Als die Rote Armee 1939 in der kleinen ostpolnischen Stadt Wlodzimirz-Wolinski eintraf, war der junge Jude Janusz Bardach begeistert - waren die Sowjets doch gekommen, so meinte er, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Nicht im Traum hätte er geglaubt, was dann kam: Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt und die Deportationen polnischer Juden sowie aller "Kapitalisten", denen er selbst nur durch einen Zufall entging. Als er 1940 zur Roten Armee eingezogen wurde, war seine anfängliche Begeisterung bereits einer Skepsis gewichen, die sich schnell aufs Grausamste bewahrheiten sollte. Bereits ein Jahr später wurde Bardach wegen Verdachts auf Spionage zum Tode verurteilt - und wieder war es ein Zufall, der die Umwandlung in 10 Jahre Gulag erwirkte. Von einem Lager ins nächste gesteckt, landete er schließlich in Kolyma, einem der kältesten und brutalsten Arbeitslager des stalinistischen Systems, dem nur wenige entkamen.
Janusz Bardachs Geschichte ist nicht nur das ergreifende Zeugnissein es eigenen Überlebens, sondern erzählt auch vom Überleben der Menschlichkeit unter schier unmenschlichen Bedingungen. Vor allem aber ist es seine Art zu schreiben, die dem Leben ein außergewöhnliches Denkmal gesetzt hat.
Janusz Bardachs Geschichte ist nicht nur das ergreifende Zeugnissein es eigenen Überlebens, sondern erzählt auch vom Überleben der Menschlichkeit unter schier unmenschlichen Bedingungen. Vor allem aber ist es seine Art zu schreiben, die dem Leben ein außergewöhnliches Denkmal gesetzt hat.
"Der alte Bardach hat in einer sehr lebendigen Sprache in dieser von der ersten bis zur letzten Seite packenden Autobiografie vollkommen ungebrochen die optimistische und menschliche Einstellung jenes jungen Mannes bewahrt, der den Gulag überlebt hat." 'Die Süddeutsche'
"Das Buch ist eine wichtige, dazu literarisch ansprechende Quelle für die Hochphase des Stalinismus, denn sie beschreibt hautnah und schonungslos die Mechanismen und politischen Strukturen, die Menschen zu Wölfen haben werden lassen." 'WDR 3'
"Mehr als fünfzig Jahre hat es gedauert, bis Janusz Bardach die Erlebnisse seiner Jugend aufzeichnen konnte. Sein Buch ist ein bedeutendes Zeugnis des 20. Jahrhunderts geworden." 'Berliner Morgenpost'
"Diese packende Autobiographie ist nicht nur ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte, sondern auch ein Buch über den Willen zum Überleben - und damit eine würdige Nachfolge der Erinnerungen von Alexander Solschenizyn und Eugenia Ginzburg." 'Publishers Weekly'
"Dieses Buch hat in mir Erinnerungen an meine eigene Zeit unter dem kommunistischen Regime geweckt. Ich habe jede Zeile verschlungen." 'Czeslaw Milosz, Träger des Literaturnobelpreises 1980'
"Bücher wie dieses sind mehr als nur Bücher. Sie erzählen eine Geschichte, die wir nur allzu leicht vergessen: Sie sagen uns, was mit einer Idee geschah, die zunächst neu und betörend unschuldig klang, doch dann von intellektuellen Monstern übernommen wurde, die versprachen, dass der Schrecken und das Übel, das sie verbreiteten, im Namen der Idee zum Paradies führen würde. [...]. Dr. Bardachs Buch sollte als wichtige Warnung verstanden werden.." 'Washington Times'
"Bardachs wiederholte Fähigkeit, extreme Situationen verarbeiten zu können, zeigt, dass er kein gewöhnlicher Mensch ist. Physisch und psychisch von seinen Erfahrungen unbeschädigt, wurde Bardach sogar noch ein weltbekannter plastischer Chirurg. Seine detaillierte Geschichte ist bewegend und faszinierend zugleich, weil sie zeigt, wie viel ein Mensch ertragen kann, wenn sein Wille zu überleben nur stark genug ist. ." 'Review of Books'
"Ein unvergessliches Zeugnis von der Realität des Kommunismus in der Sowjetunion." 'Times Literary Supplement'
