Zur Präsidentschaftswahl 2016: Tiefe Einsichten in die politische Kultur der USA
Bill of Rights, Civil Rights Movement, Recht auf Waffenbesitz oder freie Meinungsäußerung: Die Idee politischer Rechte nimmt in den USA eine fast sakrale Stellung ein, die kaum mit ihrer Stellung in Europa zu vergleichen ist und häufig auch zu verschiedenen politischen Einschätzungen führt. Mit ihrer Untersuchung der Idee politischer Rechte rekonstruiert Shklar die Herausbildung des eigenständigen politischen Denkens und der politischen Kultur Nordamerikas. In den Rechten offenbart sich zudem eine Institution, mit der sich ihr Konzept des Liberalismus der Furcht als Vermeidung von Übeln positiv ergänzen und gesellschaftlich verankern lässt. So ermöglicht uns Shklar nicht nur eine Lehrstunde in transatlantischem Austausch, sondern auch einen prüfenden Blick auf das Selbstverständnis unserer politischen Institutionen in Europa.
Bill of Rights, Civil Rights Movement, Recht auf Waffenbesitz oder freie Meinungsäußerung: Die Idee politischer Rechte nimmt in den USA eine fast sakrale Stellung ein, die kaum mit ihrer Stellung in Europa zu vergleichen ist und häufig auch zu verschiedenen politischen Einschätzungen führt. Mit ihrer Untersuchung der Idee politischer Rechte rekonstruiert Shklar die Herausbildung des eigenständigen politischen Denkens und der politischen Kultur Nordamerikas. In den Rechten offenbart sich zudem eine Institution, mit der sich ihr Konzept des Liberalismus der Furcht als Vermeidung von Übeln positiv ergänzen und gesellschaftlich verankern lässt. So ermöglicht uns Shklar nicht nur eine Lehrstunde in transatlantischem Austausch, sondern auch einen prüfenden Blick auf das Selbstverständnis unserer politischen Institutionen in Europa.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Isabell Trommer kommt in den Sinn, dass der Kampf um die Rechte in den USA, wie ihn Judith Shklar diesen Aufsätzen schildert, noch lange nicht gewonnen ist, wie die Gegenwart zeigt. Über die Autorin weiß Trommer zu berichten, dass sie seit je mit Theorien des Liberalismus befasst war, sich dem politischen Denken der USA jedoch erst spät zugewandt hat. Wie Shklar die Freiheit von ihren Gefährdungen her denkt, kann die Rezensentin in den Texten erfahren, ebenso, wie Shklar in ihrem Denken historisches Bewusstsein, politische Theorie, präzise Analyse und realistische Klarheit verbindet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2017Fordern, was Recht ist
Judith Shklar sondiert den amerikanischen Liberalismus
"Warum reden Amerikaner dauernd über Rechte?", fragte die Harvard-Politologin Judith Shklar in den achtziger Jahren in einem Essay-Band, in dem sie eine genuin amerikanische Variante des Liberalismus erstmals auf den Begriff brachte: den Liberalismus der Rechte. Shklar gab zunächst eine einfache Antwort: Der Primat der individuellen Rechtsdurchsetzung sei Ausdruck der in den Vereinigten Staaten besonders ausgeprägten Staatskritik. Er schützt eine unternehmerische Mentalität und ein individualistisches Freiheitspathos. Über diesen gängigen Befund hinaus zeigte Shklar aber auch mit historisch geschultem Blick, wie der Liberalismus der Rechte als Gegengewicht zu den Doppelstandards und Missbrauchspotentialen der von der Verfassung garantierten Freiheit gewachsen ist.
Die 1992 verstorbene Shklar wurde in Deutschland erst vor kurzem durch ihr Buch "Liberalismus der Furcht" bekannt. Dort entwarf sie das Programm eines minimalen Liberalismus, der primär dem Schutz vor Grausamkeit und Gewalt dient. Der skeptische Ansatz bei der negativen Freiheit hatte eine biographische Note. Die in Lettland geborene, jüdischstämmige Shklar floh 1939 als Kind über Kanada in die Vereinigten Staaten und stieg in Harvard zu einer der bedeutendsten, in Deutschland aber erst vor kurzem entdeckten Theoretikerinnen des Liberalismus auf. Nun ist ihr Essayband erstmals auf Deutsch erschienen.
Aus der totalitären Erfahrung speist sich Shklars Überzeugung, dass die positive Freiheit, der Appell an höhere Werte, zum ideologischen Missbrauch einlädt. Ist der Liberalismus der Furcht aber eine passende Theorie für westliche Demokratien, in denen es nicht um den täglichen Angriff auf Leib und Leben geht? Hier liegt die Schnittstelle zum Liberalismus der Rechte, der das defensive Programm des furchtsamen Liberalismus wehrhaft macht. Zugespitzt gesagt, ist das Recht nach amerikanischem Verständnis kein fixer, durch den Staat verbürgter Gegenstand, sondern eine Möglichkeit, die erst zur Geltung gebracht werden muss. Getragen wird der Liberalismus der Rechte von einer gewissen Skepsis gegenüber der rule of law. Shklar zeigt am Beispiel des Nationalsozialismus, wie die formale Einhaltung des Rechts monströse Verbrechen legitimieren kann. Dem amerikanischen Liberalismus bescheinigt sie eine ökonomische, eigentumsrechtliche Schlagseite. Besonders virulent wurde dies im neunzehnten Jahrhundert, als amerikanische Plantagenbesitzer die Sklaverei, wie Shklar schreibt, am erfolgreichsten mit dem Eigentumsrecht rechtfertigen konnten.
In diesem Konflikt gewann der Liberalismus der Rechte seine Kontur. Historisch knüpft er zunächst an Lockes Doktrin der Naturrechte an, auf die sich die amerikanischen Siedler im Befreiungskampf gegen Großbritannien beriefen. Die Unabhängigkeitserklärung gibt dieser naturrechtlichen Inspiration mit dem "gottgegebenen Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit" Ausdruck. Sie schloss aber die Sklaven vom Genuss dieser Freiheit aus. Shklar wertet es als folgenreichen Makel der amerikanischen Geschichte, dass dieser Doppelstandard nie durch einen politischen Mehrheitsentscheid, sondern als Nebenfolge des Bürgerkriegs gebrochen wurde und das Verfassungsversprechen erst durch den Kampf von Bürgerbewegungen erfüllt wurde.
Hier zeigte der Liberalismus der Rechte seine Stärke. Shklar ist aber für seine Defizite nicht blind: Erstens verfügt er über keinen Schlichtungsmechanismus im Widerstreit der Rechte. Er schützt die Freiheit des Hasspredigers und Waffenbesitzers genauso wie die ihrer Opfer. Zweitens erschwert der Primat der individuellen Rechte den Erlass gemeinwohlorientierter Gesetze. In den letzten Jahren wurde zudem sichtbar, dass der Liberalismus der Rechte bei der Einforderung von Minderheitenrechten eine schärfere Waffe als im Kampf gegen die Vermögensungleichheit in den Vereinigten Staaten ist. Dass Shklar trotzdem an ihm festhält, ist eine Folge ihrer letztlich doch optimistischen Anthropologie. Sie setzt auf den fortlaufend für seine Rechte streitenden und mit einem feinen Sensorium für Machtverschiebungen ausgestatteten Bürger. Der Preis ist eine erhöhte soziale Lautstärke und die Tendenz, dass Bürger sich vor allem als Rechteinhaber definieren.
Die Stärke des Bandes ist sein realistischer, historisch scharfer Blick. Shklar gibt sich nicht mit Freiheitsparolen und den Abstraktionen der Politischen Theorie zufrieden, sondern hat ein Auge dafür, ob die liberalen Versprechen auch in den unteren Etagen der Gesellschaft ankommen. Zugleich verwirft sie den Liberalismus nicht pauschal wegen seiner Defizite. Freiheit bemisst sich für sie daran, inwieweit die weniger Erfolgreichen vor Erniedrigung und Zwang sicher sind. Wo dies übergangen wird, kann das Ressentiment der Gedemütigten so stark werden, dass es, wie derzeit in den Vereinigten Staaten, die Gesellschaft als Ganzes spaltet. Durch die Migration ist auch Europa in einen Kulturkampf um Identitätsrechte geraten. Es lohnt sich deshalb, dieses scharfsinnige und weitblickende Buch zu lesen.
THOMAS THIEL.
Judith Shklar: "Der Liberalismus der Rechte".
Aus dem Englischen von Hannes Bajohr und Dirk Höfer. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 203 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Judith Shklar sondiert den amerikanischen Liberalismus
"Warum reden Amerikaner dauernd über Rechte?", fragte die Harvard-Politologin Judith Shklar in den achtziger Jahren in einem Essay-Band, in dem sie eine genuin amerikanische Variante des Liberalismus erstmals auf den Begriff brachte: den Liberalismus der Rechte. Shklar gab zunächst eine einfache Antwort: Der Primat der individuellen Rechtsdurchsetzung sei Ausdruck der in den Vereinigten Staaten besonders ausgeprägten Staatskritik. Er schützt eine unternehmerische Mentalität und ein individualistisches Freiheitspathos. Über diesen gängigen Befund hinaus zeigte Shklar aber auch mit historisch geschultem Blick, wie der Liberalismus der Rechte als Gegengewicht zu den Doppelstandards und Missbrauchspotentialen der von der Verfassung garantierten Freiheit gewachsen ist.
