Kirkuk im Irak der fünfziger Jahre. Das Leben von Hamid beginnt an jenem Tag, an dem er seine Stelle als Fahrer bei der britischen Erdölfirma verliert und seinen unglücklichen Spitznamen Hamid Nylon erhält. Er soll - so die Gerüchte - der leichtfertigen Frau seines »Boss« Avancen gemacht haben. Hamid findet in der Folge seine Berufung als Revolutionär und gründet eine Gewerkschaft.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Endlich ist Fadhil al-Azzwawis bereits 1992 veröffentlichter Roman "Der Letzte der Engel" auch auf Deutsch erschienen und kommt doch zur rechten Zeit, verkündet Rezensent Moritz Behrendt. Denn diese herrliche Gesellschaftssatire eröffnet dem Kritiker einen interessanten historischen Einblick in den Irak der 1950er Jahre und beleuchtet zugleich die aktuell herrschende Entgrenzung der Gewalt, den totalitären Machtanspruch einer Religion bzw. Ideologie, aber auch die kulturelle Vielfalt des Landes. Behrendt begleitet hier eine aus turkmenischen, kurdischen, arabischen und assyrisch-christlichen Mitgliedern bestehende Delegation, die sich in der Ölstadt Kirkuk aufmacht, um beim König in Bagdad Widerspruch gegen die geplante Durchgangsstraße im Musalla-Friedhof einzulegen. Während der Rezensent durchaus amüsiert das liebevoll skizzierte, kuriose Ensemble aus "geldgeilen Imamen", opportunistischen Ideologen, in ihrer Männlichkeit angegriffenen Revolutionsführern und "freundlichen Dämonen" erlebt, erfährt er zugleich viel über die Auswirkungen der gefährlichen Mischung aus Obrigkeitshörigkeit und Misstrauen gegen die staatliche Ordnung. Ein meisterhafter, zudem brillant und mit Gefühl für al-Azzawis Doppelbödigkeit übersetzter Roman, der das vielschichtige, auch absurde Leben im Irak erhellt, lobt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2014Die Zeit begräbt die Wahrheit nicht
Im Irak gehört Fadhil al-Azzawi zu den bekanntesten Schriftstellern.
Jetzt liegt sein großer Schelmenroman „Der Letzte der Engel“ erstmals auf Deutsch vor
VON INSA WILKE
Stürmen die Reiter der Apokalypse durch die Buchwelten des irakischen Autors Abbas Khider, begleitet Gelächter ihren Ritt. In Khiders sehr gelobtem Gefängnis-Roman „Die Orangen des Präsidenten“ wird klar, weshalb das so ist: Das Lachen verteidigt die eigene Souveränität, die unter Folter und Hoffnungslosigkeit fast schon zerbrochen ist. Abbas Khiders Gelächter ist aber auch ein Geschenk an seine deutschen Leser, die er schützt vor dem, was er eigentlich erzählt. Eine humane Geste. Bei seinem älteren Kollegen Fadhil al-Azzawi tritt diese Seite des Lachens zugunsten einer anderen in den Hintergrund: Das diabolische Gelächter, das durch seinen Roman „Der Letzte der Engel“ schallt, ist eine scharf geschliffene Waffe.
Fadhil al-Azzawi wurde 1938 in Kirkuk geboren, gehörte dort zum Kreis jener Dichter, die die irakische Literatur in die Moderne führen wollten, auch, indem sie unabhängig werden sollte vom politischen Einfluss der Baath-Partei. 1977 ging er ins Exil, in die DDR, weiterhin drangsaliert vom Geheimdienst. Heute lebt er in Berlin und ist hierzulande, anders als sein jüngerer Kollege, nach wie vor unbekannt, obwohl er zu den renommiertesten Autoren in der arabischen Welt zählt. Abbas Khider, der eine Generation später, 1973 in Bagdad geboren wurde, erzählt, dass er in seiner Jugend al-Azzawis verbotene Prosa-Gedichte gelesen habe. Anfang der Neunzigerjahre habe er sogar eines davon, das Saddam Hussein und seine Kriege lächerlich macht, als Flugblatt auf dem Büchermarkt in Bagdad verteilt.