"Letztendlich ist es eine Mischung aus Glück und Chuzpe, die Janusz Bardach am Leben erhält. Sein Wille, sich nicht 'auf die Stufe von Tieren' erniedrigen zu lassen, und die Tatsache, dass selbst im Gulag noch eine Spur von Menschlichkeit existiert, geben ihm die Kraft, nicht zu zerbrechen. Wie ihm das gelingt, lässt sich in diesem an Intensität und Dramatik kaum zu überbietenden Überlebensbericht nachlesen." 'Handelsblatt'
"Die Erinnerungen des amerikanischen Arztes aus Polen lesen sich wie ein Roman. Kein Thrillerautor kann sich größere Dramatik ausdenken." 'Lausitzer Rundschau'
"Dieses Buch besticht, ganz im Widerspruch zu seinem Titel, durch seine ungewöhnliche, tiefe Menschlichkeit." 'Norddeutscher Rundfunk'
"Eine bewegende Geschichte, die menschlich berührt. Seinen politisch-historischen Wert aber erhält dieses Buch dadurch, dass es aufklärt." 'SWR'
"Das Buch ist eine wichtige, dazu literarisch ansprechende Quelle für die Hochphase des Stalinismus, denn sie beschreibt hautnah und schonungslos die Mechanismen und politischen Strukturen, die Menschen zu Wölfen haben werden lassen." 'WDR 3'
"Mehr als fünfzig Jahre hat es gedauert, bis Janusz Bardach die Erlebnisse seiner Jugend aufzeichnen konnte. Sein Buch ist ein bedeutendes Zeugnis des 20. Jahrhunderts geworden." 'Berliner Morgenpost'
"Diese packende Autobiographie ist nicht nur ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte, sondern auch ein Buch über den Willen zum Überleben - und damit eine würdige Nachfolge der Erinnerungen von Alexander Solschenizyn und Eugenia Ginzburg." 'Publishers Weekly'
"Dieses Buch hat in mir Erinnerungen an meine eigene Zeit unter dem kommunistischen Regime geweckt. Ich habe jede Zeile verschlungen." 'Czeslaw Milosz, Träger des Literaturnobelpreises 1980'
"Bücher wie dieses sind mehr als nur Bücher. Sie erzählen eine Geschichte, die wir nur allzu leicht vergessen: Sie sagen uns, was mit einer Idee geschah, die zunächst neu und betörend unschuldig klang, doch dann von intellektuellen Monstern übernommen wurde, die versprachen, dass der Schrecken und das Übel, das sie verbreiteten, im Namen der Idee zum Paradies führen würde. [...]. Dr. Bardachs Buch sollte als wichtige Warnung verstanden werden.." 'Washington Times'
"Bardachs wiederholte Fähigkeit, extreme Situationen verarbeiten zu können, zeigt, dass er kein gewöhnlicher Mensch ist. Physisch und psychisch von seinen Erfahrungen unbeschädigt, wurde Bardach sogar noch ein weltbekannter plastischer Chirurg. Seine detaillierte Geschichte ist bewegend und faszinierend zugleich, weil sie zeigt, wie viel ein Mensch ertragen kann, wenn sein Wille zu überleben nur stark genug ist. ." 'Review of Books'
"Ein unvergessliches Zeugnis von der Realität des Kommunismus in der Sowjetunion." 'Times Literary Supplement'
"Letztendlich ist es eine Mischung aus Glück und Chuzpe, die Janusz Bardach am Leben erhält. Sein Wille, sich nicht 'auf die Stufe von Tieren' erniedrigen zu lassen, und die Tatsache, dass selbst im Gulag noch eine Spur von Menschlichkeit existiert, geben ihm die Kraft, nicht zu zerbrechen. Wie ihm das gelingt, lässt sich in diesem an Intensität und Dramatik kaum zu überbietenden Überlebensbericht nachlesen." 'Handelsblatt'
"Die Erinnerungen des amerikanischen Arztes aus Polen lesen sich wie ein Roman. Kein Thrillerautor kann sich größere Dramatik ausdenken." 'Lausitzer Rundschau'
"Dieses Buch besticht, ganz im Widerspruch zu seinem Titel, durch seine ungewöhnliche, tiefe Menschlichkeit." 'Norddeutscher Rundfunk'
"Eine bewegende Geschichte, die menschlich berührt. Seinen politisch-historischen Wert aber erhält dieses Buch dadurch, dass es aufklärt." 'SWR'
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000Delikt: staatlicher Mordversuch, Tatort: Sibirien
Ein kleiner polnischer Soldat setzt seinen Panzer in den Schlamm – und muss dafür fünf Jahre lang Strafarbeit im sowjetischen Gulag leisten
JANUSZ BARDACH: Der Mensch ist des Menschen Wolf; mein Überleben im Gulag, dtv, München 2000. 470 Seiten, 39 Mark.
Die Grube, die er ausheben musste, hatte exakt die Ausmaße eines Grabes. Der junge Pole, der sich aus Begeisterung für den Kommunismus und aus Liebe zu Josef Stalin freiwillig zur Roten Armee gemeldet hatte, hätte zentimetergenau hineingepasst. Als er in jenem Juli 1940, mit dem Gesicht in die weiche Erde gepresst, auf den Schuss in sein Genick wartete, war er noch überzeugt davon, eine Rolle in einem völlig absurden Stück zu spielen. Doch es war nur der Beginn eines Albtraums, der Anfang einer fünfjährigen Tortur im Gulag.
Aus Ungeschicklichkeit hatte der Einundzwanzigjährige seinen Panzer unverrückbar tief in einen schlammigen Abgrund gesetzt. Das Urteil lautete „Sabotage der Roten Armee und Kollaboration mit den Nazis”. Aus dem intellektuellen jungen Mann, der aus einer hochkultivierten jüdischen Familie aus Krakau stammte, wurde damit ein „sapadnik”, ein „Westler”, ein antisowjetischer Verräter. Das Todesurteil wurde in letzter Minute durch die Entscheidung eines russischen Offiziers jüdischer Herkunft in zehn Jahre schwere Lagerarbeit abgemildert. Das Grab blieb leer.
Archipel des Grauens
Bis er nach der Kapitulation der Nazis auf wunderbare Weise dem Gulag entkommen konnte, brüllte, stammelte, wimmerte er beim täglichen Zählappell die Restdaten seiner Identität. Name: Bardach, Janusz Markowitsch. Geboren: Odessa, 28. Juli 1919. Strafe: 193. 15 Artikel D (Verrat im Krieg, begangen während des Militärdienstes). Zusammen mit anderen „Politischen” war er über Umwege in sibirischen Gefängnissen und Arbeitslagern im schlimmsten Teil des Gulag, in Kolyma gelandet, am nordwestlichsten Rand der Sowjetunion, eine Flugstunde von Amerika entfernt.
Bis 1935 waren es zur Hälfte kriminelle Lagerinsassen, die in Kolymas Goldminen Zwangsarbeit verrichteten, nach den stalinistischen Säuberungen der Jahre 1937 bis 1939 vegetierten dort mehr als 90 Prozent politische Gefangene. Nur wenige kehrten nach Stalins Tod im Jahr 1953 von Kolyma „aufs Festland”, wie sie es nannten, zurück.
Einer von ihnen war Janusz Bardach, der zurückkehrte in eine Welt, in der seine erste Frau, seine Eltern und seine Schwester im Holocaust umgekommen waren. Bardach konnte nach fünf Jahren Lager durch die Protektion seines Bruders, einem hochdekorierten Offizier der polnischen Armee, Medizin in Moskau studieren. Als Spezialist für plastische Chirurgie machte er später seine akademische Karriere an der Universität von Lodz in Polen, 1987 ging er schließlich an die Universität in Iowa City. Erst nach dem Untergang des kommunistischen Regimes in Polen schrieb Bardach, auf Anregung seiner Tochter Ewa, seine Erlebnisse im Gulag nieder. Die deutsche Übersetzung seiner 1998 in den USA erschienenen Autobiografie liegt jetzt bei dtv vor.
Der amerikanische Autor Adam Hochschild, der nach eingehenden Studien in Rußland ein Buch über russische Arbeitslager veröffentlichte, lernte den heute 80jährigen Bardach als „Naturgewalt” kennen – als jemanden, der es gewohnt ist, seine Wünsche erfüllt zu bekommen und der auf Grund seines Verstandes und seines Muts den Terror überlebt hat, während so viele um ihn herum starben. Der Autor selbst findet auf die Fragen nach dem Warum des eigenen Überlebens keine eindeutigen Antworten, er beschreibt nur seine Methoden: nicht nachdenken, die feindliche Außenwelt ausblenden und in die Sicherheit der Innenwelt flüchten, nicht an den folgenden Tag, nicht an die Frist denken, alle Gedanken an zu Hause, an die Familie, die Geliebte verbannen.
Für Millionen von Russen ist Kolyma ein Kürzel für einen Ort unvorstellbarer Verlassenheit. In den dortigen Goldminen zur Zwangsarbeit verurteilt zu werden, bedeutete aufgegeben zu sein, am Rande des Hungertods zu vegetieren, zwölf Stunden täglich in schrecklicher Kälte zu arbeiten, zu jeder Zeit Folter, Isolationshaft, Verhöre erdulden zu müssen, der Willkür und dem Terror der kriminellen Gefangenen ebenso ausgesetzt zu sein wie den Wächtern vom Staatssicherheitsdienst, dem NKWD, der das Prügeln zu einer Kunst entwickelte.
Jeder stirbt für sich allein
In die Genitalien treten, schlagen, bis die Knochen brechen, Nadeln unter die Fingernägel stecken oder sie gleich herausreißen. Opfer wurden hier zu Tätern. Aufseher erschossen die Gefangenen im Lager zu ihrem Vergnügen, schickten sie ohne Mäntel und Stiefel bei 50 Grad Minus zur Arbeit, wetteten, wie lange es dauern würde, bis sie erfroren sein würden. Kolyma: Das war das Todeslager „dochodilowka”. Der Ort, wo man an seine Grenzen stößt. Wo man Ratten aß und Unkräuter, Wurzeln kaute und wurmstichige Pilze hinunterschlang. Oder Zweige zwischen die Zähne steckte, um sich der Illusion hingeben zu können, man habe etwas zu beißen..
„Tschelowek tscheloweku wolk”, der Mensch ist des Menschen Wolf, ist ein noch immer gebräuchliches Sprichwort im Russischen, an das Bardach dachte, wenn sich Gefangene um ein Stück Tabak prügelten, wenn er sie fluchen und weinen hörte, ihre verrotteten, faulenden Körper roch, mit Entsetzen sah, wie sie einander vergewaltigten und vor seinen Augen starben.
Der Titel der Autobiografie knüpft aber auch an jenes „homo homini lupus est” an, den Kernsatz von „Leviathan”, der ersten ihrem Charakter nach bürgerlichen Staatstheorie des Philosophen und Staatsrechtlers Thomas Hobbes (1588-1679). Die von der Naturwissenschaft geprägte Betrachtungsweise von Hobbes erklärt die Grundtriebkräfte des menschlichen Handelns mit den Prinzipien Selbsterhaltung und Streben nach Lust. Das Resultat des Zusammenlebens von Menschen, die nicht von Vernunft geleitet sind und die jedes für ihre Selbsterhaltung notwendig erscheinende Mittel anwenden, ist der Krieg aller gegen alle. Ginge es nach der menschlichen Natur, wäre der „Mensch dem Menschen ein Wolf”, ein Zustand, in dem das Leben einsam, arm, hässlich, brutal und kurz ist. Die Furcht vor dem gewaltsamen Tod allein, so die Konsequenz des Philosophen, wird zur treibenden Kraft, die Macht dem „Souverän”, dem Ungeheuer Staat, dem „Leviathan” zu übertragen.
Ungebrochener Optimismus
Der Titel „Man is Wolf to Man” beschreibt das unvorstellbar Grauenhafte der Realität im Lager, er meint das paranoide System der stalinistischen Terrorherrschaft, aber er entspricht weder der Haltung noch der vitalen Erzählweise der „Urgewalt Janusz Bardach”. Der alte Bardach hat in seiner sehr lebendigen Sprache in dieser von der ersten bis zur letzten Seite packenden Autobiografie vollkommen ungebrochen die optimistische und menschlichen Einstellung jenes jungen Manns bewahrt, der den Gulag überlebt hat. Niemals urteilt oder verurteilt er, er distanziert sich nicht, er lässt sich ein, vertraut seinen Gefühlen. An Gott hat Bardach nie geglaubt, nur an die unerschütterliche Kraft der Liebe. Von allen Überlebensstrategien, die ihm zur Verfügung standen, war es wahrscheinlich diese Liebe zu den Menschen, die ihm das Leben gerettet hat. Hinzu kamen sein Geschick, seine Intelligenz und seine Fähigkeit, Glück für die kleinsten Dinge zu empfinden, für das Lächeln eines Mitgefangenen, Dankbarkeit für ein Stück Stoff, das er für Fußlappen verwenden, für eine Kleinigkeit, mit der er einem Mit-Gefangenen helfen konnte.
Die Stelle in der Sanitätsbaracke, wo er als Pfleger Todkranker und Wahnsinniger arbeitete und die ihn vor einer Rückkehr in die todbringenden Minen bewahrte, lehrte ihn Mitgefühl und bewahrte ihn vor der Selbstaufgabe. Seine Erfahrung: Ein Tier würde sterben. Aber ein Mensch vermag so viel Unglück auszuhalten, mehr Qualen, mehr Schmerz, als der Verstand begreifen kann. Bardach ist niemals zum Wolf geworden und er hat niemals aufgehört, die zutiefst moralische Frage nach der letzten Gerechtigkeit zu stellen. Er schreibt: „Wenn ich ein Mensch voller Hass wäre, eine Kette gemeiner Verbrechen hinter mir, würde ich dann sterben? Gibt es verschiedene Tode, je nachdem, was ein Mensch getan hat, oder trifft der Tod wahllos die einen mit seinem Zorn, die anderen mit sanfter Berührung?”
Er selbst hat darauf keine Antwort. Nur Dankbarkeit denen gegenüber, die, wie er, in besonderen Momenten menschlich waren.
CHRISTA GEBHARDT
Janusz Bardach (kleines Foto) hat Unmenschliches überlebt: Kolyma im Archipel Gulag. Es gibt kaum Fotos von diesen Orten des Grauens; das Regime des Josef Stalin wusste seine Lager abzuschotten. So blieb es dem Film (großes Foto) vorbehalten, Szenen aus dem ersten Kreis der Hölle nachzustellen.
Fotos: Bardach, SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein kleiner polnischer Soldat setzt seinen Panzer in den Schlamm – und muss dafür fünf Jahre lang Strafarbeit im sowjetischen Gulag leisten
JANUSZ BARDACH: Der Mensch ist des Menschen Wolf; mein Überleben im Gulag, dtv, München 2000. 470 Seiten, 39 Mark.
Die Grube, die er ausheben musste, hatte exakt die Ausmaße eines Grabes. Der junge Pole, der sich aus Begeisterung für den Kommunismus und aus Liebe zu Josef Stalin freiwillig zur Roten Armee gemeldet hatte, hätte zentimetergenau hineingepasst. Als er in jenem Juli 1940, mit dem Gesicht in die weiche Erde gepresst, auf den Schuss in sein Genick wartete, war er noch überzeugt davon, eine Rolle in einem völlig absurden Stück zu spielen. Doch es war nur der Beginn eines Albtraums, der Anfang einer fünfjährigen Tortur im Gulag.
Aus Ungeschicklichkeit hatte der Einundzwanzigjährige seinen Panzer unverrückbar tief in einen schlammigen Abgrund gesetzt. Das Urteil lautete „Sabotage der Roten Armee und Kollaboration mit den Nazis”. Aus dem intellektuellen jungen Mann, der aus einer hochkultivierten jüdischen Familie aus Krakau stammte, wurde damit ein „sapadnik”, ein „Westler”, ein antisowjetischer Verräter. Das Todesurteil wurde in letzter Minute durch die Entscheidung eines russischen Offiziers jüdischer Herkunft in zehn Jahre schwere Lagerarbeit abgemildert. Das Grab blieb leer.
Archipel des Grauens
Bis er nach der Kapitulation der Nazis auf wunderbare Weise dem Gulag entkommen konnte, brüllte, stammelte, wimmerte er beim täglichen Zählappell die Restdaten seiner Identität. Name: Bardach, Janusz Markowitsch. Geboren: Odessa, 28. Juli 1919. Strafe: 193. 15 Artikel D (Verrat im Krieg, begangen während des Militärdienstes). Zusammen mit anderen „Politischen” war er über Umwege in sibirischen Gefängnissen und Arbeitslagern im schlimmsten Teil des Gulag, in Kolyma gelandet, am nordwestlichsten Rand der Sowjetunion, eine Flugstunde von Amerika entfernt.
Bis 1935 waren es zur Hälfte kriminelle Lagerinsassen, die in Kolymas Goldminen Zwangsarbeit verrichteten, nach den stalinistischen Säuberungen der Jahre 1937 bis 1939 vegetierten dort mehr als 90 Prozent politische Gefangene. Nur wenige kehrten nach Stalins Tod im Jahr 1953 von Kolyma „aufs Festland”, wie sie es nannten, zurück.
