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Der Papst muß sterben, aber das Papsttum ist seinem Anspruch nach ewig. Seit dem 11. Jahrhundert wird sich die Kirche dieser Spannung bewußt und antwortet darauf mit einer Theologie der Hinfälligkeit, zugleich aber mit einer Sorge um Gesundheit und Leben des Papstes. Bis heute drückt sich beides im Zeremoniell und im Leben des Papstes aus. "Papstgeschichten gibt es ohne Zahl, aber Paravicini Baglianis Buch ist einmalig", schreibt der Historiker Horst Fuhrmann.

Produktbeschreibung
Der Papst muß sterben, aber das Papsttum ist seinem Anspruch nach ewig. Seit dem 11. Jahrhundert wird sich die Kirche dieser Spannung bewußt und antwortet darauf mit einer Theologie der Hinfälligkeit, zugleich aber mit einer Sorge um Gesundheit und Leben des Papstes. Bis heute drückt sich beides im Zeremoniell und im Leben des Papstes aus. "Papstgeschichten gibt es ohne Zahl, aber Paravicini Baglianis Buch ist einmalig", schreibt der Historiker Horst Fuhrmann.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Ihre Leichen leben noch
Wie die Päpste den Tod zu überlisten versuchten, schildert Agostino Paravicini Bagliani / Von Christine Tauber

Es ist schon paradox, daß sich ausgerechnet in einer der absurdesten Legenden der Papstgeschichte die mögliche Lösung des größten Dilemmas des Papsttums zu verbergen scheint. Der Tod des Papstes markiert immer wieder neu den schwachen Punkt einer Institution, die ihr Fortbestehen per definitionem nicht auf Erbfolge gründen kann. Wie kann dennoch die ewige Kontinuität des Petrusamtes über den Tod des jeweiligen Amtsinhabers hinaus gesichert werden? Allein der legendären Päpstin Johanna gelang es, diesen krisenhaften Moment der Sedisvakanz bravourös zu überbrücken: Indem sie sterbend ihren potentiellen Nachfolger gebar, hatte sie sich selbst allerdings als unkanonische Stellvertreterin Christi kompromittiert.

Agostino Paravicini Bagliani, Mediävist in Lausanne und vormaliger Scriptor der Vatikanischen Bibliothek, hat in seinem Buch "Der Leib des Papstes" diesen krisenhaften Moment eines jeden Pontifikats ins Zentrum seiner "Theologie der Hinfälligkeit" gestellt. Paravicini Bagliani entführt den Leser in die mittelalterliche Zauberwelt eines in jeder Hinsicht vorkonziliaren Katholizismus, in dem die Rituale aufgeladen waren mit deutlich symbolisiertem Sinn.

Das Bewußtsein für den schwachen Punkt des Papsttums wird erstmals im elften Jahrhundert im Umfeld der Reformpäpste faßbar und scheint sich in der Folge immer wieder zugleich mit den prägnanten Höhepunkten der Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Macht zu verdichten. Petrus Damiani formulierte das Problem 1064 in seiner Abhandlung "De brevitate vitae Romanorum pontificum, et divina providentia" und adressierte den Text an Alexander II. Eine deutlichere Warnung vor den Gefahren der Hybris hätte er dem Papst kaum zukommen lassen können, der das Ziel seiner Machtfülle erreicht zu haben glaubte, nachdem er sich gegen Honorius II. durchgesetzt hatte. Ein Papsttum, das mit zunehmendem Selbstbewußtsein gegenüber der säkularen Macht auftrat, mußte seine Achillesferse besonders gut schützen: Der Papst nämlich hatte nur einen Körper, während der König sich - nach der vielzitierten These von Ernst H. Kantorowicz - im Moment des Todes auf die Beständigkeit seines "zweiten Körpers" verlassen konnte. "Le roi ne meurt jamais", der Papst jedoch muß sterben und lebt nicht weiter wie der König im Königtum.

Der Papst demonstriert den Kerngedanken des Christentums am eigenen Leibe, er wird gerade im Tod zum besten Beispiel reiner Menschlichkeit, zum summum exemplum für die gesamte Christenheit. Nur im Tode symbolisiert er den Inhalt seines Amtes vollständig, auch im Leiden und Sterben Stellvertreter Christi auf Erden zu sein. Der Moment des Übergangs von einem Papst zum nächsten muß in höchstmöglicher Form ritualisiert, das Todeszeremoniell untrennbar mit der Neueinsetzung verbunden werden. Jeder Pontifikatswechsel ist ein radikaler Neubeginn, den vor allem die Nepoten des Verstorbenen besonders drastisch erfahren. Vergeblich versucht der sterbende Papst das gänzliche Zusammenstürzen seiner Machtbasis zu verhindern, indem er seine Familiaren dem Kardinalskollegium empfiehlt. Als Indiz für das schlagartige Ende der Macht des verstorbenen Papstes führt Paravicini Bagliani den römischen Brauch an, den Palast des Toten zu plündern. Und das Zerbrechen des Siegels des toten Papstes verdeutlicht das Ende seiner Macht, sichtbare Zeichen zu setzen. Auch dieses Monopol geht gänzlich an seinen Nachfolger über.

Es fehlt daher seit dem elften Jahrhundert nicht an Strategien der Krisenbewältigung. Bagliani weist mehrere solcher Schübe der Ritualisierung in der päpstlichen Liturgie nach. In seiner "Archäologie" der Riten, die sich vor allem auf Zeremonienbücher stützt, schält er die ideologische Instrumentalisierung von liturgischen Zeichen heraus: Der Papst soll möglichst deutlich auf die notwendige Hinfälligkeit und Kürze seines Lebens hingewiesen werden. In Anlehnung an byzantinische Kaiserriten werden ihm Demutsrituale schon während seiner Krönung auferlegt, das sinnfällige Verbrennen von Wergbüscheln gemahnt ihn an die Vanitas seines Menschseins.

Die häufige Anlehnung an imperiale Riten resultiert aus der strukturellen Vergleichbarkeit, die das Papsttum mehr mit dem Kaisertum als mit dem Königtum verbindet. So führt auch die päpstliche Prozession vom Lateran zum Vatikan symbolhaft an den Siegeszeichen der antiken Imperatoren vorbei und durch ihre Triumphbögen hindurch zum Mausoleum Kaiser Hadrians und zum vermeintlichen Grab des Romulus; sinnfällig wird auf diesem Parcours die Vergänglichkeit auch der Mächtigsten. Alle Rituale der Neueinsetzung eines Papstes sind von der Ambivalenz geprägt, Zeremonien der Machtdemonstration mit der Demütigung des neuen Amtsinhabers verbinden zu müssen. So wurde der Papst im Lateran demonstrativ auf einen Marmorsessel gesetzt, um die Neubesetzung des Heiligen Stuhls anzuzeigen, doch dieser Sessel trug im Zeremoniell den erniedrigenden Namen eines "Kot-Stuhles", und die Reste des erhaltenen Exemplars im Kreuzgang der Lateranbasilika weisen alle ikonographischen Merkmale des auch heute in der Krankenpflege noch gebräuchlichen Modells auf.

Als unüberschreitbares Maß für die angemessene Länge eines päpstlichen Lebens werden in den Quellen die legendären "Jahre des Petrus" propagiert: Kein Papst kann und darf länger als 25 Jahre den Stuhl Petri besetzen. Als es Benedikt XIII. dennoch gelingt, die magische Zeitgrenze des angenommenen petrinischen Pontifikats zu überschreiten, hat er in den Augen der Gralshüter damit nur den endgültigen Beweis seiner eigenen Illegitimität als Gegenpapst erbracht. In Zeiten sich nachdrücklich verlängernder Lebenserwartung wurde dann dieser Mythos der Quellenkritik unterworfen und korrigierend nachgewiesen, daß Petrus nicht nur 25, sondern 32 Jahre den Heiligen Stuhl innehatte. Im dreizehnten Jahrhundert entwickeln sich komplementär zu diesen "Vita-brevis"-Parolen Strategien, die auf die Lebensverlängerung des Papstes abzielen. Da ihm der heroische Tod des Königs in Verteidigung seines Landes versagt ist, sein Tod also allein den Naturgesetzen unterworfen ist, scheint es aussichtsreich, Leibärzte um ihn zu scharen und ihn in Zeiten schlechter römischer Luftverhältnisse in seine Sommerresidenz zu schicken.

Das Reich des Priesterkönigs Johannes, in dem ewige Jugend herrscht, ist die legendäre Verdichtung dieses Wunsches nach Lebensverlängerung. Und die sich zunehmend professionalisierende Medizin - nach wie vor durchsetzt mit Alchimie und Astronomie - läßt jetzt plötzlich den Wunderglauben an einen Jungbrunnen Realität werden. Doch durfte diese "Sorge um den Leib" ausschließlich zugunsten einer besseren Amtserfüllung des Papstes angewandt werden. Bonifaz VIII. ging in den Augen seiner Zeitgenossen und späteren Kritiker zu weit in seinem Streben nach Lebensverlängerung - er habe den "Eifer für die Leiber" über den "Eifer für die Seelen" gestellt, warf man ihm nach seinem Tod vor. Hier zeigt sich deutlich der seit dem Hochmittelalter zunehmende Versuch, die Person des Papstes, das Individuum, von seinem Amt zu trennen. Erst nach dieser Trennung konnte dann nämlich die Maxime greifen: "Der Papst stirbt, die Kirche nicht."

