Die bislang wenig beachtete, doch ungewöhnlich fruchtbare Begegnung zwischen dem Kupferstecher Albert Flocon und dem Wissenschaftsphilosophen Gaston Bachelard ist als emblematisch für die wechselseitige Beeinflussung von Philosophie und Kunst, von Geistesarbeit und Handwerk zu verstehen. Verwurzelt im Surrealismus, gingen Bachelard und Flocon regelmäßig an die Grenzen ihres jeweiligen Metiers, um zu Neuem zu gelangen. Bachelard, der einer »wilden Vernunft« und dem Experimentellen huldigte, wählte die Gegenstände seines Denkens eben aufgrund ihrer Eigenmächtigkeit aus und betrachtete das »schwierige« Metier des Kupferstechers und Flocons tüftelnde Arbeitsweise als sinnbildlich für seine eigene »Philosophie am Werk«, der stets die Möglichkeit des Scheiterns innewohnte.
Hans-Jörg Rheinberger gelingt eine luzide (Doppel-)Biographie und Intellektuellengeschichte - und zugleich eine faszinierend bebilderte Lektüre der Kupferstiche Albert Flocons.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungMit dem Grabstichel
Ein Essay über Gaston Bachelard und Albert Flocon
Gaston Bachelard, der eigenwillige Philosoph der Naturwissenschaften und ihrer experimentellen Verfahren, wusste den Widerstand zu schätzen: der Dinge genauso wie der eingefahrenen Vorstellungen, die Wissenschaftler von den Dingen hegen. Nur über das Angehen gegen diese Widerstände, gedankliche wie materielle, führte für ihn der Weg zu neuen Einsichten: nicht zu Theorien, die man sich vorher schon hübsch zurechtgelegt hatte wie im nachträglich designierten "Schlüsselexperiment" des Lehrbuchs, sondern zu solchen, die sich aus dem nie ganz absehbaren Umgang mit den Dingen und Ideen ergaben, nicht zuletzt im Experiment.
Zur Bearbeitung des materiellen Widerstands gehört das Werkzeug. "Es erweckt", schrieb Bachelard einmal mit Blick auf seinen elementaren Gebrauch, "das Bedürfnis, gegen ein hartes Etwas anzugehen." So wie es etwa, nun freilich nicht mehr elementar, der Grabstichel eines Graveurs auf einer Kupfertafel vorführt. Dieses Beispiel, das zum künstlerischen Handwerk die Brücke schlägt, mag auf den ersten Blick bemüht scheinen. Tatsächlich aber hat Bachelard, woran Hans-Jörg Rheinberger in seinem Essay erinnert, dem Verfahren des Stechers besonderes Augenmerk geschenkt. Er würdigte es als konstruktives Vorgehen, in dem sich das Manuelle nicht von den Ideen trennen lässt - ganz wie in der produktiven experimentellen Praxis der Wissenschaften.
Dass Bachelard konkret auf die Tätigkeit des Stechers kam, verdankte sich Albert Flocon. Der 1909 als Albert Mentzel in Köpenick bei Berlin geborene Künstler war in den späten zwanziger Jahren Schüler prominenter Lehrer am Dessauer Bauhaus gewesen, bevor er 1933 mit seiner jüdischen Ehefrau nach Paris emigrierte, einige Zeit im Graphikstudio Victor Vasarelys arbeitete, 1943 von den Deutschen in Südfrankreich gefasst wurde, im Unterschied zu seiner Frau und seiner ältesten Tochter knapp überlebte, und sich nach 1945 auf die Arbeit als Kupferstecher warf.
1950 erschien unter dem Titel "Landschaften" ein erster Band, der Kupfer von Flocon mit Texten von Bachelard verknüpfte, 1952 folgte ein weiterer, für den Bachelard das Vorwort schrieb, während Flocon selbst in diesem "Versuch über den Stich" zu beschreiben suchte, "was zugleich im Kopf, den Händen und den Augen eines Graveurs vor sich geht". Im Jahr 1957 schließlich, fünf Jahre vor Bachelards Tod, erschien unter dem Titel "Luftschlösser" ein drittes und letztes gemeinsam verfertigtes Album.
Hans-Jörg Rheinberger, lange Jahre Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, hat der Zusammenarbeit zwischen Philosoph und Kupferstecher eine bündige und elegante Darstellung gewidmet. In Zeiten, in denen Brückenschläge zwischen Wissenschaft - hier vertreten durch Bachelards Philosophie der Wissenschaften - und Kunst zwar gerne beschworen, aber eher selten überzeugend vorgeführt werden, kann man hier verfolgen, wie ernsthaft und gleichzeitig spielerisch-offen zwei interessante Protagonisten diesen Austausch pflegten. Und eine Möglichkeit, bei Bachelard auf den Geschmack zu kommen, ist das Büchlein natürlich auch.
hmay.
