Produktdetails
- Verlag: Pendo
- ISBN-13: 9783858424761
- ISBN-10: 3858424765
- Artikelnr.: 21527598
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2003Lebenslang unausstehlich
Auf Umwegen findet Catalin Dorian Florescu nach Hause
Mit Talent allein ist es nicht getan, wenn man erzählen will wie Catalin Dorian Florescu. Man muß auch noch unter Erzählern aufgewachsen sein, dort, wo alle möglichen Geschichten, glaubhafte und phantastische, von Mund zu Mund gehen. Fernab, an den Rändern der freien Welt, in der Armut oder im Machtbereich der Diktatoren waren diese literarischen Provinzen lange zu finden, jenseits einer Mediengesellschaft, in der alle Romane aus dem Fernsehen kommen. Wie in Südamerika lehrte die Not im Südosten Europas das Fabulieren, weit hinten in Rumänien, dort, wo die Propaganda zwar Unglaubliches kolportierte, wo man sich aber gerade deshalb die wahren Geschichten selbst erfinden mußte, zusammenreimen aus aufgeschnappten Nachrichten von draußen, aus Wünschen und Ängsten zugleich.
Nur so, mit der epischen Verfremdung, konnte jeder für sich Farbe und Licht in den Alltag bringen, auf den abgeschriebenen Dörfern und in den aschgrauen Städten, in Arad oder in Timisoara, in den überwachten Wohnblocks, aus denen Catalin Dorian Florescus Familie 1982 in die Schweiz emigrierte. Und in welchem Verhältnis auch immer die Hauptfigur seines neuen Romans zum Autor stehen mag - die Sehnsucht nach diesem Land der Erzähler teilen sie beide.
Auch der Ich-Erzähler Ovidiu hat das einstige Temesvar mit seinen Eltern verlassen, um nach Zürich zu gehen. Ein Halbwüchsiger, fast noch ein Kind, ist er damals gewesen. Plötzlich, "von heute auf morgen", mußte er sich einrichten, ohne Fuß fassen zu können. Unversehens, sagt seine Mutter, habe er sich verändert, "ein Flackern in den Augen sei nicht mehr dagewesen". Wie einen Zuschauer sieht sich der Held in den Tag hinein leben. "Nur zwischen Haschisch und Langeweile" glaubt er noch wählen zu können. Fixer und Gelegenheitsjunkies sind seine Freunde; am nächsten steht ihm Luca, Sohn eines italienischen Gastarbeiters. Mit ihm entdeckt er das Kino. Kaum ein Film, in dem sie nicht lebten. Das ist der "Rausch", den Ovidiu sucht, ein Ersatz jener Wirklichkeit, in der die Phantasie noch ihre eigenen Abenteuer erfand. Immer aufs neue muß er die Sehnsucht mit der Illusion betäuben.
So sehr zieht es ihn dahin zurück, "wo sich in jedem Augenblick etwas Magisches ereignen konnte", daß er noch nach dem Zusammenbruch des totalitären Systems Angst vor der Rückkehr hat. Erst ein Jahr nachdem ihm der Freund vorausgefahren ist, wagt er ihm zu folgen, über Wien und Budapest nach Timisoara und dann weiter bis ans Schwarze Meer. Was er dabei erlebt, die erste Liebe zu einer Frau, deren verschwundene Freundin zuvor die Geliebte des ebenfalls verschwundenen Luca war, weshalb sich wiederum ein anderer in der Qual seiner Eifersucht selbst verbrannte, das alles verrät Dorian Florescu mit unbändiger Fabulierlust. Auch seinem Helden gestattet er mit dieses Verlangen nach Geschichten.
Unverhofft geborgen fühlt Ovidiu sich, als er endlich wieder unter den Leuten ist, die sich die Welt noch nach ihrer Art ausmalen müssen. Aber die Alten, die alles mögliche über Amerika oder die Schweiz sagen können, weil sie nicht einmal wissen, wo etwa Atlanta eigentlich liegt, sind in Wahrheit auch nur noch ein Mythos. Auf dem Sterbebett ruht der Onkel, der als junger Mann beschloß, lebenslang "unausstehlich" zu sein, weil er eine andere heiraten mußte als die, die er liebte.