Fadhil al-Azzawis erfolgreichster Roman „Der Letzte der Engel“, der 1992 auf Arabisch in London erschien, wurde 2007 in den USA neu aufgelegt, mit einer Startauflage von 200 000 Stück. Erst jetzt kann man ihn auch auf Deutsch in der Übersetzung von Larissa Bender lesen. „Der Letzte der Engel“ spielt in Kirkuk, heute einer der Brennpunkte der Kämpfe zwischen IS und Peschmerga-Milizen. Genauer: Er spielt im Chukor-Viertel, das der eigentliche Held dieses polyphonen Romans ist. Hier leben in den Fünfzigerjahren Turkmenen, Araber, Kurden und Juden friedlich in ihrem fröhlichen Alltags-Rassismus zusammen, während König Faisal II. das Land regiert. Hier verdient sich der naive Hamid „Nylon“ seinen Spitznamen, weil er einer englischen Lady an die Wäsche will. Jahrzehnte später schreibt er als Oberst Anwar Mustafa den „Taschenführer der Revolution“. Und hier wächst auch der Junge Burhan Abdallah auf, der hoch hinaus will, aber Schelm bleibt, hier treibt Darwisch Bahlul sein sanftes Unwesen, hier steigt der Schwarze Qara Qol Mansur ungewollt zum Märtyrer auf – und Mullah Zain al-Abidin al-Qadiri zum korrupten Imam mit guten Absichten ab.
Armut, die Dschinne und Dämonen – das sind die Dinge, um die sich die Menschen im Chukor-Viertel damals sorgten. Um Politik scherte sich niemand, aus gutem Grund. Das ändert sich, als die Stadtverwaltung die Auflösung ihres Friedhofs plant. Dieser „Übergriff ging für die Menschen der Stadt Kirkuk über das erträgliche Maß hinaus; man konnte alles akzeptieren, aber dass die Regierung die Gräber der Väter und Vorväter exhumierte, unter denen es viele rechtschaffene Heilige gab, war schiere Blasphemie“. Bildet sich jetzt ein politischer Wille? Nein, mit so maliziösen Kommentaren beschreibt al-Azzawi eher das Querulantentum.
Es ist ein Basar der Geschichten, den al-Azzawi uns im Stil des magischen Realismus als Spiegelung der wirklichen Geschichte des Irak vorgaukelt. Das Gerücht ist sein erzählerisches Vehikel, um die Kette der Ereignisse und Wandlungen rasselnd abzuspulen: rasant, keine Sekunde langweilig und immer mit der kalkulierten Hinterlist, die den Leser selbst zur Figur des Romans bestimmt.
Denn wer anderes als wir ist gemeint, wenn die Spirale der Gewalt sich zu drehen beginnt? „Der Letzte der Engel“ ist nicht nur ein Roman über den Irak, sondern eine Variante von Hieronymus Boschs Weltgericht. Al-Azzawi erzählt den ewigen Mythos vom Sündenfall menschlicher Gemeinschaften mit einem diabolischen Lachen, das Folterorgien im Pasolinischen Ausmaß zur Posse degradiert.
Am Ende dieses rasenden Reigens bleibt eine Figur übrig: der Schelm Burhan Abdallah, der wie Chamissos Peter Schlehmil 46 Jahre lang in Siebenmeilenstiefeln durch die Weltgeschichte reist, bevor er als Greis wieder ins Chukor-Viertel einzieht. Das Drama des Exils, das hier fast zwischen den Zeilen und Ereignissen verschwindet, verblasst vor dem Abschlussbild der verkehrten Welt, mit dem al-Azzawi seine Erlösungs-Satire enden lässt. Der Frühling, den Engel auf ihrem Rücken durch den ganzen Roman tragen, ist in den Säcken verfault: „Es wird immer Blut auf diesem purpurfarbenen Teppich sein, auf diesem großen, Heimat genannten Sarg.“
Larissa Bender hat für dieses opulente, scharfsinnige Epos im Deutschen genau den richtigen, beiläufigen Ton gefunden. Bender ist es auch, die gerade ein sehr ernstes Buch zur Lage in Syrien herausgegeben hat: Mehr als dreißig syrische Autorinnen und Autoren bieten darin konkrete „Innenansichten aus Syrien“ (Faust Edition). Der Schriftsteller Khaled Khalifa schreibt: „Alle versuchen, die Augenblicke des Frohsinns festzuhalten, doch sogar das Lachen hat sich verändert. Unser Lachen passt zum Krieg.“
Fadhil al-Azzawi: Der Letzte der Engel. Roman. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Dörlemann Verlag, Zürich 2014, 512 Seiten, 24,90 Euro.
