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Produktdetails
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Seitenzahl: 281
  • Abmessung: 215mm x 145mm x 29mm
  • Gewicht: 496g
  • ISBN-13: 9783455111880
  • Artikelnr.: 25628539
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Die Fracht des Schicksals
Der letzte Krupp hat seinen ersten Biographen nicht verdient / Von Bernd Eilert

In einem jüngst erschienenen Roman des spanischen Autors Eduardo Mendoza taucht als Zeit- und Randerscheinung auch der Vater des letzten Krupp gelegentlich auf: "Die Berühmtheit der Familie Krupp reichte ins sechzehnte Jahrhundert zurück, als ein Vorfahr des Mannes, dem jetzt in Nürnberg der Prozeß gemacht wurde, begonnen hatte, für den Dreißigjährigen Krieg Waffen herzustellen. Seit jenem weit zurückliegenden Tag hätte ohne den Beitrag der Familie Krupp kein europäischer Krieg von Bedeutung geführt werden können." Legenden wie diese mögen sich häufiger gebildet haben: Der Name Krupp lud dazu ein.

Die Fakten finden sich bei Kammertöns: Erst 1847 verkaufte die Familie ihre erste Kanone. Macht und Reichtum der Dynastie währten mithin nur hundertzwanzig Jahre. Am 1. April 1967 dankte Alfried Krupp als Firmenchef ab. Sein einziger Sohn, Arndt, hatte bereits im Januar zuvor auf sein Erbe verzichtet und mußte für die nächsten zwanzig Jahre mit einer jährlichen Apanage von zwei Millionen Mark und dem bildhaften Titel "Deutschlands reichster Frührentner" vorliebnehmen.

Emsig hat Kammertöns Details über Arndt und seine Familie zusammengetragen. Einige sind recht erhellend, wie etwa die erste Amtshandlung des neuen Geschäftsführers Berthold Beitz: Der Dynamiker gab angeblich "Anweisung, die Geschwindigkeit der Paternoster im Hauptgebäude spürbar zu erhöhen". Wenn dagegen über Kruppsche Außendienstler kolportiert wird: "Manchmal trafen sie bei ihren Kundenbesuchen auf Frauen, die nie zuvor einen weißen Mann gesehen hatten und den Kruppianern als Dank für diese drollige Erfahrung auf der Stelle ihre Gunst anbieten wollten", so klingt das eher wie Vertreterlatein. Bisweilen sagen Aussparungen mehr aus als Überlieferungen: "Von Bertha ist überliefert, daß sie zusammenzuckte, als sie zum erstenmal eine Hakenkreuzfahne über ihrer Villa wehen sah." Weitere Widerstandshandlungen eines Familienmitglieds werden nicht erwähnt. Was Wertungen betrifft, hält sich Kammertöns sehr zurück und an den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss: "Die Herstellung von Waffen" ist für den Festredner zum hundertfünfzigsten Firmenjubiläum "ein ganz einfacher historischer Tatbestand, den man bedauern, den man aber nicht moralisch bewerten mag".

Vom Titelhelden Arndt handeln nicht einmal die Hälfte der 280 Seiten seiner Biographie. Und das ist gut so, denn Aufstieg und Glanzzeit der Familie Krupp sind wesentlich spannender als ihr Niedergang. Zwischen maßloser Tätigkeit und gemäßigter Wohltätigkeit schwankend, verkörpern die Krupps den Katalog deutscher Sekundärtugenden wie Sparsamkeit, Pünktlichkeit, Sittsamkeit, Bedürfnislosigkeit, Arbeitseifer, Ordnungsliebe und Sammelleidenschaft in häufig comichafter Überzeichnung. Zur Tragödie haben sie das Zeug nicht ganz, zum düsteren Melodram reichte es allemal. Kammertöns verweist einmal auf ein mögliches Vorbild: "Die Erbschaftskämpfe nach dem Tod eines Stahlbarons zu Beginn des Dritten Reiches" habe Luchino Visconti 1968 in seinem Untergangsdrama "Die Verdammten" "meisterhaft in Szene gesetzt". Comic oder Melodram - dummerweise hat dieser Biograph sich weder für die eine noch für die andere Darstellungsweise entschieden, sondern einen Tonfall gewählt, den Deutschlehrer früher gern "lebendig" nannten und der auch für den stärksten Stoff auf Dauer tödlich wirkt.

