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Zur Präsidentschaftswahl 2016: Tiefe Einsichten in die politische Kultur der USABill of Rights, Civil Rights Movement, Recht auf Waffenbesitz oder freie Meinungsäußerung: Die Idee politischer Rechte nimmt in den USA eine fast sakrale Stellung ein, die kaum mit ihrer Stellung in Europa zu vergleichen ist und häufig auch zu verschiedenen politischen Einschätzungen führt. Mit ihrer Untersuchung der Idee politischer Rechte rekonstruiert Shklar die Herausbildung des eigenständigen politischen Denkens und der politischen Kultur Nordamerikas. In den Rechten offenbart sich zudem eine Institution, mit…mehr

Produktbeschreibung
Zur Präsidentschaftswahl 2016: Tiefe Einsichten in die politische Kultur der USABill of Rights, Civil Rights Movement, Recht auf Waffenbesitz oder freie Meinungsäußerung: Die Idee politischer Rechte nimmt in den USA eine fast sakrale Stellung ein, die kaum mit ihrer Stellung in Europa zu vergleichen ist und häufig auch zu verschiedenen politischen Einschätzungen führt. Mit ihrer Untersuchung der Idee politischer Rechte rekonstruiert Shklar die Herausbildung des eigenständigen politischen Denkens und der politischen Kultur Nordamerikas. In den Rechten offenbart sich zudem eine Institution, mit der sich ihr Konzept des Liberalismus der Furcht als Vermeidung von Übeln positiv ergänzen und gesellschaftlich verankern lässt. So ermöglicht uns Shklar nicht nur eine Lehrstunde in transatlantischem Austausch, sondern auch einen prüfenden Blick auf das Selbstverständnis unserer politischen Institutionen in Europa.
Autorenporträt
Judith N. Shklar, 1928 in Riga geboren, lehrte Politikwissenschaften an der Harvard University und starb 1992 in Cambridge, Massachusetts. Die Relevanz ihres Werks findet erst in den letzten Jahren Anerkennung. Ihr Essay Der Liberalismus der Furcht gilt inzwischen als Klassiker der jüngeren politischen Philosophie und als Schlüsseltext der Liberalismustheorie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2017

