Im Sommer 1980 zieht Ronald M. Schernikau (1960-1991) nach Westberlin. Er ist eine Lichtgestalt der Literatur, Autor der provokanten "Kleinstadtnovelle". Er stürzt sich ins Nachtleben, in die Welt der Cabarets, Saunen, Discos. Er trifft die Liebe seines Lebens. Unter seinen Freunden, die wie er die Welt erobern wollen, ist der junge Schauspieler Matthias Frings. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Schernikau von den anderen: Er ist Kommunist. Zum Entsetzen seiner Freunde will er DDR-Bürger werden. Im Herbst 1989 erfüllt sich sein Lebenstraum. Doch wenige Wochen später fällt die Mauer. - Neben einer schillernden Biographie, in der Elfriede Jelinek, Thomas Hermanns, Marianne Rosenberg, Peter Hacks u. v. a. auftreten, gilt es einen Autor zu entdecken: "Einer der größten deutschen Schriftsteller der letzten Jahrzehnte." Dietmar Dath
Nur wer träumt, ist Realist. Matthias Frings porträtiert eine Ikone der Subkultur.
Ein Mann gegen die Geschichte
Herbst 1989: Tausende Ostdeutsche strömen gen Westen. Nur einer geht den entgegengesetzten Weg. Der Schriftsteller Ronald M. Schernikau ist der letzte Westdeutsche, der DDR-Bürger wird.
Anrührend und voller Humor erzählt Matthias Frings die Biographie eines lebenshungrigen jungen Mannes, der sich gegen die Geschichte stellt, und liefert damit ein Sittenbild der 80er Jahre. Schernikau war einer der größten deutschen Schriftsteller der letzten Jahrzehnte. Dietmar Dath
Im Sommer 1980 zieht Ronald Schernikau nach Westberlin. Der 20-Jährige ist eine Lichtgestalt der deutschen Literatur, Autor der erfolgreichen Kleinstadtnovelle . Voller Elan stürzt er sich ins Nachtleben. Er lernt die Welt der Cabarets, der Saunen und Discos kennen. Er trifft die Liebe seines Lebens und Freunde, die wie er die Welt erobern wollen, darunter den jungen Schauspieler Matthias Frings. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Schernikau von den anderen: Er ist Kommunist. Obwohl seine Mutter 1966 mit ihm im Kofferraum eines Diplomatenwagens über die innerdeutsche Grenze geflohen war, setzt er alles daran, am Literaturinstitut in Leipzig zu studieren. Es gelingt ihm, und er fasst einen großen Entschluss: Zum Entsetzen seiner Freunde will er DDR-Bürger werden. Im September 1989 erfüllt sich sein Lebenstraum. Doch kurze Zeit später ist Ronald M. Schernikau schon wieder am falschen Ort. Die Mauer fällt, und er erhält eine tödliche Diagnose. Der letzte Kommunist ist eine rasante Zeit- und Sittengeschichte der 80er Jhare, in der u. a. Elfriede Jelinek, Thomas Hermanns, Peter Hacks, Marianne Rosenberg, Alice Schwarzer u. v. m. auftreten.
Nur wer träumt, ist Realist. Matthias Frings porträtiert eine Ikone der Subkultur.
Ein Mann gegen die Geschichte
Herbst 1989: Tausende Ostdeutsche strömen gen Westen. Nur einer geht den entgegengesetzten Weg. Der Schriftsteller Ronald M. Schernikau ist der letzte Westdeutsche, der DDR-Bürger wird.
