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1974 WIRD JOHANN UNTERWEGER wegen Mordes an einer jungen Frau zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwanzig Jahre später bekommt er noch einmal lebenslang: Er soll neun Prostituierte umgebracht haben, von Prag über Wien bis Los Angeles, von 1990 bis 1992. Unterweger erhängt sich in seiner Zelle. Dazwischen sitzt er 16 Jahre im Gefängnis und schreibt einen Roman, der ihn schlag - artig zum Star macht: Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus. Jack Unterweger ist der umjubelte Häfenpoet, der gefeierte Knast - literat, und wird 1990 mit Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten aus Kultur und…mehr

Produktbeschreibung
1974 WIRD JOHANN UNTERWEGER wegen Mordes an einer jungen Frau zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwanzig Jahre später bekommt er noch einmal lebenslang: Er soll neun Prostituierte umgebracht haben, von Prag über Wien bis Los Angeles, von 1990 bis 1992. Unterweger erhängt sich in seiner Zelle. Dazwischen sitzt er 16 Jahre im Gefängnis und schreibt einen Roman, der ihn schlag - artig zum Star macht: Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus. Jack Unterweger ist der umjubelte Häfenpoet, der gefeierte Knast - literat, und wird 1990 mit Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten aus Kultur und Politik als Paradefall geglückter Resozialisierung auf freien Fuß gesetzt. Vier Monate später findet man die Leiche einer ermordeten Prostituierten, dann noch eine, noch eine, schließlich sind es neun. Alle mit ihrem BH erdrosselt, die Tat eines Serienmörders. Jack Unterweger flieht, aber er entkommt nicht. John Leake nähert sich dem Kriminalfall wie der Person Jack Unterweger dokumentarisch wie fiktiv. Er bleibt bei den Tat - sachen, bleibt nüchtern angesichts des Faszinierend-Monströsen; er geht ins Detail, ohne sich zu verlieren; er erzählt eine wahre Geschichte, die so hätte gewesen sein können.
Autorenporträt
John Leake geboren 1970 in Dallas, Texas. Studium der Geschichte und Philosophie in Boston und in Wien, wo er zehn Jahre als Autor und Übersetzer lebte. John Leake lebt heute in Silicon Valley, Kalifornien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2009

Der Dichter als Serienmörder
John Leake hat eine Biographie über den Fall des Österreichers Jack Unterweger geschrieben

Der Serienmörder ist der König unter den Kriminellen. Das Monströse und Unverstehbare seiner Taten übertrifft alles. Er hat keinen Chef wie der Mafiakiller. Es geht ihm nicht ums Geld. Er killt nicht im Affekt, für keine Religion. Er hat eine Tonne Literatur hervorgerufen. Er tritt als Bürger oder komischer Vogel auf. Er ist ein Rätsel.

Es gibt mehr Gründe, die den Vergleich mit dem Künstler provozieren. Viele Serienkiller sind Intelligenzbestien, mit Hang zur Inszenierung, mit eigener Handschrift, einem persönlichen Profil. "Will man den Künstler verstehen, muss man sich sein Werk ansehen", zitiert Klaus Bartels im Standardwerk "Serienmord" den FBI-Spezialisten John Douglas. "Die erfolgreichen Serienmörder planen ihr Werk so sorgsam wie ein Maler sein Gemälde. Sie betrachten das, was sie tun, als ihre ,Kunst' und verfeinern sie im Laufe der Zeit."

Die Sichtweise, den Killer als Künstler zu verstehen, um ihn fassen zu können, hat im Fall des Jack Unterweger (1950-1994) einen einzigartig realen Boden: der Mann war beides, Serienmörder und Schriftsteller. Als Kriminalbeamte das Werk des Ex-Sträflings, der schon einen Mord begangen hatte, studierten, verstärkte sich ihr Verdacht, den gesuchten Serienkiller aufgespürt zu haben. Während der schreibende Unterweger (zu) wenig Beachtung bekam, schuf der mordende ein spektakuläres Werk.

Im Büro der Verfolger

Vierzehn Jahre nach Unterwegers Prozess und Selbstmord gibt es jetzt die erste ernstzunehmende Biographie. Bisher kannte der Markt nur obskure Austria-Titel von stark berührten Frauen wie "HiJACKed: Mein Leben mit einem Mörder" oder (irreführend) "Kannibalenzeit. Die Unterweger-Verschwörung". Der Texaner John Leake stieß während seines Studiums der Geschichte und Philosophie in Wien auf den Fall. Seine lange True-Crime-Story wurde zuerst in den Vereinigten Staaten veröffentlicht und beginnt in Los Angeles.

