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In sieben Interviews reflektieren Angehörige der sogenannten 2. Generation nach dem Krieg selbstkritisch und offen die emotionale Bürde des Heimatverlustes für ihre Eltern und sie selbst. Weitere schmerzliche Themen sind die Folgen von Hunger und (Vater-)Entbehrungen in ihren Kinderjahren, familiäre Wiederholungsmuster, jahrzehntelange Verdrängungen, die Bedeutung von Schuld und Scham, von ihrer Außenseiterposition sowie von verlorenem Besitz und sehnsuchtsvoller Erzähltradition.Die Autorin erläutert in ihren Kommentaren zu den Interviews die psychischen Aspekte dieser Kindheitsmuster: Die…mehr

Produktbeschreibung
In sieben Interviews reflektieren Angehörige der sogenannten 2. Generation nach dem Krieg selbstkritisch und offen die emotionale Bürde des Heimatverlustes für ihre Eltern und sie selbst. Weitere schmerzliche Themen sind die Folgen von Hunger und (Vater-)Entbehrungen in ihren Kinderjahren, familiäre Wiederholungsmuster, jahrzehntelange Verdrängungen, die Bedeutung von Schuld und Scham, von ihrer Außenseiterposition sowie von verlorenem Besitz und sehnsuchtsvoller Erzähltradition.Die Autorin erläutert in ihren Kommentaren zu den Interviews die psychischen Aspekte dieser Kindheitsmuster: Die Affinität zu charismatischen Führern, das demonstrativ beibehaltene Flüchtlingsniveau, die Parentifizierung vieler Kinder, die Folgen der faschistischen Erziehung bei den Eltern, der Verlust von Gerechtigkeit, Rollenklarheit und stabilen Identitäten innerhalb der Familien, das Verleugnen der Trauer und die bis heute anhaltende Narkotisierung der Gefühle. Alles Momente, welche es einigen der Interviewten erst in der Gegenwart und nach dem Fall der Mauer in ihrem mittleren Alter möglich machen, sich der Vergangenheit zu stellen und diese schmerzenden Themen zu integrieren. Es geht der Autorin darum, die Spätfolgen dieser auch psychischen Entwurzelung zu beleuchten, denn die Schuld der Väter wirkt noch »bis ins vierte Glied«.Astrid von Friesen thematisiert erstmalig die spezielle psychische Problematik adliger Familien aus dem Osten. Diese unterlagen - was sowohl im Westen als auch im Osten verdrängt und tabuisiert wurde - einer spezifischen Verfolgung, welche nach dem Krieg zu Verschleppungen, Inhaftierungen, Verbannungen und Ermordungen im sowjetischen Machtbereich führte.
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Autorenporträt
Astrid von Friesen ist Diplom-Pädagogin sowie Journalistin und arbeitet als Psychotherapeutin in Freiberg und Dresden. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2000

Vertriebene sind Getriebene
Die Psychotherapeutin Astrid Friesen möchte sie von ihren Dämonen reden lassen

Die Absicht des Buches ist interessant und gut. Der Verfasserin - gelernter und praktizierender Psychotherapeutin - fiel nämlich auf, daß bestimmte Massenverbrechen, wenn sie nicht von, sondern an Deutschen begangen wurden, alles in allem mit einem Tabu belegt sind. Von ihnen ist in der Öffentlichkeit kaum die Rede, erst recht nicht von Schadensersatzforderungen; Filme, Literatur, praktische Politik machen einen Bogen darum. Darunter fallen etwa die Tieffliegerangriffe, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges am hellichten Tag Jagd auf wehrlose Menschen machten (bei Viktor Klemperer ist davon zu lesen), darunter fallen die Städtebombardements (Dresden macht wegen seiner besonderen Entsetzlichkeit teilweise eine Ausnahme), und darunter fallen vor allem die Massenvertreibungen, die in aller Öffentlichkeit stattfanden und Millionen von Menschenleben forderten. Wenn diese Taten doch einmal thematisiert werden, dann wird sofort dergestalt aufgerechnet, daß ihnen die deutschen Verbrechen entgegengehalten werden.

