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Für ihn ist immer alles Gegenwart: 1965 lernt die junge Neurowissenschaftlerin Margot an der Universität von Darven Park den charismatischen Patienten Eli kennen. Er leidet an Gedächtnisverlust und kann sich nur an Dinge erinnern, die nicht länger als siebzig Sekunden zurückliegen. Margot beginnt, Elis Erinnerungsvermögen mit einer Reihe von Tests zu untersuchen, und kommt dem ungewöhnlichen Patienten im Laufe der Zeit erstaunlich nahe. Eine unmögliche Beziehung, denn er vergisst immer wieder, wer sie ist. Joyce Carol Oates hat einen Roman über Liebe und Erinnerung, über Einsamkeit und imaginierte Nähe geschrieben - luzide, feinsinnig, funkelnd.…mehr

Produktbeschreibung
Für ihn ist immer alles Gegenwart: 1965 lernt die junge Neurowissenschaftlerin Margot an der Universität von Darven Park den charismatischen Patienten Eli kennen. Er leidet an Gedächtnisverlust und kann sich nur an Dinge erinnern, die nicht länger als siebzig Sekunden zurückliegen. Margot beginnt, Elis Erinnerungsvermögen mit einer Reihe von Tests zu untersuchen, und kommt dem ungewöhnlichen Patienten im Laufe der Zeit erstaunlich nahe. Eine unmögliche Beziehung, denn er vergisst immer wieder, wer sie ist. Joyce Carol Oates hat einen Roman über Liebe und Erinnerung, über Einsamkeit und imaginierte Nähe geschrieben - luzide, feinsinnig, funkelnd.
Autorenporträt
Joyce Carol Oates wurde 1938 in Lockport (New York) geboren. Sie zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre zahlreichen Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem National Book Award. 2019 wurde ihr der Jerusalem Prize verliehen. 2020 erhielt sie den renommierten Cino del Duca World Prize. Joyce Carol Oates lebt in Princeton (New Jersey), wo sie Literatur unterrichtet.

Silvia Morawetz ist die Übersetzerin von u.a. Anne Sexton, James Kelman,
Ali Smith, Paul Harding und Steven Bloom. Sie erhielt Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, des Landes Baden-Württemberg und des Landes Niedersachsen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2018

Auf dem Glatteis der Gegenwart
Siebzig Sekunden, an mehr erinnert dieser Mann sich nicht: Joyce Carol Oates erzählt von einem missbrauchten Experiment

Joyce Carol Oates, Jahrgang 1938, gehört zu den produktivsten und erfolgreichsten Autorinnen Amerikas. Mehrfach wurde sie für den Pulitzer-Preis nominiert; sie gilt als Kandidatin für den Nobelpreis. Das Mädchen aus proletarisch-katholischen Verhältnissen war das erste Mitglied der Familie, das einen Highschool-Abschluss machte und eine akademische Laufbahn verfolgte: Anglistik-Dozentin an verschiedenen Universitäten, schließlich Professorin für Creative Writing. Oates bekam mit vierzehn Jahren von ihrer Großmutter eine Schreibmaschine geschenkt, seitdem schreibt sie. Mit 25 begann sie zu publizieren. Ihr vielfältiges Werk umfasst an die hundert Bücher aller Genres, darunter auch Literatur für Jugendliche (wie etwa das aufwühlende Buch "Sexy", das von den Verwirrungen eines Jungen handelt, der seine Homosexualität erkennt und fürchtet).

Ihre Texte können autobiographisch, realistisch-sozialkritisch oder phantastisch grundiert sein. In "Der Mann ohne Schatten" kommen all diese Momente zusammen. Der Roman ist dem Neurowissenschaftler Charles G. Gross gewidmet, mit dem die Autorin in zweiter Ehe verheiratet ist. Die Hauptfigur ist der siebenunddreißigjährige Elihu Hoopes, ein Sohn aus bestem amerikanischen Upperclass-Haus, der nach einer Notoperation am Kopf (in Folge einer verschleppten Enzephalitis) sein Erinnerungsvermögen verloren hat.

Nun wird dieser überdurchschnittlich intelligente Mann im berühmten Gedächtnislabor der Universität von Darven Park, Pennsylvania, zum "Projekt E.H." und damit der Lebensinhalt von Margot Sharpe. Am Morgen ihres 24. Geburtstags begrüßt die junge Doktorandin Elihu Hoopes zum ersten Mal. Er überrascht sie mit einem herzlich intonierten "Hal-lo!", das sich anhört, als kennte er sie schon lange und hätte eine vertraute Beziehung zu ihr: "Es ist 9.07 Uhr, der 17. Oktober 1965: der alles entscheidende Moment in ihrem Leben, der sich als der alles entscheidende Moment in ihrer Karriere erweist."