Anrührend und voller Humor erzählt Matthias Frings die Biographie eines lebenshungrigen jungen Mannes, der sich gegen die Geschichte stellt, und liefert damit ein Sittenbild der 80er Jahre. Schernikau war einer der größten deutschen Schriftsteller der letzten Jahrzehnte. Dietmar Dath
Im Sommer 1980 zieht Ronald Schernikau nach Westberlin. Der 20-Jährige ist eine Lichtgestalt der deutschen Literatur, Autor der erfolgreichen Kleinstadtnovelle . Voller Elan stürzt er sich ins Nachtleben. Er lernt die Welt der Cabarets, der Saunen und Discos kennen. Er trifft die Liebe seines Lebens und Freunde, die wie er die Welt erobern wollen, darunter den jungen Schauspieler Matthias Frings. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Schernikau von den anderen: Er ist Kommunist. Obwohl seine Mutter 1966 mit ihm im Kofferraum eines Diplomatenwagens über die innerdeutsche Grenze geflohen war, setzt er alles daran, am Literaturinstitut in Leipzig zu studieren. Es gelingt ihm, und er fasst einen großen Entschluss: Zum Entsetzen seiner Freunde will er DDR-Bürger werden. Im September 1989 erfüllt sich sein Lebenstraum. Doch kurze Zeit später ist Ronald M. Schernikau schon wieder am falschen Ort. Die Mauer fällt, und er erhält eine tödliche Diagnose. Der letzte Kommunist ist eine rasante Zeit- und Sittengeschichte der 80er Jhare, in der u. a. Elfriede Jelinek, Thomas Hermanns, Peter Hacks, Marianne Rosenberg, Alice Schwarzer u. v. m. auftreten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Feier der Weltzugewandtheit
Der letzte Bürger der DDR: Matthias Frings hat eine einfühlsame Biographie des Autors und Kommunisten Roland M. Schernikau geschrieben, die seinem Leben gerecht wird und Lust auf sein Lebenswerk macht.
Von Dietmar Dath
Dieses Buch, das neben diversen anderen Dingen vom Leben des Schriftstellers Ronald M. Schernikau erzählt, hat mehr mediale Aufmerksamkeit erlangt als bislang je irgendwo Schernikaus Kunst. Das wird sich ändern; die augenblicklichen Neugier- und Aufregungszustände sind hiervon nur ein erstes erfreuliches Vorzeichen.
Das Buch ordnet den Dichter in die Sitten- und Sozialgeschichte ein. Die Literaturgeschichte hat Schernikau 1980 als knapp Zwanzigjähriger mit dem Erscheinen seiner atemberaubend dichten "kleinstadtnovelle" betreten. Der Debütant beherrschte sein Wahlfach, als habe er zuvor zwei Leben lang Novellen geschrieben, um zum krönenden Schluss endlich das perfekte Gattungsschmuckstück aus sich herauszukitzeln. 1989 dann erschien "die tage in l. - darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur", ein Essay, der, von seinen Gegenständen abgesehen, einschüchternd zeigt, wie viele Beobachtungen und Gedanken man haben, verwerfen, überwinden und in zündende Sätze verwandeln muss, um sich die Welt essayistisch aneignen zu können. Im Oktober 1991 starb Schernikau an den Folgen von Aids. Acht Jahre später erschien, ermöglicht über eine Subskription, sein tausendseitiger Roman "legende", der vom Ende der DDR und der Niederlage des Weltsozialismus auf genau die Weise handelt, wie große Epik von solchen Sachen handeln soll: Als Exempel für Wichtigeres, Tieferes, Schöneres und Traurigeres - eben so, wie das irische Nationalschicksal bei Joyce vorkommt.
Wer etwas über Schernikaus Literatur erfahren will, der lese sie.
Die betörenden, verwirrenden Kunsttatsachen, die Schernikau hinterlassen hat, kommen in dem Buch "Der letzte Kommunist - Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau" von Matthias Frings nicht in der Breite vor, die sie einmal in der literarischen Epochenchronik einnehmen werden. Das kommt aber nicht daher, dass Frings Bedeutsameres mitzuteilen hätte. Was in dem Buch steht, ist an keiner Stelle wichtiger als Schernikaus Bücher; aber es ist sehr wichtig, weil es diese Bücher gibt, und die kann man ja lesen, wenn man mag.