Schauplatz ist die Stadt Kirkuk,
heute ein Brennpunkt
Al-Azzawi beendet seine Satire
mit dem Bild der verkehrten Welt
Ein Basar der Geschichten: Kurde im Souk von Mossul.
Foto: Sabine Roslavlel
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Im Irak gehört Fadhil al-Azzawi zu den bekanntesten Schriftstellern.
Jetzt liegt sein großer Schelmenroman „Der Letzte der Engel“ erstmals auf Deutsch vor
VON INSA WILKE
Stürmen die Reiter der Apokalypse durch die Buchwelten des irakischen Autors Abbas Khider, begleitet Gelächter ihren Ritt. In Khiders sehr gelobtem Gefängnis-Roman „Die Orangen des Präsidenten“ wird klar, weshalb das so ist: Das Lachen verteidigt die eigene Souveränität, die unter Folter und Hoffnungslosigkeit fast schon zerbrochen ist. Abbas Khiders Gelächter ist aber auch ein Geschenk an seine deutschen Leser, die er schützt vor dem, was er eigentlich erzählt. Eine humane Geste. Bei seinem älteren Kollegen Fadhil al-Azzawi tritt diese Seite des Lachens zugunsten einer anderen in den Hintergrund: Das diabolische Gelächter, das durch seinen Roman „Der Letzte der Engel“ schallt, ist eine scharf geschliffene Waffe.
Fadhil al-Azzawi wurde 1938 in Kirkuk geboren, gehörte dort zum Kreis jener Dichter, die die irakische Literatur in die Moderne führen wollten, auch, indem sie unabhängig werden sollte vom politischen Einfluss der Baath-Partei. 1977 ging er ins Exil, in die DDR, weiterhin drangsaliert vom Geheimdienst. Heute lebt er in Berlin und ist hierzulande, anders als sein jüngerer Kollege, nach wie vor unbekannt, obwohl er zu den renommiertesten Autoren in der arabischen Welt zählt. Abbas Khider, der eine Generation später, 1973 in Bagdad geboren wurde, erzählt, dass er in seiner Jugend al-Azzawis verbotene Prosa-Gedichte gelesen habe. Anfang der Neunzigerjahre habe er sogar eines davon, das Saddam Hussein und seine Kriege lächerlich macht, als Flugblatt auf dem Büchermarkt in Bagdad verteilt.
Fadhil al-Azzawis erfolgreichster Roman „Der Letzte der Engel“, der 1992 auf Arabisch in London erschien, wurde 2007 in den USA neu aufgelegt, mit einer Startauflage von 200 000 Stück. Erst jetzt kann man ihn auch auf Deutsch in der Übersetzung von Larissa Bender lesen. „Der Letzte der Engel“ spielt in Kirkuk, heute einer der Brennpunkte der Kämpfe zwischen IS und Peschmerga-Milizen. Genauer: Er spielt im Chukor-Viertel, das der eigentliche Held dieses polyphonen Romans ist. Hier leben in den Fünfzigerjahren Turkmenen, Araber, Kurden und Juden friedlich in ihrem fröhlichen Alltags-Rassismus zusammen, während König Faisal II. das Land regiert. Hier verdient sich der naive Hamid „Nylon“ seinen Spitznamen, weil er einer englischen Lady an die Wäsche will. Jahrzehnte später schreibt er als Oberst Anwar Mustafa den „Taschenführer der Revolution“. Und hier wächst auch der Junge Burhan Abdallah auf, der hoch hinaus will, aber Schelm bleibt, hier treibt Darwisch Bahlul sein sanftes Unwesen, hier steigt der Schwarze Qara Qol Mansur ungewollt zum Märtyrer auf – und Mullah Zain al-Abidin al-Qadiri zum korrupten Imam mit guten Absichten ab.
Armut, die Dschinne und Dämonen – das sind die Dinge, um die sich die Menschen im Chukor-Viertel damals sorgten. Um Politik scherte sich niemand, aus gutem Grund. Das ändert sich, als die Stadtverwaltung die Auflösung ihres Friedhofs plant. Dieser „Übergriff ging für die Menschen der Stadt Kirkuk über das erträgliche Maß hinaus; man konnte alles akzeptieren, aber dass die Regierung die Gräber der Väter und Vorväter exhumierte, unter denen es viele rechtschaffene Heilige gab, war schiere Blasphemie“. Bildet sich jetzt ein politischer Wille? Nein, mit so maliziösen Kommentaren beschreibt al-Azzawi eher das Querulantentum.
