Frauenräte und Selbsthilfegruppen, Aufstand gegen die männliche Avantgarde, Proteste gegen das Abtreibungsverbot - in den 1970er Jahren entstanden in nahezu allen westlichen Demokratien Frauenbewegungen. Ihr Ziel war es, geschlechtsbedingte soziale Ungleichheit zu überwinden. Beginnend mit 1968 verfolgt die Studie die Formierung und Mobilisierung sowie den Zerfall der Bewegungen in Frankreich und der Bundesrepublik. Und die Bilanz? Die Abtreibungsgesetze wurden teilweise liberalisiert und Frauen haben heute mehr Freiräume als zuvor - wenn auch nicht alle Ziele verwirklicht wurden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2003Zu neuen Ufern
FRAUEN haben in den vergangenen 30 Jahren neue Handlungsfelder erschlossen und Freiräume erobert, auf ihrem Marsch durch die Institutionen sind sie bisweilen bis an deren Spitze gelangt. Sie haben geschlechtsbedingte Ungleichheiten angeprangert und deren legitimatorische Grundlagen hinterfragt; mit dem "langen Atem der Provokation" haben sie die überkommene Geschlechterordnung in vielen Bereichen reformieren können. Zu diesem grosso modo positiven Fazit gelangt Kristina Schulz, die den mühsamen Weg der Frauenbewegungen in Frankreich und der Bundesrepublik nachzeichnet. Entstanden im Umfeld der intellektuellen Diskussionszirkel der "Neuen Linken" und der Protestbewegungen um 1968, orientierten sich die Frauenbewegungen bald an ihrer eigenen Agenda. Auf beiden Seiten des Rheins war es vor allem das Abtreibungsverbot, gegen das die Frauen protestierten. Aber auch ungleiche Chancen im Berufsleben, rechtliche Diskriminierungen oder die schwierige Situation alleinerziehender Mütter sowie die autoritären Grundzüge der Kindererziehung stießen seit Ende der sechziger Jahre auf ihren Widerspruch - ebenso wie die Selbstherrlichkeit der "sozialistischen Eminenzen" von 1968, die den Protest der Frauen als "kleinbürgerlichen Aktionswahn" abtaten. Bei allen Unterschieden in ihren theoretisch-feministischen Konzepten und in ihren Protestformen waren beide Frauenbewegungen durch ihre Anliegen verbunden, zumal etliche ihrer Protagonistinnen in grenzübergreifenden Netzwerken agierten. Aus deutsch-französischer Kommunikation ging eine der berühmtesten Kampagnen der westdeutschen Frauenbewegung hervor: So war dem "Stern"-Titel "Ich habe abgetrieben" wenige Monate zuvor eine ähnliche Selbstanzeige im "Nouvel Observateur" vorausgegangen. So geschlossen in ihren Anliegen erschienen die Frauenbewegungen freilich selten; vielmehr pluralisierten sich spätestens um 1972 ihre Themen und Organisationen, ehe sie nach 1975/76 in eine unübersehbare Vielzahl regionaler und lokaler Frauengruppen zerfielen. Schulz dokumentiert überzeugend die Beziehungen zwischen den deutschen und französischen Frauenbewegungen, die in ihren nationalen Kontexten allein nicht zu verstehen sind, und liefert damit einen weiteren Beleg dafür, daß Zeitgeschichte immer internationale Geschichte ist. (Kristina Schulz: Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und Frankreich 1968-1976. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag. 273 Seiten, 35,90 [Euro].)
GABRIELE METZLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
FRAUEN haben in den vergangenen 30 Jahren neue Handlungsfelder erschlossen und Freiräume erobert, auf ihrem Marsch durch die Institutionen sind sie bisweilen bis an deren Spitze gelangt. Sie haben geschlechtsbedingte Ungleichheiten angeprangert und deren legitimatorische Grundlagen hinterfragt; mit dem "langen Atem der Provokation" haben sie die überkommene Geschlechterordnung in vielen Bereichen reformieren können. Zu diesem grosso modo positiven Fazit gelangt Kristina Schulz, die den mühsamen Weg der Frauenbewegungen in Frankreich und der Bundesrepublik nachzeichnet. Entstanden im Umfeld der intellektuellen Diskussionszirkel der "Neuen Linken" und der Protestbewegungen um 1968, orientierten sich die Frauenbewegungen bald an ihrer eigenen Agenda. Auf beiden Seiten des Rheins war es vor allem das Abtreibungsverbot, gegen das die Frauen protestierten. Aber auch ungleiche Chancen im Berufsleben, rechtliche Diskriminierungen oder die schwierige Situation alleinerziehender Mütter sowie die autoritären Grundzüge der Kindererziehung stießen seit Ende der sechziger Jahre auf ihren Widerspruch - ebenso wie die Selbstherrlichkeit der "sozialistischen Eminenzen" von 1968, die den Protest der Frauen als "kleinbürgerlichen Aktionswahn" abtaten. Bei allen Unterschieden in ihren theoretisch-feministischen Konzepten und in ihren Protestformen waren beide Frauenbewegungen durch ihre Anliegen verbunden, zumal etliche ihrer Protagonistinnen in grenzübergreifenden Netzwerken agierten. Aus deutsch-französischer Kommunikation ging eine der berühmtesten Kampagnen der westdeutschen Frauenbewegung hervor: So war dem "Stern"-Titel "Ich habe abgetrieben" wenige Monate zuvor eine ähnliche Selbstanzeige im "Nouvel Observateur" vorausgegangen. So geschlossen in ihren Anliegen erschienen die Frauenbewegungen freilich selten; vielmehr pluralisierten sich spätestens um 1972 ihre Themen und Organisationen, ehe sie nach 1975/76 in eine unübersehbare Vielzahl regionaler und lokaler Frauengruppen zerfielen. Schulz dokumentiert überzeugend die Beziehungen zwischen den deutschen und französischen Frauenbewegungen, die in ihren nationalen Kontexten allein nicht zu verstehen sind, und liefert damit einen weiteren Beleg dafür, daß Zeitgeschichte immer internationale Geschichte ist. (Kristina Schulz: Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und Frankreich 1968-1976. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag. 273 Seiten, 35,90 [Euro].)
GABRIELE METZLER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zu einem im großen und ganzen positiven Fazit gelangt Kristina Schulz in ihrer Geschichte der Frauenbewegungen in Frankreich und der Bundesrepublik, berichtet Rezensentin Gabriele Metzler. So haben Frauen in den vergangenen dreißig Jahren geschlechtsbedingte Ungleichheiten angeprangert, deren legitimatorische Grundlagen hinterfragt, die überkommene Geschlechterordnung in vielen Bereichen reformiert, neue Handlungsfelder erschlossen, Freiräume erobert und gesellschaftliche Spitzenplätze eingenommen, fasst Metzler zusammen. Den äußert mühsamen Weg der Frauenbewegung dorthin zeichnet Schulz zur Freude der Rezensentin anschaulich nach. Überzeugend dokumentiert Schulz die Beziehungen zwischen den deutschen und französischen Frauenbewegungen, die in ihren nationalen Kontexten allein nicht zu verstehen seien, lobt Metzler. Die Autorin liefert damit einen weiteren Beleg dafür, so die Rezensentin, "dass Zeitgeschichte immer internationale Geschichte ist".
© Perlentaucher Medien GmbH
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