Auf Fritz Walters Grab findet sich eine trophäenbeladene Fußballer-Statue, an der Grabstätte der Wiener Legende Sindelar ein runder Marmorball, und 'Boss' Helmut Rahn wollte nicht mehr als einen schlichten Namenszug auf seinem Stein. Dafür 'stiftete' ihm eine Boulevardzeitung ein höchst unpassendes Denkmal, das bei einem Fußballspiel enthüllt wurde. Den Gedenkkulturen im Fußball - auf Grabsteinen wie im Stadion - widmet sich dieses Buch in rund 200 Fotos sowie 40 pointierten Essays. Es geht um die Gestaltung von Gräbern, um merkwürdige Beerdigungsrituale, um Todesmythen, um die aufrichtige wie die zweifelhafte Ehrung Verstorbener - und um die Frage, was dies alles über die Kultur unseres Alltags aussagt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2006Bizarre Fragen und scharfe Kritik Das Fußball-Grabmal als Visitenkarte
"Wenn man auf meinen Grabstein eines Tages nur ,Hamburg 74' schreibt, weiß jeder, wer drunter liegt." Der Satz stammt von Jürgen Sparwasser, dem Torschützen zum 1:0-Sieg der DDR im WM-Spiel gegen Deutschland 1974, und er zeigt, daß die so ungewöhnlich anmutende Paarung "Fußballzauber in Friedhofswelten" zumindest nicht ganz aus der Luft gegriffen ist - auch wenn erst mal der Verdacht naheliegt, hier habe die Fußballbegeisterung zweier Autoren allzu bizarre Blüten getrieben. Der Verdacht erweist sich jedoch schnell als falsch. Denn erstens hat schon Bill Shankly, Trainer des FC Liverpool von 1959 bis 1974, gewußt: "Manche tun so, als ginge es im Fußball um Leben oder Tod. Dabei geht es um viel mehr." Und zweitens haben Peter Cardorff und Conny Böttger in ihrem mit 200 Fotos ausgestatteten Buch "Der letzte Pass" tatsächlich eine erstaunliche Vielfalt an Berührungspunkten zwischen Fußball und Friedhof zusammengetragen.
Aus der Perspektive des leidenschaftlichen Fans philosophieren die beiden spielerisch leicht und mit gelegentlichem schwarzem Humor über letzte Dinge im Fußball. Und setzen dabei, flankiert von Zitaten von Ernst Bloch bis Willi Lippens, gerne zu gewagten Dribblings an, bei denen schon mal kurzzeitig der Ballverlust droht, die aber dennoch verblüffend oft gut ausgehen: Sie berichten, wo man seine Asche auf einem Fußballplatz verstreuen lassen kann, erläutern, warum ein Grabstein Lebenszeichen, Visitenkarte oder Denkmal sein kann, spekulieren über Gedenkstätten, Todesanzeigen, Schweigeminuten oder Grundsätze einer "Ästhetik des Abdankens" und geben Empfehlungen für die angemessene Gestaltung eines Fußball-Grabmals. Lauter Dinge also, über die sich sonst kein Mensch den Kopf zerbricht. Weil die meisten der 41 Kapitel aber originell und fantasievoll verpackt sind, läßt man sich gerne auch von Fragen überrumpeln, von denen man zuvor nicht mal gedacht hätte, daß sie sich überhaupt jemand stellen könnte.
Doch Cardorff und Böttger kaspern sich nicht nur durch ihr Thema, sie kritisieren auch ätzend scharf den Umgang von Fußballverbänden mit Weltkriegstoten und Opfern des Nationalsozialismus. Lange habe sich die bundesrepublikanische Gesellschaft lieber um die Integration vormaliger NS-Anhänger bemüht als um das Gedenken an Verfolgte und Ermordete, schreiben sie. Und nennen als Beispiel Julius Hirsch, "der in sieben Länderspielen seine Knochen für den DFB hingehalten hatte, bevor er als Jude in Auschwitz ermordet wurde". Und der "dem DFB bis heute nicht einmal eine Gedenktafel wert" sei. Zwei Briefe hätten die Autoren in dieser Frage an den DFB gerichtet, beide seien unbeantwortet geblieben. Immerhin: Am Abend der Gruppen-Auslosung zur WM-Endrunde in Leipzig vergab der DFB erstmals einen Julius-Hirsch-Preis.
Mit einer so ernsten Note wollten die Autoren aber wohl nicht enden. Denn danach leiten sie über ins Reich der symbolischen Trauer, in bildliche und sprachliche Todesszenarien, wenn wieder einmal der deutsche Fußball zu Grabe getragen wird oder Lance Armstrong "den Tod besiegt" hat - sprachliche Geschäfte mit dem Tod in der Hoffnung auf maximalen Gefühlsertrag. Da ist der schlichte Traum vom Aufstieg ins Paradies, der das Buch beschließt, doch wesentlich sympathischer. Er spielt auf Ödön von Horvaths wunderbare "Legende vom Fußballplatz" an. Darin findet sich ein armer Bub, der den Fußball über alles liebte, nach seinem frühen Tod auf einer Wolke wieder, von der aus er eine nie endende Partie der besten seligen Fußballspieler verfolgen darf. "Etwas Sonne und kein Wind. Ein richtiges Fußballwetter." Und kein Kerner weit und breit. Hach ja, das Paradies kann so einfach sein.
