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Lustlos quetscht Moische Bernstein im kleinen Jeans-Shop seiner Eltern die Hinterteile der Kunden in enge Jeans. Durch einen Zeitungsartikel wird er fast über Nacht zum Starkolumnisten - zunächst beim Nachrichtenmagazin "logo!". Seinen ersten großen Coup landet er, als er unsere Ära als "Hitlers Jahrhundert" entlarvt. Das öffentliche Echo ist gewaltig, die Auflagen steigen. Seine Karriere ist nicht mehr zu bremsen. Bald Chefredakteur eines großen Boulevardblattes in Berlin, geriert er sich als Anwalt der Leser, dem als Jude - im Gegensatz zu den deutschen Kolumnisten - jeder Tabubruch…mehr

Produktbeschreibung
Lustlos quetscht Moische Bernstein im kleinen Jeans-Shop seiner Eltern die Hinterteile der Kunden in enge Jeans. Durch einen Zeitungsartikel wird er fast über Nacht zum Starkolumnisten - zunächst beim Nachrichtenmagazin "logo!". Seinen ersten großen Coup landet er, als er unsere Ära als "Hitlers Jahrhundert" entlarvt. Das öffentliche Echo ist gewaltig, die Auflagen steigen. Seine Karriere ist nicht mehr zu bremsen. Bald Chefredakteur eines großen Boulevardblattes in Berlin, geriert er sich als Anwalt der Leser, dem als Jude - im Gegensatz zu den deutschen Kolumnisten - jeder Tabubruch nachgesehen werden muss. Er plädiert für die Todesstrafe und Sterbehilfe, und sein Eintreten für die Abschaffung der "Schwindelsteuern" auf Tabak und Alkohol macht ihn zum Volkshelden. Doch auf dem Höhepunkt seines Erfolges wird der Parvenü selbst zum Opfer der Wahnsinnswelt der Massenmedien.
Autorenporträt
Raphael Seligmann, 1947 in Israel geboren, lebt seit 1957 in Deutschland. 1997 begann der promovierte Politologe über die Juden im Nachkriegsdeutschland zu schreiben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.1998

Den Frauen entkommt er nicht
Präventiv: Rafael Seligmann entwirft das Bild des "Musterjuden"

Rafael Seligmann begann seine Karriere nicht als Schriftsteller, sondern als Politologe. 1947 kam er im heutigen Israel zur Welt und wurde von seinen Eltern erst als Zehnjähriger nach München gebracht. Noch seine Dissertation aus dem Jahre 1982 aber blieb dem Geburtsland verbunden. Sie untersucht Israels Sicherheitspolitik und trägt den Titel "Zwischen Selbstbehauptung und Präventivschlag". Unter dieses Motto darf man auch Seligmanns publizistische Tätigkeit stellen - und vor allem den bissigen Spott seiner Romane, für die er seine akademische Karriere aufgegeben hat. Wie die Israelis seiner Doktorarbeit führt er auch einen Mehrfrontenkrieg, schreibt über die Juden im Nachkriegsdeutschland und stellt sie auf eine Weise dar, die vielen seiner Glaubensbrüder und allen Philosemiten die Haare zu Berge stehen läßt.

"Der Musterjude" ist Rafael Seligmanns dritter Roman, und die Biographie des Autors rückt die Intention seines Buches ins Licht. Für ihn gibt es keine "Juden" in Anführungsstrichen. Er weigert sich, sie als makellos darzustellen, als wäre Auschwitz, wie der jüngst verstorbene Eike Geisel es gesagt hat, eine Besserungsanstalt gewesen.

Der deutsche Nachkriegsjude als unantastbar guter Mensch: Das ist der Mythos, gegen den Rafael Seligmann anschreibt. Damit stößt er auf doppelten Widerstand. Nachdem die Nazis sie verteufelt haben, zieht man es auf deutscher Seite nun vor, die jüdischen Mitbürger zu idealisieren. Den Juden wiederum ist ihre Unantastbarkeit im Nachkriegsdeutschland nicht unwillkommen, weil sie ihnen hilft, die Schuldgefühle beiseite zu schieben, die sie nach ihrer Rückkehr ins Land der Mörder empfinden.

Seit "Rubinsteins Versteigerung", Seligmanns erstem Roman aus dem Jahre 1988, gehört denn auch das jüdische Establishment in Deutschland zu seinen schärfsten Kritikern. Dort hatte er die schmutzige Wäsche einer jüdischen Pubertät in die Öffentlichkeit getragen, dem der Umgang mit deutschen Mädchen verboten wird. Von offiziöser jüdischer Seite trug ihm das prompt den Vorwurf der "Nestbeschmutzung" ein. Traurige Ironie: So hatten auch die Nazis alle Intellektuellen bezeichnet, die ihnen nicht ins Konzept paßten.

Das Werk des Schriftstellers Rafael Seligmann erzählt eine intime und zugleich eine öffentliche Geschichte. Nach Rubinsteins Qualen folgte 1990 "Die jiddische Mamme", ein grotesker Ausbruchsversuch aus der endogamen Klaustrophobie, der (natürlich) über Israel führt. Die autobiographischen Züge sind nicht zu verkennen. Held des neuen Romans ist Moische Bernstein, der seit vielen Jahren das Textilgeschäft seines verstorbenen Vaters führt. Ursprünglich wollte er Journalist werden, aber seine Mutter hat ihn gezwungen, den Laden zu übernehmen, und er verdrängt die Spuren der Unterdrückung, verdrängt auch sein Judentum, hat das Geschäft längst zu Bernis Jeans-Shop umstilisiert, um sich in der Branche über Wasser zu halten.