Hans-Jörg Rheinberger: "Der Kupferstecher und der Philosoph".
Albert Flocon trifft Gaston Bachelard.
diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2016. 126 S., Abb., br., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Essay über Gaston Bachelard und Albert Flocon
Gaston Bachelard, der eigenwillige Philosoph der Naturwissenschaften und ihrer experimentellen Verfahren, wusste den Widerstand zu schätzen: der Dinge genauso wie der eingefahrenen Vorstellungen, die Wissenschaftler von den Dingen hegen. Nur über das Angehen gegen diese Widerstände, gedankliche wie materielle, führte für ihn der Weg zu neuen Einsichten: nicht zu Theorien, die man sich vorher schon hübsch zurechtgelegt hatte wie im nachträglich designierten "Schlüsselexperiment" des Lehrbuchs, sondern zu solchen, die sich aus dem nie ganz absehbaren Umgang mit den Dingen und Ideen ergaben, nicht zuletzt im Experiment.
Zur Bearbeitung des materiellen Widerstands gehört das Werkzeug. "Es erweckt", schrieb Bachelard einmal mit Blick auf seinen elementaren Gebrauch, "das Bedürfnis, gegen ein hartes Etwas anzugehen." So wie es etwa, nun freilich nicht mehr elementar, der Grabstichel eines Graveurs auf einer Kupfertafel vorführt. Dieses Beispiel, das zum künstlerischen Handwerk die Brücke schlägt, mag auf den ersten Blick bemüht scheinen. Tatsächlich aber hat Bachelard, woran Hans-Jörg Rheinberger in seinem Essay erinnert, dem Verfahren des Stechers besonderes Augenmerk geschenkt. Er würdigte es als konstruktives Vorgehen, in dem sich das Manuelle nicht von den Ideen trennen lässt - ganz wie in der produktiven experimentellen Praxis der Wissenschaften.
Dass Bachelard konkret auf die Tätigkeit des Stechers kam, verdankte sich Albert Flocon. Der 1909 als Albert Mentzel in Köpenick bei Berlin geborene Künstler war in den späten zwanziger Jahren Schüler prominenter Lehrer am Dessauer Bauhaus gewesen, bevor er 1933 mit seiner jüdischen Ehefrau nach Paris emigrierte, einige Zeit im Graphikstudio Victor Vasarelys arbeitete, 1943 von den Deutschen in Südfrankreich gefasst wurde, im Unterschied zu seiner Frau und seiner ältesten Tochter knapp überlebte, und sich nach 1945 auf die Arbeit als Kupferstecher warf.
1950 erschien unter dem Titel "Landschaften" ein erster Band, der Kupfer von Flocon mit Texten von Bachelard verknüpfte, 1952 folgte ein weiterer, für den Bachelard das Vorwort schrieb, während Flocon selbst in diesem "Versuch über den Stich" zu beschreiben suchte, "was zugleich im Kopf, den Händen und den Augen eines Graveurs vor sich geht". Im Jahr 1957 schließlich, fünf Jahre vor Bachelards Tod, erschien unter dem Titel "Luftschlösser" ein drittes und letztes gemeinsam verfertigtes Album.
Hans-Jörg Rheinberger, lange Jahre Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, hat der Zusammenarbeit zwischen Philosoph und Kupferstecher eine bündige und elegante Darstellung gewidmet. In Zeiten, in denen Brückenschläge zwischen Wissenschaft - hier vertreten durch Bachelards Philosophie der Wissenschaften - und Kunst zwar gerne beschworen, aber eher selten überzeugend vorgeführt werden, kann man hier verfolgen, wie ernsthaft und gleichzeitig spielerisch-offen zwei interessante Protagonisten diesen Austausch pflegten. Und eine Möglichkeit, bei Bachelard auf den Geschmack zu kommen, ist das Büchlein natürlich auch.
hmay.
Hans-Jörg Rheinberger: "Der Kupferstecher und der Philosoph".
Albert Flocon trifft Gaston Bachelard.
diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2016. 126 S., Abb., br., 19,95 [Euro].
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»Hans-Jörg Rheinberger hat der Zusammenarbeit zwischen Philosoph und Kupferstecher eine bündige und elegante Darstellung gewidmet.« Helmut Mayer, FAZ