Zu den spannendsten Passagen von Paravicini Baglianis Text gehören seine Ausführungen über die immer wichtiger werdende Rolle der Kardinäle im Umfeld des Papsttodes. Er knüpft hier an seine Forschungen über Kardinalstestamente und über Kurienkardinäle und ihre Familiaren im dreizehnten Jahrhundert an. Mit dem Kardinalskollegium tritt dem Papst eine Korporation gegenüber, die die Kirche in der Leere der Sedisvakanz repräsentiert - sie übernimmt die Stellvertretung des Stellvertreters in Krisenzeiten. Dem Papst wird mit den Kardinälen ein zweiter Körper für den existentiellen Notfall seines Todes an die Seite gestellt, ein Vorgang, der sich in der Metaphorik von "Leib" und "Haupt" der Kirche spiegelt und der im Moment eines Schismas besonders prekär wurde: In der Kirchenspaltung verdoppelte (oder spaltete) sich nicht nur das Haupt, sondern es entstanden auch zwei getrennte Leiber von Kardinälen unterschiedlicher Obödienz. Die Kardinäle, als "Glieder des Papstleibes", werden im Moment seines Todes als juristische Körperschaft im Konklave autonom handlungsfähig. Doch dieses Handeln muß immer darauf ausgerichtet sein, den "kopflosen" Zustand der Kirche möglichst bald zu beenden.

Mit seinem Dekret "Ubi periculum" hatte Gregor X. 1274 eine strikte Chronologie des Übergangs von einem Pontifikat zum nächsten festgelegt: Die Neuwahl des Papstes muß spätestens zehn Tage nach dem Tod seines Vorgängers erfolgen. Die damit klar abgegrenzten neun Tage der Trauer, das sogenannte Novemdiale, sind der kurze und streng ritualisierte Zeitraum der "Witwenschaft der römischen Kirche". Doch der neuzuerwählende Bräutigam wartet schon im Schoße des Kardinalskollegiums und vermittelt die Gewißheit, daß er die Trauer der Kirche in Kürze vollständig tilgen wird.

Agostino Paravicini Bagliani: "Der Leib des Papstes". Eine Theologie der Hinfälligkeit. Aus dem Italienischen von Ansgar Wildermann. Verlag C. H. Beck, München 1997. 352 S., Abb., geb., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ihre Leichen leben noch
Wie die Päpste den Tod zu überlisten versuchten, schildert Agostino Paravicini Bagliani / Von Christine Tauber

Es ist schon paradox, daß sich ausgerechnet in einer der absurdesten Legenden der Papstgeschichte die mögliche Lösung des größten Dilemmas des Papsttums zu verbergen scheint. Der Tod des Papstes markiert immer wieder neu den schwachen Punkt einer Institution, die ihr Fortbestehen per definitionem nicht auf Erbfolge gründen kann. Wie kann dennoch die ewige Kontinuität des Petrusamtes über den Tod des jeweiligen Amtsinhabers hinaus gesichert werden? Allein der legendären Päpstin Johanna gelang es, diesen krisenhaften Moment der Sedisvakanz bravourös zu überbrücken: Indem sie sterbend ihren potentiellen Nachfolger gebar, hatte sie sich selbst allerdings als unkanonische Stellvertreterin Christi kompromittiert.

Agostino Paravicini Bagliani, Mediävist in Lausanne und vormaliger Scriptor der Vatikanischen Bibliothek, hat in seinem Buch "Der Leib des Papstes" diesen krisenhaften Moment eines jeden Pontifikats ins Zentrum seiner "Theologie der Hinfälligkeit" gestellt. Paravicini Bagliani entführt den Leser in die mittelalterliche Zauberwelt eines in jeder Hinsicht vorkonziliaren Katholizismus, in dem die Rituale aufgeladen waren mit deutlich symbolisiertem Sinn.

