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Ein Roman, der unser aller Leben betrifft
Am 21. Juni, dem längsten Tag des Jahres, reißt das Läuten des Telefons vier Geschwister aus ihrem Alltag: Gerade ist der Vater, das "Zentralgestirn" der Familie, gestorben. Was die Todesnachricht bei den Geschwistern auslöst, fügt sich subtil zu einem scharfsinnigen Familienporträt. Selten ist dieser einschneidende Moment eindrucksvoller eingefangen worden als in dem neuen Roman von Tanja Dückers.
Ganz überraschend kommt der Tod des Vaters nicht. Seit er seine Zoohandlung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten schließen mußte, schien er jeden
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Produktbeschreibung
Ein Roman, der unser aller Leben betrifft

Am 21. Juni, dem längsten Tag des Jahres, reißt das Läuten des Telefons vier Geschwister aus ihrem Alltag: Gerade ist der Vater, das "Zentralgestirn" der Familie, gestorben. Was die Todesnachricht bei den Geschwistern auslöst, fügt sich subtil zu einem scharfsinnigen Familienporträt. Selten ist dieser einschneidende Moment eindrucksvoller eingefangen worden als in dem neuen Roman von Tanja Dückers.

Ganz überraschend kommt der Tod des Vaters nicht. Seit er seine Zoohandlung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten schließen mußte, schien er jeden Lebensantrieb verloren zu haben. Als typischer Vertreter der Nachkriegsgeneration hatte er jahrzehntelang all seine Energie darangesetzt, das Geschäft auf- und auszubauen. Ja, mehr noch, die Wüstentiere, die er verkaufte, waren die Verkörperung seiner romantischen Sehnsucht nach Exotik.

Allein die älteste Tochter teilt diese wirklichkeitsferne Wüstenleidenschaft, die schuld daran war, daß der Vater seine Kinder weniger wahrnahm als die Warane im Terrarium. Der jüngste Sohn hat der Familie sogar den Rücken gekehrt und ist nicht zu erreichen. Die anderen vier ahnen nicht, daß er die ungelebten Träume seines Vaters auf eigenwillige Art wahrgemacht hat. Unter dem Eindruck der Todesnachricht erkennen die längst erwachsenen Kinder auch den eigenen Lebensweg in unerbittlicher Schärfe.

In ihrem raffiniert erzählten Roman blickt Tanja Dückers hinter die Kulissen einer Familie, in der Erfahrungen und Lebensstile zweier Generationen aufeinanderprallen.

Autorenporträt
Tanja Dückers wurde 1968 in Westberlin geboren. Sie studierte Nordamerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte. Neben Prosa und Lyrik schreibt sie Essays, Hörspiele und Theaterstücke. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, die sie u. a. nach Kalifornien, Pennsylvania, Gotland, Barcelona, Prag und Krakau führten. Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2006