Diese Erfahrung hat die Verfasserin, selbst aus einer Vertriebenenfamilie stammend, auch im privaten Bereich gemacht. Entweder wurde überhaupt geschwiegen, oder es wurde die eben geschilderte Rechnung aufgemacht: "Den Juden ist millionenfach viel Schlimmeres angetan worden!" Ob dieses Verhalten nun als die Regel für Vertriebenenfamilien bezeichnet werden kann, mag dahinstehen - ein gegenteiliges Beispiel wird im Buch selbst gebracht -, jedenfalls interessieren die Verfasserin die seelischen Folgen, die dieses Verhalten für die Opfer selber, dann aber vor allem für die zweite Generation hatte. Bezeichnend ist, daß es für die Forschungen der Autorin keine wissenschaftliche Vorarbeiten gab, die sich auf deutsche Verhältnisse bezogen, daß sie sich daher, um Ansatzpunkte zu finden, auf jüdische Fachliteratur beziehen mußte - und ebenfalls bezeichnend ist, daß ihr das von deutschen Kollegen verdacht, daß sie aber von israelischen ermuntert wurde. Richtig dürfte sein, und das bezieht sich auch auf den öffentlichen Bereich, daß durch Verschweigen und Tabuisieren "nicht offen getrauert werden" kann, daß das seelische Folgen haben dürfte und daß es gilt, durch Offenheit heilend zu wirken.

Das ist die Absicht, die Ausführung ist problematischer. Das Buch besteht in der Hauptsache aus autobiographischen Skizzen von sieben verschiedenen Personen, denen sich jeweils ein analysierender Kommentar der Verfasserin anschließt. Die Frage ist zunächst, um was für ein Genre es sich bei dem Buch überhaupt handelt. Für ein wissenschaftliches Buch ist es zu essayistisch, für ein essayistisches hat es, in den Kommentaren der Autorin, zu viele wissenschaftliche Einsprengsel, ziemlich unsystematische zumal. Es ist schon erstaunlich, welche weitreichenden Schlüsse manchmal aus den Selbstaussagen gezogen werden, und wie die darin gemachten "Andeutungen" ausgewertet werden. Zweitens hätte man sich gerne deutlichere Vorstellungen darüber gewünscht, welche seelischen Folgen nun konkret aus Verschweigen und Tabuisieren möglicherweise hätten entstehen sollen. Falls, im individuellen Bereich, Scheitern und Versagen als Folge anzunehmen wären, dann würden die meisten dieser Lebensläufe - die außerdem keineswegs sämtliche Vertriebenen betreffen - durchaus als gelungen zu bezeichnen sein, es sei denn, daß gelegentliches allzu forsches Betonen der eigenen Lebensleistung verdächtig wirken könnte. Dann wäre die Vermutung der negativen oder traumatischen Folgen widerlegt.

Jedoch fragt es sich, was eigentlich mit diesen Biographien einigermaßen schlüssig nachgewiesen werden soll. Welche Repräsentativität beanspruchen sie? Daß der Adel unverhältnismäßig häufig zu Worte kommt, muß kein Fehler sein, zumal in sehr vernünftiger Weise gelegentlich über die Rolle des Adels reflektiert wird, aber daß im allgemeinen doch eher - ehemals - Wohlhabende und zur Bildungsschicht Gehörende zu Worte kommen, gibt dem Buch eine erhebliche Schlagseite. Trotzdem überrascht das unterschiedliche sprachliche Niveau der Aussagen. Obwohl sie augenscheinlich redigiert sind - es fehlen Angaben darüber, wie sie zustande kamen -, wobei schwerste orthographische Fehler durchaus hätten vermieden werden dürfen, wirken manche Texte ausgesprochen dahergeredet, andere sind wohlformuliert und sogar angenehm zu lesen, woraus sich Schlüsse auf die Authentizität des jeweiligen Inhalts ergeben.

Alles in allem: Man hätte sich eine präzisere Fragestellung und eine überzeugendere Verwirklichung der Absichten der Autorin gewünscht. Das betrifft auch den öffentlichen Bereich. So einleuchtend es ist, daß das Verschweigen oder Vertuschen eigenen Leidens seelische Folgen auch für größere Gemeinschaften haben dürfte, und so viele Beispiele für diese Art psychologischen Verhaltens gerade der Deutschen einem einfallen, so gewiß wären Präzisierungen erforderlich. Schwierig genug dürften sie zu erbringen sein.

WOLFGANG SCHULLER

Astrid von Friesen: "Der lange Abschied". Psychische Spätfolgen für die zweite Generation deutscher Vertriebener. Reihe "edition psychosozial". Psychosozial-Verlag, Gießen 2000. 209 S., br., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die Absicht des Buches, das Schicksal nicht-jüdischer deutscher Kriegsopfer und Vertriebener darzustellen, findet Wolfgang Schuller "interessant und gut". Die Ausführung des Vorhabens aber in dem Buch von Astrid von Friesen erscheint ihm dann doch problematisch. Weder eine essayistische noch eine wissenschaftliche Arbeit will der Rezensent hier erkennen. Einerseits habe das Buch zu viele "wissenschaftliche Einsprengsel", andererseits aber seien diese "ziemlich unsystematisch". Alles in allem hätte er sich eine präzisere Fragestellung und eine überzeugendere Verwirklichung der Absichten der Autorin gewünscht.

© Perlentaucher Medien GmbH"