Das Bewußtsein für den schwachen Punkt des Papsttums wird erstmals im elften Jahrhundert im Umfeld der Reformpäpste faßbar und scheint sich in der Folge immer wieder zugleich mit den prägnanten Höhepunkten der Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Macht zu verdichten. Petrus Damiani formulierte das Problem 1064 in seiner Abhandlung "De brevitate vitae Romanorum pontificum, et divina providentia" und adressierte den Text an Alexander II. Eine deutlichere Warnung vor den Gefahren der Hybris hätte er dem Papst kaum zukommen lassen können, der das Ziel seiner Machtfülle erreicht zu haben glaubte, nachdem er sich gegen Honorius II. durchgesetzt hatte. Ein Papsttum, das mit zunehmendem Selbstbewußtsein gegenüber der säkularen Macht auftrat, mußte seine Achillesferse besonders gut schützen: Der Papst nämlich hatte nur einen Körper, während der König sich - nach der vielzitierten These von Ernst H. Kantorowicz - im Moment des Todes auf die Beständigkeit seines "zweiten Körpers" verlassen konnte. "Le roi ne meurt jamais", der Papst jedoch muß sterben und lebt nicht weiter wie der König im Königtum.

Der Papst demonstriert den Kerngedanken des Christentums am eigenen Leibe, er wird gerade im Tod zum besten Beispiel reiner Menschlichkeit, zum summum exemplum für die gesamte Christenheit. Nur im Tode symbolisiert er den Inhalt seines Amtes vollständig, auch im Leiden und Sterben Stellvertreter Christi auf Erden zu sein. Der Moment des Übergangs von einem Papst zum nächsten muß in höchstmöglicher Form ritualisiert, das Todeszeremoniell untrennbar mit der Neueinsetzung verbunden werden. Jeder Pontifikatswechsel ist ein radikaler Neubeginn, den vor allem die Nepoten des Verstorbenen besonders drastisch erfahren. Vergeblich versucht der sterbende Papst das gänzliche Zusammenstürzen seiner Machtbasis zu verhindern, indem er seine Familiaren dem Kardinalskollegium empfiehlt. Als Indiz für das schlagartige Ende der Macht des verstorbenen Papstes führt Paravicini Bagliani den römischen Brauch an, den Palast des Toten zu plündern. Und das Zerbrechen des Siegels des toten Papstes verdeutlicht das Ende seiner Macht, sichtbare Zeichen zu setzen. Auch dieses Monopol geht gänzlich an seinen Nachfolger über.

Es fehlt daher seit dem elften Jahrhundert nicht an Strategien der Krisenbewältigung. Bagliani weist mehrere solcher Schübe der Ritualisierung in der päpstlichen Liturgie nach. In seiner "Archäologie" der Riten, die sich vor allem auf Zeremonienbücher stützt, schält er die ideologische Instrumentalisierung von liturgischen Zeichen heraus: Der Papst soll möglichst deutlich auf die notwendige Hinfälligkeit und Kürze seines Lebens hingewiesen werden. In Anlehnung an byzantinische Kaiserriten werden ihm Demutsrituale schon während seiner Krönung auferlegt, das sinnfällige Verbrennen von Wergbüscheln gemahnt ihn an die Vanitas seines Menschseins.

Die häufige Anlehnung an imperiale Riten resultiert aus der strukturellen Vergleichbarkeit, die das Papsttum mehr mit dem Kaisertum als mit dem Königtum verbindet. So führt auch die päpstliche Prozession vom Lateran zum Vatikan symbolhaft an den Siegeszeichen der antiken Imperatoren vorbei und durch ihre Triumphbögen hindurch zum Mausoleum Kaiser Hadrians und zum vermeintlichen Grab des Romulus; sinnfällig wird auf diesem Parcours die Vergänglichkeit auch der Mächtigsten. Alle Rituale der Neueinsetzung eines Papstes sind von der Ambivalenz geprägt, Zeremonien der Machtdemonstration mit der Demütigung des neuen Amtsinhabers verbinden zu müssen. So wurde der Papst im Lateran demonstrativ auf einen Marmorsessel gesetzt, um die Neubesetzung des Heiligen Stuhls anzuzeigen, doch dieser Sessel trug im Zeremoniell den erniedrigenden Namen eines "Kot-Stuhles", und die Reste des erhaltenen Exemplars im Kreuzgang der Lateranbasilika weisen alle ikonographischen Merkmale des auch heute in der Krankenpflege noch gebräuchlichen Modells auf.