Im Geiste einer Sorte journalistischer Sorgfalt, die aus der eigenen Subjektivität vermittels der Offenlegung ihrer Bedingtheiten ein Mittel zur Erlangung des mehr oder weniger Objektiven zu machen weiß, schildert Frings eingangs sein Herkommen. Er war in den Siebzigern bei den "undogmatischen Linken" und "Spontis" politisch, kulturell und sozial zu Hause, tat sich in der Theaterwelt um und erlebte beispielsweise hitzige Diskussionen darüber, ob es so etwas wie "schwule Literatur" gebe und wozu sie nützen könnte. (Natürlich. Tolstois Werke sind schließlich auch herausragende Beispiele der Vegetarierliteratur. Es kann für Vegetarier ermutigend sein und ihrer Sache nützen, darauf zu verweisen.)
Frings, der später auch als Moderator des erfreulich unverklemmten Erotik-Fernsehmagazins "Liebe Sünde" bleibende Verdienste erwarb, hat Schernikau in Berlin kennengelernt. Da war der Dichter, der "kleinstadtnovelle" wegen, gerade eine vom Gerücht zur Berühmtheit sich aufschwingende Erscheinung, ein Wunderkind, ein Prinz. Frings baut einige Sätze, die viel Spaß machen ("In diesem Sommer waren alle verliebt"), er versteht etwas von Bohemesoziologie, man lernt von ihm viel über Schlager, Rauschzustände, die feine Kunst der angeschickerten Konversation, Camp, das Schwärmen, das In-die-Wolken-Gucken und über Schernikaus Weg aus der Provinz ins Zentrum. Die Mutter des Dichters hatte ihn als Kind aus der DDR geschmuggelt, aber diese DDR, die sich hier einmal in Kunstdingen schlauer zeigte als sonst leider allzu oft, war mitgekommen bei jener Westreise, jedenfalls als Idee. In deren Wirklichkeit wollte Schernikau, der wusste, dass Ideen verhungern, wenn man sie künstlich von der Wirklichkeit trennt, später unbedingt zurück. Er hat es gerade noch geschafft, bevor der Staat, dem Schernikau zutraute, sein Zuhause werden zu können, versunken ist. Auch davon erzählt das Buch.
Der Dichter brauchte, bei diesem Lebensweg, eine Menge Sinn fürs Unbegreifliche, aber Notwendige. Vielleicht hat er sich ab und zu bei denen, die jetzt lustige und lehrreiche Geschichten über ihn wissen, von dem Wunderwesen erholt, das er war, und das Sätze schreiben konnte wie die, mit denen die "kleinstadtnovelle" anhebt: "ich habe angst. Bin weiblich, bin männlich, doppelt. fühle meinen körper sich von meinem körper entfernen, sehe meine weißen hände, die augen im spiegel, ich will nicht doppelt sein wer bin ich? will ich sein, männlich, weiblich, sehe nur weiß." Das Buch erzählt von einem, der sich selbst nur lieben lernt, weil ihn einer verrät, den er liebt. Bei Schernikau hat diese Fügung nichts von Selbsterfahrungskäse; es geht da um Erkenntnisse und Chancen zum Leben. Der Rezensent gibt zu, dass er froh ist, Schernikau nicht persönlich gekannt zu haben - wie viel Angst hätte er sonst, dass die letzten Sätze von "die tage in l." ein Urteil über ihn aussprechen könnten: "mit leuten, die einem nichts bedeuten, ist leicht fröhlich sein. die schönsten witze habe ich denen erzählt, die sie nicht verstehen." Das Präsens, mit dem dieser Satz endet, ist eine Warnung. Vom Gebrauch der Zeitformen des Deutschen hat Schernikau, der die schöne Losung verfasste "der kommunismus wird siegen werden", viel verstanden.