Allein - wen mag diese gelebte Literatur interessieren? Fraglich ist, ob sich überhaupt jemand findet, der die alten Sachen des Onkels brauchen kann. Die Jungen sind ohnehin längst im Aufbruch, in Gedanken auf der Reise in das Land, aus dem Ovidiu zurückkehrt. Schon die Verkäuferin in dem Kiosk gleich hinter der Grenze "hatte ihre Augen in einer amerikanischen Fernsehserie verloren, und an deren Stelle klafften jetzt Löcher".
Vergebens versucht der Heimreisende anzukommen, doch den ersten Augenblicken des Wiedererkennens folgen umgehend die Zweifel. Vieles war zwar "noch an seinem Platz", sogar der Müll wollte "nach zu Hause riechen", das Ganze jedoch war jetzt "enger, tiefer, dunkler, wie ein kleiner Käfig für Menschen". "Bloß noch fremd" will es dem Besucher am Ende vorkommen. Was er sich lange nicht einzugestehen traut, sagt ihm der Freund: "Du kommst hierher wie in einen Zoo, zahlst, fütterst die Tiere und kannst jederzeit wieder gehen." Auch Rumänien, die Heimat, ist für den einstigen Emigranten zum Film geworden. Und in einem Film, das versteht er am Schluß, kann man nicht leben. Aber man kann davon erzählen, mit Ironie, etwas bitter bisweilen, doch ohne Sarkasmus und niemals zynisch, eben so wie Catalin Dorian Florescu, dessen "Kurzer Weg nach Hause" geradewegs in die Literatur führte, aus dem Exil zurück zu den Erzählern, unter denen er aufwuchs.
THOMAS RIETZSCHEL
Catalin Dorian Florescu: "Der kurze Weg nach Hause". Roman. Pendo Verlag, Zürich 2002. 244 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf Umwegen findet Catalin Dorian Florescu nach Hause
Mit Talent allein ist es nicht getan, wenn man erzählen will wie Catalin Dorian Florescu. Man muß auch noch unter Erzählern aufgewachsen sein, dort, wo alle möglichen Geschichten, glaubhafte und phantastische, von Mund zu Mund gehen. Fernab, an den Rändern der freien Welt, in der Armut oder im Machtbereich der Diktatoren waren diese literarischen Provinzen lange zu finden, jenseits einer Mediengesellschaft, in der alle Romane aus dem Fernsehen kommen. Wie in Südamerika lehrte die Not im Südosten Europas das Fabulieren, weit hinten in Rumänien, dort, wo die Propaganda zwar Unglaubliches kolportierte, wo man sich aber gerade deshalb die wahren Geschichten selbst erfinden mußte, zusammenreimen aus aufgeschnappten Nachrichten von draußen, aus Wünschen und Ängsten zugleich.
Nur so, mit der epischen Verfremdung, konnte jeder für sich Farbe und Licht in den Alltag bringen, auf den abgeschriebenen Dörfern und in den aschgrauen Städten, in Arad oder in Timisoara, in den überwachten Wohnblocks, aus denen Catalin Dorian Florescus Familie 1982 in die Schweiz emigrierte. Und in welchem Verhältnis auch immer die Hauptfigur seines neuen Romans zum Autor stehen mag - die Sehnsucht nach diesem Land der Erzähler teilen sie beide.
Auch der Ich-Erzähler Ovidiu hat das einstige Temesvar mit seinen Eltern verlassen, um nach Zürich zu gehen. Ein Halbwüchsiger, fast noch ein Kind, ist er damals gewesen. Plötzlich, "von heute auf morgen", mußte er sich einrichten, ohne Fuß fassen zu können. Unversehens, sagt seine Mutter, habe er sich verändert, "ein Flackern in den Augen sei nicht mehr dagewesen". Wie einen Zuschauer sieht sich der Held in den Tag hinein leben. "Nur zwischen Haschisch und Langeweile" glaubt er noch wählen zu können. Fixer und Gelegenheitsjunkies sind seine Freunde; am nächsten steht ihm Luca, Sohn eines italienischen Gastarbeiters. Mit ihm entdeckt er das Kino. Kaum ein Film, in dem sie nicht lebten. Das ist der "Rausch", den Ovidiu sucht, ein Ersatz jener Wirklichkeit, in der die Phantasie noch ihre eigenen Abenteuer erfand. Immer aufs neue muß er die Sehnsucht mit der Illusion betäuben.