Natter im Familienterrarium
Auf in die Mojave-Wüste: Tanja Dückers’ Roman „Der längste Tag des Jahres”
„Spielzone” hieß der erste Roman von Tanja Dückers aus dem Jahr 1999. Das waren noch Zeiten damals: Überall standen literarische Fräuleinwunder in geblümten Miniröcken auf den Berliner Verkehrsinseln. Umspült von der tosenden Rushhour der neuen Hauptstadt, ließen sie sich alles Haupthaar, das nicht von einer kecken Sonnenblumenspange zusammengehalten wurde, vom staubteilchengeladenen Metropolenwind zausen und sangen von kurzfristigen Clubabenteuern, von Marios waidwundem Rehblick gestern Nacht an der großen Bassbox und vom sanften Caipi-Blues beim 16-Uhr-Brunch in einer Bar, die ein transsexueller Palästinenser oder eine syrische Anarcho-Drag Queen oder ein expatriierter Shaolinmönch in einem ehemaligen Klohäuschen der SS - oder war’s eine ehemalige Stasi-Abhörzentrale? - kurz vor der großen Sonnenfinsternis eingerichtet hatte. Heute schieben die Fräuleinwunder ihre Kinderwagen zu den Schaukeln im Mauerpark. Der Prenzlauer Berg, ehemals größte Spielzone für den experimentierenden Twen, hat sich zum republikweit größten Kinderhort entwickelt. Solange hier ein Barista vor einer Espressomaschine steht, wird Deutschland nicht aussterben.
Familie also. Am besten gleich Großfamilie. Verortung, Wurzeln, Traditionen, Rituale, Bindungen. Fürstenfeldbruck. Paul und Eva Kadereit haben drei Söhne und zwei Töchter. Am längsten Tag des Jahres stirbt der Patriarch Paul. Vor kurzem noch besaß er ein Zoogeschäft, spezialisiert auf Wüstentiere. Nach der Insolvenz seiner Tierhandlung hockte Paul entweder auf seinem abgewetzten Cordsessel im Wohnzimmer und betrachtete seine Echsen im symbolisch überfrachteten Terrarium oder kümmerte sich um seine Wüstenbienen im Garten. Doch der Mensch ist keine Wüstenbiene: Mitten im Jahrhundertsommer bekommt Paul einen tödlichen Hitzschlag im Wüstenbienenhaus. Das kann man entweder Ironie des Schicksals oder dramaturgische Schnapsidee nennen.
Nach Pauls Tod setzt sich Tanja Dückers auf den abgewetzten Cordsessel des Familienromans vor ihr Figurenterrarium und beobachtet die Kadereits bei der Trauer. In fünf Kapiteln zeigt sie aus unterschiedlichen Perspektiven, wie die Kinder die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhalten und wie sie damit umgehen. Dabei unterläuft ihr der größte Fehler, den ein Autor in einem multiperspektivischen Text machen kann: Alle fünf Erzähler haben exakt denselben Tonfall, der sich in nichts vom lockeren Küchen-Parlando einer WG voller nicht mehr ganz so junger Wilder unterscheidet. Erst ist ein Short „quietschbunt”, dann ein Kaktus „quietschgrün”.
Die Sprache dieses Romans leidet an Adverbialverbarrikadierungen und penetranter Füllselmanie. Es wimmelt nur so von „absolut”, „komplett”, „völlig” und Co.. Wäre nur der Ton einer einzelnen Erzählstimme durchsetzt von solchem Gerümpel, könnte man von charakterisierender Figurenrede sprechen. Klingen aber alle Erzählstimmen so, kann dieser Stil nur der Schlampigkeit der Autorin geschuldet sein.
Nur selten gelingt hier wirklich szenisches Schreiben, das die Trauer der Kadereit-Kinder in stimmige Gesten oder mehrdeutige Handlungen fasst. Seltsamerweise sind solche raren gelungenen Szenen meist im Freien angesiedelt. Frischluft scheint dieser Autorin gut zu tun. Meist jedoch wird die Trauer oder ihre gewissenquälende Abwesenheit nur behauptet. Und zwar sehr wortreich und in einem lästigen Psychojargon, als wären die Verständigungstexte der Siebziger noch immer nicht vergriffen. Dückers benetzt ihre Wüstenprosa ausgiebig mit Tränenflüssigkeit, die ihre Spuren mal in frischem Ikea-Lack, mal auf fleckigen Sofalandschaften hinterlässt.
Nur arme Teufel stehen früh auf
Dieses Familienterrarium ist vor allem eine Spielzone, die Dückers Gelegenheit gibt, unterschiedliche Lebensentwürfe durchzuspielen und sie leider auch gegeneinander auszuspielen: die Autorin etabliert eine klare Coolness-Hierarchie zwischen Benjamin, dem gefeuerten FAZ-Journalisten und Hipster-Galeristen, Sylvia, der bieder-neurotischen Sekretärin, Johanna, der horoskophörigen Therapeutin und David, dem Provinztheaterschauspieler. Dückers gibt sich einer etwas albernen Heroisierung eines unkonventionellen Bohème-Lebensstils hin, bedauert unterschwellig die armen Teufel, die morgens um neun ins Büro müssen, und feiert jene vermeintlichen Freigeister, die derzeit als „urbane Penner” durch die Hauptstadtpresse geistern: frei, kreativ, aber pleite. Wer morgens um neun ins Büro muss, verliebt sich in eiskalte Immobilienmakler, wer erst um elf frühstückt, in ätherische Aquarellmalerinnen.