Einer von ihnen war Janusz Bardach, der zurückkehrte in eine Welt, in der seine erste Frau, seine Eltern und seine Schwester im Holocaust umgekommen waren. Bardach konnte nach fünf Jahren Lager durch die Protektion seines Bruders, einem hochdekorierten Offizier der polnischen Armee, Medizin in Moskau studieren. Als Spezialist für plastische Chirurgie machte er später seine akademische Karriere an der Universität von Lodz in Polen, 1987 ging er schließlich an die Universität in Iowa City. Erst nach dem Untergang des kommunistischen Regimes in Polen schrieb Bardach, auf Anregung seiner Tochter Ewa, seine Erlebnisse im Gulag nieder. Die deutsche Übersetzung seiner 1998 in den USA erschienenen Autobiografie liegt jetzt bei dtv vor.
Der amerikanische Autor Adam Hochschild, der nach eingehenden Studien in Rußland ein Buch über russische Arbeitslager veröffentlichte, lernte den heute 80jährigen Bardach als „Naturgewalt” kennen – als jemanden, der es gewohnt ist, seine Wünsche erfüllt zu bekommen und der auf Grund seines Verstandes und seines Muts den Terror überlebt hat, während so viele um ihn herum starben. Der Autor selbst findet auf die Fragen nach dem Warum des eigenen Überlebens keine eindeutigen Antworten, er beschreibt nur seine Methoden: nicht nachdenken, die feindliche Außenwelt ausblenden und in die Sicherheit der Innenwelt flüchten, nicht an den folgenden Tag, nicht an die Frist denken, alle Gedanken an zu Hause, an die Familie, die Geliebte verbannen.
Für Millionen von Russen ist Kolyma ein Kürzel für einen Ort unvorstellbarer Verlassenheit. In den dortigen Goldminen zur Zwangsarbeit verurteilt zu werden, bedeutete aufgegeben zu sein, am Rande des Hungertods zu vegetieren, zwölf Stunden täglich in schrecklicher Kälte zu arbeiten, zu jeder Zeit Folter, Isolationshaft, Verhöre erdulden zu müssen, der Willkür und dem Terror der kriminellen Gefangenen ebenso ausgesetzt zu sein wie den Wächtern vom Staatssicherheitsdienst, dem NKWD, der das Prügeln zu einer Kunst entwickelte.
Jeder stirbt für sich allein
In die Genitalien treten, schlagen, bis die Knochen brechen, Nadeln unter die Fingernägel stecken oder sie gleich herausreißen. Opfer wurden hier zu Tätern. Aufseher erschossen die Gefangenen im Lager zu ihrem Vergnügen, schickten sie ohne Mäntel und Stiefel bei 50 Grad Minus zur Arbeit, wetteten, wie lange es dauern würde, bis sie erfroren sein würden. Kolyma: Das war das Todeslager „dochodilowka”. Der Ort, wo man an seine Grenzen stößt. Wo man Ratten aß und Unkräuter, Wurzeln kaute und wurmstichige Pilze hinunterschlang. Oder Zweige zwischen die Zähne steckte, um sich der Illusion hingeben zu können, man habe etwas zu beißen..
„Tschelowek tscheloweku wolk”, der Mensch ist des Menschen Wolf, ist ein noch immer gebräuchliches Sprichwort im Russischen, an das Bardach dachte, wenn sich Gefangene um ein Stück Tabak prügelten, wenn er sie fluchen und weinen hörte, ihre verrotteten, faulenden Körper roch, mit Entsetzen sah, wie sie einander vergewaltigten und vor seinen Augen starben.
Der Titel der Autobiografie knüpft aber auch an jenes „homo homini lupus est” an, den Kernsatz von „Leviathan”, der ersten ihrem Charakter nach bürgerlichen Staatstheorie des Philosophen und Staatsrechtlers Thomas Hobbes (1588-1679). Die von der Naturwissenschaft geprägte Betrachtungsweise von Hobbes erklärt die Grundtriebkräfte des menschlichen Handelns mit den Prinzipien Selbsterhaltung und Streben nach Lust. Das Resultat des Zusammenlebens von Menschen, die nicht von Vernunft geleitet sind und die jedes für ihre Selbsterhaltung notwendig erscheinende Mittel anwenden, ist der Krieg aller gegen alle. Ginge es nach der menschlichen Natur, wäre der „Mensch dem Menschen ein Wolf”, ein Zustand, in dem das Leben einsam, arm, hässlich, brutal und kurz ist. Die Furcht vor dem gewaltsamen Tod allein, so die Konsequenz des Philosophen, wird zur treibenden Kraft, die Macht dem „Souverän”, dem Ungeheuer Staat, dem „Leviathan” zu übertragen.
