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Hat der Liberalismus noch eine Zukunft?
Die Demokratien stecken weltweit in der Krise. Militärischen Drohgebärden und der Spaltung der Gesellschaft haben sie scheinbar nichts entgegenzusetzen. Francis Fukuyama unterzieht unser System einem Stresstest: Sind die Prinzipien des Liberalismus als Grundlage unseres Handelns noch zeitgemäß?
Corona-Einschränkungen, Hetze und Falschinformationen in den sozialen Medien, die aggressive Politik von Russland und China, populistische Führer im Westen: Der westliche Liberalismus erscheint heutzutage schwach und nicht in der Lage, unsere drängenden
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Produktbeschreibung
Hat der Liberalismus noch eine Zukunft?

Die Demokratien stecken weltweit in der Krise. Militärischen Drohgebärden und der Spaltung der Gesellschaft haben sie scheinbar nichts entgegenzusetzen. Francis Fukuyama unterzieht unser System einem Stresstest: Sind die Prinzipien des Liberalismus als Grundlage unseres Handelns noch zeitgemäß?

Corona-Einschränkungen, Hetze und Falschinformationen in den sozialen Medien, die aggressive Politik von Russland und China, populistische Führer im Westen: Der westliche Liberalismus erscheint heutzutage schwach und nicht in der Lage, unsere drängenden Probleme zu lösen. Dass er Menschen- und Bürgerrechte nicht ohne langwierige Prozesse einschränken mag, scheint heutzutage ein Nachteil zu sein.

Man könne nicht alle Menschen gleich behandeln, heißt es dieser Tage von links wie von rechts, allerdings mit unterschiedichen Vorzeichen. Francis Fukuyama untersucht in seinem so kurzen wie prägnanten Buch, welche Werte ein echter Liberalismus vertreten muss, inwiefern der Neoliberalismus seinem Ansehen geschadet hat, und wie wir auf die Herausforderungen der Gegenwart antworten müssen, wenn wir unsere Freiheit nicht verlieren wollen.
Autorenporträt
Francis Fukuyama, geboren 1952 in Chicago, studierte Politikwissenschaft in Harvard. Sein 1992 veröffentlichter Bestseller Das Ende der Geschichte machte ihn international bekannt. Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Er lehrte an der John-Hopkins-Universität, erhielt 2015 den Skytteanischen Preis und hat zahlreiche Bücher zur US-Politik veröffentlicht. Derzeit ist er Professor für Politikwissenschaft an der Stanford-Universität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2022

Sollte der Liberalismus denn Probleme haben?
Schlafwandlerisch: Francis Fukuyama kehrt zu seinem alten Thema zurück und hat dabei kaum Neues zu sagen

Was tut der Intellektuelle, der durch eine These weltberühmt wurde, die sich anschließend als spektakulär falsch erwiesen hat? Natürlich schreibt er weiter. Francis Fukuyama gewann im Alter von vierzig Jahren für seine Vermutung Weltruhm, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ende der globale politische Konflikt und damit die Geschichte. Natürlich gefiel diese These dem amerikanischen Publikum, aber auch Franzosen und Deutsche konnten sich an ihr erfreuen, verhalf er damit doch einer kontinentaleuropäischen Form der Geschichtsphilosophie zu ihrem zeitgenössischen Recht. In zwei berühmten Fußnoten seines Hegel-Kommentars hatte Alexandre Kojève als Erster die Formulierung vom "Ende der Geschichte" verwendet, freilich ironisch gebrochen. Der Aufsatz, aus dem Fukuyamas gleichnamiges Buch 1992 hervorging, war bereits im Sommer 1989, vor dem Fall der Mauer also, in einer Zeitschrift veröffentlicht worden. Für einen kurzen Moment schien die Philosophie der Freiheit ihre prophetische Kraft beweisen zu können. Seine Behauptung der liberalen westlichen Demokratie als "final form of human government" wurde plausibel.

