Möchte man den Rheingau erkunden, bieten sich zweierlei Reisen an: Eine führt den Rhein entlang, durch die Weinberge und bezaubernde Städtchen zu Schlössern, Klöstern, Kirchen. Da gibt es schon zahllose Reiseführer. Die andere Reise kennen bis jetzt nur Experten: Sie führt durch die schönsten und haltbarsten Texte von Goethe über Bettine und Clemes Brentano bis Heinrich Heine, Eva Demski und Robert Gernhardt. Dieses Buch ist ein doppelter Reiseführer: zu einer grandiosen Kulturlandschaft, die auf überschaubarem Raum eine faszinierenden topografischen Reichtum und eine Fülle berühmter Sehenswürdigkeiten besitzt. Und zu dem besonderen Geist der Landschaft, deren Wein, Hügel und Schlösser zusammen mit dem anmutigen Rhein und dem meist blauen Himmel in zahllosen Gedichten, Romanen und Briefen von Autorinnen und Autoren liebevoll, ja begeistert beschrieben wurden. Dieser literarische Reiseführer macht es endlich möglich, die Schönheit des Rheingaus an Ort und Stelle mit Schätzen der Literatur in Beziehung zu setzen, und der Begeisterung der Dichterinnen und Dichter nachzuspüren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2017Lass die Phantasien schweifen
Kurort für Menschenfeinde: Der Rheingau ist nicht erst seit der Romantik eine Landschaft der Literatur. Ein Buch regt zu Besuchen an.
Von Florian Balke
Dass aus dem Rheingau auch Alkohol kommt, der kein Spitzenerzeugnis ist, hat mit der nötigen Klarheit zuletzt Thomas Mann festgehalten. "Ihren Champagner sollte die Polizei verbieten", sagt Felix Krulls Pate Schimmelpreester zum Vater des Hochstaplers, der im Kaiserreich billigen Sekt an die Aufsteigergesellschaft der Gründerzeit verhökert, die auch etwas vom Luxus abhaben will, den die alten Eliten schon seit langem gewohnt sind. In welcher Stadt des Rheingaus der alte Krull seinen Schaumwein der Marke "Lorley extra cuvee" abfüllt, ist in Manns 1954 bei Fischer erschienenen "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" nicht nachzulesen. Lieber lässt der Autor Felix erwähnen, dass die Sektflaschen des Vaters die Zeichnung einer nackten Frau tragen, die auf Felsen sitzt und sich das wallende Haar kämmt.
Das, so weiß jeder Untertan Wilhelms II. und jeder Wähler Konrad Adenauers, ist die Loreley aus Heinrich Heines Gedicht "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten". Wo sie draufsteht, muss Gutes drin sein. In Deutschland, dem Land des Bildungsbürgertums, sorgt lange nicht nur der Sex für Verkaufszahlen, sondern auch der literarische Kanon. All das muss Mann zwei Weltkriege nach Felix Krulls Jugend nur andeuten, seine zeitgenössischen Leser haben ihn da ohne große Worte verstanden. Ebenso muss er nicht ausbuchstabieren, dass es sich bei dem kleinen Städtchen, aus dem er seinen charmanten Betrüger die Reise in die große Welt antreten lässt, um das leicht zu identifizierende Eltville handelt, mitten im Rheingau gelegen, dem der Schriftsteller damit eines der ironischsten, aber auch der schönsten literarischen Denkmäler gesetzt hat. Nicht der patriotische Rheingau ist es, den Mann beschwört, die Landschaft, von deren Hängen seit 1883 die Germania dräuend auf das besiegte Frankreich starrt, auch nicht der schwerblütige Rheingau der Romantik. Thomas Manns späte Rheinlandschaft ist die des leichten Vergnügens. Gewiss, ein wenig Betrug am Kunden ist beim Fabrikantenvater und beim Hochstaplersohn immer dabei. Vor allem aber geht es um etwas, das der Rheingau-Besucher auch heute noch wiedererkennt, weil er es mit der Gegend verbindet - Lebensfreude und Genuss.
