Säugetiere trauern und sie tricksen; sie sind einfühlsam, lernen und kommunizieren oft auf hohem Niveau. Sie freuen und sie ärgern sich - mit denselben Reaktionen von Körper und Gehirn wie bei uns Menschen. Tiere haben eine Persönlichkeit. Was unterscheidet uns eigentlich noch von ihnen? Und was können wir von ihnen lernen? Norbert Sachser, einer der weltweit führenden Tierverhaltensforscher, präsentiert darüber seine eigenen, bedeutenden Forschungen und insgesamt den letzten Stand des Wissens. Wir erfahren, wie Hunde Empathie zeigen, Mäuse Alzheimer entkommen, Meerschweinchen sozialen Stress vermeiden und zu welch bemerkenswerten Leistungen Menschenaffen, aber auch Raben fähig sind.
Weltbild und Forschungslage in der Tierverhaltensforschung haben sich dramatisch verändert. Der berühmte Gegensatz nature or nurture, ererbt oder erworben, ist längst ein alter Hut. Wichtig ist heute die Erforschung des Zusammenspiels von Genen und Umwelt. Sachser spricht von einer "Revolution im Tierbild" - und ihren Folgen für unseren Umgang mit Wildtieren und Haustieren.
"Einer der bedeutendsten deutschen Verhaltensbiologen. Seine Erkenntnisse haben das wissenschaftliche Bild vom Tier wesentlich verändert." Deutschlandfunk
Weltbild und Forschungslage in der Tierverhaltensforschung haben sich dramatisch verändert. Der berühmte Gegensatz nature or nurture, ererbt oder erworben, ist längst ein alter Hut. Wichtig ist heute die Erforschung des Zusammenspiels von Genen und Umwelt. Sachser spricht von einer "Revolution im Tierbild" - und ihren Folgen für unseren Umgang mit Wildtieren und Haustieren.
"Einer der bedeutendsten deutschen Verhaltensbiologen. Seine Erkenntnisse haben das wissenschaftliche Bild vom Tier wesentlich verändert." Deutschlandfunk
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2018Ein Ohr für das Rattenlachen
Smarte Krähen, gestresste Meerschweinchen und gewitzte Schimpansen: Der Zoologe Norbert Sachser folgt dem Trend, Menschliches im Tierreich zu orten, bleibt dabei aber glücklicherweise halbwegs nüchtern.
Wenn eine Neukaledonische Krähe hungrig ist, sind selbst jene Insektenlarven nicht sicher, die sich tief im Holz toter Baumstämme aufhalten. Der Vogel wird von der nächsten Palme ein mit Widerhaken bewehrtes Blatt abknapsen, es auf die passende Größe zurechtstutzen und als Sonde einsetzen. Alternativ tut es auch ein Zweig, der in mehreren Arbeitsschritten zu einem Haken geformt wird, mit dem sich ausgezeichnet angeln lässt. Man ist geneigt zu sagen: Irgendwas wird der Krähe schon einfallen. Bis vor wenigen Jahren hätten Biologen ein so vorausschauendes Verhalten allein Menschenaffen, Elefanten und Delfinen zugetraut. Inzwischen sind sich jedoch viele Verhaltensforscher darin einig, dass weit mehr Tiere zu höheren kognitiven Leistungen in der Lage sind, als lange angenommen wurde.
Norbert Sachser, Zoologe an der Universität Münster, möchte mit seinem Buch seinen Teil dazu beitragen, dies vor Augen zu führen. In der Wissenschaft habe in den vergangenen Jahrzehnten eine "Revolution des Tierbildes stattgefunden". Am Dogma vom emotionslosen, instinktgesteuerten und zu jeder Einsicht unfähigen Vieh halte kein ernstzunehmender Forscher mehr fest, schließlich verfügten Tiere über etliche Eigenschaften, "die bis vor kurzem noch unhinterfragt als typisch menschlich angesehen worden sind". Kurzum: "Wir sind den Tieren näher gerückt."
Was das im Einzelnen bedeutet, illustriert der Autor in sechs aufschlussreichen Kapiteln, die von einer Einführung und einem Resümee flankiert werden. Es geht um den Zusammenhang von sozialem Umfeld und Stress, um Emotionen und tierliches Wohlergehen, um das Verhältnis von Anlage und Umwelt, um Intelligenz und Lernfähigkeit, um Tierpersönlichkeiten und egoistische Gene.
Sachsers Ausführungen stützen sich auf Erkenntnisse der Verhaltensbiologie, deren Geschichte er in einem instruktiven Abriss rekapituliert. Ausgeklammert bleiben indes philosophische Erwägungen. Beispielsweise zweifelte David Hume nicht an der Vernunft der Tiere, Hegel hingegen war der Meinung, dass das, "wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist". Aber was verstehen wir eigentlich unter Denken? Stellt ein Erdhörnchen Überlegungen an, wenn es die Angriffslust einer Schlange mit Hilfe von Scheinattacken einzuschätzen versucht?
Eine besondere Herausforderung für die Verhaltensforschung betrifft das Ich-Bewusstsein von Tieren. Philosophen würden erst einmal darauf hinweisen, dass der Begriff "Bewusstsein" zu den heikelsten überhaupt gehört und dass es womöglich nie gelingen wird, bewusstes Erleben bei Geschöpfen zu dokumentieren, die nicht sprechen können. Pragmatischer ist es, Experimente durchzuführen. 1970 plazierte der amerikanische Psychologe Gordon Gallup einen Spiegel vor einem Schimpansengehege. Die Tiere behandelten ihr Spiegelbild zunächst wie einen fremden Artgenossen, um einige Zeit später genauer hinzuschauen, Fellpflege an den Stellen zu betreiben, die sie sonst nicht sehen konnten, und Faxen zu machen. Schließlich färbte Gallup einigen Schimpansen Teile der Augenbrauen und des Ohrs rot ein. Sobald sie sich im Spiegel betrachteten, fassten sie zielgerichtet an die Farbpunkte. Neben Menschenaffen sind auch Elefanten, Delfine und, das sorgte in der Fachwelt für Aufruhr, Elstern in der Lage, sich selbst im Spiegel zu erkennen.
Während die einen ihr Spiegelbild erkennen, haben die anderen Spaß. Ratten zum Beispiel. Solange sie sich noch im Jugendalter befinden, absolvieren sie gerne Rauf- und Bewegungsspiele. Dabei erzeugen sie hohe Pfeiftöne, die ungefähr bei fünfzig Kilohertz liegen. Dieselben Laute, Sachser bezeichnet sie flott als "Lachen", geben die Tiere auch von sich, wenn sie von Menschen gekitzelt werden. Das Wohlbehagen ist dann augenscheinlich so groß, dass sie bereit sind, für eine Kitzeleinheit Aufgaben zu lösen. Sachser zufolge lehrt uns diese Beobachtung, dass "Lachen und Freude keine Alleinstellungsmerkmale des Menschen sind". Gleichwohl bleibt ein gewisses Misstrauen. Sind die Rattenlaute tatsächlich vergleichbar mit unserem Lachen, das ja Überlegenheit oder Entlastung ausdrücken respektive eine Reaktion auf Komik sein kann?
Zu eindeutigen Ergebnissen gelangen Biologen, wenn sie die Ausschüttung von Stresshormonen untersuchen. Bei Hausmeerschweinchen reduzieren die Anwesenheit des Bindungspartners und ein stabiles Sozialsystem das Stresslevel. Demgegenüber führen ungeklärte soziale Beziehungen langfristig zu einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten - so wie beim Menschen. Trotz aller spürbaren Begeisterung für solche Befunde bleibt Sachser kritisch und nüchtern. Ja, Tiere können mit Hilfe differenzierter Lautäußerungen kommunizieren. Nein, an unsere Sprache reicht das nicht heran. Ja, viele Tiere können denken. Nein, sie stellen keine Reflexionen über sich und die Welt an.
Obwohl manche Affenart sogar Sinn für faires Verhalten gezeigt haben soll, sind Tiere, wie von einigen Romantikern immer noch behauptet, keineswegs die besseren Menschen. Schimpansen bekämpfen, vergewaltigen und töten Artgenossen. Nicht um das Wohl der Spezies scheren sich Tiere, sondern um den eigenen Vorteil. Wer anderen hilft, tut dies in der Regel aus egoistischen Gründen. Im Gegensatz dazu hat unsere kulturelle Entwicklung Gesetze, Menschenrechte und moralische Maximen hervorgebracht. Angesichts der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, welche Sachser präsentiert, wäre es nun ein guter Zeitpunkt, noch einmal etwas angestrengter in die Philosophie einzutauchen, um über Fragen der Tierethik nachzudenken.
KAI SPANKE
Norbert Sachser: "Der Mensch im Tier". Warum Tiere uns im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 256 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Smarte Krähen, gestresste Meerschweinchen und gewitzte Schimpansen: Der Zoologe Norbert Sachser folgt dem Trend, Menschliches im Tierreich zu orten, bleibt dabei aber glücklicherweise halbwegs nüchtern.
Wenn eine Neukaledonische Krähe hungrig ist, sind selbst jene Insektenlarven nicht sicher, die sich tief im Holz toter Baumstämme aufhalten. Der Vogel wird von der nächsten Palme ein mit Widerhaken bewehrtes Blatt abknapsen, es auf die passende Größe zurechtstutzen und als Sonde einsetzen. Alternativ tut es auch ein Zweig, der in mehreren Arbeitsschritten zu einem Haken geformt wird, mit dem sich ausgezeichnet angeln lässt. Man ist geneigt zu sagen: Irgendwas wird der Krähe schon einfallen. Bis vor wenigen Jahren hätten Biologen ein so vorausschauendes Verhalten allein Menschenaffen, Elefanten und Delfinen zugetraut. Inzwischen sind sich jedoch viele Verhaltensforscher darin einig, dass weit mehr Tiere zu höheren kognitiven Leistungen in der Lage sind, als lange angenommen wurde.
Norbert Sachser, Zoologe an der Universität Münster, möchte mit seinem Buch seinen Teil dazu beitragen, dies vor Augen zu führen. In der Wissenschaft habe in den vergangenen Jahrzehnten eine "Revolution des Tierbildes stattgefunden". Am Dogma vom emotionslosen, instinktgesteuerten und zu jeder Einsicht unfähigen Vieh halte kein ernstzunehmender Forscher mehr fest, schließlich verfügten Tiere über etliche Eigenschaften, "die bis vor kurzem noch unhinterfragt als typisch menschlich angesehen worden sind". Kurzum: "Wir sind den Tieren näher gerückt."
Was das im Einzelnen bedeutet, illustriert der Autor in sechs aufschlussreichen Kapiteln, die von einer Einführung und einem Resümee flankiert werden. Es geht um den Zusammenhang von sozialem Umfeld und Stress, um Emotionen und tierliches Wohlergehen, um das Verhältnis von Anlage und Umwelt, um Intelligenz und Lernfähigkeit, um Tierpersönlichkeiten und egoistische Gene.
Sachsers Ausführungen stützen sich auf Erkenntnisse der Verhaltensbiologie, deren Geschichte er in einem instruktiven Abriss rekapituliert. Ausgeklammert bleiben indes philosophische Erwägungen. Beispielsweise zweifelte David Hume nicht an der Vernunft der Tiere, Hegel hingegen war der Meinung, dass das, "wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist". Aber was verstehen wir eigentlich unter Denken? Stellt ein Erdhörnchen Überlegungen an, wenn es die Angriffslust einer Schlange mit Hilfe von Scheinattacken einzuschätzen versucht?
Eine besondere Herausforderung für die Verhaltensforschung betrifft das Ich-Bewusstsein von Tieren. Philosophen würden erst einmal darauf hinweisen, dass der Begriff "Bewusstsein" zu den heikelsten überhaupt gehört und dass es womöglich nie gelingen wird, bewusstes Erleben bei Geschöpfen zu dokumentieren, die nicht sprechen können. Pragmatischer ist es, Experimente durchzuführen. 1970 plazierte der amerikanische Psychologe Gordon Gallup einen Spiegel vor einem Schimpansengehege. Die Tiere behandelten ihr Spiegelbild zunächst wie einen fremden Artgenossen, um einige Zeit später genauer hinzuschauen, Fellpflege an den Stellen zu betreiben, die sie sonst nicht sehen konnten, und Faxen zu machen. Schließlich färbte Gallup einigen Schimpansen Teile der Augenbrauen und des Ohrs rot ein. Sobald sie sich im Spiegel betrachteten, fassten sie zielgerichtet an die Farbpunkte. Neben Menschenaffen sind auch Elefanten, Delfine und, das sorgte in der Fachwelt für Aufruhr, Elstern in der Lage, sich selbst im Spiegel zu erkennen.
