Es ist Winter in Ravenhagen. Die Bewohner der kleinen Stadt sind schon früh unterwegs, alles wuselt aufgeregt durch die Gassen. Ein Tag wie jeder andere, denkt Jonas Klaasen beim Blick aus dem Fenster. Jonas ist zu schüchtern, zu melancholisch, um in die vorweihnachtliche Begeisterung der anderen einzustimmen. Als er aber vor die Tür tritt, um in die Schule zu gehen, ändert sich alles. Er findet einen Kasten aus Ebenholz, der sich Ebene für Ebene aufklappen lässt: ein Adventskalender. Doch seltsamerweise lassen sich seine Türchen nicht öffnen. Jonas entdeckt, dass die darauf abgebildeten Zahlen und Zeichen Hinweise enthalten - auf Bewohner Ravenhagens, mit deren Hilfe wahre Schätze zum Vorschein kommen. Der magische Adventskalender schickt Jonas auf eine abenteuerliche Reise, an deren Ende er nicht nur viele neue Freunde gewonnen, sondern auch das Geheimnis seiner Familie entschlüsselt haben wird.'Der magische Adventskalender' ist eine Weihnachtsgeschichte, wie nur Jan Brandt siezu erzählen vermag: mit einer zauberhaften Verbindung zwischen dem Leichten und dem Abgründigen, Fantasie und Wirklichkeit. Daniel Fallers wunderbare Illustrationen ergänzen die Geschichte auf kongeniale Weise.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018Diesmal liegt das Glück in der Gosse
In Jan Brandts Kinderbuch führt ein Adventskalender einen Jungen durch die Stadt und ins Leben zurück.
Von Fridtjof Küchemann
Eigentlich sah der Kasten im Rinnstein fast so aus wie der mit dem Nähzeug aus dem Küchenschrank, nur höher, mit mehr Fächern und Ebenen: Als Jonas ihn hochhebt, wundert sich der Junge erst über dessen Leichtigkeit, dann über das Klackern im Inneren bei der leisesten Bewegung, schließlich über die golden schimmernden Intarsien mit Zahlen und Bildern. Gerade noch vom Vater ermahnt, sich auf dem Schulweg zu beeilen, hat der Junge einen Adventskalender vor dem Haus gefunden, der ihm nicht nur an diesem 1. Dezember ordentlich zu denken und zu tun geben wird, sondern, wie es sich für einen solchen Gegenstand gehört, alle Tage bis Heiligabend. Auch Jan Brandts Kinderbuch "Der magische Adventskalender" hat das Zeug, jungen Lesern in der Vorweihnachtszeit einiges zum Nachdenken zu geben, so suggestiv ist die Geschichte angelegt, so kunstvoll halten sich Andeutungen, Erzähltes und offen Gebliebenes die Waage.
Wie bei einem Buch gewordenen Adventskalender nicht weiter verwunderlich, erzählt der 1974 im ostfriesischen Leer geborene Schriftsteller eine Stationengeschichte. Jonas merkt nämlich zum einen, dass er kein einziges Türchen des Kalenders selbst zu öffnen vermag, und zum anderen, dass die Intarsien im Kasten Hinweise geben, an wen er sich wenden muss: Ist es der Richtige, springt das Kästchen einfach auf und gibt ein Stückchen Schokolade mit einer Nummer oder Zahl darauf frei. Also führen seine Wege Jonas durch ganz Ravenhagen: zur Holzfällerfamilie, zum Automechaniker oder zum Antiquitätenhändler, der den Kasten - "frühes 20. Jahrhundert" - am liebsten kaufen würde. Sympathische Figuren sind dabei wie die Schneiderin Ilsedore Menger-Ratsch, seit dem Tod der wirklichen Großmutter zur Nenn-Oma geworden, die von Jonas beharrlich Dore, von seiner kleinen Schwester indes Ilse genannt wird, aber auch Gestalten wie der blinde Kartenspieler hinten im Schankraum der "Goldenen Lerche", der das für ihn bestimmte Türchen nur zu öffnen bereit ist, wenn Jonas wortwörtlich den Kasten aufs Spiel setzt.