So sehr zieht es ihn dahin zurück, "wo sich in jedem Augenblick etwas Magisches ereignen konnte", daß er noch nach dem Zusammenbruch des totalitären Systems Angst vor der Rückkehr hat. Erst ein Jahr nachdem ihm der Freund vorausgefahren ist, wagt er ihm zu folgen, über Wien und Budapest nach Timisoara und dann weiter bis ans Schwarze Meer. Was er dabei erlebt, die erste Liebe zu einer Frau, deren verschwundene Freundin zuvor die Geliebte des ebenfalls verschwundenen Luca war, weshalb sich wiederum ein anderer in der Qual seiner Eifersucht selbst verbrannte, das alles verrät Dorian Florescu mit unbändiger Fabulierlust. Auch seinem Helden gestattet er mit dieses Verlangen nach Geschichten.
Unverhofft geborgen fühlt Ovidiu sich, als er endlich wieder unter den Leuten ist, die sich die Welt noch nach ihrer Art ausmalen müssen. Aber die Alten, die alles mögliche über Amerika oder die Schweiz sagen können, weil sie nicht einmal wissen, wo etwa Atlanta eigentlich liegt, sind in Wahrheit auch nur noch ein Mythos. Auf dem Sterbebett ruht der Onkel, der als junger Mann beschloß, lebenslang "unausstehlich" zu sein, weil er eine andere heiraten mußte als die, die er liebte.
Allein - wen mag diese gelebte Literatur interessieren? Fraglich ist, ob sich überhaupt jemand findet, der die alten Sachen des Onkels brauchen kann. Die Jungen sind ohnehin längst im Aufbruch, in Gedanken auf der Reise in das Land, aus dem Ovidiu zurückkehrt. Schon die Verkäuferin in dem Kiosk gleich hinter der Grenze "hatte ihre Augen in einer amerikanischen Fernsehserie verloren, und an deren Stelle klafften jetzt Löcher".
Vergebens versucht der Heimreisende anzukommen, doch den ersten Augenblicken des Wiedererkennens folgen umgehend die Zweifel. Vieles war zwar "noch an seinem Platz", sogar der Müll wollte "nach zu Hause riechen", das Ganze jedoch war jetzt "enger, tiefer, dunkler, wie ein kleiner Käfig für Menschen". "Bloß noch fremd" will es dem Besucher am Ende vorkommen. Was er sich lange nicht einzugestehen traut, sagt ihm der Freund: "Du kommst hierher wie in einen Zoo, zahlst, fütterst die Tiere und kannst jederzeit wieder gehen." Auch Rumänien, die Heimat, ist für den einstigen Emigranten zum Film geworden. Und in einem Film, das versteht er am Schluß, kann man nicht leben. Aber man kann davon erzählen, mit Ironie, etwas bitter bisweilen, doch ohne Sarkasmus und niemals zynisch, eben so wie Catalin Dorian Florescu, dessen "Kurzer Weg nach Hause" geradewegs in die Literatur führte, aus dem Exil zurück zu den Erzählern, unter denen er aufwuchs.
THOMAS RIETZSCHEL
Catalin Dorian Florescu: "Der kurze Weg nach Hause". Roman. Pendo Verlag, Zürich 2002. 244 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Sibylle Birrer findet in diesem zweiten Roman des Autors, in dem zwei Männer Anfang der 90er Jahre von West nach Ost reisen, viel zu loben. Sie erkennt an, dass Florescu mit diesem Roman, was die "episodische Erzählintensität" angeht, an sein erstes Buch anzuknüpfen weiß und preist die "ausgewogenen und lebendigen Genrebilder", die ihm darin gelungen sind. In den besten Passagen klingt ein "narrativer Ton voller Sinnlichkeit" an, so die Rezensentin angetan. Dabei sieht sie das eigentliche Talent des Autors im "Beobachten und Beschreiben" zwischenmenschlicher Beziehungen. "Im Kleinen", preist Birrer, gelingen dem Autor mitunter "wahre Glanzstücke", und den Einfall, die Erlebnisse der Reisenden mit Motiven aus der Filmgeschichte zu verbinden, lobt sie als sehr gelungen. Nicht überzeugend dagegen scheint ihr die Motivation der "Rahmenhandlung" und schade findet sie "sprachlichen Ungenauigkeiten", die Fehler in der Grammatik und "Stolpersteine im Erzählgang", die ihr schon im ersten Roman des Autors unangenehm aufgefallen sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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