Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2013Krieger und Philosophen
Gegen Cooper ist kein Kraut gewachsen: Das Bild der Irokesen beim Weißen Mann
Der "Codex Canadensis" ist ein Manuskript aus dem 17. Jahrhundert. Angefertigt von dem jesuitischen Missionar Louis Nicolas (1634 bis 1682), enthält es auf 79 Seiten 180 Zeichnungen und Erläuterungen zu nordamerikanischen Tieren, Pflanzen und Menschen. Nicolas stellte insgesamt 15 Indianerstämme dar, ihre Trachten so gut wie ihre Wohnungen und Transportmittel.
Dass er in seinem einzigartigen Werk auch vor Entsetzlichem nicht haltmachte, zeigt die Tafel 22 seines Buchs. Dort zeichnete Nicolas eine halbnackte Frau, die gerade gefoltert wird. Sie sei eine Kriegsgefangene, schrieb Nicolas daneben, der Nägel mit den Zähnen ausgerissen worden seien. Anschließend sei sie mehrere Stunden gebraten und dann gegessen worden - teils von den Irokesen, teils von deren Hunden. An die Seite der Unglücklichen malte Nicolas einen ihrer Peiniger. Der hätte sich, schreibt der Jesuit, für diese Aufgabe freiwillig gemeldet.
Solche und andere Nachrichten von der Grausamkeit der Irokesen erreichten Europa nicht lange nach dem ersten Kontakt von Kolonisten mit den Indianern im frühen 16. Jahrhundert. Von Kannibalismus und ritueller Folter war die Rede, die Kriegskeulen der Irokesen waren gefürchtet, zumal diese individuell markierten Waffen gern am Ort des Gebrauchs zurückgelassen wurden - jeder sollte sehen können, welcher Krieger für den jeweiligen Mord- und Totschlag verantwortlich war.
In der Alten Welt galten die Irokesen bald nicht mehr als irgendeine Ethnie, sondern geradezu als Inbegriff indianischer Wildheit. Das hatte mit der militärischen Stärke und Präsenz des Stammesverbands zu tun, der den Europäern empfindliche Niederlagen bereitete. Heutige Forscher bescheinigen den Irokesen, dass sie hinsichtlich ihrer Kriegstechnik lange mit den Weißen mithalten konnten. Außerdem spielten sie die unterschiedlichen in Nordamerika aktiven Nationen auch immer wieder gekonnt gegeneinander aus - die Irokesen galten als hervorragende Diplomaten.
So bewegt sich ihr Bild in der europäischen Wahrnehmung, wie die Kuratorin Sylvia Kasprycki in einem Katalogbeitrag für die Bonner Ausstellung schreibt, "entlang einer Achse zwischen dem ,Philosophen des Waldes' und dem ,erbarmungslosen Krieger.'" Dabei liegt auf der Hand, dass die Entscheidung über die Frage, ob es weißen Siedlern moralisch erlaubt sei, die Indianer aus ihrem Land zu vertreiben, auch mit Blick auf das Bild gefällt wurde, das die Irokesen in den Augen der europäischen Öffentlichkeit abgaben: Grausame Krieger in Schach zu halten lässt sich eher rechtfertigen, als tiefsinnigen Naturkindern ihre Heimat zu nehmen.
Solange die Irokesen allerdings eine Bedrohung für die Siedler darstellten, also bis zum Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, scheint das negative Bild präsenter gewesen zu sein. Und auch die heutigen Rezipienten von Indianerromanen oder -filmen treffen dort noch immer auf eher unangenehme Vertreter des Stammesverbands.
Ein Grund sind etwa die "Lederstrumpf"-Romane des James Fenimore Cooper (1789 bis 1851), deren Helden es immer wieder mit Irokesen zu tun bekommen, die im großen Stil andere, friedliebendere Indianerstämme bedrohen - von den weißen Siedlern oder Soldaten ganz abgesehen. Auch hier finden sich mitunter Szenen äußerster Grausamkeit, für die Cooper historische Quellentexte ausgewertet hat. Dabei bezog er oft Mitglieder der irokesischen Sprachfamilie mit ein, die aber, wie etwa die Huronen, dem Irokesenbund im engeren Sinn nicht angehörten.
Die "Lederstrumpf"-Romane waren allerdings historische Romane. Sie beschrieben eine Kultur Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts, die zu Coopers Zeit längst untergegangen war. Was von ihr in Erinnerung blieb und auf einmal dafür sorgte, dass die Irokesen mancherorts geradezu als Vorbild angesehen wurden, war die traditionell starke Rolle der Frau. In einer Zeichnung, erschienen 1914 in der Zeitschrift Puck, sind Mitglieder der Suffragettenbewegung dargestellt, deren Demonstrationszug für Frauenrechte von Irokesinnen beobachtet wird. Eine danebenstehende Tafel klärt darüber auf, dass die Frauen der Irokesen längst alle Rechte besäßen, um die jene weißen Frauen so verzweifelt kämpften: Landbesitz, politische Repräsentation, Kontrolle über Staatsangelegenheiten und dergleichen mehr.
