Dies ist nach allen Regeln der Kunst ein »geschmeidiger« Lyrikband, das Debüt eines in der Sprache mit all ihren Traditionen beheimateten Autors. Wenn Reyer Klassiker variiert, dann schafft er eine Überlagerung mit der Moderne, die in ihrer sprachlichen Verdichtung Wahrhaftigkeit atmet. Die Zitate sind damit organisch vollkommen in ihrem neuen Kontext aufgegangen. Das Hauptthema Reyers ist das Leben in der Stadt - oder genauer das Leben aus der Perspektive der Stadt mit ihrem Materialensemble aus Beton, Asphalt, Kalk, Putz und Mörtel (»jeder Riss/ im Asphalt heilte von selbst«). Die Urbanität wird in einem großen historischen Bogen gefasst: von Gaslicht und Aschekübel bis zur Demonstration. Damit repräsentieren die Texte den Erlebnisraum Großstadt aus dem Erfahrungszeitrahmen einer Großfamilie, in der sich auch die Spuren einer ostdeutschen Vergangenheit finden. Die treffsichere Schlagkraft der gewählten Worte vermeidet das Überflüssige. So erscheint die Ausnahme einer lichten Landpartie im Sommeridyll so stilsicher,als hätte der Autor die Regieanweisung gegeben: »Hier bitte nur Schwarz-Weiß!« Es ist ein Genuss, dem Autor in die weißen und schwarzen Projektionsräume der hohen literarischen Kunst zu folgen: »abgerauscht, ich, in Schrift, in tonloses/ sehr sehr lautes Schreien, Schreiben,/ immer aufs Papier, immer/ ins OFF, in den schwarzen, weißrauschenden Raum.«