Dort hatte Unterweger im Juli 1991 seine Mordserie mit drei Prostituierten beendet. Prostituierte waren Teil seines Profils, ebenso die Brutalität, ein spezieller Knoten, mit dem er sie erwürgte, Ortswahl und Positionierung der Leichen. Und in seiner Eigenschaft als Schreiber interviewte er Polizisten und Prostituierte. Reportagen erschienen im Ö3-Radio oder in der Zeitschrift "Tirolerin" ("Subkultur der Sexualität"). Das Thema war gefragt in der Heimat: dort erregte eine Mordserie an Prostituierten Aufsehen. Unterweger hatte auch darüber berichtet, im Wiener Milieu der Billighuren recherchiert, wo er seine Opfer rausgriff und die Polizisten befragte, die ihn, den Unbekannten, jagten. Den Chefermittler besuchte er dann in seinem Büro, um wie versprochen von seinen L.-A.-Erfahrungen zu erzählen. Der Serienmörder traf sich mit seinen Verfolgern und schrieb sozusagen über sein eigenes Genre. Was erst zuletzt als Merkmal seines Profils erkannt werden konnte.

Zur selben Zeit wurde er langsam als Verdächtiger gesehen. Zunächst fast widerwillig, denn er war ein in Österreich bekannter Autor, erst im Jahr zuvor nach fünfzehn Jahren Gefängnis begnadigt worden, es war unglaublich, dass er seine Freiheit derart riskierte. Als er keine Alibis vorweisen konnte, flüchtete er mit seiner (nicht gehiJACKten) Freundin nach Miami. Er beherrschte das Medienspiel besser als viele Autoren: Live-Interviews mit dem ORF wurden groß angekündigt und zu Straßenfegern. Im März 1992 wurde er von U.S. Marshals verhaftet. Er stellte, kurz bevor die Verbindung mit den L.-A.-Morden entdeckt wurde, einen Antrag auf "unverzügliche Deportation". 1994 kam es zum österreichischen "Jahrhundertprozess". Jack Unterweger wurde aufgrund von Indizien schuldig gesprochen. Er legte kein Geständnis ab und kündigte an, in Berufung zu gehen. In der folgenden Nacht erhängte er sich in seiner Zelle.

Nicht nur durch die Kombinationen Täter/Reporter und Serienmörder/Künstler ist der Fall einzigartig: Dieses internationale Ausmaß kannten selbst die erfahrenen US-Ermittler nicht. Die zähe Entwicklung, die komplizierten Verbindungen und unterschiedlichen Voraussetzungen in Österreich und Amerika so genau zu beschreiben wie den Unterweger, seine Taten und Opfer, das hat John Leake hervorragend geschafft. Er lässt sich Zeit bei der immer sinnvollen Verknüpfung von Fortgang, Vergangenheit, Tagebuch, Dokument, Umfeld. Er gibt nicht mit wilden Interpretationen an, hat vergessene Nebenschauplätze aufgespürt: ein pensionierter Kriminaler, der Unterweger für einen ungesühnten Mord seit Jahrzehnten im Visier hatte, tritt aus dem Hintergrund wie ein Racheengel auf. Manchmal glaubt man eine Stimme zu hören, die in Leakes Ohr flüsterte: denk an Hollywood. Auch das ist gelungen.

Dass der Autor Unterweger dabei etwas untergeht, ist verständlich, denn der wurde vom Mörder Unterweger verdrängt. Wenn man zwei Persönlichkeiten sehen will, dann waren sie sich in Graz ganz nah: nach einer Lesung des Autors schlug der Triebtäter zu; ja, das hat auch eine atemberaubend bittere Komik. Ebenso wie die Tagebücher sind seine elf Bücher nur Material, um den Mörder klarer zu erkennen, im Anhang sind sie nicht mal komplett aufgelistet. Heute ist keines mehr auf dem Markt, auch nicht die Taschenbuchausgabe des verfilmten Romans "Fegefeuer oder Die Reise ins Zuchthaus". Anders in der Abteilung Devotionalien: kürzlich konnte man im Netz ein Blatt mit ein paar unwichtigen handgeschriebenen Worten zum Sofort-Kaufen-Preis von 6900 Euro bekommen.

Der "Fegefeuer"-Roman war 1983 in dem durch Bukowski bekanntgewordenen Maro-Verlag erschienen, und er war zugleich Unterwegers Debüt und Höhepunkt. Er erzählte von seiner furchtbaren Kindheit in miesen Verhältnissen, dem Weg durch Heime zum Zuhälter und Gewalttäter und vom Gefängnis. Ich fand es damals nicht besonders, verkrampftes Abhaken der eigenen Geschichte - aber immerhin kein Autor, der schwache Lebenserfahrung mit feinem Germanistikstudiumgesülze auszugleichen versuchte, das war brutal, spannend! Und musste später anders gelesen werden: Unterweger hat übertrieben und beschönigt, weist Leake nach: Um besser dazustehen, habe er seine Story vor dem sadistischen Mord an einer jungen Frau enden lassen, für den er 1976 lebenslänglich bekam. Seine Mitarbeit am Drehbuch zur Verfilmung brach er ab, weil ihn der Regisseur nicht als Helden darstellen wollte.