Um dem Geheimnis seines Adventskalenders auf die Spur zu kommen und ihn zugleich vor den zahlreicher werdenden Neugierigen zu schützen, muss Jonas über sich hinauswachsen. Ärger riskiert er häufiger, einmal sogar sein Leben. Dass er auf den Wegen, die ihm der Kalender vorgibt, zugleich ins Leben zurückfindet, ist die eigentliche, in einem weiteren, ruhigeren Bogen oberhalb der einzelnen Begegnungsepisoden erzählte Geschichte des Buchs. Seit Großmutter Trudl vor einem Jahr gestorben ist, sind Jonas, seiner Schwester und seinem Vater die anderen Einwohner Ravenhagens immer fremder geworden.
Jetzt gibt es einen Grund, sich ihnen wieder zuzuwenden und dabei zu erkennen, wie vertraut sie ihm im Grunde sind - und wie vertraut auch seine Familie ihnen ist. Nicht nur von ihnen haben auffallend viele einen Bezug zum Theater oder zur Schaustellerei, auch Jonas' Vater soll, bevor er sich als Schreiner niedergelassen hat, ein großer Zauberer gewesen sein. Doch welcher Trost liegt in der Behauptung, er habe seine Frau weggezaubert und nur noch nicht den richtigen Trick gefunden, um sie aus einem Zwischenreich zurückzuholen? Hoffnung zumindest schöpft Jonas, als ihn ein verblüffender Weg ins Innere des Kalenders führt: Gerät man womöglich von hier aus nach Mirachronia?
Bei Jan Brandt bleibt dieses Reich nur eine Ahnung, eine Geschichte, eine der rätselhaften Geschichten der Bewohner mit sprechenden Namen in einer Stadt mit seltsamem Namen, in der so vieles ins Dunkle, Alte weist: Es gibt die Totentäuferkirche, eine Stadtmauer, Gassen und Gerüchte, über dem ganzen Buch liegt eine Atmosphäre des Geschichtsträchtigen. Und doch - das ist, was Jan Brandt seinen Jonas auf eine behutsame, unaufdringliche Weise lernen lässt - findet das Leben nicht nur in diesem Hier namens Ravenhagen statt, sondern auch im Jetzt: mit dem Punkmädchen Spange, einer der wenigen eindeutig heutigen Figuren des ganzen Buchs, mit einer Schwester, die Jonas an seiner Seite immer mehr zu schätzen lernt, einem Vater, der sich allzu lang in seine matten Ermahnungen, Sorgen, die Arbeit zurückgezogen hat, und mit der Nachbarin von gegenüber, die hinter ihrer Gardine im ersten Stock nicht etwa die ganze Welt im Auge haben will oder auch nur die beiden Nachbarskinder. Und das ist nicht die schlechteste Botschaft für eine Vorweihnachtsgeschichte.
Jan Brandt: "Der magische Adventskalender". Mit Bildern von Daniel Faller.
DuMont Buchverlag, Köln 2018. 208 S., Abb., geb., 22,- [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Jan Brandts Kinderbuch führt ein Adventskalender einen Jungen durch die Stadt und ins Leben zurück.
Von Fridtjof Küchemann
Eigentlich sah der Kasten im Rinnstein fast so aus wie der mit dem Nähzeug aus dem Küchenschrank, nur höher, mit mehr Fächern und Ebenen: Als Jonas ihn hochhebt, wundert sich der Junge erst über dessen Leichtigkeit, dann über das Klackern im Inneren bei der leisesten Bewegung, schließlich über die golden schimmernden Intarsien mit Zahlen und Bildern. Gerade noch vom Vater ermahnt, sich auf dem Schulweg zu beeilen, hat der Junge einen Adventskalender vor dem Haus gefunden, der ihm nicht nur an diesem 1. Dezember ordentlich zu denken und zu tun geben wird, sondern, wie es sich für einen solchen Gegenstand gehört, alle Tage bis Heiligabend. Auch Jan Brandts Kinderbuch "Der magische Adventskalender" hat das Zeug, jungen Lesern in der Vorweihnachtszeit einiges zum Nachdenken zu geben, so suggestiv ist die Geschichte angelegt, so kunstvoll halten sich Andeutungen, Erzähltes und offen Gebliebenes die Waage.