Literarischen Landschaftsspuren wie diesen geht "Der literarische Rheingau" nach, ein Buch, dessen Verfasser sich mit Büchern, Orten und den zwischen ihnen bestehenden Verbindungen bestens auskennen. "Wanderungen durch eine poetische Landschaft" lautet der Untertitel des Bandes, den Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz schon Ende vergangenen Jahres im Verlag Waldemar Kramer veröffentlicht haben. Jetzt, wo die Tage wieder etwas länger werden, kann man beginnen, über Ausfahrten und Spaziergänge zu den diversen im Buch erwähnten Orten nachzudenken. Gerade die Bäume des Osteinschen Parks am Binger Loch, die hoch über dem Rhein die Rossel umgeben, eine schon 1774 angelegte künstliche Burgruine, sehen dieser Tage so erzromantisch kahl und winterlich aus wie die auf Caspar David Friedrichs "Abtei im Eichwald".
Dass die Rossel in eine Reihe mit Friedrichs Kreideklippen auf Rügen gehört, weil sie ein vergessener Kernort der deutschen Romantik ist, ruft das Buch in Erinnerung. Clemens Brentano kommt hier im Frühjahr 1801 vorbei, als er unten in Rüdesheim an seinem programmatischen Roman "Godwi" arbeitet. Dort beschreibt er einen Ausritt hinauf in den Landschaftspark, den der Kurmainzer Kämmerer Johann Friedrich Karl Maximilian von Ostein in den Jahrzehnten zuvor hat anlegen lassen. Der Reiter kommt zur Rossel, schaut hinab und hinaus auf Fluss und Landschaft und ist überwältigt: "Ich glaubte, hier zu stehen, sei der Zweck und das Ende meines Lebens." In der damals erst ein Vierteljahrhundert alten kleinen Pseudoburg findet er einen Saal mit einem Lesepult am Fenster und einem Wandschrank mit mittelalterlicher Dichtung. Die Aussicht in den Abgrund, der Blick in ferne Zeiten und in das eigene Empfinden - es sind Urmomente der literarischen Romantik, auf die Boehncke und Sarkowicz im Rheingau ebenso stoßen wie Brentanos Burgbesucher beim Herumstöbern.
Vom romantischen Rheingau haben die Verfasser einige Ahnung. Schon im Jahr 2001 haben sie ihm ein Buch gewidmet. Seitdem ist viel passiert. Das Land Hessen hat nicht nur viel Geld für die Instandsetzung des Osteinschen Parks ausgegeben, sondern vor zwei Jahren auch das verfallene Sommerhaus der Brentanos in Oestrich-Winkel gekauft, in dem die Familie im September 1814 Goethe zu Gast hatte. Betrieben wird es von der Stadt Oestrich-Winkel und dem Frankfurter Goethehaus, die es mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz von Grund auf renovieren. Fassaden und Fenster sind bis auf letzte Handgriffe fertig, das Innere kommt auch bald dran und wird dann an Goethe, Clemens Brentano und Achim von Arnim ebenso erinnern wie an Bettine Brentano, Schwester von Clemens und Achims Frau.
Dass Clemens und sein zukünftiger Schwager, die 1802 gemeinsam den Rhein hinabfuhren und auf der Fahrt damit begannen, Lieder für ihre Gedichtsammlung "Des Knaben Wunderhorn" zusammenzustellen, durchaus Vorläufer hatten, zeigen Boehncke und Sarkowicz ebenfalls. Ausführlich zitieren sie aus dem Bericht über eine Rheinfahrt zwischen Rüdesheim und Assmannshausen, der 1779 ohne Verfasserangabe in der "Litteratur- und Theater-Zeitung" in Berlin erschien. Dort löst der Blick vom Fluss hinauf in die Felswände dieselben Gefühle aus wie später bei Brentano der Blick hinunter: "Unsere Fantasien wurden schweifender, glühender; tausend Empfindungen und Wünsche stiegen in uns auf, Bilder der Vergangenheit reihten sich in unsere Gedanken."
Boehncke und Sarkowicz zitieren aber auch aus den 1783 erschienenen "Briefen eines reisenden Franzosen" von Johann Kaspar Riesbeck, die sie 2013 neu herausgebracht haben, und kennen Joseph Gregor Christoph Langs "Reise auf dem Rhein" von 1789. Zurückgreifen können sie auf das Wissen, das sie 2015 im Doppelband "Literaturland Hessen" versammelt haben, weitere Details stammen aus "Romantik an Rhein und Main - Eine Topographie", einem Band, den Sarkowicz 2014 mit herausgegeben hat.