Im Fürstenfeldbrucker Familienterrarium haben die Sekretärinnen schon immer die Künstlertypen bei Papi verpetzt. Wieder einmal liest man eins dieser leicht pubertierenden Rollenspiele, in denen die Fiktion unterschiedliche Möglichkeiten durchspielt, endlich aus dem Sandkasten herauszukommen und erwachsen zu werden. Nach einer eher schematischen Erblehre haben die Kadereit-Buben Papas Fernweh im Herzen, während die Frauen Mamas Vermittler-Gene in der DNS-Helix spazieren tragen. Das will alles nicht so recht in Fahrt kommen, bleibt im Treibsand des Klischees stecken und psychologisiert konfus vor sich hin. In einer recht vorhersehbaren Dramaturgie steuert der Roman langsam auf die Große Weite zu.
Auf Seite 53 wettete der Rezensent, den verschollenen jüngsten Sohn der Kadereits, Thomas, gegen Ende irgendwo in der Wüste wiederzufinden. Er gewann die Wette, und Dückers rettete ihren Roman. Im letzten, phantastischen Wüstenkapitel gewinnt die Autorin gehörig an Schwung. Die Romanreise geht vom stickigen Familienterrarium in die Mojave-Wüste. Raus aus Fürstenfeldbruck!
Großvater Kadereit starb in Rommels Wüstenfeldzug, Vater Paul wurde Zoohändler für Wüstentiere, Sohn Thomas verschwindet in der Mojave und Enkel Sami ist nun endgültig der „Wüstensohn” dieses Romans. Auch wenn diese Wüsten-Genealogie wieder einigermaßen konstruiert wirkt, ist die Beschreibung der Mojave-Wüste und all der Desperados, die sie anzieht, sehr gelungen. Dückers hat gut recherchiert und entwirft eine mythische Topografie, in der sich Thomas im Wohnmobil seinen existenziellen Irrfahrten hingeben darf. Wim Wenders-Blues kommt auf, flirrend steigt die Mojave mit ihren Joshua-Trees, militärischen Sperrzonen und Flugzeugfriedhöfen vor dem Leser auf, der nun endlich auch etwas von Pauls Fernweh verspürt.
Der herrlich melancholische Wüstendesperado Thomas mit seinem phantastischen Sohn Sami und seinem treulosen Eso-Luder Chantal hätte für einen ganzen lesenswerten Roman gereicht. Vielleicht waren Dückers die restlichen Figuren einfach zu langweilig, zu klein in ihrer Familientrauer, zu uncool. Vielleicht brauchte sie die Weite der Wüste, um zu ihrer wahren Form aufzulaufen. Wahrscheinlich ist die Mojave einfach eine interessantere Spielzone als das piefige Muffdeutschland mit seiner Heerschar entlassener Hauptstadtjournalisten, seinen neurotischen Chefsekretärinnen und horoskopsüchtigen Therapeutinnen. Eine fauchende Mojave-Natter hingegen muss man einfach ernst nehmen. STEPHAN MAUS
TANJA DÜCKERS: Der längste Tag des Jahres. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2006. 213 Seiten, 18,90 Euro.
Nie wieder Fürstenfeldbruck! Sonnenaufgang über einem Joshua Tree in der Mojave-Wüste in Kalifornien.
Foto: Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In weiten Teilen misslungen erscheint Stephan Maus der neue Roman von Tanja Dückers. Nur dank des letzten Kapitels, das nicht mehr im deutschen Muff Fürstenfeldbrucks, sondern in der Mojave-Wüste spielt, ist das Buch für Maus kein Totalausfall geworden. Die ersten vier Kapitel freilich haben ihn ziemlich gelangweilt. Hier kommt die Geschichte nicht recht in Fahrt, "bleibt im Treibsand der Klischees stecken und psychologisiert konfus vor sich hin". Die Autorin suche aus fünf Perspektiven zu zeigen, wie die inzwischen erwachsenen Kinder der Familie Kadereit mit der Nachricht vom Tod ihres Vaters umgehen. Maus bezichtigt Dückers hier des "größten Fehlers", den ein Autor in einem multiperspektivischen Text machen könne: "Alle fünf Erzähler haben exakt denselben Tonfall." Er klagt, dass nur der Autorin nur selten ein wirklich szenisches Schreiben gelinge, das die Trauer der Kadereit-Kinder in stimmige Gesten oder mehrdeutige Handlungen fasst. Meist kann er, genervt vom "lästigen Psychojargon", den Figuren ihre Trauer nicht abnehmen. Glücklicherweise gibt es da noch das "fantastische Wüstenkapitel" am Ende des Buchs, das aufwarte mit einer überaus gelungenen Beschreibung der Mojave-Wüste und all der Desperados, die sie anzieht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2006

