Produktdetails
- Verlag: Engeler
- Seitenzahl: 131
- Deutsch
- Abmessung: 185mm
- Gewicht: 246g
- ISBN-13: 9783905591934
- ISBN-10: 3905591936
- Artikelnr.: 14880052
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Joseph Hanimann ist hingerissen von der Erzählung, aber auch der Übersetzung durch Jürg Laederach. Der nämlich sei mit einer "offensichtlichen Affinität" zu Maurice Blanchot an die Arbeit gegangen und hält laut Hanimann genial die "Balance zwischen Texttreue und authentischer Nacherfindung". Über manche Entscheidung freilich könnte der Kritiker mit Laederach auch streiten, was für ihn jedoch ein weiteres Zeichen für die Qualität dieser Übertragung ist. Im Buch selbst, Hanimann zufolge 1957 zuerst erschienenen, geht es um das verschwundene Subjekt, das nur noch im Reflex von "Ereignisspuren" wie Blicken, Gedankenspielen, inneren oder erinnerten Dialogen für Blanchot überhaupt erzählbar gewesen sei. Das Wiederlesen des Textes fast fünfzig Jahre nach seinem Entstehen lässt den Rezensenten unwillkürlich an heutige Debatten zum "Neohumanismus" denken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2006Auch Gott braucht Zeugen
Maurice Blanchots frühe Erzählung "Der letzte Mensch"
Der "Mensch" wurde schon öfter zu Grabe gelegt, zuletzt bei Foucault, Derrida und Deleuze in den siebziger Jahren. Die Theorie eilte damals der Wirklichkeit voraus. In diesem 1957 erstmals erschienenen, 1977 überarbeiteten Text ist der "letzte Mensch" tot, bevor er stirbt, zumindest für den Erzähler. "Da, ein Zimmer, falls Sie eins wollen" - wird diesem beim Entlanggehen im Flur vor der entsprechenden Tür gesagt. Der Bewohner sei gerade gestorben. Die Endgültigkeit dieser Tatsache drängt ihre Vergangenheit der ganzen Erzählung auf, mag diese auch selbst schon in der Vergangenheitsform stehen. Das Wand-an-Wand-Wohnen mit dem unbekannt-allzubekannten Sterbenden wird so in ein Plusquamperfekt gedrängt, das die Handlung nicht in der Zeitordnung von Vorher und Nachher beleuchtet, sondern in einer Art gewesener Allgegenwart ausblendet. Dasselbe gilt für den Ort. Es gibt zwar eine klare Zimmertopographie zwischen dem Raum des offenbar lungenkranken Professors, dem des Erzählers und dem der jungen Frau eine Tür weiter, der Dritten im Bunde. Wer aber jeweils an wessen Zimmer vorbeigeht in diesem ewigen Kommen und Gehen der Gedanken, ja wer in den Gedanken des anderen den dritten mitdenkt, bleibt offen.
Der vor drei Jahren gestorbene Maurice Blanchot hat die narrative Ereignisabstraktion auf die Spitze getrieben. Sein in Frankreich fast schon als klassisch geltendes Verfahren, nicht Ereignisse selbst, sondern nur Ereignisspuren in Blicken, Gedankenspielen, Verhaltensstörungen, inneren oder erinnerten Dialogen zu erzählen, ist in Deutschland noch immer nicht richtig bekannt. Die von Engeler unternommene Edition von Blanchots erzählenden Werken in der Übersetzung Jürg Laederachs, die im Vorjahr mit dem Band "Im gewollten Augenblick" begann, ist ein Glücksfall für alle, die sich auch in literarische Randgebiete vorwagen.
Wohl ließe sich mit dem Übersetzer um einzelne Wendungen, manche schöpferische Freiheiten, um mitunter etwas zu scharfe Stilakzente oder - ganz selten - fragwürdige Sinngebungen im Detail streiten. Daß dies überhaupt möglich ist, weil hier ein Schriftsteller mit einer soliden Kenntnis und einer offensichtlichen Affinität zum Autor sowie einer eigenständigen, fundierten Auslegung am Werk war, wiegt solche Vorbehalte aber mehr als auf. Über weite Strecken sind Laederachs Lösungen genial in der Balance zwischen Texttreue und authentischer Nacherfindung aus dem deutschen Sprachgestus. Näher kann man die Erzählliteratur Maurice Blanchots einem deutschen Leser kaum bringen. Das fast stammelnde Sprechen des Professors im Buch, das mit verstörender Geschwindigkeit hinter Worten andere Worte tarnt, erlaubt dem Erzähler überhaupt erst, in den entsprechenden Verzögerungspausen Momente seines eigenen Selbstbewußtseins unterzubringen. Und das von Blanchot dafür benutzte Bild von der Schleuse wird vom Übersetzer geschickt zu dem von der gegenseitigen Angleichung der persönlichen Pegelstände erweitert, wo das Original nur von Niveauangleichung ("nous changions de niveau avec nous-mêmes") spricht.
"Selbst ein Gott braucht einen Zeugen", heißt es an einer Stelle. Der Erzähler, in gespannter Komplizenschaft mit der ebenfalls zum Professor in Beziehung getretenen jungen Frau, phantasiert sich zunächst in die Rolle dieses Zeugen hinein. Dann dämmert ihm aber, daß diese Geschichte sich möglicherweise ohne Zeugen abspielt. Sein eigenes "Ich" erwacht unter dem Einfluß des alles vereinnahmenden Zimmernachbars als ein "Wir" und döst als ein "Wer eigentlich?" weiter. Darum hält der Erzähler sich wohl so inständig an die Frau im Bergsanatorium, die allein vielleicht das Geheimnis seiner doppelten Abwesenheit kennt: als Figur, als Erzähler.
Der "letzte Mensch", der die anderen hier in seine gesichtslose Letztendlichkeit hineinzieht, läßt bei der heutigen Lektüre unwillkürlich Bezüge zu unseren aktuellen Menschheitsdebatten zwischen Neohumanismus und genetischer Keimbahnkombinatorik entstehen. Die philosophische Humanismuskritik von Blanchots Zeitgenossen Foucault oder Deleuze war dem Epochenbewußtsein voraus, das damals noch unter dem Horizont eines humanistischen Menschensubjekts stand. Inzwischen hat sich die Situation umgedreht. Die wissenschaftlich entschlüsselte Realität dringt ins Alltagsbewußtsein ein, und die Literatur ist bemüht, dafür letzte menschliche Restbilder zu liefern. Wie hingegen ein "Wesen ohne Schicksal und ohne Wahrheit" literarisch aussehen könnte, bildet dieses Buch eindrücklich bildlos ab.
Maurice Blanchot: "Der letzte Mensch". Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt von Jürg Laederach. Edition Urs Engeler, Basel/Weil am Rhein 2005. 132 S., geb. 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maurice Blanchots frühe Erzählung "Der letzte Mensch"
Der "Mensch" wurde schon öfter zu Grabe gelegt, zuletzt bei Foucault, Derrida und Deleuze in den siebziger Jahren. Die Theorie eilte damals der Wirklichkeit voraus. In diesem 1957 erstmals erschienenen, 1977 überarbeiteten Text ist der "letzte Mensch" tot, bevor er stirbt, zumindest für den Erzähler. "Da, ein Zimmer, falls Sie eins wollen" - wird diesem beim Entlanggehen im Flur vor der entsprechenden Tür gesagt. Der Bewohner sei gerade gestorben. Die Endgültigkeit dieser Tatsache drängt ihre Vergangenheit der ganzen Erzählung auf, mag diese auch selbst schon in der Vergangenheitsform stehen. Das Wand-an-Wand-Wohnen mit dem unbekannt-allzubekannten Sterbenden wird so in ein Plusquamperfekt gedrängt, das die Handlung nicht in der Zeitordnung von Vorher und Nachher beleuchtet, sondern in einer Art gewesener Allgegenwart ausblendet. Dasselbe gilt für den Ort. Es gibt zwar eine klare Zimmertopographie zwischen dem Raum des offenbar lungenkranken Professors, dem des Erzählers und dem der jungen Frau eine Tür weiter, der Dritten im Bunde. Wer aber jeweils an wessen Zimmer vorbeigeht in diesem ewigen Kommen und Gehen der Gedanken, ja wer in den Gedanken des anderen den dritten mitdenkt, bleibt offen.
Der vor drei Jahren gestorbene Maurice Blanchot hat die narrative Ereignisabstraktion auf die Spitze getrieben. Sein in Frankreich fast schon als klassisch geltendes Verfahren, nicht Ereignisse selbst, sondern nur Ereignisspuren in Blicken, Gedankenspielen, Verhaltensstörungen, inneren oder erinnerten Dialogen zu erzählen, ist in Deutschland noch immer nicht richtig bekannt. Die von Engeler unternommene Edition von Blanchots erzählenden Werken in der Übersetzung Jürg Laederachs, die im Vorjahr mit dem Band "Im gewollten Augenblick" begann, ist ein Glücksfall für alle, die sich auch in literarische Randgebiete vorwagen.
Wohl ließe sich mit dem Übersetzer um einzelne Wendungen, manche schöpferische Freiheiten, um mitunter etwas zu scharfe Stilakzente oder - ganz selten - fragwürdige Sinngebungen im Detail streiten. Daß dies überhaupt möglich ist, weil hier ein Schriftsteller mit einer soliden Kenntnis und einer offensichtlichen Affinität zum Autor sowie einer eigenständigen, fundierten Auslegung am Werk war, wiegt solche Vorbehalte aber mehr als auf. Über weite Strecken sind Laederachs Lösungen genial in der Balance zwischen Texttreue und authentischer Nacherfindung aus dem deutschen Sprachgestus. Näher kann man die Erzählliteratur Maurice Blanchots einem deutschen Leser kaum bringen. Das fast stammelnde Sprechen des Professors im Buch, das mit verstörender Geschwindigkeit hinter Worten andere Worte tarnt, erlaubt dem Erzähler überhaupt erst, in den entsprechenden Verzögerungspausen Momente seines eigenen Selbstbewußtseins unterzubringen. Und das von Blanchot dafür benutzte Bild von der Schleuse wird vom Übersetzer geschickt zu dem von der gegenseitigen Angleichung der persönlichen Pegelstände erweitert, wo das Original nur von Niveauangleichung ("nous changions de niveau avec nous-mêmes") spricht.
"Selbst ein Gott braucht einen Zeugen", heißt es an einer Stelle. Der Erzähler, in gespannter Komplizenschaft mit der ebenfalls zum Professor in Beziehung getretenen jungen Frau, phantasiert sich zunächst in die Rolle dieses Zeugen hinein. Dann dämmert ihm aber, daß diese Geschichte sich möglicherweise ohne Zeugen abspielt. Sein eigenes "Ich" erwacht unter dem Einfluß des alles vereinnahmenden Zimmernachbars als ein "Wir" und döst als ein "Wer eigentlich?" weiter. Darum hält der Erzähler sich wohl so inständig an die Frau im Bergsanatorium, die allein vielleicht das Geheimnis seiner doppelten Abwesenheit kennt: als Figur, als Erzähler.
Der "letzte Mensch", der die anderen hier in seine gesichtslose Letztendlichkeit hineinzieht, läßt bei der heutigen Lektüre unwillkürlich Bezüge zu unseren aktuellen Menschheitsdebatten zwischen Neohumanismus und genetischer Keimbahnkombinatorik entstehen. Die philosophische Humanismuskritik von Blanchots Zeitgenossen Foucault oder Deleuze war dem Epochenbewußtsein voraus, das damals noch unter dem Horizont eines humanistischen Menschensubjekts stand. Inzwischen hat sich die Situation umgedreht. Die wissenschaftlich entschlüsselte Realität dringt ins Alltagsbewußtsein ein, und die Literatur ist bemüht, dafür letzte menschliche Restbilder zu liefern. Wie hingegen ein "Wesen ohne Schicksal und ohne Wahrheit" literarisch aussehen könnte, bildet dieses Buch eindrücklich bildlos ab.
Maurice Blanchot: "Der letzte Mensch". Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt von Jürg Laederach. Edition Urs Engeler, Basel/Weil am Rhein 2005. 132 S., geb. 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main