Doug Willis, Pressereferent einer New Yorker Softdrinkfirma, hält sich für den letzten rebellischen Achtundsechziger. Aber die Midlife-Crisis hat ihn eingeholt, ihm und seiner Frau Jean wachsen die Probleme über den Kopf: unbezahlte Kreditraten, abgestandene Ehe - rebellisch sind nur noch die pubertierenden Kinder. Zwei Monate nimmt Willis sich frei, um seiner inneren Unzufriedenheit im Landhäuschen der Familie auf den Grund zu gehen. Doch stattdessen schließt er sich einer Schar von verkrachten Existenzen an und stolpert in einen gefährlichen Drogendeal. Inzwischen bricht Jean unter der Last des Alltags fast zusammen. Aber sie wird ihren Mann nicht zu Hilfe rufen, denn im Gegensatz zu ihm hat sie nie Probleme. Eisern ignoriert sie deshalb die Gefahr, in der Willis schwebt. Und so zerspringt die ohnehin schon brüchige Welt dieser Familie mit einem großen Knall ... Ein Roman über das Abhandenkommen der großen Gefühle, ein zärtlich-sarkastischer Abgesang auf das Pathos der wilden Jahre.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2002Menschen auf Sendersuche
Im freien Fall: David Gates verstolpert die Chronik einer Krise
Doug Willis ist ein Mann wie ein Gitarrenkasten. Wenn man ihn aufklappt, ist er innen hohl. Also sammelt dieser Willis Gitarren, um ein Vakuum zu füllen, das sich Leben nennt, und als er die wertvollen Instrumente nach Jahren schließlich verkauft, kann das zweierlei bedeuten: Entweder hat er sich endgültig aufgegeben oder er hat einen anderen Weg gefunden, seine Leere zu füllen.
Männer wie Doug Willis gibt es viele, er ist einer jener Mittelklassemenschen, wie sie nicht nur in Amerika leben, wo Willis in der Nähe von New York wohnt - und doch ist sein Durchschnittsschicksal ein durch und durch amerikanischer Topos. Romane über Männer wie Willis gibt es viele, vor allem wiederum in Amerika, wo Schriftsteller in ihren mittleren Jahren aus den Leiden ihrer Altersgenossen geradezu ein eigenes Genre gemacht haben - ein Club der wehleidigen Dichter, die aus Lethargie literarischen Mehrwert schöpfen wollen.
Doug Willis nun ist die Hauptfigur in David Gates' Roman "Der letzte Rebell", der 1999 immerhin zu den Finalisten um den Pulitzerpreis gehörte. Schwer zu sagen, was diese Auswahl rechtfertigen könnte: Der Roman ist ebenso geschwätzig wie formlos und verliert sich mehr und mehr in einem Sound der Beliebigkeit: Sein Personal, das dauernd das Radio aufdreht, sind Menschen auf Sendersuche, die sich im Rauschen ihrer Biographien, in der Akustik der Utopielosigkeit, im Klang der midlife crisis verflüchtigen. Vielleicht schwebte Gates vor, seinem voluminösen Roman damit eine musikalische Qualität zu geben. Was allerdings als präzise Fallstudie verkauft wird, bietet nur ambitionierte Unschärfe.
"Preston Falls" heißt das Buch im Original, was in seiner Absturztendenz deutlich mehr Sinn ergibt als die gespielte Ironie des deutschen Titels: Denn natürlich ist Doug Willis alles andere als ein Aufständischer, nämlich ein Lebensflüchtling, ein Entscheidungsverdränger, ein Wohlstandsdrifter. Als er sich für zwei Monate in das Wochenendhaus in Preston Falls zurückzieht, um sich klar zu werden, was er mit seinem Leben und vor allem mit seiner ihm immer mehr entfremdeten Kleinfamilie aus Frau und zwei Kindern anfangen will, flüchtet er sich in Abenteuer, die seine Unentschiedenheit selbstzerstörerisch werden lassen. Nach einem dubiosen Drogendeal verschwindet Willis für Wochen, und als er schließlich wieder auftaucht, kann er nur noch die Überreste seines bürgerlichen Lebens besichtigen.
Es ist das Schicksal einer Generation, die der Wohlstand aus den Reservaten ihres politischen und sozialen Idealismus in Positionen gespült hat, in denen sie zuviel verdient, um zornig zu bleiben. Angekommen in der Mitte der Gesellschaft fühlen sie sich plötzlich hoffnungslos allein - was will so ein Mann wie Willis, Pressereferent in einer New Yorker Softdrinkfirma, schon groß mit seinem Leben anstellen? Seine Kinder nehmen ihn nicht ernst, seine Frau nennt ihn beim Nachnamen, sein Anwalt schiebt ihm Drogen unter, und die Art und Weise, wie er sich in einem harmlosen Streit mit einem Polizisten selbst ins Gefängnis bugsiert, führt die Autoaggression als letzte Möglichkeit des Protestes vor. Ein hoffnungsloser Fall, den Gates in vier Abschnitten mit wechselnder Blickrichtung schildert - mit ihrem brabbeligen Tonfall bleiben die Figuren allerdings verhuschte Gestalten, dürftige Charaktere, leere Hüllen. Und so stolpert Gates hilflos in den zu großen Halbschuhen von Updike, Ford und anderen umher, zum richtigen Format fehlt es ihm schlicht an erzählerischem Können.
GEORG DIEZ
David Gates: "Der letzte Rebell". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 528 S., geb., 22,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im freien Fall: David Gates verstolpert die Chronik einer Krise
Doug Willis ist ein Mann wie ein Gitarrenkasten. Wenn man ihn aufklappt, ist er innen hohl. Also sammelt dieser Willis Gitarren, um ein Vakuum zu füllen, das sich Leben nennt, und als er die wertvollen Instrumente nach Jahren schließlich verkauft, kann das zweierlei bedeuten: Entweder hat er sich endgültig aufgegeben oder er hat einen anderen Weg gefunden, seine Leere zu füllen.
Männer wie Doug Willis gibt es viele, er ist einer jener Mittelklassemenschen, wie sie nicht nur in Amerika leben, wo Willis in der Nähe von New York wohnt - und doch ist sein Durchschnittsschicksal ein durch und durch amerikanischer Topos. Romane über Männer wie Willis gibt es viele, vor allem wiederum in Amerika, wo Schriftsteller in ihren mittleren Jahren aus den Leiden ihrer Altersgenossen geradezu ein eigenes Genre gemacht haben - ein Club der wehleidigen Dichter, die aus Lethargie literarischen Mehrwert schöpfen wollen.
Doug Willis nun ist die Hauptfigur in David Gates' Roman "Der letzte Rebell", der 1999 immerhin zu den Finalisten um den Pulitzerpreis gehörte. Schwer zu sagen, was diese Auswahl rechtfertigen könnte: Der Roman ist ebenso geschwätzig wie formlos und verliert sich mehr und mehr in einem Sound der Beliebigkeit: Sein Personal, das dauernd das Radio aufdreht, sind Menschen auf Sendersuche, die sich im Rauschen ihrer Biographien, in der Akustik der Utopielosigkeit, im Klang der midlife crisis verflüchtigen. Vielleicht schwebte Gates vor, seinem voluminösen Roman damit eine musikalische Qualität zu geben. Was allerdings als präzise Fallstudie verkauft wird, bietet nur ambitionierte Unschärfe.
"Preston Falls" heißt das Buch im Original, was in seiner Absturztendenz deutlich mehr Sinn ergibt als die gespielte Ironie des deutschen Titels: Denn natürlich ist Doug Willis alles andere als ein Aufständischer, nämlich ein Lebensflüchtling, ein Entscheidungsverdränger, ein Wohlstandsdrifter. Als er sich für zwei Monate in das Wochenendhaus in Preston Falls zurückzieht, um sich klar zu werden, was er mit seinem Leben und vor allem mit seiner ihm immer mehr entfremdeten Kleinfamilie aus Frau und zwei Kindern anfangen will, flüchtet er sich in Abenteuer, die seine Unentschiedenheit selbstzerstörerisch werden lassen. Nach einem dubiosen Drogendeal verschwindet Willis für Wochen, und als er schließlich wieder auftaucht, kann er nur noch die Überreste seines bürgerlichen Lebens besichtigen.
Es ist das Schicksal einer Generation, die der Wohlstand aus den Reservaten ihres politischen und sozialen Idealismus in Positionen gespült hat, in denen sie zuviel verdient, um zornig zu bleiben. Angekommen in der Mitte der Gesellschaft fühlen sie sich plötzlich hoffnungslos allein - was will so ein Mann wie Willis, Pressereferent in einer New Yorker Softdrinkfirma, schon groß mit seinem Leben anstellen? Seine Kinder nehmen ihn nicht ernst, seine Frau nennt ihn beim Nachnamen, sein Anwalt schiebt ihm Drogen unter, und die Art und Weise, wie er sich in einem harmlosen Streit mit einem Polizisten selbst ins Gefängnis bugsiert, führt die Autoaggression als letzte Möglichkeit des Protestes vor. Ein hoffnungsloser Fall, den Gates in vier Abschnitten mit wechselnder Blickrichtung schildert - mit ihrem brabbeligen Tonfall bleiben die Figuren allerdings verhuschte Gestalten, dürftige Charaktere, leere Hüllen. Und so stolpert Gates hilflos in den zu großen Halbschuhen von Updike, Ford und anderen umher, zum richtigen Format fehlt es ihm schlicht an erzählerischem Können.
GEORG DIEZ
David Gates: "Der letzte Rebell". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 528 S., geb., 22,90
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Dass der Titel von David Gates' Roman ironisch gemeint ist, verrät Thomas Laux erst im letzten Absatz seiner Rezension. Vorher gibt er - leider - sehr viel Handlung preis, die im Leben von Willis, einem "Überbleibsel der sechziger Jahre und der Hippie-Generation" genau dort einsetzt, wo das Scheitern seiner Ehe ebenso offensichtlich wird wie das Scheitern seiner allgemeinen Lebensplanung. Der ganze Roman kursiere um ein Thema: das Scheitern von Kommunikation, fasst Laux zusammen. Der Autor zeige keine "strahlenden Vorzeigehelden" oder "moralisch intakte Verlierer nach erbittertem Kampf". Ihm gehe es eher um die Darstellung der "zerplatzten Hoffnungen", und die "unausgesprochene Todessehnsucht" als Konsequenz eines "deregulierten Lebens" und der daraus resultierenden Selbstaufgabe, resümiert Laux.
© Perlentaucher Medien GmbH
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