Wie lustig war er, den Frings so lustig vorstellt, wie ernst war diese Lustigkeit, was davon ist, als Nachlass, auf uns gekommen? Man kann darüber nicht nachdenken, ohne zu beachten, dass der Dichter etwas sehr ernst genommen hat, über das seither viel Lustigkeit ausgegossen wurde. Ronald M. Schernikau war Kommunist - "der letzte", sagt der Titel des Buches von Frings, was dem Buch Freunde verschaffen könnte, denen Schernikau nicht mal Witze hätte erzählen wollen. Macht nichts.
Die wahren Kommunisten haben die Faxen dicke.
Einer dieser Blogger, die alles wissen und nichts begreifen, hat der Welt neulich ein Porträt des Typus "privilegierter deutscher Literaturkommunist" geschenkt: Der sei, stand da, im Normalfall ein junger Mann mit Bausparvertrag, elterlichem Finanzbeistand im Rücken und radikalen Flausen ohne jede Erdung im Diesseits. Dass es unter den bekennenden Freundinnen und Freunden Marxens und Lenins nicht nur so etwas, sondern auch Leute gibt, deren Eltern Friseure, Zahntechnikerinnen, Bäckereihilfskräfte oder, wie im Falle Schernikaus, alleinerziehende Krankenschwestern sind, also Geschöpfe, denen das Geldverdienen niemand abnimmt, scheint unvorstellbar.
Tatsächlich fühlen sich Personen, die nichts zu erben haben, seit spätestens 1968 vom Linksradikalismus in der Metropolenwelt häufig eher abgestoßen, da derselbe weithin ein Phänomen zu sein scheint, das vage Unzufriedene während der periodischen Rüttelzeiten des normalen Betriebsablaufs veranstalten, bis wieder genügend Stellen für Lehrer, Therapeutinnen oder Außenminister frei werden. Wenn allerdings Menschen, für die, ihrer sozialen Herkunft wegen, solche schönen Plätzchen nicht vorgesehen sind, auf die Frage nach dem, was sie fordern, "Kommunismus" sagen, dann meinen sie damit eben nicht, was der Blogger für links hält: Zeittotschlagen, Faxenmachen und Hörnerabstoßen. Was sie meinen, ist tatsächlich: Kommunismus.
Schernikaus mal pantheresk gespannter, mal kindlich gelöster Heiterkeit kommt dieser schöne, produktiv problematische Drehpunkt des absolut Ernstgemeinten enorm zugute. Einer, der, wie dieser Dichter, weiß, was er will, kann viel spielerischer ans Urteilen, Träumen, Lachen und Weinen gehen als einer, der nur aus Spiegeln von Spiegeln besteht. Von vielen einleuchtenden Gründen, das Bestehende abzulehnen, ist der legitimste, dass man sich etwas Besseres vorstellen kann. So ist das zum Beispiel bei Peter Hacks gewesen, Schernikaus Lehrer und Freund (damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir lernen von Lehrern nicht dadurch, dass wir sie nachäffen). Und so hat dieser es auch bei dem Schüler gesehen, wie er sich 1998 in einem Brief an Hans Heinz Holz liebevoll entsinnt: "Verwandt mit dem Streben nach einer Mitte ist wohl die Lust der Kommunisten auf Affirmation; der selige Schernikau hat hierauf immer viel Wert gelegt. Jede Negation hat eine Aura von Langeweile. Dummköpfe, leider, fühlen genau andersherum."
Matthias Frings, zum Glück, fühlt, das man, wenn man über einen wie Schernikau schreiben will, die immense Lebenstüchtigkeit und Weltzugewandtheit dieses Menschen nicht nur erwähnen, sondern angemessen feiern muss. Frings kannte ihn. Alle können ihn kennenlernen: Seine Bücher verweisen auf ihn; nicht rückwärtsgewandt - sie weisen voraus. Schernikau ist unterwegs zu uns. Wir dürfen uns, so nett ist er, in seinem Sinne schon sehr auf ihn freuen.
Matthias Frings: "Der letzte Kommunist". Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 450 S., 16 Abb., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der letzte Bürger der DDR: Matthias Frings hat eine einfühlsame Biographie des Autors und Kommunisten Roland M. Schernikau geschrieben, die seinem Leben gerecht wird und Lust auf sein Lebenswerk macht.
Von Dietmar Dath
Dieses Buch, das neben diversen anderen Dingen vom Leben des Schriftstellers Ronald M. Schernikau erzählt, hat mehr mediale Aufmerksamkeit erlangt als bislang je irgendwo Schernikaus Kunst. Das wird sich ändern; die augenblicklichen Neugier- und Aufregungszustände sind hiervon nur ein erstes erfreuliches Vorzeichen.
Das Buch ordnet den Dichter in die Sitten- und Sozialgeschichte ein. Die Literaturgeschichte hat Schernikau 1980 als knapp Zwanzigjähriger mit dem Erscheinen seiner atemberaubend dichten "kleinstadtnovelle" betreten. Der Debütant beherrschte sein Wahlfach, als habe er zuvor zwei Leben lang Novellen geschrieben, um zum krönenden Schluss endlich das perfekte Gattungsschmuckstück aus sich herauszukitzeln. 1989 dann erschien "die tage in l. - darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur", ein Essay, der, von seinen Gegenständen abgesehen, einschüchternd zeigt, wie viele Beobachtungen und Gedanken man haben, verwerfen, überwinden und in zündende Sätze verwandeln muss, um sich die Welt essayistisch aneignen zu können. Im Oktober 1991 starb Schernikau an den Folgen von Aids. Acht Jahre später erschien, ermöglicht über eine Subskription, sein tausendseitiger Roman "legende", der vom Ende der DDR und der Niederlage des Weltsozialismus auf genau die Weise handelt, wie große Epik von solchen Sachen handeln soll: Als Exempel für Wichtigeres, Tieferes, Schöneres und Traurigeres - eben so, wie das irische Nationalschicksal bei Joyce vorkommt.
Wer etwas über Schernikaus Literatur erfahren will, der lese sie.
Die betörenden, verwirrenden Kunsttatsachen, die Schernikau hinterlassen hat, kommen in dem Buch "Der letzte Kommunist - Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau" von Matthias Frings nicht in der Breite vor, die sie einmal in der literarischen Epochenchronik einnehmen werden. Das kommt aber nicht daher, dass Frings Bedeutsameres mitzuteilen hätte. Was in dem Buch steht, ist an keiner Stelle wichtiger als Schernikaus Bücher; aber es ist sehr wichtig, weil es diese Bücher gibt, und die kann man ja lesen, wenn man mag.
Im Geiste einer Sorte journalistischer Sorgfalt, die aus der eigenen Subjektivität vermittels der Offenlegung ihrer Bedingtheiten ein Mittel zur Erlangung des mehr oder weniger Objektiven zu machen weiß, schildert Frings eingangs sein Herkommen. Er war in den Siebzigern bei den "undogmatischen Linken" und "Spontis" politisch, kulturell und sozial zu Hause, tat sich in der Theaterwelt um und erlebte beispielsweise hitzige Diskussionen darüber, ob es so etwas wie "schwule Literatur" gebe und wozu sie nützen könnte. (Natürlich. Tolstois Werke sind schließlich auch herausragende Beispiele der Vegetarierliteratur. Es kann für Vegetarier ermutigend sein und ihrer Sache nützen, darauf zu verweisen.)