Ungebrochener Optimismus
Der Titel „Man is Wolf to Man” beschreibt das unvorstellbar Grauenhafte der Realität im Lager, er meint das paranoide System der stalinistischen Terrorherrschaft, aber er entspricht weder der Haltung noch der vitalen Erzählweise der „Urgewalt Janusz Bardach”. Der alte Bardach hat in seiner sehr lebendigen Sprache in dieser von der ersten bis zur letzten Seite packenden Autobiografie vollkommen ungebrochen die optimistische und menschlichen Einstellung jenes jungen Manns bewahrt, der den Gulag überlebt hat. Niemals urteilt oder verurteilt er, er distanziert sich nicht, er lässt sich ein, vertraut seinen Gefühlen. An Gott hat Bardach nie geglaubt, nur an die unerschütterliche Kraft der Liebe. Von allen Überlebensstrategien, die ihm zur Verfügung standen, war es wahrscheinlich diese Liebe zu den Menschen, die ihm das Leben gerettet hat. Hinzu kamen sein Geschick, seine Intelligenz und seine Fähigkeit, Glück für die kleinsten Dinge zu empfinden, für das Lächeln eines Mitgefangenen, Dankbarkeit für ein Stück Stoff, das er für Fußlappen verwenden, für eine Kleinigkeit, mit der er einem Mit-Gefangenen helfen konnte.
Die Stelle in der Sanitätsbaracke, wo er als Pfleger Todkranker und Wahnsinniger arbeitete und die ihn vor einer Rückkehr in die todbringenden Minen bewahrte, lehrte ihn Mitgefühl und bewahrte ihn vor der Selbstaufgabe. Seine Erfahrung: Ein Tier würde sterben. Aber ein Mensch vermag so viel Unglück auszuhalten, mehr Qualen, mehr Schmerz, als der Verstand begreifen kann. Bardach ist niemals zum Wolf geworden und er hat niemals aufgehört, die zutiefst moralische Frage nach der letzten Gerechtigkeit zu stellen. Er schreibt: „Wenn ich ein Mensch voller Hass wäre, eine Kette gemeiner Verbrechen hinter mir, würde ich dann sterben? Gibt es verschiedene Tode, je nachdem, was ein Mensch getan hat, oder trifft der Tod wahllos die einen mit seinem Zorn, die anderen mit sanfter Berührung?”
Er selbst hat darauf keine Antwort. Nur Dankbarkeit denen gegenüber, die, wie er, in besonderen Momenten menschlich waren.
CHRISTA GEBHARDT
Janusz Bardach (kleines Foto) hat Unmenschliches überlebt: Kolyma im Archipel Gulag. Es gibt kaum Fotos von diesen Orten des Grauens; das Regime des Josef Stalin wusste seine Lager abzuschotten. So blieb es dem Film (großes Foto) vorbehalten, Szenen aus dem ersten Kreis der Hölle nachzustellen.
Fotos: Bardach, SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Janusz Bardach steuerte als 21jähriger polnischer Freiwilliger der Roten Armee einen Panzer so tief in den Schlamm, dass er nicht mehr herauszuholen war - das reichte für den Gulag, und zwar das berüchtigte Lager in Kolyma, Ostsibirien. Ergriffen schreibt Christa Gebhardt über Bardachs Bericht aus dieser Hölle der Goldminen, der Temperaturen um minus 50 Grad und der Folter, der er 1953 durch viel Glück entkam. Sie schildert die Nüchternheit seines Berichts und seine Überlebensstrategien: immer nur an den nächsten Tag denken und nicht selber zum "Wolf" der Mitgefangenen werden. "Packend" werde diese Autobiografie durch ihre "vitale Erzählweise" und durch die Weigerung des Autors, der später Schönheitschirurg in Iowa wurde, Urteile über andere zu fällen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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