"Der literarische Rheingau" versammelt all das lesbar, mit zahlreichen langen Passagen aus den Originaltexten, die man auf diese Weise immer parat hat. Ein Wanderführer im engeren Sinne ist aus dem Buch trotz seines Untertitels nicht geworden, auch wenn Boehncke als Leiter des Rheingau-Literaturfestivals jedes Jahr im September zu zwei schnell ausgebuchten Wanderungen durch die Weinberge einlädt. "Der literarische Rheingau" kommt ohne Karten und vorgegebene Wege aus, er verlässt sich auf den Entdeckergeist seiner Leser und darauf, dass sie mit Fahrzeugen, gutem Schuhwerk und einem Smartphone ausgestattet sind. Wohl aber gibt es Hinweise, wo man den Worten Goethes oder den Gedanken Brentanos nach getaner Besichtigungsarbeit bei einem Glas Wein noch eine Weile nachhängen kann. Oder den Worten des einst sehr bekannten Dichters Ferdinand Freiligrath, der 1844 in Assmannshausen seinen Gedichtband "Ein Glaubensbekenntnis" vollendete, in dem er sich auf die Seite der Revolution stellte: "Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit!" Das Buch reicht bis zu den Echos, die all diese Vergangenheit in der Gegenwart findet. Da ist Robert Gernhardt, der in den Jahren nach der Wiedervereinigung das Niederwalddenkmal in einem Gedicht veralbert. Die Bundeshauptstadt ist von Bonn nach Berlin verlegt worden, also muss auch die Germania vom Berghang über Rüdesheim unwillig ins Brandenburgische umziehen. "Germania war? Germania ist / Schon wieder auf dem Marsch. / Sie hat sich nach Berlin verfügt / Und zeigt Bonn kühl den Arm", schreibt Gernhardt mit wohlerzogen zurückhaltendem Schlussreim.
Und da ist schließlich Eva Demski, die in ihrem Buch "Rheingau" erst vor ein paar Jahren die hellsichtige Haltung Thomas Manns eingenommen und an Stelle des Lobes lokaler Exzellenz ein gutes Wort für das bekannteste Rheingau-Massenprodukt eingelegt hat - die Rüdesheimer Drosselgasse. Über sie hätten sich schon ganze Generationen mokiert: "Ich glaube, das ist nur Neid." Die Gasse, schreibt Demski, sei ein Ort der Vergnügungen, "an dem jeder so falsch singen darf, wie er will". Keine schlechte Erfindung: "Vielleicht ist das hier ein Kurort gegen misanthropische Anwandlungen, Medizin gegen Vereinsamung." Einen Versuch ist es wert.
Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz, "Der literarische Rheingau - Wanderungen durch eine poetische Landschaft". Fotografien von Christian Seeling. Waldemar Kramer Verlag, Frankfurt 2016. 192 S., geb., 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kurort für Menschenfeinde: Der Rheingau ist nicht erst seit der Romantik eine Landschaft der Literatur. Ein Buch regt zu Besuchen an.
Von Florian Balke
Dass aus dem Rheingau auch Alkohol kommt, der kein Spitzenerzeugnis ist, hat mit der nötigen Klarheit zuletzt Thomas Mann festgehalten. "Ihren Champagner sollte die Polizei verbieten", sagt Felix Krulls Pate Schimmelpreester zum Vater des Hochstaplers, der im Kaiserreich billigen Sekt an die Aufsteigergesellschaft der Gründerzeit verhökert, die auch etwas vom Luxus abhaben will, den die alten Eliten schon seit langem gewohnt sind. In welcher Stadt des Rheingaus der alte Krull seinen Schaumwein der Marke "Lorley extra cuvee" abfüllt, ist in Manns 1954 bei Fischer erschienenen "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" nicht nachzulesen. Lieber lässt der Autor Felix erwähnen, dass die Sektflaschen des Vaters die Zeichnung einer nackten Frau tragen, die auf Felsen sitzt und sich das wallende Haar kämmt.
