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Das Buch bietet eine umfassende kulturgeschichtliche Analyse der ersten Zoogründungen im deutschsprachigen Raum der Jahre 1833-1869. Sie reicht von den ersten Vorüberlegungen zur Einrichtung eines Zoos in Berlin über die in den folgenden Jahren realisierten Initiativen bis zum Abschluß dieser Gründungswelle noch vor der Reichsgründung. Die Studie interpretiert den Zoo als Teil der bürgerlichen Vereinsbewegung und läßt ein vielfältiges Bild bürgerlicher Kulturwerte um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen. Der Leser wird über die Zielsetzungen der Gründerpersönlichkeiten informiert, über ihr…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch bietet eine umfassende kulturgeschichtliche Analyse der ersten Zoogründungen im deutschsprachigen Raum der Jahre 1833-1869. Sie reicht von den ersten Vorüberlegungen zur Einrichtung eines Zoos in Berlin über die in den folgenden Jahren realisierten Initiativen bis zum Abschluß dieser Gründungswelle noch vor der Reichsgründung. Die Studie interpretiert den Zoo als Teil der bürgerlichen Vereinsbewegung und läßt ein vielfältiges Bild bürgerlicher Kulturwerte um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen. Der Leser wird über die Zielsetzungen der Gründerpersönlichkeiten informiert, über ihr wissenschaftliches Umfeld und über die verschiedenen Facetten der Naturauffassung einer Gesellschaft auf dem Weg in die Industrialisierung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Dem Bürger stinkt der Leu
Im Zoo aber fanden die Deutschen sich selbst / Von Sonja Zekri

Zoos sind trivial. Sie appellieren an niedrige Gefühle wie Streichelbedürfnis und Angstlust. Zoos lügen. Sie gaukeln dem Besucher einen Dialog zwischen Mensch und Tier vor. Zoos sind schlimmer als Safaris. Sie beherbergen Tiere, die vom Aussterben bedroht sind: Ein fortschrittlich denkender Mensch geht deshalb nur mit schlechtem Gewissen in den Zoo. Heute sind Zoos ein Irrtum. Früher waren sie die Lösung. Ende des neunzehnten Jahrhunderts versammelte sich in den Zoologischen Gärten in Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Dresden und Köln die Spitze des liberalen deutschen Bürgertums - Bankiers, Kaufleute, Ärzte. Zwischen Gazellen und Gnus schöpften sie Kraft für den harten kapitalistischen Alltag. Die Eintrittspreise garantierten, daß man unter sich blieb. Jeder Rundgang um den Raubtierkäfig war eine Emanzipationsbewegung - bis auf den Habsburger-Kaiser und seine Menagerie in Schönbrunn nannte nur der König auf der Pfaueninsel bei Potsdam eine so exotische Fauna sein eigen.

Die ersten Zoos, die zwischen 1850 und 1860 gegründet wurden, waren Schaubuden bürgerlicher Werte, gebaut mit bürgerlichem Geld. Lothar Dittrich, der in Hannover als Lehrbeauftragter der Tierärztlichen Hochschule und als Zoodirektor wirkte, und die Historikerin und Geographin Annelore Rieke-Müller haben zwischen den Aktendeckeln der Vereinsgeschichte eine Entdeckung gemacht. Ihr Werk ist eine Rehabilitation: Sie wollen die Zoo-Pioniere von der imperialistischen Aura befreien und beweisen, daß sie Ziele verfolgten, die zu den edelsten des liberalen Bürgertums zählten: Geistige Vervollkommnung, Weltoffenheit, Freiheitsliebe und Geselligkeit. In den Aktienvereinen, mit denen die Zoo-Gründer den Bau und Unterhalt der Tiergehege finanzierten - und auch den Kauf immer neuer Tiere, da die wenigsten längere Zeit überlebten -, paarten sich Wirtschaftskraft und Unabhängigkeit.

In Berlin gestaltete Lenné bereits 1844 den Tiergarten, doch der staatliche Einfluß schreckte Aktionäre ab. Erfolgreiche Zoos hingegen boten ihren Anteilseignern ein Forum zur Selbstbehauptung. Im katholischen Köln öffneten die protestantischen Zoo-Gründer ihr Gehege in bewußtem Kontrast zum Diözesan-Museum. In Frankfurt am Main exponierte sich die jüdische Finanzaristokratie. Das Engagement der Rothschild und Wertheimer für eine moderne städtische Kultur gilt den Autoren als Demonstration einer Integration, die realiter längst nicht vollzogen war.