Wir lernen ihn an seinem vierzigsten Geburtstag kennen. Seine Freundin, deutsch und dominant, lädt ihn zum festlichen Abendessen ein, seine herrschsüchtige Mutter will ihn nicht gehen lassen, und darüber kommt es zum Eklat. Seligmann bringt wieder die Versatzstücke seines Erzählens ins Spiel, aber er verwendet sie auf witzige Weise, um jetzt einen Schritt weiter zu gehen. In seiner deutschen Umwelt heißt der Jeansverkäufer nicht mehr Moische, sondern Manfred, und seine Freundin nennt ihn Mannilein: Zwei übermächtige Frauen bedrohen ihn mit der Kastration, und er bricht aus ihrem Machtbereich aus, kehrt zu seiner wirklichen Liebe zurück - zum Journalismus.

Der ehemalige Politologe schreibt eine gelungene Persiflage des eigenen Lebensweges, er katapultiert seinen Helden in die Welt, die der Zeitungs- und Fernsehjournalist Rafael Seligmann aus persönlicher Erfahrung kennt. Die jüdische Mutter und die deutsche Freundin bilden den Spiegelsaal einer seelischen Not, die ihn zur Flucht nach vorne zwingt. Bernsteins lange unterdrückte Energien explodieren im ungezügelten Wunschdenken einer Traumkarriere. Er wird zum führenden Journalisten Deutschlands, wird zum Chefredakteur der überregionalen Zeitung Germany Today, wird nun auch in aller Öffentlichkeit wieder zum Juden Moische, der die Wahrheit sagt wie noch niemand zuvor.

Das Markenzeichen dieses Erzählens ist Seligmanns Witz, der im wörtlichen Sinn unverschämt vorgeht. Um die Verlogenheit des Generationskonfliktes, der deutsch-jüdischen Beziehungen, des Medienbetriebes zu durchbrechen, setzt er sich über die Hemmschwellen des sozialen Kodes hinweg, kompromittiert Mutter und Sohn, Deutsche und Juden, läßt auch durchscheinen, daß wir den Tabuzonen der Nürnberger Gesetze noch längst nicht entronnen sind. Das bringt den Leser zum Lachen, weil der Blick hinter die Fassaden ihn befreit und zugleich erschreckt.

Moische Bernstein macht eine Traumkarriere, aber den Frauen entkommt er nicht. Als er schon fast den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht hat, lernt er Judith kennen, eine reiche, geschiedene Jüdin. Sie holt ihn in ihr Bett und weiß den falschen Eindruck zu erwecken, daß er ihr seinen Erfolg verdanke. Am Ende verliert er aber seinen hohen Posten. Da läßt sie ihn wie selbstverständlich fallen, und nebenbei stellt sich heraus, daß sie ihn finanziell ruiniert hat.

Moische Bernstein ist der jüdische Journalist, der keine Wahrheit scheut. Aber der Höhepunkt seiner Karriere ist auch ihr Schlußpunkt. Als er die deutsche Hochfinanz aufs Korn nimmt, greifen die amerikanischen Kapitalisten ein und ersetzen ihn durch einen deutschen Nachfolger, der die Gesetze der freien Marktwirtschaft besser begriffen hat. Warum scheitert Moische Bernstein? Es ist die Stärke dieses Romans, daß Seligmann den Höhenflug seines Helden als Phantasie entlarvt. Aber indem er die Seifenblase platzen läßt, legt er zugleich den schwachen Punkt seiner Erzählstrategie bloß.

Am Ende kehrt Moische Bernstein wieder in den Jeansladen zurück, unter die Fittiche seiner Mutter. Im letzten Satz des Romans nimmt er das Titelwort auf, bezeichnet sich als "Musterjude". Das ist Begriffen wie "Musterknabe" und "Musterschüler" nachgebildet, es weist auf die Infantilität hin, die Seligmann als Waffe gegen ein Herrschaftssystem einsetzt, stellt ihn in eine Tradition der kindlichen Perspektive. Auch andere haben sie verwendet, um die deutsche (und jüdische) Misere in den Blick zu bekommen: Günter Grass in "Blechtrommel", Heinrich Böll in "Ansichten eines Clowns", Jurek Becker in "Bronsteins Kinder". Rafael Seligmann arbeitet das Lustprinzip der Infantilität heraus, gewinnt damit die Wirkung seines Witzes. Früher oder später aber muß sich ihm das Realitätsprinzip hinzugesellen, um der Gefahr der Selbstzerstörung zu entgehen. JAKOB HESSING

Rafael Seligmann: "Der Musterjude". Roman. Claassen Verlag, Hildesheim 1997. 360S., geb., 39,80DM.

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"Nicht alles, worüber man lacht, ist auch lustig. Wer das nicht ohnehin schon gewußt hat, von Woody Allen vielleicht, der weiß es spätestens nach der Lektüre des 'Musterjuden'." 'Rheinischer Merkur'

"In ihrer Mischung aus Realismus und Phantastik bietet Seligmanns Märchenposse, die auch Züge des pikaresken Schelmenromans aufweist, das Vergnügen, das wir aus der kindlichen Lektüre solcher schwindelerregender Success-Stories kennen; die Lust angesichts der Erfolgsskala des Helden wird nur übertroffen durch die Befriedigung über seinen Sturz. Zugleich ist 'Der Musterjude' ein Medienkrimi." 'Süddeutsche Zeitung'

"'Der Musterjude' ist ein Buch, das die vielfältigen Verkrampfungen des deutsch-jüdischen Verhältnisses mit treffsicherer Satire offenlegt." 'Hamburger Abendblatt'

"Rafael Seligmans Roman ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte." 'Zeitschrift der IG Medien'