treffen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Rezensentin hat sich arg gelangweilt bei der vierhundert Seiten starken Lektüre. Sie fand den Plot konstruiert, die Rhetorik aufgeblasen und die Kunsthändler-Bürgerlichkeit verklemmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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