Es ist ein Basar der Geschichten, den al-Azzawi uns im Stil des magischen Realismus als Spiegelung der wirklichen Geschichte des Irak vorgaukelt. Das Gerücht ist sein erzählerisches Vehikel, um die Kette der Ereignisse und Wandlungen rasselnd abzuspulen: rasant, keine Sekunde langweilig und immer mit der kalkulierten Hinterlist, die den Leser selbst zur Figur des Romans bestimmt.
Denn wer anderes als wir ist gemeint, wenn die Spirale der Gewalt sich zu drehen beginnt? „Der Letzte der Engel“ ist nicht nur ein Roman über den Irak, sondern eine Variante von Hieronymus Boschs Weltgericht. Al-Azzawi erzählt den ewigen Mythos vom Sündenfall menschlicher Gemeinschaften mit einem diabolischen Lachen, das Folterorgien im Pasolinischen Ausmaß zur Posse degradiert.
Am Ende dieses rasenden Reigens bleibt eine Figur übrig: der Schelm Burhan Abdallah, der wie Chamissos Peter Schlehmil 46 Jahre lang in Siebenmeilenstiefeln durch die Weltgeschichte reist, bevor er als Greis wieder ins Chukor-Viertel einzieht. Das Drama des Exils, das hier fast zwischen den Zeilen und Ereignissen verschwindet, verblasst vor dem Abschlussbild der verkehrten Welt, mit dem al-Azzawi seine Erlösungs-Satire enden lässt. Der Frühling, den Engel auf ihrem Rücken durch den ganzen Roman tragen, ist in den Säcken verfault: „Es wird immer Blut auf diesem purpurfarbenen Teppich sein, auf diesem großen, Heimat genannten Sarg.“
Larissa Bender hat für dieses opulente, scharfsinnige Epos im Deutschen genau den richtigen, beiläufigen Ton gefunden. Bender ist es auch, die gerade ein sehr ernstes Buch zur Lage in Syrien herausgegeben hat: Mehr als dreißig syrische Autorinnen und Autoren bieten darin konkrete „Innenansichten aus Syrien“ (Faust Edition). Der Schriftsteller Khaled Khalifa schreibt: „Alle versuchen, die Augenblicke des Frohsinns festzuhalten, doch sogar das Lachen hat sich verändert. Unser Lachen passt zum Krieg.“
Fadhil al-Azzawi: Der Letzte der Engel. Roman. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Dörlemann Verlag, Zürich 2014, 512 Seiten, 24,90 Euro.
Schauplatz ist die Stadt Kirkuk,
heute ein Brennpunkt
Al-Azzawi beendet seine Satire
mit dem Bild der verkehrten Welt
Ein Basar der Geschichten: Kurde im Souk von Mossul.
Foto: Sabine Roslavlel
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»Larissa Bender hat für dieses opulente, scharfsinnige Epos im Deutschen genau den richtigen, beiläufigen Ton gefunden.« Insa Wilke / Süddeutsche Zeitung
»Mit Ironie, Komik und mythisch-märchenhafter orientalischer Erzähltradition lässt al-Azzawi tief in die irakische Gesellschaft blicken. Diesen Autor möchte ich gerne entdecken.« Katharina Sprenger / Buchmarkt
»Eine der herrlichsten Revolutionsparodien der Weltliteratur.« Stefan Weidner / Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Es ist eines der wichtigsten Bücher über die arabischsprachige Welt und gleichzeitig literarisch in seiner Skurrilität, seinem untergründigen Humor, seinem arabesken Erfindungsreichtum, seiner stilistischen Eleganz und Lust am Fabulieren einfach ein Juwel.« Tanja Dückers / Berliner Morgenpost
»Ein Meilenstein der irakischen Literatur.« Suedstadt.de
»Mit Ironie, Komik und mythisch-märchenhafter orientalischer Erzähltradition lässt al-Azzawi tief in die irakische Gesellschaft blicken. Diesen Autor möchte ich gerne entdecken.« Katharina Sprenger / Buchmarkt
»Eine der herrlichsten Revolutionsparodien der Weltliteratur.« Stefan Weidner / Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Es ist eines der wichtigsten Bücher über die arabischsprachige Welt und gleichzeitig literarisch in seiner Skurrilität, seinem untergründigen Humor, seinem arabesken Erfindungsreichtum, seiner stilistischen Eleganz und Lust am Fabulieren einfach ein Juwel.« Tanja Dückers / Berliner Morgenpost
»Ein Meilenstein der irakischen Literatur.« Suedstadt.de