Frings, der später auch als Moderator des erfreulich unverklemmten Erotik-Fernsehmagazins "Liebe Sünde" bleibende Verdienste erwarb, hat Schernikau in Berlin kennengelernt. Da war der Dichter, der "kleinstadtnovelle" wegen, gerade eine vom Gerücht zur Berühmtheit sich aufschwingende Erscheinung, ein Wunderkind, ein Prinz. Frings baut einige Sätze, die viel Spaß machen ("In diesem Sommer waren alle verliebt"), er versteht etwas von Bohemesoziologie, man lernt von ihm viel über Schlager, Rauschzustände, die feine Kunst der angeschickerten Konversation, Camp, das Schwärmen, das In-die-Wolken-Gucken und über Schernikaus Weg aus der Provinz ins Zentrum. Die Mutter des Dichters hatte ihn als Kind aus der DDR geschmuggelt, aber diese DDR, die sich hier einmal in Kunstdingen schlauer zeigte als sonst leider allzu oft, war mitgekommen bei jener Westreise, jedenfalls als Idee. In deren Wirklichkeit wollte Schernikau, der wusste, dass Ideen verhungern, wenn man sie künstlich von der Wirklichkeit trennt, später unbedingt zurück. Er hat es gerade noch geschafft, bevor der Staat, dem Schernikau zutraute, sein Zuhause werden zu können, versunken ist. Auch davon erzählt das Buch.
Der Dichter brauchte, bei diesem Lebensweg, eine Menge Sinn fürs Unbegreifliche, aber Notwendige. Vielleicht hat er sich ab und zu bei denen, die jetzt lustige und lehrreiche Geschichten über ihn wissen, von dem Wunderwesen erholt, das er war, und das Sätze schreiben konnte wie die, mit denen die "kleinstadtnovelle" anhebt: "ich habe angst. Bin weiblich, bin männlich, doppelt. fühle meinen körper sich von meinem körper entfernen, sehe meine weißen hände, die augen im spiegel, ich will nicht doppelt sein wer bin ich? will ich sein, männlich, weiblich, sehe nur weiß." Das Buch erzählt von einem, der sich selbst nur lieben lernt, weil ihn einer verrät, den er liebt. Bei Schernikau hat diese Fügung nichts von Selbsterfahrungskäse; es geht da um Erkenntnisse und Chancen zum Leben. Der Rezensent gibt zu, dass er froh ist, Schernikau nicht persönlich gekannt zu haben - wie viel Angst hätte er sonst, dass die letzten Sätze von "die tage in l." ein Urteil über ihn aussprechen könnten: "mit leuten, die einem nichts bedeuten, ist leicht fröhlich sein. die schönsten witze habe ich denen erzählt, die sie nicht verstehen." Das Präsens, mit dem dieser Satz endet, ist eine Warnung. Vom Gebrauch der Zeitformen des Deutschen hat Schernikau, der die schöne Losung verfasste "der kommunismus wird siegen werden", viel verstanden.
Wie lustig war er, den Frings so lustig vorstellt, wie ernst war diese Lustigkeit, was davon ist, als Nachlass, auf uns gekommen? Man kann darüber nicht nachdenken, ohne zu beachten, dass der Dichter etwas sehr ernst genommen hat, über das seither viel Lustigkeit ausgegossen wurde. Ronald M. Schernikau war Kommunist - "der letzte", sagt der Titel des Buches von Frings, was dem Buch Freunde verschaffen könnte, denen Schernikau nicht mal Witze hätte erzählen wollen. Macht nichts.
Die wahren Kommunisten haben die Faxen dicke.
Einer dieser Blogger, die alles wissen und nichts begreifen, hat der Welt neulich ein Porträt des Typus "privilegierter deutscher Literaturkommunist" geschenkt: Der sei, stand da, im Normalfall ein junger Mann mit Bausparvertrag, elterlichem Finanzbeistand im Rücken und radikalen Flausen ohne jede Erdung im Diesseits. Dass es unter den bekennenden Freundinnen und Freunden Marxens und Lenins nicht nur so etwas, sondern auch Leute gibt, deren Eltern Friseure, Zahntechnikerinnen, Bäckereihilfskräfte oder, wie im Falle Schernikaus, alleinerziehende Krankenschwestern sind, also Geschöpfe, denen das Geldverdienen niemand abnimmt, scheint unvorstellbar.