Die Akkuratesse, mit der die Autoren die Gründungsaufrufe, Kommissionssitzungen, Aktienverkäufe und Expeditionen dokumentieren, bezeugt vor allem eines: Verfasserfleiß. Es ist ein bißchen schade, daß sie für die heitere Seite ihres Themas so gar keinen Blick haben. Wir treffen Brehm, Hagenbeck und Humboldt, Lichtenstein und Oppenheim, und mit jeder Seite türmen sich die Biographien und Namen weiterer Afrikaforscher, Aktionäre, Zoologen, Tierfänger und Geschäftsleute bedrohlicher auf. Daß aber die Frankfurter ihren Zoo neben ihren Villen errichteten und anfangs keine Raubtiere anschafften, weil der Geruch und das Risiko eines Löwen in der Nachbarschaft ihrer Tierliebe enge Grenzen zog, kann einem leicht entgehen.

Den unerschrockenen Bezwinger des Datengebirges belohnen die Autoren indessen mit überraschenden Aussichten ins fruchtbare Grenzland von Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Denn warum, so fragt man sich, kaprizierte sich das liberale Bürgertum - nach Schießen, Turnen, Singen - nun ausgerechnet auf Tiere? Und warum wurden diese ersten Zoos nur in der kurzen Dekade von 1850 bis 1860 ins Leben gerufen? Es war Darwins Zeit, gewiß. Doch beweisen Rieke-Müller und Dittrich, daß die bürgerlichen Zoogründer sich keineswegs als Stafettenträger der Evolutionstheorie verstanden. Vielmehr erhofften sie sich - nach dem Vorbild von London, Paris oder Antwerpen - eine populäre Verbreitung von Wissen, die auf die Bildung und Höherentwicklung des Geistes zielte - und damit durchaus mit dem Evolutionsgedanken korrespondierte.

Doch galt es nicht nur, am Tier zu lernen, sondern auch vom Tier. "Thiersitten" spiegelten "Menschensitten" wider, in den "Thierstaaten" erkenne man das "Vorbild menschlicher Staatseinrichtungen", erklärte ein Dresdner Arzt und ließ diese verbreitete Ansicht in die Forderung gipfeln, Tiere bedürften wie "fast jeder Sterbliche in der Civilisation größerer Freiheit, um zu gedeihen". Solche Versuche, die unschuldige Kreatur vor den Karren der eigenen freiheitlichen Bestrebungen zu spannen, waren umso verständlicher, als sich das Bürgertum nach der Revolution von 1848 im politischen Leerlauf befand. Wirtschaftlich leistungsbewußt und zukunftsorientiert, sah man sich in den Hoffnungen auf eine liberale Bürgergesellschaft wieder einmal vertröstet. Zoologische Gärten empfand man nach Rieke-Müller und Dittrich zwar nicht als Alternative zur politischen Mitbestimmung, aber immerhin als sinnvollen Umweg. Die Formel vom Zoo als "Welt im Kleinen" verhieß nicht Rückzug in ein domestiziertes "Arkadien" (Simon Schama), sondern Aufbruch zu neuen Ufern.

Diesen Zusammenhang stellen die Autoren nirgends pointierter dar als in den Passagen über die Architektur. Hatte man zu Beginn, angesichts der enormen Fluktuation, flexibel nutzbare Gehege gebaut, da "nichts den Besucher so sehr stört, als ein vacanter Behälter", wie die Zeitschrift "Zoologischer Garten" warnte, so errichtete man bald exotistische Anlagen für fremde Tiere - in Köln baute man den Lamas einen ägyptischen Tempel - und aufwendige historistische Gehege für heimische Arten. Die Bärenburg etwa, ein Zitat der mittelalterlichen Schloßarchitektur, fehlte selten. "Die Zoos ergänzten mit ihrer Schaustellung fremdländischer und heimischer Tiere, sowie mit ihren Gestaltungselementen das geschichtliche Panorama der Museums- und Denkmalsgründungen durch ein Panorama der Welt", schreiben die Autoren und enthüllen damit auch den Denkmalcharakter des Zoos, dessen Symbolgehalt Tiere und Architektur gleichermaßen bestimmten. Ihr Plädoyer für den Zoo ist so überzeugend, weil es sich zeitlich beschränkt. Späteren Tiergärten attestieren die Autoren wirtschaftlichen Erfolg, aber inhaltliche Verflachung. Sogar im Pariser Jardin Zoologique d'Acclimatation lockte man bald mit Ballonfahrten und Völkerschauen. Der Weg nach Disneyland war frei.

Lothar Dittrich, Annelore Rieke-Müller: "Der Löwe brüllt nebenan". Die Gründung Zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum 1833 - 1869. Böhlau Verlag, Köln, Wien 1998. X, 292 S., 30 Abb., geb., 78,- DM.

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"Insgesamt belegt diese äußerst material- und aspektreiche Studie mit ihren weitgespannten, kulturgeschichtlichen Analysen auf eindrucksvolle Weise, wie sich im Mikrokosmos Zoo mit lokalen und regionalen Nuancierungen das geistige, soziale und politische Klima der jeweiligen Zeitepoche spiegelt." Lothar Pützstück, Geschichte in Köln, Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 48/2001, 01.12.01