Vom Kern der Freiheit
Judith Shklars Aufsätze aus den 80er-Jahren über den „Liberalismus der Rechte“ sind aktueller denn je
„Warum halten Amerikaner Rechte für so wichtig?“, fragt Judith Shklar Mitte der Achtzigerjahre in einem der Aufsätze, die Hannes Bajohr jüngst unter dem Titel „Liberalismus der Rechte“ herausgegeben hat. Natürlich spielen Rechte in den meisten Denktraditionen eine bedeutende Rolle. Doch gerade für die politische Kultur der Vereinigten Staaten sind sie zentral, nicht nur historisch, denkt man etwa an die Bill of Rights, sondern auch in einer Gegenwart, in der Bürgerinnen und Bürger immer noch beharrlich um sie kämpfen und streiten, ob es nun um den Waffenbesitz, Religionsfreiheit, Minderheitenrechte oder um freie Meinungsäußerung geht. Auch wenn sich der politische Diskurs oft um die Idee einer starken Nation dreht, behalten individuelle Rechte gegenüber dem Gemeinwohl die Oberhand.
Shklar war seit je mit Theorien des Liberalismus befasst, wandte sich dem politischen Denken der Vereinigten Staaten aber erst spät zu. Zuvor hatte sie sich mit Philosophen wie Hegel, Montesquieu und Rousseau beschäftigt. In der englischsprachigen Welt wurde sie nicht zuletzt mit ihrem minimalistischen Konzept eines „Liberalismus der Furcht“ (1989) berühmt. Dabei stellt Shklar die Verhinderung von Grausamkeit und Furcht ins Zentrum ihrer Überlegungen, schließlich mache „systematische Furcht … Freiheit unmöglich“. Sie denkt die Freiheit von ihren Gefährdungen her. Grausamkeit sei das Schlimmste, was Menschen sich gegenseitig antun könnten. Ein skeptizistisches Konzept, schlicht und ohne Pathos, das unter anderem von den Erfahrungen des Totalitarismus und des Kalten Krieges geleitet war.
Im Alter von neun Jahren hatte die lettische Jüdin 1939 mit ihren Eltern und ihrer Schwester aus Europa fliehen müssen. Anfang der Fünfzigerjahre ging Shklar, nachdem Kanada sie aufgenommen hatten, an die Harvard University, wo sie nach ihrem Doktorstudium blieb und als Politikwissenschaftlerin lehrte. Shklar ist eine der bedeutendsten Theoretikerinnen des politischen Liberalismus. In ihren Arbeiten kommen historisches Bewusstsein und politische Theorie, präzise Analyse und realistische Klarheit auf eindrucksvolle Weise zusammen. Mit beträchtlicher Verzögerung wird ihr nun endlich auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit zuteil. Der jüngste Band kommt nun genau zur rechten Zeit.
Was meint Shklar mit jenem „Liberalismus der Rechte“, den sie in Amerika identifiziert? „Die amerikanische Staatstheorie hat von jeher die Verwirklichung individueller Rechte als das Ziel aller legitimen Institutionen betrachtet.“ Shklar erzählt die Geschichte der Vereinigten Staaten als eine nie abgeschlossene Geschichte des Kampfes um Rechte. Dieses Denken gehe unter anderem auf Thomas Jefferson zurück, der seinerseits von der Naturrechtslehre – die von einem natürlichen Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum ausgeht – John Lockes inspiriert war.
Dass die Amerikaner Rechte und das Primat der Judikative so stark betonen, erläutert Shklar als Ideengeschichtlerin historisch. Im revolutionären Kampf gegen Großbritannien haben sie sich auf das Naturrecht berufen, enthielten die gewonnen Rechte dann aber einem großen Teil der Bevölkerung vor. Erst der stetige, weitere Kampf um Rechte, zum Beispiel im Kontext der Bürgerrechtsbewegung, habe dazu geführt, dass die Versprechen der Unabhängigkeitserklärung für alle Amerikanerinnen und Amerikanern Wirklichkeit wurden. Dies habe den Liberalismus der Rechte erst etabliert, denn nun war die Freiheit nicht mehr nur die Freiheit der Sklavenhalter. Im Liberalismus der Rechte sind negative Freiheit, also die Freiheit von Zwang oder staatlichen Übergriffen, und positive Freiheit, die Freiheit zur Selbstbestimmung, untrennbar miteinander verbunden.
Im Kern herrschte in Amerika seit je ein Misstrauen gegenüber Regierungsvertretern, vor denen man sich schützen müsse – ein Misstrauen gegenüber den Reichen und der Elite, das wir auch aus dem Amerika der Gegenwart kennen. So schreibt Shklar den wohl immer noch gültigen Satz: „Tag und Nacht beten sie herunter, dass die ‚beste Regierung diejenige ist, die am wenigsten regiert‘ und nichts kostet.“ Dass Shklar diese Tradition auch kritisch sieht, ist klar, denn dem Begriff der Rechte wohne „eine sehr radikale sowie eine tief konservative Tendenz inne“. Rechte ermöglichen und bewahren. Insbesondere drei Einwände gegen den Liberalismus der Rechte diskutiert Shklar: Das Insistieren auf Rechten könne zu einer Ausweitung der Staatsmacht führen, die dann „zu einer Bedrohung der Freiheit“ werden könne. Setze man zudem Rechte an die erste Stelle, würden möglicherweise nicht länger auf das Gemeinwohl bedachte Gesetze erlassen. Schließlich sei unklar, wie Rechte im Zweifelsfall gewichtet werden sollen. Der Liberalismus der Rechte verfüge über keine Prinzipien, um Konflikte zwischen einzelnen Rechten aufzulösen. Wo beginnt die Religionsfreiheit des einen, wo endet die Meinungsfreiheit des anderen?
„Wenn man sich also wundert“, schreibt Shklar in einem der Essays in dem gerade erschienen Band, „warum sich amerikanische Politik im Zeitalter des Wohlfahrtsstaates und globaler Kriege immer noch um Rechte dreht, dann sollte man in Erinnerung behalten, was schließlich vollkommen offensichtlich ist – dass das multiethnische und ungleiche Amerika sein Ziel nicht erreicht hatte, als es als Nation gegründet wurde. Es liegt immer noch viel ‚unvollendete Arbeit‘ vor uns.“ An dieser Diagnose hat sich seit 1992, dem Jahr, in dem Judith Shklar in Boston starb, nichts geändert. Der Kampf um Rechte hat sich gerade erst noch einmal heftig verschärft.
ISABELL TROMMER
Isabell Trommer ist Politikwissenschaftlerin.
Judith N. Shklar:
Der Liberalismus der Rechte. Aus dem Amerikanischen von Dirk Höfer und Hannes Bajohr.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2017, 203 Seiten.
16 Euro.
Recht zum Protest: Aktivisten von Amnesty International, im Look der Freiheitsstatue, demonstrieren vor der US-Botschaft in London gegen Trump.
Foto: NIKLAS HALLE'N/AFP
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Isabell Trommer kommt in den Sinn, dass der Kampf um die Rechte in den USA, wie ihn Judith Shklar diesen Aufsätzen schildert, noch lange nicht gewonnen ist, wie die Gegenwart zeigt. Über die Autorin weiß Trommer zu berichten, dass sie seit je mit Theorien des Liberalismus befasst war, sich dem politischen Denken der USA jedoch erst spät zugewandt hat. Wie Shklar die Freiheit von ihren Gefährdungen her denkt, kann die Rezensentin in den Texten erfahren, ebenso, wie Shklar in ihrem Denken historisches Bewusstsein, politische Theorie, präzise Analyse und realistische Klarheit verbindet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2017