Wie bei einem Buch gewordenen Adventskalender nicht weiter verwunderlich, erzählt der 1974 im ostfriesischen Leer geborene Schriftsteller eine Stationengeschichte. Jonas merkt nämlich zum einen, dass er kein einziges Türchen des Kalenders selbst zu öffnen vermag, und zum anderen, dass die Intarsien im Kasten Hinweise geben, an wen er sich wenden muss: Ist es der Richtige, springt das Kästchen einfach auf und gibt ein Stückchen Schokolade mit einer Nummer oder Zahl darauf frei. Also führen seine Wege Jonas durch ganz Ravenhagen: zur Holzfällerfamilie, zum Automechaniker oder zum Antiquitätenhändler, der den Kasten - "frühes 20. Jahrhundert" - am liebsten kaufen würde. Sympathische Figuren sind dabei wie die Schneiderin Ilsedore Menger-Ratsch, seit dem Tod der wirklichen Großmutter zur Nenn-Oma geworden, die von Jonas beharrlich Dore, von seiner kleinen Schwester indes Ilse genannt wird, aber auch Gestalten wie der blinde Kartenspieler hinten im Schankraum der "Goldenen Lerche", der das für ihn bestimmte Türchen nur zu öffnen bereit ist, wenn Jonas wortwörtlich den Kasten aufs Spiel setzt.
Um dem Geheimnis seines Adventskalenders auf die Spur zu kommen und ihn zugleich vor den zahlreicher werdenden Neugierigen zu schützen, muss Jonas über sich hinauswachsen. Ärger riskiert er häufiger, einmal sogar sein Leben. Dass er auf den Wegen, die ihm der Kalender vorgibt, zugleich ins Leben zurückfindet, ist die eigentliche, in einem weiteren, ruhigeren Bogen oberhalb der einzelnen Begegnungsepisoden erzählte Geschichte des Buchs. Seit Großmutter Trudl vor einem Jahr gestorben ist, sind Jonas, seiner Schwester und seinem Vater die anderen Einwohner Ravenhagens immer fremder geworden.
Jetzt gibt es einen Grund, sich ihnen wieder zuzuwenden und dabei zu erkennen, wie vertraut sie ihm im Grunde sind - und wie vertraut auch seine Familie ihnen ist. Nicht nur von ihnen haben auffallend viele einen Bezug zum Theater oder zur Schaustellerei, auch Jonas' Vater soll, bevor er sich als Schreiner niedergelassen hat, ein großer Zauberer gewesen sein. Doch welcher Trost liegt in der Behauptung, er habe seine Frau weggezaubert und nur noch nicht den richtigen Trick gefunden, um sie aus einem Zwischenreich zurückzuholen? Hoffnung zumindest schöpft Jonas, als ihn ein verblüffender Weg ins Innere des Kalenders führt: Gerät man womöglich von hier aus nach Mirachronia?
Bei Jan Brandt bleibt dieses Reich nur eine Ahnung, eine Geschichte, eine der rätselhaften Geschichten der Bewohner mit sprechenden Namen in einer Stadt mit seltsamem Namen, in der so vieles ins Dunkle, Alte weist: Es gibt die Totentäuferkirche, eine Stadtmauer, Gassen und Gerüchte, über dem ganzen Buch liegt eine Atmosphäre des Geschichtsträchtigen. Und doch - das ist, was Jan Brandt seinen Jonas auf eine behutsame, unaufdringliche Weise lernen lässt - findet das Leben nicht nur in diesem Hier namens Ravenhagen statt, sondern auch im Jetzt: mit dem Punkmädchen Spange, einer der wenigen eindeutig heutigen Figuren des ganzen Buchs, mit einer Schwester, die Jonas an seiner Seite immer mehr zu schätzen lernt, einem Vater, der sich allzu lang in seine matten Ermahnungen, Sorgen, die Arbeit zurückgezogen hat, und mit der Nachbarin von gegenüber, die hinter ihrer Gardine im ersten Stock nicht etwa die ganze Welt im Auge haben will oder auch nur die beiden Nachbarskinder. Und das ist nicht die schlechteste Botschaft für eine Vorweihnachtsgeschichte.
Jan Brandt: "Der magische Adventskalender". Mit Bildern von Daniel Faller.
DuMont Buchverlag, Köln 2018. 208 S., Abb., geb., 22,- [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main