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Ein literarischer Thriller über Freundschaft und Verrat.
Die Welt um Albert, einen deutschen Aussteiger, ist geschrumpft, seit er im Irak entführt wurde. Sie besteht nur noch aus dem, was der Zwischenraum zwischen den roh gezimmerten und doch unüberwindlichen Holzlatten des Verschlags zeigt, in den seine Entführer ihn eingeschlossen haben. Nie hätte er sich ausmalen können, wie sich das anfühlt: die Angst, gefesselt in einem Stall zu verrecken, umschwirrt von Fliegen, getrennt von seinem Übersetzer Osama, seiner Brücke in die fremde Kultur.
Längst ist Osama, ein Einheimischer, der aus
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Produktbeschreibung
Ein literarischer Thriller über Freundschaft und Verrat.

Die Welt um Albert, einen deutschen Aussteiger, ist geschrumpft, seit er im Irak entführt wurde. Sie besteht nur noch aus dem, was der Zwischenraum zwischen den roh gezimmerten und doch unüberwindlichen Holzlatten des Verschlags zeigt, in den seine Entführer ihn eingeschlossen haben. Nie hätte er sich ausmalen können, wie sich das anfühlt: die Angst, gefesselt in einem Stall zu verrecken, umschwirrt von Fliegen, getrennt von seinem Übersetzer Osama, seiner Brücke in die fremde Kultur.

Längst ist Osama, ein Einheimischer, der aus einer liberalen Familie stammt, zum Freund geworden. In der Gefangenschaft, der Willkür ihrer Entführer ausgesetzt, die sie mal getrennt, mal zusammen, von Ort zu Ort schleppen, begannen sie zu reden: über den Hass zwischen den Kulturen, der mit dem Denken beginnt, und über ihre eigenen Leben. Albert wird bewusst, wie wenig Osama, der sein Land im Krieg erlebt hatte und nun als Verräter gefangen gehalten wird, mit seinen Geschichten anfangen kann. Und doch ist das Reden das einzige, was ihnen bleibt am vielleicht letzten Ort ihres Lebens, an dem das Leben der anderen weiter geht, als wäre nichts geschehen.

Sherko Fatah erzählt die Entführung von Albert und Osama als atemberaubenden literarischen Thriller und sensibles Psychogramm beider Figuren. Beide geraten in der aussichtlosen Situation an ihre Grenzen und verlieren sich in ihrer eigenen Angst und im wachsenden Misstrauen gegen den anderen. Als ihnen die Flucht gelingt, ist zwischen ihnen nichts mehr wie zuvor.
Autorenporträt
Sherko Fatah, geboren 1964 in Berlin, aufgewachsen in der DDR, 1975 Übersiedlung nach West-Deutschland. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin. Auszeichnungen: 2001 mit dem aspekte-Literaturpreis und dem Deutschen Kritikerpreis sowie 2015 mit dem Großen Kunstpreis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Starker Tobak, aber etwas anderes ist bei einem Roman über den Konflikt im Irak wohl nicht zu erwarten - erst recht nicht, wenn er aus der Feder des deutsch-irakischen Schriftstellers Sherko Fatah stammt, meint Christian Thomas. Um zwei von einer Terrormiliz Gefangengenommene geht es, den aus Ost-Berlin stammenden Journalisten Albert und seinen Dolmetscher Osama - das Thema ist so brandaktuell, dass es die gegenwärtige Lage vorwegzunehmen scheint, aber tatsächlich stehen Entführungen und Enthauptungen im Irak bereits seit geraumer Zeit auf der Tagesordnung, weiß der Rezensent. "Radikale Illusionslosigkeit" attestiert Thomas dem Roman, aber auch erzählerische Wucht und bittere Pointiertheit.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2014

In der Hand von bewaffneten Kindern

Stell dir vor, du wirst entführt: Was gibt dir Kraft, woran hältst du dich fest, wer bist du dann? Sherko Fatahs neuer Roman "Der letzte Ort" erzählt von einer dramatischen Sinnsuche im Irak.

Einer der letzten Orte, an den man dieser Tage geraten wollte, ist sicherlich der Irak - und doch verschlägt es die Helden des deutschen Schriftstellers Sherko Fatah, 1964 in Ost-Berlin geboren, immer wieder dorthin, denn der Irak ist das Herkunftsland von Fatahs kurdischem Vater. Trotzdem wäre es unsinnig, ihn einen irakischen oder irakisch-kurdischen Schriftsteller zu nennen. Die meisten seiner Bücher spielen zwar dort, aber sein Blick auf dieses fremde und geschundene Land ist einer, den man nur von außen einnehmen kann - wenngleich einer mit intimsten Landeskenntnissen.

Albert, "ein trauriger Abenteurer", wird zusammen mit seinem irakischen Übersetzer Osama entführt. Die Gruppe übernachtet in der Wüste, und Albert bitte seine Entführer, pinkeln gehen zu dürfen. Es folgt eine Szene, ein kleiner clash of cultures, wie sie in der deutschen Literatur nur einer wie Fatah schreiben kann, der hier wie dort gleichermaßen zu Hause ist. "Albert hatte noch nicht angefangen, als er laute Rufe hinter sich hörte. ,Nicht im Stehen! Hier gilt es als unanständig, dabei zu stehen.' ,Ohoo, da will ich natürlich nicht die edlen Gefühle der Einheimischen verletzen. Im Stehen pissen ist unanständig, aber Leute entführen, das ist okay.'" Es gibt viele solche, im Lauf des Buchs immer aggressiver ausfallende Kabbeleien zwischen den auf Gedeih und Verderb aneinander gefesselten Kollegen.