Fordern, was Recht ist
Judith Shklar sondiert den amerikanischen Liberalismus

"Warum reden Amerikaner dauernd über Rechte?", fragte die Harvard-Politologin Judith Shklar in den achtziger Jahren in einem Essay-Band, in dem sie eine genuin amerikanische Variante des Liberalismus erstmals auf den Begriff brachte: den Liberalismus der Rechte. Shklar gab zunächst eine einfache Antwort: Der Primat der individuellen Rechtsdurchsetzung sei Ausdruck der in den Vereinigten Staaten besonders ausgeprägten Staatskritik. Er schützt eine unternehmerische Mentalität und ein individualistisches Freiheitspathos. Über diesen gängigen Befund hinaus zeigte Shklar aber auch mit historisch geschultem Blick, wie der Liberalismus der Rechte als Gegengewicht zu den Doppelstandards und Missbrauchspotentialen der von der Verfassung garantierten Freiheit gewachsen ist.

Die 1992 verstorbene Shklar wurde in Deutschland erst vor kurzem durch ihr Buch "Liberalismus der Furcht" bekannt. Dort entwarf sie das Programm eines minimalen Liberalismus, der primär dem Schutz vor Grausamkeit und Gewalt dient. Der skeptische Ansatz bei der negativen Freiheit hatte eine biographische Note. Die in Lettland geborene, jüdischstämmige Shklar floh 1939 als Kind über Kanada in die Vereinigten Staaten und stieg in Harvard zu einer der bedeutendsten, in Deutschland aber erst vor kurzem entdeckten Theoretikerinnen des Liberalismus auf. Nun ist ihr Essayband erstmals auf Deutsch erschienen.