Doch schon bald wurde klar, dass es damit nichts würde. Fukuyama schrieb weitere Bücher, zur Geschichte der politischen Ordnung, zum Ende der menschlichen Natur oder zur Kritik der Identitätspolitik, deren Erfolg sich aber dem andauernden Ruhm dieses einen Buches verdanken dürfte. Folgerichtig steht auch unter dem Titel seines neuesten Werks das Versprechen des alten: "Vom Autor von 'Das Ende der Geschichte'." Wenn er nun wieder direkt zum Thema der Zukunft der liberalen Ordnung zurückkehrt, so hätte man auch eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal der eigenen These erwartet, die Fukuyama in Interviews immer mal wieder, aber offenbar nie so recht systematisch angegangen ist. Dass diese Auseinandersetzung unterbleibt. Dass das alte Buch noch nicht einmal im Literaturverzeichnis erscheint, ist nicht die einzige Enttäuschung, die das neue bereitet.

Fukuyama versucht sich an einer Apologie des "klassischen Liberalismus", der sich in seiner Lesart vor allem durch den Schutz individueller Rechte, eine handlungsfähige Staatsgewalt und einen Primat dezentraler Politik auszeichnet. Die Krise des zeitgenössischen Liberalismus ist für Fukuyama namentlich durch den Neoliberalismus verursacht, von dem er sich pflichtschuldig distanziert. Das Problem liegt aber nicht an liberalen Modellen, sondern daran, wie diese von Ökonomen und Marktverehrern "ins Extrem" oder "auf die Spitze getrieben" wurden. Beide Formulierungen finden sich in dem - von Karlheinz Dürr vorzüglich übersetzten - Buch immer wieder, und sie beschreiben eigentlich schon dessen ganze Theorie. Fukuyama liefert nicht mehr als ein schlichtes Modell liberaler Mäßigung, in dem die als richtig erkannten Grundsätze nur richtig angewandt werden müssten, um sich durchzusetzen.

Nach diesem Schema werden im Buch auch andere Herausforderungen des und Kritiken am Liberalismus beschrieben und entschärft: gruppenbezogene Identitätspolitiken aller Art, die Philosophie von John Rawls - dem Fukuyama vorwirft, sich zu wenig für individuelles Verdienst zu interessieren und mit seinem Konzept von Neutralität den Liberalismus wehrlos zu machen - oder die post-koloniale Kritik, für deren Abfertigung er gerade einmal eine Dreiviertelseite braucht.

Diese Antikritiken werden durchgehend lustlos und schnell vorgetragen, ohne Sinn dafür, den Gegner stark zu machen, mit mitunter unsinnigen Formulierungen ("Die Selfcare- und Wellness-Trends sind einfach nur moderne Manifestationen der Rousseauschen Version vom 'Reichtum' des innerem Selbst.") und mit manifesten historischen Fehlern, etwa wenn Fukuyama Liberalismus und Nationalismus im neunzehnten Jahrhundert als politische Antipoden darstellt.

So wird bei der Lektüre des Buches auch langsam klar, warum Fukuyama sein berühmtes Vorgängerwerk nicht noch einmal kritisch würdigt. Es hat sich für ihn noch nicht erledigt. Fukuyama glaubt weiterhin an den Sieg der liberalen Weltordnung. Das zeigte sich zuletzt auch in schnellen und optimistischen Interviewäußerungen zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine: Mit diesem komme nicht nur Putin an ein Ende, auch die europäischen Autokraten und Autoritären würden an Einfluss verlieren. Namentlich erwähnte er Matteo Salvini, der Ende September zwar mit seiner Partei bei den italienischen Parlamentswahlen Stimmen verlor, aber nunmehr mit einer gewiss wenig liberalen Mehrheit wieder in die Regierung eintritt. Fukuyama kann es nicht lassen.