Es ist eine große deutsche Nachmauerfall-Orientierungslosigkeit, die Albert, den Sohn eines überzeugten Kommunisten, auf der Suche nach einer eigenen Geschichte in den Irak verschlägt. Bis dahin nur eine Metapher in Alberts Leben, wird diese Orientierungslosigkeit ausgerechnet im Irak konkret. Man fährt auf endlosen Landstraßen durch gestaltlose Wüsten, versteckt sich in zerstörten Stadträndern, in armseligen Dörfern, ist eingesperrt auf den Ladeflächen von Autos oder in Kellerlöchern. Weder die Leser noch Albert und Osama wissen, wohin sie von ihren Entführern jeweils gebracht werden. Einmal kann Albert fliehen und gelangt an einen trostlosen Strand, das einzige Schiff, das er sieht, ist ein Wrack, bald wird er eingefangen. Sherko Fatahs "letzter Ort" Irak ist eine arg versehrte Seelenlandschaft, ein in Geographie übersetztes Psychogramm mit vielen offenen und versteckten Anspielungen auf die Literatur, von Gilgamesch bis zu Stevenson, Dostojewski und Kafka.

Die Entführung ist bei Beginn des Romans schon eine Tatsache, und sie bleibt es bis zum offenen Schluss. Es gibt ein paar Szenen, in denen der Autor mit der Versuchung kämpft, aus dem Buch einen Thriller zu machen. Aber der Roman reißt vor allem dann mit, wenn er sich auf sein ursprüngliches Szenario verlässt, die innere Selbsterforschung der beiden Entführten. In dieser Innenwelt, nicht im irakischen Niemandsland gewinnt das Buch Weite und Tiefe, schlägt Wurzeln in Gestalt der Erinnerung der Entführten, die von der Todesangst zu sich selbst geführt werden, in ihre persönlichen Geschichten und Wahrheiten.

Das Buch verästelt sich auf diesem Weg in die Geschichte einer Familie und die mentalen Versehrungen, die der Zerfall der DDR hinterlassen hat. Wenn der Vater auf die Dekadenz der Jugend schimpft, gerät er damit in verblüffende Nähe zur Kritik am Westen aus dem Mund der fundamentalistischen Entführer. "Sie dürfen Tiere heiraten, Hunde und Schweine", sagen sie einmal über die Europäer. "Hauptsache, hirnlos", denkt Alberts Vater über die herumlungernden Jugendlichen in ihren "Protestkostümen", zu denen auch Alberts magersüchtige, psychisch instabile Schwester Mila zählt, die sich im Laufe der inneren Suche jedoch als einzige positive Bezugsperson für Albert herausstellt, während Osamas Lebensgeister durch die Nachricht geweckt werden, seine Frau sei schwanger.

Die beiden sind einander zugleich Freunde und Gegner, kämpfen jeder für sich ums Überleben und sind in der Todesgefahr auf tragische Weise unfähig, ihre kulturelle Prägung zu überwinden. "Wir sind in Gottes Hand", sagt Osama einmal. Woraufhin Albert entgegnet: "Ich will deine religiösen Gefühle nicht verletzen, aber wir sind in der Hand von bewaffneten Kindern, deren Erziehungsberechtigte Bomben basteln."

Ist Albert in den Irak gekommen, um beim Wiederaufbau des seiner mesopotamischen Schätze beraubten irakischen Nationalmuseums zu helfen - was seine Entführer nicht verstehen und ihn daher als Agenten verdächtigen -, so erweist sich, dass sein Übersetzer Osama einst mit diesem Diebesgut gehandelt hat. Und als sollte nicht nur Albert, sondern auch Osama von seiner Vergangenheit eingeholt werden, geraten beide in die Hände eines nun zum Milizenchef aufgestiegenen ehemaligen Komplizen Osamas. Unter der Oberfläche dieses aus den Nachrichtenbildern scheinbar bekannten Irak bringt Sherko Fatah seine Figuren in fast mythische archetypische Konstellationen - als sollten die Fragmente der aus dem Museum geplünderten dreitausend Jahre alten Tontafeln in Gestalt dieses Buchs zu einem neuen Bild zusammengesetzt werden.

Gleichwohl bleibt dieser Eindruck atmosphärisch, bildet letztlich nur den Echoraum für die zentrale Frage, mit der Fatah seine Leser konfrontiert: Stell dir vor, du bist entführt, aus allem herausgerissen: Wie und woran hältst du dich fest, was macht dich aus, wer bist du dann? Osama, der zu seiner Frau zurück möchte, weiß es, und das gibt ihm den Lebenswillen und die Energie, seine Wächter für sich einzunehmen. Albert schwankt; ob er überlebt, bleibt offen. Weiß der Westen noch, wofür zu kämpfen sich lohnt? "Der letzte Ort", wo auch immer er liegt, ist am Ende nichts als diese Frage.

STEFAN WEIDNER.

Sherko Fatah: "Der letzte Ort". Roman.

Luchterhand Verlag, München 2014. 286 S., geb., 19,99 [Euro].

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"Sherko Fatah erzählt die spannendsten und spannungsreichsten Geschichten in der deutschen Literatur der Gegenwart." Volker Weidermann / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung