Mit psychologischem Feingefühl und genauer Beobachtungsgabe folgt Frank Ronan dem verschlungenen Lebensweg einer Frau und ihrer verschiedenen Liebhaber. Erzählen läßt er die Geschichte ihren Vertrauten, Chronisten und Verehrer, einen Mann, der sie seit 23 Jahren ohne jeden Vorbehalt liebt. "Ronan hat eine Welt der Leidenschaften erfunden, die man fühlen, riechen und hören kann." (New York Times Book Review.)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.1998Erbarmen mit den Liebhabern
Witz und Tempo: Frank Ronans irische Romanfabrik
Wenn er schon als ihr Liebhaber zu kurz kam, will der Mann, der diesem Roman den Titel gibt, wenigstens Evelyn Cottons Biograph werden. "Seit 24 Jahren und vier Monaten minus acht Tagen bin ich in Evelyn Cotton verliebt", konstatiert er zu Beginn: "Wir haben zweimal miteinander geschlafen, das erste Mal vor 23 Jahren, das zweite Mal gestern." Das erste Mal steht am Anfang, das - mutmaßlich - letzte Mal am Ende einer Erzählstrecke, die der Mann nach eigenem Bekenntnis wartend zugebracht hat. Er hat zwar im Wartestand eine andere Frau geheiratet und eine bürgerliche Existenz aufgebaut. Aber ohne Unterlaß hat er "ganz allgemein oder sehr konkret" an Evelyn Cotton denken müssen. Er ist stolz darauf, in all der Zeit ihr einzig wahrer Freund gewesen zu sein. Evelyn Cotton und die übrigen Männer in ihrem Leben hätten stets ihm ihre Probleme anvertraut. Auf solche Weise sei die "umfassendste Datensammlung über Evelyn Cottons Leben, die es gibt", zustande gekommen. Als allwissender Erzähler erlebt der unglückliche Verehrer eine Art später Genugtuung.
Während der Chronist nur dank der Leidenschaft für Evelyn Cotton sein Mittelmaß transzendiert, erscheint die Angebetete allen, die sie kennen, als das wunderbarste von allen Erdenwesen. Nicht nur, weil sie über "den idealen Hintern, die ideale Hüfte" sowie über eine konkurrenzlose "Sinnlichkeit" verfügt. In den 25 Jahren, die der Roman überblickt, wandelt sich die ledige Mutter mit "viktorianischen Idealen" zudem zu einer feministisch inspirierten Erfolgsschriftstellerin. Es dauert allerdings viele Jahre, bis die Frauenemanzipation, der sich Evelyn Cotton literarisch verschrieben hat, auch im Leben greift. Ihre Männer-Geschichten, angefangen bei einem skurrilen Professor mit Bügelzwang über einen egomanen Jungmaler bis zu Julius Drake, einem Steuerberater und verhinderten Literaten, zeigen Evelyn durchweg in den Händen bewährter Chauvinisten. Erst als Hugh Longford, ein junger Ire, in ihr Leben tritt, wendet sich alles zum Besseren. Was Evelyn nicht davon abhält, mit ihrem Dauer-Verehrer ins Bett zu gehen, als sich der Geliebte gerade von den Folgen eines Autounfalls erholt. Das und noch viel mehr weiß der Mann, der Evelyn Cotton liebte, zu erzählen, und darum präsentiert dieser Roman in manchen Passagen seinen Stoff mehr nach Art einer Inhaltsangabe.
Die Epoche zwischen dem einen und dem anderen Beischlaf hat Ronan als eine Zeitreise durch England von den sechziger Jahren in die späten Achtziger angelegt. Was sie später ihr "Leben" nennen werden, haben seine Figuren bereits in den Sechzigern hinter sich gebracht. Die siebziger Jahre erscheinen ihnen dagegen als eine einzige lange Karenzzeit, aus der nichts weiter erinnerlich ist als ein paar Familienurlaube. Die hier beschriebene Generation war, wie es einmal heißt "zu alt, um von Johnny Rotten gehört zu haben, und hatte zu viel zu tun, um politisch zu sein". Ehe dann die geld- und statustrunkenen Achtziger anbrechen, in der sich die Yuppies aufs Land zurückziehen, um dort die Verstädterung zu beklagen, die sie selbst mit angerichtet haben. So auch der Knauser Julius Drake, mit dem Evelyn Cotton zum Leidwesen des Erzählers zwanzig Jahre zusammenlebt. Gegen ihren Willen veranlaßt der Gatte den Umzug von London auf ein verwunschenes Landgut in Somerset, woraufhin Evelyns literarische Produktion schlagartig zum Erliegen kommt, um erst wieder aufzuleben, als sie mit dem nächsten Lebensgefährten zurück nach London zieht.
Frank Ronan, 1963 geboren, ist, wie andere irische Autoren seiner Generation, ein resolut realistischer, seiner Mittel sicherer Erzähler. "Der Mann, der Evelyn Cotton liebte", Ronans Debütroman aus dem Jahre 1989 - ihm sind inzwischen fünf weitere Romane gefolgt -, hat Witz und Tempo. Er ist auf wohldosierte Weise sentimental und untersucht mit feinem Werkzeug die vielfältigen Leidenschaften seiner Figuren. Bei solchen Qualitäten sieht man über stilistische Unebenheiten - die zum Teil auch auf das Konto der deutschen Übersetzung gehen - bereitwillig hinweg. CHRISTOPH BARTMANN
Frank Ronan: "Der Mann, der Evelyn Cotton liebte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997. 276 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Witz und Tempo: Frank Ronans irische Romanfabrik
Wenn er schon als ihr Liebhaber zu kurz kam, will der Mann, der diesem Roman den Titel gibt, wenigstens Evelyn Cottons Biograph werden. "Seit 24 Jahren und vier Monaten minus acht Tagen bin ich in Evelyn Cotton verliebt", konstatiert er zu Beginn: "Wir haben zweimal miteinander geschlafen, das erste Mal vor 23 Jahren, das zweite Mal gestern." Das erste Mal steht am Anfang, das - mutmaßlich - letzte Mal am Ende einer Erzählstrecke, die der Mann nach eigenem Bekenntnis wartend zugebracht hat. Er hat zwar im Wartestand eine andere Frau geheiratet und eine bürgerliche Existenz aufgebaut. Aber ohne Unterlaß hat er "ganz allgemein oder sehr konkret" an Evelyn Cotton denken müssen. Er ist stolz darauf, in all der Zeit ihr einzig wahrer Freund gewesen zu sein. Evelyn Cotton und die übrigen Männer in ihrem Leben hätten stets ihm ihre Probleme anvertraut. Auf solche Weise sei die "umfassendste Datensammlung über Evelyn Cottons Leben, die es gibt", zustande gekommen. Als allwissender Erzähler erlebt der unglückliche Verehrer eine Art später Genugtuung.
Während der Chronist nur dank der Leidenschaft für Evelyn Cotton sein Mittelmaß transzendiert, erscheint die Angebetete allen, die sie kennen, als das wunderbarste von allen Erdenwesen. Nicht nur, weil sie über "den idealen Hintern, die ideale Hüfte" sowie über eine konkurrenzlose "Sinnlichkeit" verfügt. In den 25 Jahren, die der Roman überblickt, wandelt sich die ledige Mutter mit "viktorianischen Idealen" zudem zu einer feministisch inspirierten Erfolgsschriftstellerin. Es dauert allerdings viele Jahre, bis die Frauenemanzipation, der sich Evelyn Cotton literarisch verschrieben hat, auch im Leben greift. Ihre Männer-Geschichten, angefangen bei einem skurrilen Professor mit Bügelzwang über einen egomanen Jungmaler bis zu Julius Drake, einem Steuerberater und verhinderten Literaten, zeigen Evelyn durchweg in den Händen bewährter Chauvinisten. Erst als Hugh Longford, ein junger Ire, in ihr Leben tritt, wendet sich alles zum Besseren. Was Evelyn nicht davon abhält, mit ihrem Dauer-Verehrer ins Bett zu gehen, als sich der Geliebte gerade von den Folgen eines Autounfalls erholt. Das und noch viel mehr weiß der Mann, der Evelyn Cotton liebte, zu erzählen, und darum präsentiert dieser Roman in manchen Passagen seinen Stoff mehr nach Art einer Inhaltsangabe.
Die Epoche zwischen dem einen und dem anderen Beischlaf hat Ronan als eine Zeitreise durch England von den sechziger Jahren in die späten Achtziger angelegt. Was sie später ihr "Leben" nennen werden, haben seine Figuren bereits in den Sechzigern hinter sich gebracht. Die siebziger Jahre erscheinen ihnen dagegen als eine einzige lange Karenzzeit, aus der nichts weiter erinnerlich ist als ein paar Familienurlaube. Die hier beschriebene Generation war, wie es einmal heißt "zu alt, um von Johnny Rotten gehört zu haben, und hatte zu viel zu tun, um politisch zu sein". Ehe dann die geld- und statustrunkenen Achtziger anbrechen, in der sich die Yuppies aufs Land zurückziehen, um dort die Verstädterung zu beklagen, die sie selbst mit angerichtet haben. So auch der Knauser Julius Drake, mit dem Evelyn Cotton zum Leidwesen des Erzählers zwanzig Jahre zusammenlebt. Gegen ihren Willen veranlaßt der Gatte den Umzug von London auf ein verwunschenes Landgut in Somerset, woraufhin Evelyns literarische Produktion schlagartig zum Erliegen kommt, um erst wieder aufzuleben, als sie mit dem nächsten Lebensgefährten zurück nach London zieht.
Frank Ronan, 1963 geboren, ist, wie andere irische Autoren seiner Generation, ein resolut realistischer, seiner Mittel sicherer Erzähler. "Der Mann, der Evelyn Cotton liebte", Ronans Debütroman aus dem Jahre 1989 - ihm sind inzwischen fünf weitere Romane gefolgt -, hat Witz und Tempo. Er ist auf wohldosierte Weise sentimental und untersucht mit feinem Werkzeug die vielfältigen Leidenschaften seiner Figuren. Bei solchen Qualitäten sieht man über stilistische Unebenheiten - die zum Teil auch auf das Konto der deutschen Übersetzung gehen - bereitwillig hinweg. CHRISTOPH BARTMANN
Frank Ronan: "Der Mann, der Evelyn Cotton liebte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997. 276 S., geb., 36,- DM.
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