Natürlich gibt es nach wie vor gute Gründe, an den Bestand liberal-demokratischer Ordnungen zu glauben, auch wenn sich diese heute vor allem aus der Instabilität der autoritären Alternativen ergeben. Das Problem von Fukuyamas Ansatz liegt dann auch weniger in seinen Ausblicken als im fehlenden Interesse an den politischen und theoretischen Herausforderungen, die sich liberalen Modellen entgegenstellen. Beispielhaft: Weder spielt das Phänomen sozialer Ungleichheit in diesem Buch eine nennenswerte Rolle, noch macht sein Autor irgendwelche Anstalten, die von ihm irreführenderweise als "klassisch" bezeichnete Variante des Liberalismus weiterzuentwickeln oder auch nur Theorien zur Kenntnis zu nehmen, die sich einer solchen Weiterentwicklung verschreiben.

Das mag auch an der dezidiert angelsächsischen Provinzialität des ganzen Projekts liegen. Dass liberale Traditionen außerhalb der angelsächsischen Welt hier völlig fehlen, selbst wenn sie zum Mainstream gehören - wie die aus Frankreich, dem eigentlichen Mutterland des Liberalismus - und auch englischsprachig gut aufgearbeitet sind, war bei einem Autor zu befürchten, der den aus der katholischen Soziallehre kommenden Begriff der Subsidiarität für "EU-Speak" hält.

Bezeichnenderweise sind die paar Nichtangelsachsen, die im Literaturverzeichnis auftauchen, allesamt Antiliberale: Fanon, Foucault, Marcuse, Schmitt. Fataler für den eigenen Anspruch ist, dass auch neuere Helden des amerikanischen liberalen Denkens wie John Dewey oder Judith Shklar fehlen. Beide hätten sich über die umstandslose Gleichsetzung von Liberalismus mit Individualrechtsschutz gewundert. Beide wussten, dass liberale Ideen - nach der Weltwirtschaftskrise bei Dewey, nach der Erfahrung des Totalitarismus bei Shklar - nicht mehr so umstandslos fortgeschrieben werden können. Fukuyamas Desinteresse an ihnen wirkt angesichts der krisengeschüttelten Gegenwart nachgerade schlafwandlerisch. Sein Buch ist von geradezu brutaler Pointenfreiheit und zeugt von einem erschreckenden Mangel an Neugierde. Ohne sich weiterzuentwickeln, wird es für den Liberalismus nicht reichen. Nur mit Fukuyama gewappnet, dürfte das Ende des Liberalismus dem Ende der Geschichte zuvorkommen. CHRISTOPH MÖLLERS

Francis Fukuyama: "Der Liberalismus und seine Feinde".

Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2022. 224 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die Zahl der Menschen, die in einer Demokratie leben, sinkt. Umso drängender tritt Francis Fukuyama in seinem Plädoyer für den Liberalismus auf, schreibt Rezensentin Nina Apin, die dies allerdings überhaupt nicht überzeugt: Dass nur freier Handel Wohlstand hervorbringe, sieht die Kritikern unter Verweis auf Chinas Aufstieg schon widerlegt. Im wesentlichen wiederhole Fukuyama lediglich seine nach dem Ende des Ostblocks verfasste und seitdem schwer gescholtene These vom "Ende der Geschichte". Immerhin ist auch Fukuyama nicht immer ganz begeistert: Den Neoliberalismus hält auch er für eine Fehlentwicklung, die dem nach seiner Ansicht mit dem Sozialstaatswesen problemlos vereinbaren Liberalismus viele Sympathien gekostet habe. Für Apin geht diese Kritik allerdings nicht weit genug. Für sie scheitert der Autor an einer Erklärung dafür, warum selbst mustergültige liberale Demokratien wie Schweden zuletzt vom Gespenst des Rechtspopulismus heimgesucht wurden. Auch dass Fukuyama progressiven gesellschaftspolitischen Bewegungen eine Absage erteilt und am Ende den Liberalismus nur durch die Flucht in "abstrakte Prinzpien" verteidigen kann, enttäuscht die Kritikerin.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Heutzutage schreibt [...] jeder [...] über den Liberalismus und darüber, wie er zu retten sei. Wenn nun aber selbst Francis Fukuyama das tut, muss die Lage wirklich ernst sein.« Lukas Leuzinger NZZ Online 20221101