DER LANGE SCHATTEN VON TSCHERNOBYL. National Geographic Fotograf Gerd Ludwig hat in den letzten 20 Jahren Tschernobyl neun Mal besucht. Und er hat sich weiter als jeder andere Fotograf in den "Bauch" von Reaktor #4 vorgewagt, um die gro¨ßte nukleare Katastrophe der Geschichte zu dokumentieren. Mit packenden und beru¨hrenden Fotografien ist dieses Buch ein Buch des Erinnerns, denn Tschernobyl verschwindet. Im Wortsinn. Ein zweiter "Sarkophag", das 2,2 Milliarden teure New Safe Confinement wird in Ku¨rze das bekannte Bild des von der Explosion am 26. April 1986 zersto¨rten Reaktors fu¨r immer hinter einer High-Tech-Konstruktion verschwinden lassen. Es ist aber vor allem ein Buch des Erinnerns an jene Menschen, die diese Trago¨die durchleiden mu¨ssen. "Mich treibt die Verpflichtung, im Namen von stummen Opfern zu handeln, um ihnen mit meinen Bildern eine Stimme zu geben. Bei meinem Aufenthalt in Tschernobyl habe ich viele verzweifelte Menschen getroffen, die bereit waren, ihr Leideno¨ffentlich zu machen - einzig beseelt von der Hoffnung, Trago¨dien wie jene in Tschernobyl zuku¨nftig zu verhindern", sagt Gerd Ludwig u¨ber sein fotografisches Verma¨chtnis. Michail Gorbatschow reflektiert in einem begleitenden Essay die Bedeutung der Ereignisse von Tschernobyl im Lichte der politischen Entwicklungen, die zum friedlichen Ende des "Kalten Krieges" gefu¨hrt haben.Das Buch erhielt die Auszeichnung "Deutscher Fotobuchpreis NOMINIERT 2015".
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Motive sind bekannt, meint Rezensentin Sonja Zekri. Und doch haben Gerd Ludwigs Fotografien von Menschen in Schutzanzügen, verfallenden Gebäuden, verbrannten Wäldern oder dem zerstörten Reaktor "erstaunliche Effekte". Wäre ihr Gegenstand ein anderer, würde man ihre Zusammenstellung in "Der lange Schatten von Tschernobyl" wohl "prachtvoll" nennen, vermutet Zekri. In diesem Zusammenhang vermitteln Ludwigs eindrucksvolle Panoramen jedoch eher ein allumfassendes Gefühl klaustrophobischer Beengtheit. Auch fragt sich Zekri beim Betrachten einiger Fotos von fröhlich posierenden Touristen, wie Menschen im Angesicht der Leiden anderer immer noch Freude empfinden können. Solche Bilder sprechen für sich. Auf allzu klischeehafte Erklärungen dagegen ("stummen Opfern eine Stimme") hätte sie gut verzichten können. Die Beteuerungen des Mitherausgebers Michail Gorbatschow, die sowjetische Führung habe keine Informationen zurückgehalten, stellt sie zwar infrage, aufschlussreich findet sie seinen Beitrag trotzdem.
© Perlentaucher Medien GmbH
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