Aus der totalitären Erfahrung speist sich Shklars Überzeugung, dass die positive Freiheit, der Appell an höhere Werte, zum ideologischen Missbrauch einlädt. Ist der Liberalismus der Furcht aber eine passende Theorie für westliche Demokratien, in denen es nicht um den täglichen Angriff auf Leib und Leben geht? Hier liegt die Schnittstelle zum Liberalismus der Rechte, der das defensive Programm des furchtsamen Liberalismus wehrhaft macht. Zugespitzt gesagt, ist das Recht nach amerikanischem Verständnis kein fixer, durch den Staat verbürgter Gegenstand, sondern eine Möglichkeit, die erst zur Geltung gebracht werden muss. Getragen wird der Liberalismus der Rechte von einer gewissen Skepsis gegenüber der rule of law. Shklar zeigt am Beispiel des Nationalsozialismus, wie die formale Einhaltung des Rechts monströse Verbrechen legitimieren kann. Dem amerikanischen Liberalismus bescheinigt sie eine ökonomische, eigentumsrechtliche Schlagseite. Besonders virulent wurde dies im neunzehnten Jahrhundert, als amerikanische Plantagenbesitzer die Sklaverei, wie Shklar schreibt, am erfolgreichsten mit dem Eigentumsrecht rechtfertigen konnten.

In diesem Konflikt gewann der Liberalismus der Rechte seine Kontur. Historisch knüpft er zunächst an Lockes Doktrin der Naturrechte an, auf die sich die amerikanischen Siedler im Befreiungskampf gegen Großbritannien beriefen. Die Unabhängigkeitserklärung gibt dieser naturrechtlichen Inspiration mit dem "gottgegebenen Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit" Ausdruck. Sie schloss aber die Sklaven vom Genuss dieser Freiheit aus. Shklar wertet es als folgenreichen Makel der amerikanischen Geschichte, dass dieser Doppelstandard nie durch einen politischen Mehrheitsentscheid, sondern als Nebenfolge des Bürgerkriegs gebrochen wurde und das Verfassungsversprechen erst durch den Kampf von Bürgerbewegungen erfüllt wurde.

Hier zeigte der Liberalismus der Rechte seine Stärke. Shklar ist aber für seine Defizite nicht blind: Erstens verfügt er über keinen Schlichtungsmechanismus im Widerstreit der Rechte. Er schützt die Freiheit des Hasspredigers und Waffenbesitzers genauso wie die ihrer Opfer. Zweitens erschwert der Primat der individuellen Rechte den Erlass gemeinwohlorientierter Gesetze. In den letzten Jahren wurde zudem sichtbar, dass der Liberalismus der Rechte bei der Einforderung von Minderheitenrechten eine schärfere Waffe als im Kampf gegen die Vermögensungleichheit in den Vereinigten Staaten ist. Dass Shklar trotzdem an ihm festhält, ist eine Folge ihrer letztlich doch optimistischen Anthropologie. Sie setzt auf den fortlaufend für seine Rechte streitenden und mit einem feinen Sensorium für Machtverschiebungen ausgestatteten Bürger. Der Preis ist eine erhöhte soziale Lautstärke und die Tendenz, dass Bürger sich vor allem als Rechteinhaber definieren.

Die Stärke des Bandes ist sein realistischer, historisch scharfer Blick. Shklar gibt sich nicht mit Freiheitsparolen und den Abstraktionen der Politischen Theorie zufrieden, sondern hat ein Auge dafür, ob die liberalen Versprechen auch in den unteren Etagen der Gesellschaft ankommen. Zugleich verwirft sie den Liberalismus nicht pauschal wegen seiner Defizite. Freiheit bemisst sich für sie daran, inwieweit die weniger Erfolgreichen vor Erniedrigung und Zwang sicher sind. Wo dies übergangen wird, kann das Ressentiment der Gedemütigten so stark werden, dass es, wie derzeit in den Vereinigten Staaten, die Gesellschaft als Ganzes spaltet. Durch die Migration ist auch Europa in einen Kulturkampf um Identitätsrechte geraten. Es lohnt sich deshalb, dieses scharfsinnige und weitblickende Buch zu lesen.

THOMAS THIEL.

Judith Shklar: "Der Liberalismus der Rechte".

Aus dem Englischen von Hannes Bajohr und Dirk Höfer. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 203 S., br., 16,- [Euro].

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