Das, so weiß jeder Untertan Wilhelms II. und jeder Wähler Konrad Adenauers, ist die Loreley aus Heinrich Heines Gedicht "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten". Wo sie draufsteht, muss Gutes drin sein. In Deutschland, dem Land des Bildungsbürgertums, sorgt lange nicht nur der Sex für Verkaufszahlen, sondern auch der literarische Kanon. All das muss Mann zwei Weltkriege nach Felix Krulls Jugend nur andeuten, seine zeitgenössischen Leser haben ihn da ohne große Worte verstanden. Ebenso muss er nicht ausbuchstabieren, dass es sich bei dem kleinen Städtchen, aus dem er seinen charmanten Betrüger die Reise in die große Welt antreten lässt, um das leicht zu identifizierende Eltville handelt, mitten im Rheingau gelegen, dem der Schriftsteller damit eines der ironischsten, aber auch der schönsten literarischen Denkmäler gesetzt hat. Nicht der patriotische Rheingau ist es, den Mann beschwört, die Landschaft, von deren Hängen seit 1883 die Germania dräuend auf das besiegte Frankreich starrt, auch nicht der schwerblütige Rheingau der Romantik. Thomas Manns späte Rheinlandschaft ist die des leichten Vergnügens. Gewiss, ein wenig Betrug am Kunden ist beim Fabrikantenvater und beim Hochstaplersohn immer dabei. Vor allem aber geht es um etwas, das der Rheingau-Besucher auch heute noch wiedererkennt, weil er es mit der Gegend verbindet - Lebensfreude und Genuss.
Literarischen Landschaftsspuren wie diesen geht "Der literarische Rheingau" nach, ein Buch, dessen Verfasser sich mit Büchern, Orten und den zwischen ihnen bestehenden Verbindungen bestens auskennen. "Wanderungen durch eine poetische Landschaft" lautet der Untertitel des Bandes, den Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz schon Ende vergangenen Jahres im Verlag Waldemar Kramer veröffentlicht haben. Jetzt, wo die Tage wieder etwas länger werden, kann man beginnen, über Ausfahrten und Spaziergänge zu den diversen im Buch erwähnten Orten nachzudenken. Gerade die Bäume des Osteinschen Parks am Binger Loch, die hoch über dem Rhein die Rossel umgeben, eine schon 1774 angelegte künstliche Burgruine, sehen dieser Tage so erzromantisch kahl und winterlich aus wie die auf Caspar David Friedrichs "Abtei im Eichwald".
Dass die Rossel in eine Reihe mit Friedrichs Kreideklippen auf Rügen gehört, weil sie ein vergessener Kernort der deutschen Romantik ist, ruft das Buch in Erinnerung. Clemens Brentano kommt hier im Frühjahr 1801 vorbei, als er unten in Rüdesheim an seinem programmatischen Roman "Godwi" arbeitet. Dort beschreibt er einen Ausritt hinauf in den Landschaftspark, den der Kurmainzer Kämmerer Johann Friedrich Karl Maximilian von Ostein in den Jahrzehnten zuvor hat anlegen lassen. Der Reiter kommt zur Rossel, schaut hinab und hinaus auf Fluss und Landschaft und ist überwältigt: "Ich glaubte, hier zu stehen, sei der Zweck und das Ende meines Lebens." In der damals erst ein Vierteljahrhundert alten kleinen Pseudoburg findet er einen Saal mit einem Lesepult am Fenster und einem Wandschrank mit mittelalterlicher Dichtung. Die Aussicht in den Abgrund, der Blick in ferne Zeiten und in das eigene Empfinden - es sind Urmomente der literarischen Romantik, auf die Boehncke und Sarkowicz im Rheingau ebenso stoßen wie Brentanos Burgbesucher beim Herumstöbern.
Vom romantischen Rheingau haben die Verfasser einige Ahnung. Schon im Jahr 2001 haben sie ihm ein Buch gewidmet. Seitdem ist viel passiert. Das Land Hessen hat nicht nur viel Geld für die Instandsetzung des Osteinschen Parks ausgegeben, sondern vor zwei Jahren auch das verfallene Sommerhaus der Brentanos in Oestrich-Winkel gekauft, in dem die Familie im September 1814 Goethe zu Gast hatte. Betrieben wird es von der Stadt Oestrich-Winkel und dem Frankfurter Goethehaus, die es mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz von Grund auf renovieren. Fassaden und Fenster sind bis auf letzte Handgriffe fertig, das Innere kommt auch bald dran und wird dann an Goethe, Clemens Brentano und Achim von Arnim ebenso erinnern wie an Bettine Brentano, Schwester von Clemens und Achims Frau.