Als unüberschreitbares Maß für die angemessene Länge eines päpstlichen Lebens werden in den Quellen die legendären "Jahre des Petrus" propagiert: Kein Papst kann und darf länger als 25 Jahre den Stuhl Petri besetzen. Als es Benedikt XIII. dennoch gelingt, die magische Zeitgrenze des angenommenen petrinischen Pontifikats zu überschreiten, hat er in den Augen der Gralshüter damit nur den endgültigen Beweis seiner eigenen Illegitimität als Gegenpapst erbracht. In Zeiten sich nachdrücklich verlängernder Lebenserwartung wurde dann dieser Mythos der Quellenkritik unterworfen und korrigierend nachgewiesen, daß Petrus nicht nur 25, sondern 32 Jahre den Heiligen Stuhl innehatte. Im dreizehnten Jahrhundert entwickeln sich komplementär zu diesen "Vita-brevis"-Parolen Strategien, die auf die Lebensverlängerung des Papstes abzielen. Da ihm der heroische Tod des Königs in Verteidigung seines Landes versagt ist, sein Tod also allein den Naturgesetzen unterworfen ist, scheint es aussichtsreich, Leibärzte um ihn zu scharen und ihn in Zeiten schlechter römischer Luftverhältnisse in seine Sommerresidenz zu schicken.

Das Reich des Priesterkönigs Johannes, in dem ewige Jugend herrscht, ist die legendäre Verdichtung dieses Wunsches nach Lebensverlängerung. Und die sich zunehmend professionalisierende Medizin - nach wie vor durchsetzt mit Alchimie und Astronomie - läßt jetzt plötzlich den Wunderglauben an einen Jungbrunnen Realität werden. Doch durfte diese "Sorge um den Leib" ausschließlich zugunsten einer besseren Amtserfüllung des Papstes angewandt werden. Bonifaz VIII. ging in den Augen seiner Zeitgenossen und späteren Kritiker zu weit in seinem Streben nach Lebensverlängerung - er habe den "Eifer für die Leiber" über den "Eifer für die Seelen" gestellt, warf man ihm nach seinem Tod vor. Hier zeigt sich deutlich der seit dem Hochmittelalter zunehmende Versuch, die Person des Papstes, das Individuum, von seinem Amt zu trennen. Erst nach dieser Trennung konnte dann nämlich die Maxime greifen: "Der Papst stirbt, die Kirche nicht."

Zu den spannendsten Passagen von Paravicini Baglianis Text gehören seine Ausführungen über die immer wichtiger werdende Rolle der Kardinäle im Umfeld des Papsttodes. Er knüpft hier an seine Forschungen über Kardinalstestamente und über Kurienkardinäle und ihre Familiaren im dreizehnten Jahrhundert an. Mit dem Kardinalskollegium tritt dem Papst eine Korporation gegenüber, die die Kirche in der Leere der Sedisvakanz repräsentiert - sie übernimmt die Stellvertretung des Stellvertreters in Krisenzeiten. Dem Papst wird mit den Kardinälen ein zweiter Körper für den existentiellen Notfall seines Todes an die Seite gestellt, ein Vorgang, der sich in der Metaphorik von "Leib" und "Haupt" der Kirche spiegelt und der im Moment eines Schismas besonders prekär wurde: In der Kirchenspaltung verdoppelte (oder spaltete) sich nicht nur das Haupt, sondern es entstanden auch zwei getrennte Leiber von Kardinälen unterschiedlicher Obödienz. Die Kardinäle, als "Glieder des Papstleibes", werden im Moment seines Todes als juristische Körperschaft im Konklave autonom handlungsfähig. Doch dieses Handeln muß immer darauf ausgerichtet sein, den "kopflosen" Zustand der Kirche möglichst bald zu beenden.

Mit seinem Dekret "Ubi periculum" hatte Gregor X. 1274 eine strikte Chronologie des Übergangs von einem Pontifikat zum nächsten festgelegt: Die Neuwahl des Papstes muß spätestens zehn Tage nach dem Tod seines Vorgängers erfolgen. Die damit klar abgegrenzten neun Tage der Trauer, das sogenannte Novemdiale, sind der kurze und streng ritualisierte Zeitraum der "Witwenschaft der römischen Kirche". Doch der neuzuerwählende Bräutigam wartet schon im Schoße des Kardinalskollegiums und vermittelt die Gewißheit, daß er die Trauer der Kirche in Kürze vollständig tilgen wird.

Agostino Paravicini Bagliani: "Der Leib des Papstes". Eine Theologie der Hinfälligkeit. Aus dem Italienischen von Ansgar Wildermann. Verlag C. H. Beck, München 1997. 352 S., Abb., geb., 68,- DM.

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