Deutsch sein heißt tarnen
Kopf in den Sand: Tanja Dückers weckt Wüstentierinstinkte

"Der längste Tag des Jahres" heißt Tanja Dückers' jüngstes Buch, das von allem anderen als Mittsommernachtsfolien handelt. Ihr Roman, der in fünf Kapiteln eine deutsche Nachkriegsfamilie anatomisiert, enthält zwar eine trollhafte Liebesbegegnung im Wald, doch auch ihr Zauber wird von einer Handymeldung unterbrochen. Der Vater ist an diesem Tag gestorben, und die Erzählerin verfolgt die Wogen, die diese Nachricht bei seinen fünf Kindern auslöst. Sie führt zu Bestandsaufnahmen und Rückblenden, zu Sinnfragen und Kurzschlußhandlungen, zu Tränen und aufbrechenden Unzulänglichkeiten.

So unterschiedlich die Reaktionen der Trauernden sind, in allen zeichnet sich die zentrale Bedeutung des Verstorbenen ab. Obwohl er als Zoohandlungsbesitzer ein bescheidenes Leben führte, regierte er als Patriarch, der durch seine Charakterstärke faszinierte und in der Lebensführung seiner Kinder starke Spuren hinterließ. Sein schauspielernder Sohn David sucht in Theatern die halbdunkle Grottenatmosphäre, die daheim um die väterlichen Terrarien herrschte, Bennie dagegen kann es in seinen vier Wänden gar nicht hell und hoch genug sein. Thomas ist gar in die kalifornische Wüste ausgewandert, von der sein auf Wüstentiere spezialisierter Vater ein Leben lang träumte. In der Psychologie spricht man bei solchen Verhältnissen von einem Generationenphantom. In diesem Fall ist das Gespenst noch etwas älter. Denn der Großvater kam auf Rommels Afrika-Feldzug um, die übrige Familie wurde ausgebombt.

Das deutsche Trauma ist der größere Prospekt, der hinter dieser auf einen einzigen, besonders hellen Tag konzentrierten Nachkriegssaga steckt. Der Patriarch entwickelte als Kind in der Stunde Null einen Hang zur inneren Emigration, zum Phantasieleben in fernen Welten. Das Hortende, Vorsorgende und auf Sicherheit Bedachte bestimmt denn auch Familienplanung und Wahl der Ehefrau. Die schüchterne, ängstliche Mutter bewegt die revoltierenden Söhne, nach selbstbewußten Abenteurerinnen und sinnlichen Superweibern zu suchen. Die vom eigenbrötlerischen Vater geprägten Töchter ziehen weltläufige Partner vor, eine wird Psychoanalytikerin und agiert doch mit ihrem Mann die Konflikte ihrer Eltern aus.