Allerdings war es kein Privileg der Frauen, sich auf das Vorbild der Irokesen zu berufen. Das Signal zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Bostoner Tea Party, gaben die Aufständischen kostümiert: Als sie die Schiffe der East India Trading Company stürmten und 342 Kisten Tee über Bord warfen, trugen sie irokesische Tracht.
Tilman Spreckelsen
Literatur: James Fenimore Cooper, "Der letzte Mohikaner". Neu übersetzt von Karen Lauer. Hanser Verlag, München 2013. - "The Codex Canadensis". Herausgegeben und eingeleitet von François-Marc Gagnon. McGill-Queens University Press, Montreal 2011.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegen Cooper ist kein Kraut gewachsen: Das Bild der Irokesen beim Weißen Mann
Der "Codex Canadensis" ist ein Manuskript aus dem 17. Jahrhundert. Angefertigt von dem jesuitischen Missionar Louis Nicolas (1634 bis 1682), enthält es auf 79 Seiten 180 Zeichnungen und Erläuterungen zu nordamerikanischen Tieren, Pflanzen und Menschen. Nicolas stellte insgesamt 15 Indianerstämme dar, ihre Trachten so gut wie ihre Wohnungen und Transportmittel.
Dass er in seinem einzigartigen Werk auch vor Entsetzlichem nicht haltmachte, zeigt die Tafel 22 seines Buchs. Dort zeichnete Nicolas eine halbnackte Frau, die gerade gefoltert wird. Sie sei eine Kriegsgefangene, schrieb Nicolas daneben, der Nägel mit den Zähnen ausgerissen worden seien. Anschließend sei sie mehrere Stunden gebraten und dann gegessen worden - teils von den Irokesen, teils von deren Hunden. An die Seite der Unglücklichen malte Nicolas einen ihrer Peiniger. Der hätte sich, schreibt der Jesuit, für diese Aufgabe freiwillig gemeldet.
Solche und andere Nachrichten von der Grausamkeit der Irokesen erreichten Europa nicht lange nach dem ersten Kontakt von Kolonisten mit den Indianern im frühen 16. Jahrhundert. Von Kannibalismus und ritueller Folter war die Rede, die Kriegskeulen der Irokesen waren gefürchtet, zumal diese individuell markierten Waffen gern am Ort des Gebrauchs zurückgelassen wurden - jeder sollte sehen können, welcher Krieger für den jeweiligen Mord- und Totschlag verantwortlich war.
In der Alten Welt galten die Irokesen bald nicht mehr als irgendeine Ethnie, sondern geradezu als Inbegriff indianischer Wildheit. Das hatte mit der militärischen Stärke und Präsenz des Stammesverbands zu tun, der den Europäern empfindliche Niederlagen bereitete. Heutige Forscher bescheinigen den Irokesen, dass sie hinsichtlich ihrer Kriegstechnik lange mit den Weißen mithalten konnten. Außerdem spielten sie die unterschiedlichen in Nordamerika aktiven Nationen auch immer wieder gekonnt gegeneinander aus - die Irokesen galten als hervorragende Diplomaten.
So bewegt sich ihr Bild in der europäischen Wahrnehmung, wie die Kuratorin Sylvia Kasprycki in einem Katalogbeitrag für die Bonner Ausstellung schreibt, "entlang einer Achse zwischen dem ,Philosophen des Waldes' und dem ,erbarmungslosen Krieger.'" Dabei liegt auf der Hand, dass die Entscheidung über die Frage, ob es weißen Siedlern moralisch erlaubt sei, die Indianer aus ihrem Land zu vertreiben, auch mit Blick auf das Bild gefällt wurde, das die Irokesen in den Augen der europäischen Öffentlichkeit abgaben: Grausame Krieger in Schach zu halten lässt sich eher rechtfertigen, als tiefsinnigen Naturkindern ihre Heimat zu nehmen.
Solange die Irokesen allerdings eine Bedrohung für die Siedler darstellten, also bis zum Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, scheint das negative Bild präsenter gewesen zu sein. Und auch die heutigen Rezipienten von Indianerromanen oder -filmen treffen dort noch immer auf eher unangenehme Vertreter des Stammesverbands.
Ein Grund sind etwa die "Lederstrumpf"-Romane des James Fenimore Cooper (1789 bis 1851), deren Helden es immer wieder mit Irokesen zu tun bekommen, die im großen Stil andere, friedliebendere Indianerstämme bedrohen - von den weißen Siedlern oder Soldaten ganz abgesehen. Auch hier finden sich mitunter Szenen äußerster Grausamkeit, für die Cooper historische Quellentexte ausgewertet hat. Dabei bezog er oft Mitglieder der irokesischen Sprachfamilie mit ein, die aber, wie etwa die Huronen, dem Irokesenbund im engeren Sinn nicht angehörten.