Während die einen ihr Spiegelbild erkennen, haben die anderen Spaß. Ratten zum Beispiel. Solange sie sich noch im Jugendalter befinden, absolvieren sie gerne Rauf- und Bewegungsspiele. Dabei erzeugen sie hohe Pfeiftöne, die ungefähr bei fünfzig Kilohertz liegen. Dieselben Laute, Sachser bezeichnet sie flott als "Lachen", geben die Tiere auch von sich, wenn sie von Menschen gekitzelt werden. Das Wohlbehagen ist dann augenscheinlich so groß, dass sie bereit sind, für eine Kitzeleinheit Aufgaben zu lösen. Sachser zufolge lehrt uns diese Beobachtung, dass "Lachen und Freude keine Alleinstellungsmerkmale des Menschen sind". Gleichwohl bleibt ein gewisses Misstrauen. Sind die Rattenlaute tatsächlich vergleichbar mit unserem Lachen, das ja Überlegenheit oder Entlastung ausdrücken respektive eine Reaktion auf Komik sein kann?
Zu eindeutigen Ergebnissen gelangen Biologen, wenn sie die Ausschüttung von Stresshormonen untersuchen. Bei Hausmeerschweinchen reduzieren die Anwesenheit des Bindungspartners und ein stabiles Sozialsystem das Stresslevel. Demgegenüber führen ungeklärte soziale Beziehungen langfristig zu einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten - so wie beim Menschen. Trotz aller spürbaren Begeisterung für solche Befunde bleibt Sachser kritisch und nüchtern. Ja, Tiere können mit Hilfe differenzierter Lautäußerungen kommunizieren. Nein, an unsere Sprache reicht das nicht heran. Ja, viele Tiere können denken. Nein, sie stellen keine Reflexionen über sich und die Welt an.
Obwohl manche Affenart sogar Sinn für faires Verhalten gezeigt haben soll, sind Tiere, wie von einigen Romantikern immer noch behauptet, keineswegs die besseren Menschen. Schimpansen bekämpfen, vergewaltigen und töten Artgenossen. Nicht um das Wohl der Spezies scheren sich Tiere, sondern um den eigenen Vorteil. Wer anderen hilft, tut dies in der Regel aus egoistischen Gründen. Im Gegensatz dazu hat unsere kulturelle Entwicklung Gesetze, Menschenrechte und moralische Maximen hervorgebracht. Angesichts der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, welche Sachser präsentiert, wäre es nun ein guter Zeitpunkt, noch einmal etwas angestrengter in die Philosophie einzutauchen, um über Fragen der Tierethik nachzudenken.
KAI SPANKE
Norbert Sachser: "Der Mensch im Tier". Warum Tiere uns im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 256 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Spätestens nach dieser Lektüre hält Kai Spanke die Zeit für reif, über Tierethik nachzudenken. Norbert Sachsers von verhaltensbiologischen Einführungen und Resümees begleiteten Beispiele für Verhalten, das die Intelligenz und Lernfähigkeit von Tieren illustriert, findet Spanke aufschlussreich. Dass der Autor philosophische Überlegungen ausklammert, scheint Spanke zu bedauern. Sachsers bleibende Skepsis bei aller Begeisterung für die Leistungen der Tiere findet der Rezensent hingegen nachvollziehbar, die Nüchternheit der Ausführungen entsprechend sinnvoll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Spielzeug schützt Mäuse vor Alzheimer, klingt unglaublich, stimmt aber. Norbert Sachser und sein Team haben den Beweis dafür erbracht. Die Welt
Tatsächlich ist am Ende seines Buches mehr als deutlich: Im Menschen steckt mehr Tier als bis vor kurzem gedacht. Sie sind dem Homo sapiens nähergerückt. Alexander Kluy Der Standard 20180812