Dass Clemens und sein zukünftiger Schwager, die 1802 gemeinsam den Rhein hinabfuhren und auf der Fahrt damit begannen, Lieder für ihre Gedichtsammlung "Des Knaben Wunderhorn" zusammenzustellen, durchaus Vorläufer hatten, zeigen Boehncke und Sarkowicz ebenfalls. Ausführlich zitieren sie aus dem Bericht über eine Rheinfahrt zwischen Rüdesheim und Assmannshausen, der 1779 ohne Verfasserangabe in der "Litteratur- und Theater-Zeitung" in Berlin erschien. Dort löst der Blick vom Fluss hinauf in die Felswände dieselben Gefühle aus wie später bei Brentano der Blick hinunter: "Unsere Fantasien wurden schweifender, glühender; tausend Empfindungen und Wünsche stiegen in uns auf, Bilder der Vergangenheit reihten sich in unsere Gedanken."
Boehncke und Sarkowicz zitieren aber auch aus den 1783 erschienenen "Briefen eines reisenden Franzosen" von Johann Kaspar Riesbeck, die sie 2013 neu herausgebracht haben, und kennen Joseph Gregor Christoph Langs "Reise auf dem Rhein" von 1789. Zurückgreifen können sie auf das Wissen, das sie 2015 im Doppelband "Literaturland Hessen" versammelt haben, weitere Details stammen aus "Romantik an Rhein und Main - Eine Topographie", einem Band, den Sarkowicz 2014 mit herausgegeben hat.
"Der literarische Rheingau" versammelt all das lesbar, mit zahlreichen langen Passagen aus den Originaltexten, die man auf diese Weise immer parat hat. Ein Wanderführer im engeren Sinne ist aus dem Buch trotz seines Untertitels nicht geworden, auch wenn Boehncke als Leiter des Rheingau-Literaturfestivals jedes Jahr im September zu zwei schnell ausgebuchten Wanderungen durch die Weinberge einlädt. "Der literarische Rheingau" kommt ohne Karten und vorgegebene Wege aus, er verlässt sich auf den Entdeckergeist seiner Leser und darauf, dass sie mit Fahrzeugen, gutem Schuhwerk und einem Smartphone ausgestattet sind. Wohl aber gibt es Hinweise, wo man den Worten Goethes oder den Gedanken Brentanos nach getaner Besichtigungsarbeit bei einem Glas Wein noch eine Weile nachhängen kann. Oder den Worten des einst sehr bekannten Dichters Ferdinand Freiligrath, der 1844 in Assmannshausen seinen Gedichtband "Ein Glaubensbekenntnis" vollendete, in dem er sich auf die Seite der Revolution stellte: "Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit!" Das Buch reicht bis zu den Echos, die all diese Vergangenheit in der Gegenwart findet. Da ist Robert Gernhardt, der in den Jahren nach der Wiedervereinigung das Niederwalddenkmal in einem Gedicht veralbert. Die Bundeshauptstadt ist von Bonn nach Berlin verlegt worden, also muss auch die Germania vom Berghang über Rüdesheim unwillig ins Brandenburgische umziehen. "Germania war? Germania ist / Schon wieder auf dem Marsch. / Sie hat sich nach Berlin verfügt / Und zeigt Bonn kühl den Arm", schreibt Gernhardt mit wohlerzogen zurückhaltendem Schlussreim.
Und da ist schließlich Eva Demski, die in ihrem Buch "Rheingau" erst vor ein paar Jahren die hellsichtige Haltung Thomas Manns eingenommen und an Stelle des Lobes lokaler Exzellenz ein gutes Wort für das bekannteste Rheingau-Massenprodukt eingelegt hat - die Rüdesheimer Drosselgasse. Über sie hätten sich schon ganze Generationen mokiert: "Ich glaube, das ist nur Neid." Die Gasse, schreibt Demski, sei ein Ort der Vergnügungen, "an dem jeder so falsch singen darf, wie er will". Keine schlechte Erfindung: "Vielleicht ist das hier ein Kurort gegen misanthropische Anwandlungen, Medizin gegen Vereinsamung." Einen Versuch ist es wert.
Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz, "Der literarische Rheingau - Wanderungen durch eine poetische Landschaft". Fotografien von Christian Seeling. Waldemar Kramer Verlag, Frankfurt 2016. 192 S., geb., 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main