Hauptsache prominent

In dieser Haft hatte Unterweger zu schreiben begonnen, Gedichte, Kindergeschichten, die in der ORF-Sendung "Traummännlein" gesendet wurden. Als "Fegefeuer" von der angesehenen Literaturzeitschrift "manuskripte" als Fortsetzung gedruckt wurde, war die Aufmerksamkeit da: Österreichische Intellektuelle, Prominente, Politiker, Club-2-Moderatoren, alles, "was in Literatur und Kunst Rang und Namen hatte", setzte sich für seine vorzeitige Entlassung ein. Im Mai 1990 war es so weit: Jack Unterweger war das bekannteste Beispiel für erfolgreiche Resozialisierung.

Das machte ihn nicht zu dem "Bestseller-Autor", den Leake wohl eher für das amerikanische Publikum aufbaut, aber zu einem österreichischen Talkshow-Promi, zu einem Kerl für die Klatschspalten mit einer "Make Love Not War"-Tätowierung auf der Brust. Aus dieser Prominenz resultiert die Vielzahl von Frauen, die vom Bösen angezogen wurden - ein unheimlicher Erfolg vieler (Serien-)Mörder -, mit denen Leake das Psychogramm eines manischen Verführers, Manipulateurs, Betrügers und Geldsaugers präzisiert. In sein Opferschema passten diese Frauen nicht.

Unterweger gefiel sein Promi-Status, aber er war ihm zu gering. Er wusste, dass er ihn nur seiner Knacki-Vergangenheit verdankte. Die schwache Wirkung seiner neuen literarischen Arbeiten machte ihn wütend. Dazu kam die Gier, richtige Prominente kennenzulernen. In L. A. war er wütend, weil er trotz Presseticket und Kontakten nicht an Bukowski oder Cher rankam. "Fegefeuer" wollte er selber noch mal verfilmen, mit Marisa Mell, die er bei einer Buchmesse flüchtig kennengelernt hatte, und Helmut Berger, und wenn nicht mit Berger, dann mit ihm selbst in der Hauptrolle . . . Was doch alles nicht so krank klingt - und doch diffus mit dem Killer/Künstler zu korrespondieren scheint.

Mord als Marketing?

In diesen nur noch spekulativen Bereich hat sich Leake verständlicherweise nicht hineingetastet. Was auf der Grundlage einer so sorgfältigen Recherche erlaubt gewesen wäre, denke ich. Es ist der Bereich, der einen und uns Unterweger-Kollegen beschäftigt, machen wir uns nichts vor. Was macht der Misserfolg mit einem? Was das Gefühl, zu wenig zu erleben? Wann wird Eitelkeit ekelhaft? Wie verrückt sollte ein Künstler sein? Wo ist die Grauzone zwischen genehmigtem und Unterwegers "malignem Narzissmus"? Soll ich in diese bescheuerte Talkshow gehen? Können aufgeschriebene Gewaltphantasien zurückschlagen? Waren seine Morde auch eine Form von Marketing? Oder war doch die erst fehlende Mutter schuld, der er dann lebenslang nicht nahekommen konnte?

Es gab kein Geständnis, keine Zeugen. Unterweger wurde aufgrund von Indizien am 28. 6. 1994 in Graz für neun Morde verurteilt. Die Beweislage war "erdrückend", er war "aller Wahrscheinlichkeit nach" der Täter, die Geschworenen stimmten 6:2 gegen ihn. Leake benennt die Faktenlage, aber er spielt diesen verflucht winzigen Rest Unsicherheit, ob Unterweger der Schuldige ist oder nicht, doch runter: Es reicht nicht, die Plädoyers der Verteidigung zu zitieren. Er diskutiert zu wenig: die Vorverurteilung in der Boulevardpresse und den Druck, unter dem die Anklage einen Täter vorweisen musste; die unterschiedliche Lage in Österreich und Los Angeles, wo "aufgrund des Fehlens von Sachbeweisen" keine Anklage erhoben worden war; dass die letztlich entscheidenden neuen wissenschaftlichen Methoden, mit denen ein Haar und ein paar Fasern untersucht wurden, zwar allerhöchste Wahrscheinlichkeit, aber nichts Tausendprozentiges ergaben, weshalb zum Beispiel die "Süddeutsche Zeitung" bis Prozessende die Anklage "in Beweisnot" sah. Die Überlegung, ob dadurch auch ein Im-Zweifel-für-den-Angeklagten möglich gewesen wäre, hätte Leake ausführlich bringen müssen.

Allein schon um zu verhindern, dass Hollywood-Star John Malkovich, der in Los Angeles eine von diesem Buch inspirierte Oper inszenierte, mit sich selbst in der Hauptrolle, so was dazu sagt: Er habe "mit der Todesstrafe kein Problem", wenn es sich, wie in diesem Fall, um einen mehrfachen Mörder handle, der auch "wirklich schuldig" sei.

FRANZ DOBLER

John Leake: "Der Mann aus dem Fegefeuer". Aus dem Englischen von Clemens J. Setz. Residenz-Verlag, 456 Seiten, 24,90 Euro

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