Tatsächlich fühlen sich Personen, die nichts zu erben haben, seit spätestens 1968 vom Linksradikalismus in der Metropolenwelt häufig eher abgestoßen, da derselbe weithin ein Phänomen zu sein scheint, das vage Unzufriedene während der periodischen Rüttelzeiten des normalen Betriebsablaufs veranstalten, bis wieder genügend Stellen für Lehrer, Therapeutinnen oder Außenminister frei werden. Wenn allerdings Menschen, für die, ihrer sozialen Herkunft wegen, solche schönen Plätzchen nicht vorgesehen sind, auf die Frage nach dem, was sie fordern, "Kommunismus" sagen, dann meinen sie damit eben nicht, was der Blogger für links hält: Zeittotschlagen, Faxenmachen und Hörnerabstoßen. Was sie meinen, ist tatsächlich: Kommunismus.
Schernikaus mal pantheresk gespannter, mal kindlich gelöster Heiterkeit kommt dieser schöne, produktiv problematische Drehpunkt des absolut Ernstgemeinten enorm zugute. Einer, der, wie dieser Dichter, weiß, was er will, kann viel spielerischer ans Urteilen, Träumen, Lachen und Weinen gehen als einer, der nur aus Spiegeln von Spiegeln besteht. Von vielen einleuchtenden Gründen, das Bestehende abzulehnen, ist der legitimste, dass man sich etwas Besseres vorstellen kann. So ist das zum Beispiel bei Peter Hacks gewesen, Schernikaus Lehrer und Freund (damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir lernen von Lehrern nicht dadurch, dass wir sie nachäffen). Und so hat dieser es auch bei dem Schüler gesehen, wie er sich 1998 in einem Brief an Hans Heinz Holz liebevoll entsinnt: "Verwandt mit dem Streben nach einer Mitte ist wohl die Lust der Kommunisten auf Affirmation; der selige Schernikau hat hierauf immer viel Wert gelegt. Jede Negation hat eine Aura von Langeweile. Dummköpfe, leider, fühlen genau andersherum."
Matthias Frings, zum Glück, fühlt, das man, wenn man über einen wie Schernikau schreiben will, die immense Lebenstüchtigkeit und Weltzugewandtheit dieses Menschen nicht nur erwähnen, sondern angemessen feiern muss. Frings kannte ihn. Alle können ihn kennenlernen: Seine Bücher verweisen auf ihn; nicht rückwärtsgewandt - sie weisen voraus. Schernikau ist unterwegs zu uns. Wir dürfen uns, so nett ist er, in seinem Sinne schon sehr auf ihn freuen.
Matthias Frings: "Der letzte Kommunist". Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 450 S., 16 Abb., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Seit er existiert, wird dem Kapitalismus das unmittelbar bevorstehende Ende vorausgesagt (gern auch ab und zu in der so bürgerlich behaglichen "Zeit"). Ronald M. Schernikau war so einer und hat diese Idee bis zur Bizarrerie ausgelebt, indem er kurz vor dem Ende des schon nach Verwesung duftenden Sozialismus in die DDR übertrat und Schriftstellerkollegen, die längst westlich orientiert waren, mit Kapitalismuskritik traktierte. Ein Paradiesvogel, schwul, sehr begabt, viel zu früh an Aids gestorben. Rezensent Thomas Wagner zeigt sich fasziniert von den vielen Brechungen und Perspektivwechseln in dieser Biografie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» Die Szene, die Matthias Frings in seiner Biografie [...] beschreibt, bringt die spektakuläre tragische Geschichte des Autors und großen DDR-Sehnsüchtigen auf den Punkt. « Jan Oberländer Der Tagesspiegel 20090308