Sylvias Tochter Miriam trägt den Auftrag zur Vergangenheitsbewältigung schon im Namen. Sie wird von ihr als "fett" bezeichnet, erstes Zeichen einer depressiven Überforderung, und interessiert sich für osteuropäische Städte, die einst Zentren jüdischen Lebens waren. Bennie verliebt sich gar in eine Gedächtnisforscherin und plant gemeinsam mit ihr eine Nordafrika-Reise. Das Zwanghafte der Kompensationen, die alle Kinder betreiben, spiegelt die existentielle Unfreiheit der väterlichen Biographie. "Es ist unglaublich, wie diese Tiere unter den härtesten Bedingungen überleben können!" lautet sein Lieblingssatz, wenn er in Gekkoführern blättert. Diese in den Lehnstuhl gebannte Angstlust bleibt von den Feuerstürmen und zerbombten Städten magisch angezogen.

Daß die Wüstenfaszination der Familie nichts anderes symbolisiert, wird vollends deutlich beim jüngsten und begabtesten Sohn. Als Kanalisierungsspezialist verdiente er gutes Geld in New Mexico und ließ es auf Bitten seiner treulosen Gefährtin an eine New-Age-Sekte überweisen. Dem desillusionierten Aussteiger gehört nichts mehr außer Sami, seinem kleinen Sohn, und einem Wohnwagen, von dem aus er Exkursionen zu den "Un-Orten" der Wüste unternimmt, Industrie- und Militäranlagen, Gefängnissen, Müllhalden und Land-Art-Projekten, aber auch zu einer Attrappe von "Little Boy", dem Hiroshima-Bomber, denn "das gesamte Flugtraining für den Atombombenabwurf" hatte hier stattgefunden.

Thomas sucht sich andere Ersatzobjekte, aber wie sein Vater wendet er den Blick nicht mehr von der Endzeitlandschaft ab. Sami wird von ihm mit Rum und Marihuana davor bewahrt, sich Gedanken um eine Zukunft zu machen. Auf die Frage, was er gern täte, sagt er: "Am liebsten noch mal in die Wüste fahren, Papa. Und da tun wir dann nichts." Nichtstun ist die Spezialität der Melancholie. Wie Adalbert Stifters armer Pfarrer in der Erzählung "Kalkstein" vergräbt Thomas sich buchstäblich im heißen Sand und läßt ihn als perfekte Vanitas-Allegorie "langsam durch die Finger rinnen".

Tanja Dückers zeichnet ein rabenschwarzes Bild von dem Versuch nachwachsender Generationen, der psychischen Narbe des Zweiten Weltkriegs zu entkommen. Unter ihren Ausbruchsanstrengungen verbirgt sich biedermeierliche Lebensangst. Was dem neunzehnten Jahrhundert die von allen Seiten auf die Idylle zuwachsende Industrialisierung war, sind heute eine traurige Vergangenheit, eine wirtschaftlich stagnierende Gegenwart und eine unsichere Zukunft.

Die Postmoderne weckt in deutschen Gemütern Wüstentierinstinkte: Untertauchen, von der Hand in den Mund leben, Chamäleon sein heißt die Devise. Der Geborgenheit, die der Vater noch in Heimatvereinen suchte, spüren die Kinder in Sekten, Männer- und Frauengruppen nach. Nichts macht sie so mißtrauisch wie das einfache Glück. Als Sylvias hedonistischer Gatte ihr Frühstückswünsche ins Ohr raunt, bleibt sie taub: "Verführerisch sollte diese Aufzählung klingen, dabei wußte sie doch, daß Zauberformeln ganz anders klangen, daß sie vom Fieber, vom Schüttelfrost, vom Überlebenskampf und von der Gefahr des Todes handeln mußten, sonst waren sie wirkungslos." Offenbar muß jemand sterben, um diese Phantomfamilie zum Leben zu erwecken. Für Rührei und Avocados mit Krabben und Zitronen-Senfsoße stehen sie nicht auf.

INGEBORG HARMS

Tanja Dückers: "Der längste Tag des Jahres". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2006. 213 S., geb., 18,90 [Euro].

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