BERND STEINLE
Besprochenes Buch: Peter Cardorff und Conny Böttger: Der letzte Paß. Fußballzauber in Friedhofswelten. 200 Seiten, 200 Fotos. Verlag Die Werkstatt, Göttingen. 19,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wenn man auf meinen Grabstein eines Tages nur ,Hamburg 74' schreibt, weiß jeder, wer drunter liegt." Der Satz stammt von Jürgen Sparwasser, dem Torschützen zum 1:0-Sieg der DDR im WM-Spiel gegen Deutschland 1974, und er zeigt, daß die so ungewöhnlich anmutende Paarung "Fußballzauber in Friedhofswelten" zumindest nicht ganz aus der Luft gegriffen ist - auch wenn erst mal der Verdacht naheliegt, hier habe die Fußballbegeisterung zweier Autoren allzu bizarre Blüten getrieben. Der Verdacht erweist sich jedoch schnell als falsch. Denn erstens hat schon Bill Shankly, Trainer des FC Liverpool von 1959 bis 1974, gewußt: "Manche tun so, als ginge es im Fußball um Leben oder Tod. Dabei geht es um viel mehr." Und zweitens haben Peter Cardorff und Conny Böttger in ihrem mit 200 Fotos ausgestatteten Buch "Der letzte Pass" tatsächlich eine erstaunliche Vielfalt an Berührungspunkten zwischen Fußball und Friedhof zusammengetragen.
Aus der Perspektive des leidenschaftlichen Fans philosophieren die beiden spielerisch leicht und mit gelegentlichem schwarzem Humor über letzte Dinge im Fußball. Und setzen dabei, flankiert von Zitaten von Ernst Bloch bis Willi Lippens, gerne zu gewagten Dribblings an, bei denen schon mal kurzzeitig der Ballverlust droht, die aber dennoch verblüffend oft gut ausgehen: Sie berichten, wo man seine Asche auf einem Fußballplatz verstreuen lassen kann, erläutern, warum ein Grabstein Lebenszeichen, Visitenkarte oder Denkmal sein kann, spekulieren über Gedenkstätten, Todesanzeigen, Schweigeminuten oder Grundsätze einer "Ästhetik des Abdankens" und geben Empfehlungen für die angemessene Gestaltung eines Fußball-Grabmals. Lauter Dinge also, über die sich sonst kein Mensch den Kopf zerbricht. Weil die meisten der 41 Kapitel aber originell und fantasievoll verpackt sind, läßt man sich gerne auch von Fragen überrumpeln, von denen man zuvor nicht mal gedacht hätte, daß sie sich überhaupt jemand stellen könnte.
Doch Cardorff und Böttger kaspern sich nicht nur durch ihr Thema, sie kritisieren auch ätzend scharf den Umgang von Fußballverbänden mit Weltkriegstoten und Opfern des Nationalsozialismus. Lange habe sich die bundesrepublikanische Gesellschaft lieber um die Integration vormaliger NS-Anhänger bemüht als um das Gedenken an Verfolgte und Ermordete, schreiben sie. Und nennen als Beispiel Julius Hirsch, "der in sieben Länderspielen seine Knochen für den DFB hingehalten hatte, bevor er als Jude in Auschwitz ermordet wurde". Und der "dem DFB bis heute nicht einmal eine Gedenktafel wert" sei. Zwei Briefe hätten die Autoren in dieser Frage an den DFB gerichtet, beide seien unbeantwortet geblieben. Immerhin: Am Abend der Gruppen-Auslosung zur WM-Endrunde in Leipzig vergab der DFB erstmals einen Julius-Hirsch-Preis.
Mit einer so ernsten Note wollten die Autoren aber wohl nicht enden. Denn danach leiten sie über ins Reich der symbolischen Trauer, in bildliche und sprachliche Todesszenarien, wenn wieder einmal der deutsche Fußball zu Grabe getragen wird oder Lance Armstrong "den Tod besiegt" hat - sprachliche Geschäfte mit dem Tod in der Hoffnung auf maximalen Gefühlsertrag. Da ist der schlichte Traum vom Aufstieg ins Paradies, der das Buch beschließt, doch wesentlich sympathischer. Er spielt auf Ödön von Horvaths wunderbare "Legende vom Fußballplatz" an. Darin findet sich ein armer Bub, der den Fußball über alles liebte, nach seinem frühen Tod auf einer Wolke wieder, von der aus er eine nie endende Partie der besten seligen Fußballspieler verfolgen darf. "Etwas Sonne und kein Wind. Ein richtiges Fußballwetter." Und kein Kerner weit und breit. Hach ja, das Paradies kann so einfach sein.
BERND STEINLE
Besprochenes Buch: Peter Cardorff und Conny Böttger: Der letzte Paß. Fußballzauber in Friedhofswelten. 200 Seiten, 200 Fotos. Verlag Die Werkstatt, Göttingen. 19,80 Euro.
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