Die "Lederstrumpf"-Romane waren allerdings historische Romane. Sie beschrieben eine Kultur Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts, die zu Coopers Zeit längst untergegangen war. Was von ihr in Erinnerung blieb und auf einmal dafür sorgte, dass die Irokesen mancherorts geradezu als Vorbild angesehen wurden, war die traditionell starke Rolle der Frau. In einer Zeichnung, erschienen 1914 in der Zeitschrift Puck, sind Mitglieder der Suffragettenbewegung dargestellt, deren Demonstrationszug für Frauenrechte von Irokesinnen beobachtet wird. Eine danebenstehende Tafel klärt darüber auf, dass die Frauen der Irokesen längst alle Rechte besäßen, um die jene weißen Frauen so verzweifelt kämpften: Landbesitz, politische Repräsentation, Kontrolle über Staatsangelegenheiten und dergleichen mehr.
Allerdings war es kein Privileg der Frauen, sich auf das Vorbild der Irokesen zu berufen. Das Signal zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Bostoner Tea Party, gaben die Aufständischen kostümiert: Als sie die Schiffe der East India Trading Company stürmten und 342 Kisten Tee über Bord warfen, trugen sie irokesische Tracht.
Tilman Spreckelsen
Literatur: James Fenimore Cooper, "Der letzte Mohikaner". Neu übersetzt von Karen Lauer. Hanser Verlag, München 2013. - "The Codex Canadensis". Herausgegeben und eingeleitet von François-Marc Gagnon. McGill-Queens University Press, Montreal 2011.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.09.2014NEUE TASCHENBÜCHER
Der edle
Wilde
„Genau in diesem Moment, als der Leib seines Feindes ganz zusammengeballt war, hob sich die bebende Waffe des Kundschafters an seine Schulter.“ Dann folgt jener Schuss, der vom Bösen, dem Huronenhäuptling Magua, befreit und doch keine Erlösung bringt, weil der Held, „der letzte Mohikaner“, der edle Wilde Uncas bereits tot ist. Und auch die feurige Cora, die einzige wirklich attraktive, sogar erotische Frauengestalt im Lederstrumpf-Zyklus von James Fenimore Cooper. Der „Mohikaner“, 1826 erschienen, wurde Coopers größter Erfolg, auch in Europa und bis heute. Uncas, der Mohikaner, sein Vater Chingachgook und ihr Freund Falkenauge gehören zum Unsterblichen der Weltliteratur genauso wie jene so intensiv beschriebenen Landschaften eines noch im besten Sinn archaisch jungen Amerika. Karen Lauers Neuübersetzung trifft Coopers ruhigen Grundton, der sich an den Höhepunkten erregend auflädt, überzeugend und hält auch das epische Erzähltempo ohne falsche Beschleunigung ein. Wer den „Mohikaner“ erstmals liest, wird erleben, wie grandios hier ein Kontinent gleichsam in einem Cinemascope vor der Zeit entrollt wird. HARALD EGGEBRECHT
James Fenimore Cooper: Der letzte Mohikaner. Aus dem Englischen
von Karen Lauer. dtv,
München 2014.
656 Seiten, 12,90 Euro.
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Der edle
Wilde
„Genau in diesem Moment, als der Leib seines Feindes ganz zusammengeballt war, hob sich die bebende Waffe des Kundschafters an seine Schulter.“ Dann folgt jener Schuss, der vom Bösen, dem Huronenhäuptling Magua, befreit und doch keine Erlösung bringt, weil der Held, „der letzte Mohikaner“, der edle Wilde Uncas bereits tot ist. Und auch die feurige Cora, die einzige wirklich attraktive, sogar erotische Frauengestalt im Lederstrumpf-Zyklus von James Fenimore Cooper. Der „Mohikaner“, 1826 erschienen, wurde Coopers größter Erfolg, auch in Europa und bis heute. Uncas, der Mohikaner, sein Vater Chingachgook und ihr Freund Falkenauge gehören zum Unsterblichen der Weltliteratur genauso wie jene so intensiv beschriebenen Landschaften eines noch im besten Sinn archaisch jungen Amerika. Karen Lauers Neuübersetzung trifft Coopers ruhigen Grundton, der sich an den Höhepunkten erregend auflädt, überzeugend und hält auch das epische Erzähltempo ohne falsche Beschleunigung ein. Wer den „Mohikaner“ erstmals liest, wird erleben, wie grandios hier ein Kontinent gleichsam in einem Cinemascope vor der Zeit entrollt wird. HARALD EGGEBRECHT
James Fenimore Cooper: Der letzte Mohikaner. Aus dem Englischen
von Karen Lauer. dtv,
München 2014.
656 Seiten, 12,90 Euro.
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