Margot Sharpe ist nicht nur sehr jung, sie ist aufblühend ehrgeizig. Unter einer ansehnlichen Anzahl von Bewerbern wurde sie von ihrem Doktorvater (und vorübergehenden Geliebten) als Mitarbeiterin bei diesem vielversprechenden Forschungsunternehmen ausgewählt, das sie später ganz übernehmen wird. "Ihr Mund ist trocken vor Vorfreude. Schon seit Wochen liest sie zum Projekt E.H. gehöriges Material." Nun steht der Kranke vor ihr, und zwar ganz anders, als sie sich ihn vorgestellt hat: attraktiv, charismatisch, jovial, ja verführerisch! "Hal-lo!" Sein Problem, das er selbst schemenhaft wittert und von dem sie glasklar weiß, ist, dass er sich seit der Hirnoperation nicht länger als siebzig Sekunden zurückerinnern kann. So lebt er in einer ewigen Gegenwart.

Dieses unendliche Jetzt realisiert der Roman in seiner Form. Die mehr als dreißig Jahre, in denen Margot Sharpe quasi täglich Tests mit Elihu Hoopes durchführt, werden erzählt in der Klammer einer Preisrede, die die am Ende dreiundfünfzigjährige Margot hält, als sie nach dem Tod von "Eli" eine der höchsten Auszeichnungen für ihre Amnesie-Forschungen entgegennehmen darf, deren Haupt-Versuchskandidat Elihu Hoopes war.

Es ging nie um Heilung. Hoopes war kein Patient, er war ein prominenter Proband. Ethische Fragen, die die junge Margot am Anfang beschäftigen - es ist augenscheinlich, dass die anstrengenden Tests für den Mann ohne Gedächtnis nicht nur eine Abwechslung sind, sie führen ihn täglich an seine seelischen Grenzen, er leidet an ihnen -, verlieren sich in dem Maß, wie Margot sich in den Wahn hineinsteigert, ihr Proband liebte sie. Dabei ist es nur sie in ihrer Vereinsamung, die sich in ihn oder in die Macht, die sie über ihn gewinnt, verliebt hat. Und freilich reagiert Elihu körperlich auf sie, wenn sie ihn heimlich in den Institutspark führt, in ein waldiges Gelände in der Nähe einer Holzbrücke, wo die beiden im Gras miteinander schlafen. Eli, ein guter Tennisspieler, der gelernt hat, Bälle zu parieren, antwortet auf die Frage: "Wie geht es meinem lieben Mann?", sofort mit: "Sehr gut! Und wie geht es meiner lieben Frau?" Und wenn er dann nicht länger in die Villa zurückgebracht werden möchte, zu einer barmherzigen Tante, die ihn betreut, sondern mit "seiner Frau" leben will, schafft es Margot, ihn zu vertrösten, bis er seinen Wunsch schon wieder vergessen hat und sich trollt wie ein still verwundeter Hund. So wird der Amnesiekranke ganz und gar zum Objekt der Manipulation, ein in Liebe kalt ausgebeutetes Versuchsobjekt, dem es nicht gegeben ist, sich zu befreien.

Zudem schafft Margot sich in ihm eine Art Therapeuten. Dem schon aus Ahnungslosigkeit Empathiebereiten darf sie rückhaltlos alles sagen, da nichts Konsequenzen hat. Elis "Hal-lo!" wird zum Leitmotiv für die Jahrzehnte der täglichen ersten Begegnung.

Unter dem Glatteis dieser Gegenwärtigkeit aber liegen für Elihu Hoopers Erinnerungen an die Zeit vor seiner Hirnoperation, die inselhaft aufsteigen. Zentral ist das Verbrechen an seiner elfjährigen Cousine Gretchen, die einem Sexualdelikt zum Opfer fiel. Inwieweit er, damals fünf Jahre alt, dabei involviert war, bleibt offen. Er hat sie schwimmen sehen, im Wasser unter der Holzbrücke. Er habe nichts gesehen, sagten die Erwachsenen damals, er müsse alles vergessen. Aber ihm blieb die lebenslängliche Schuld. Wenn er nun in der Parkanlage zu der "Holzbrücke" kommt (sie wird zum Leitmotiv der verdrängten Vergangenheit), steigt im fließenden Wasser zitternd das Gesicht, der Körper des Mädchens auf. Und Elihu Hoopes hält diese Visionen über die Jahre mit Kohlestift in großen Zeichenmappen fest. Auf diese Bilder angesprochen, reagiert er verstört.

Der psychologisch mit großem Raffinement (phasenweise aus der Perspektive des Kranken) erzählte Roman ist eine Studie über Gedächtnis und Manipulation. Er stellt die Frage nach Wirklichkeitserfassung und Identität. Und in einer Kippfigur erscheint am Ende die Neurologin realitätsfremder und in ihrer Amour fou verlorener als ihr hilfloser Proband.

ANGELIKA OVERATH

Joyce Carol Oates: "Der Mann ohne Schatten".

Roman.

Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018. 379 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Tiefgründig und fordernd. Bianca Schwartz Norddeutscher Rundfunk 20180613