Die 1992 verstorbene Shklar wurde in Deutschland erst vor kurzem durch ihr Buch "Liberalismus der Furcht" bekannt. Dort entwarf sie das Programm eines minimalen Liberalismus, der primär dem Schutz vor Grausamkeit und Gewalt dient. Der skeptische Ansatz bei der negativen Freiheit hatte eine biographische Note. Die in Lettland geborene, jüdischstämmige Shklar floh 1939 als Kind über Kanada in die Vereinigten Staaten und stieg in Harvard zu einer der bedeutendsten, in Deutschland aber erst vor kurzem entdeckten Theoretikerinnen des Liberalismus auf. Nun ist ihr Essayband erstmals auf Deutsch erschienen.
Aus der totalitären Erfahrung speist sich Shklars Überzeugung, dass die positive Freiheit, der Appell an höhere Werte, zum ideologischen Missbrauch einlädt. Ist der Liberalismus der Furcht aber eine passende Theorie für westliche Demokratien, in denen es nicht um den täglichen Angriff auf Leib und Leben geht? Hier liegt die Schnittstelle zum Liberalismus der Rechte, der das defensive Programm des furchtsamen Liberalismus wehrhaft macht. Zugespitzt gesagt, ist das Recht nach amerikanischem Verständnis kein fixer, durch den Staat verbürgter Gegenstand, sondern eine Möglichkeit, die erst zur Geltung gebracht werden muss. Getragen wird der Liberalismus der Rechte von einer gewissen Skepsis gegenüber der rule of law. Shklar zeigt am Beispiel des Nationalsozialismus, wie die formale Einhaltung des Rechts monströse Verbrechen legitimieren kann. Dem amerikanischen Liberalismus bescheinigt sie eine ökonomische, eigentumsrechtliche Schlagseite. Besonders virulent wurde dies im neunzehnten Jahrhundert, als amerikanische Plantagenbesitzer die Sklaverei, wie Shklar schreibt, am erfolgreichsten mit dem Eigentumsrecht rechtfertigen konnten.
In diesem Konflikt gewann der Liberalismus der Rechte seine Kontur. Historisch knüpft er zunächst an Lockes Doktrin der Naturrechte an, auf die sich die amerikanischen Siedler im Befreiungskampf gegen Großbritannien beriefen. Die Unabhängigkeitserklärung gibt dieser naturrechtlichen Inspiration mit dem "gottgegebenen Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit" Ausdruck. Sie schloss aber die Sklaven vom Genuss dieser Freiheit aus. Shklar wertet es als folgenreichen Makel der amerikanischen Geschichte, dass dieser Doppelstandard nie durch einen politischen Mehrheitsentscheid, sondern als Nebenfolge des Bürgerkriegs gebrochen wurde und das Verfassungsversprechen erst durch den Kampf von Bürgerbewegungen erfüllt wurde.
Hier zeigte der Liberalismus der Rechte seine Stärke. Shklar ist aber für seine Defizite nicht blind: Erstens verfügt er über keinen Schlichtungsmechanismus im Widerstreit der Rechte. Er schützt die Freiheit des Hasspredigers und Waffenbesitzers genauso wie die ihrer Opfer. Zweitens erschwert der Primat der individuellen Rechte den Erlass gemeinwohlorientierter Gesetze. In den letzten Jahren wurde zudem sichtbar, dass der Liberalismus der Rechte bei der Einforderung von Minderheitenrechten eine schärfere Waffe als im Kampf gegen die Vermögensungleichheit in den Vereinigten Staaten ist. Dass Shklar trotzdem an ihm festhält, ist eine Folge ihrer letztlich doch optimistischen Anthropologie. Sie setzt auf den fortlaufend für seine Rechte streitenden und mit einem feinen Sensorium für Machtverschiebungen ausgestatteten Bürger. Der Preis ist eine erhöhte soziale Lautstärke und die Tendenz, dass Bürger sich vor allem als Rechteinhaber definieren.
Die Stärke des Bandes ist sein realistischer, historisch scharfer Blick. Shklar gibt sich nicht mit Freiheitsparolen und den Abstraktionen der Politischen Theorie zufrieden, sondern hat ein Auge dafür, ob die liberalen Versprechen auch in den unteren Etagen der Gesellschaft ankommen. Zugleich verwirft sie den Liberalismus nicht pauschal wegen seiner Defizite. Freiheit bemisst sich für sie daran, inwieweit die weniger Erfolgreichen vor Erniedrigung und Zwang sicher sind. Wo dies übergangen wird, kann das Ressentiment der Gedemütigten so stark werden, dass es, wie derzeit in den Vereinigten Staaten, die Gesellschaft als Ganzes spaltet. Durch die Migration ist auch Europa in einen Kulturkampf um Identitätsrechte geraten. Es lohnt sich deshalb, dieses scharfsinnige und weitblickende Buch zu lesen.
THOMAS THIEL.
Judith Shklar: "Der Liberalismus der Rechte".
Aus dem Englischen von Hannes Bajohr und Dirk Höfer. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 203 S., br., 16,- [Euro].
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