Kurze Sätze: "Alfreds Lieblingsspiel Domino. Dabei war es passiert . . . Aus heiterem Himmel? Nicht so ganz . . ." Eben: "Starker Tobak!" Schulfunkdialoge: " . . . Tuscheleien, die Arndt nicht überhören konnte: ,Sohn vom Kriegsverbrecher!' . . . ,Der Sohn vom Krupp', wurde alsbald getuschelt . . . ,Sohn eines Kriegsverbrechers!' riefen die Kinder aus der Nachbarschaft hinter ihm her . . ." Schiefe Bilder: Alfried im "Teufelskreis seiner fehlenden Emotionen". Oder: Hugenberg, "der seitdem ohne großen Wellenschlag lautlos vor sich hinoperierte". Platitüden: "Wenn Gefühle plötzlich aufbrechen, sind sie heftig und manchmal blind." Und: "Geld hat schon manchem den Rücken freigehalten."

Kammertöns' Erkenntnisdrang geht selten über den des bestellten Referenten hinaus, auch dann nicht, wenn Arndt selbst betroffen ist, dessen Leben zumindest ein interessantes Prinzip illustriert: Wenn eine labile Person aufgrund ihrer finanziellen Mittel eine zentrale Stellung einnimmt, bildet sich sogleich ein Kreis von Trabanten, die sich wie in einem Hofstaat hierarchisch einordnen, wobei ihre Machtposition sich nach der Entfernung von der Zentralfigur bemißt, auf die sie dementsprechend mehr oder weniger Einfluß nehmen können. Arndts Leben ist von großen Wesiren und grauen Eminenzen ebenso bestimmt, wie er auf bunte Schranzen angewiesen war. Der Adelstick, den er zunehmend auffälliger entwickelte, hat auch mit der erwähnten Ähnlichkeit zum aristokratischen Ordnungsprinzip zu tun.

Doch Kammertöns bemüht sich nicht um Erklärungen, sondern lieber die Mächte des Schicksals: Immer wieder mal eine "schicksalhafte Begegnung . . . dann hatte Bertha schicksalhaft in das Leben von Vater und Sohn eingegriffen . . . Alfred, vom Schicksal begünstigt? . . . Doch noch immer hatte das Schicksal die letzte Karte nicht gespielt . . . Magisch angezogen von dem Namen Krupp, pilgerten Männer . . . Damit stand das Vorhaben von Anfang an unter keinem guten Stern . . . auch in der Schweiz holten ihn die dunklen Wolken ein . . . es schien ein Fluch über der Firma zu liegen . . . daß sich nämlich das Glück gern an diese Firma verschwendete, nicht aber an die, die sie besaßen . . . ein immer mal wieder von Wundern heimgesuchtes Haus wie Krupp . . . Nicht oft haben sich die Dinge der unchristlichen Seefahrt so wundersam gefügt . . . Doch damit der Wunder nicht genug . . . Arndt bog auf die entscheidende Bahn seines Lebens ein . . . Welche Mächte auch immer im Spiel waren . . ." Genau das wüßte man doch zu gern. So wird der Tod des letzten Krupp nicht bloß für ihn zu einer Erlösung, sondern auch für den Leser, der den armen Arndt dafür bedauern mag, daß sich kein besserer Biograph für ihn gefunden hat.

Hans-Bruno Kammertöns: "Der letzte Krupp". Arndt von Bohlen und Halbach. Das Ende einer Dynastie. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1998. 288 S., Abb., geb., 44,90 DM.

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